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70. Bei den paradiesischen Augustinern

(Am 4. März 1843 von 4 3/4 – 7 Uhr abends.)

[1.70.1] Seht, da gegenüber, diesem großen Klosterhof entlang führt eine offenstehende Pforte in einen ziemlich großen Garten. Dahin wollen wir gehen und beschauen, was sich alles in diesem Garten vorfindet. Nun seht, der Garten liegt schon vor unseren Augen ausgebreitet. Wie gefällt er euch? Ihr sagt: Lieber Freund, fürwahr, man müsste ein Feind aller höheren Ästhetik sein, wenn man an diesem Garten kein Wohlgefallen fände. Diese herrlichen Arkaden längs den bedeutend hohen Gartenmauern, die Wasserkünste, die herrlichen Säulentempel und dann die vielen prachtvollsten Blumen, und ebenso auch die Obstbäume in der schönsten Ordnung angebracht, – man muss wirklich sagen, da sind Kunst und höherer Geschmack vereinigt und die Natur steht allenthalben wohlberechnet im schönsten harmonischen Einklang mit der Kunst. Und dort erhebt sich über die Gartenmauer ein überaus herrlicher Palast, welcher, was seine Pracht betrifft, im Ernst nichts zu wünschen übrig lässt. Wir sind der Meinung, wenn die irgend in diesem Garten wohnenden Geister nur einigermaßen dieser prachtvollen Ausstattung entsprechen, so müssen sie an und für sich noch immer einen nicht ganz verdorbenen Sinn haben. – Ja, ich sage euch, meine lieben Freunde und Brüder, also sieht es wohl aus; aber nur müsst ihr solche Regel nie dabei vergessen:

[1.70.2] Wo unter Menschen viel Pracht ist, da ist auch viel Verschwendung, wo viel Verschwendung ist, da ist viel Herrschsucht darunter, wo viel Herrschsucht, da ist viel Eigenliebe, wo viel Eigenliebe, da ist viel Eigennutz; und daher ist die äußere Pracht nie ein günstiges Zeichen für den, der ihr zugetan ist. Seht nur einmal auf eure Erde zurück. Wer wohnt in den großen, prachtvollen Palästen? Selten wer anderer, als ein Reicher und Mächtiger. Wem nützt diese Pracht? Niemandem außer nur dem Inhaber selbst. Wie nützt sie ihm denn? Sie nützt ihm mehrfach. Fürs Erste ist sie ein Aushängeschild entweder von seiner Wohlhabenheit oder von seiner staatlichen Macht, und stimmt die andere vorüberziehende Menschheit zu Ehrfurcht und macht sie schüchtern, dass sie sich nicht leichtlich getraut, sich solch einer großartigen Prachtwohnung in was immer für einer Angelegenheit zu nahen. Fürs Zweite hält solche Pracht die arme Menschheit fortwährend ab, sich dem Inhaber zu nahen und sich von ihm irgendeine milde Gabe zu erbitten. Und fürs Dritte ist solch eine Pracht eine unversiegbare Quelle zur beständigen Ernährung des Hochmutes und dadurch auch der fortwährenden Verachtung der armen Menschenklasse. So ist auch solche Pracht das beste Mittel, die arme Menschheit fortwährend in der gehörigen Blindheit zu erhalten.

[1.70.3] Ihr fragt, warum? Weil der einfache Landmensch die Inhaber von solch einer großen Pracht für Wesen höherer Art hält. Und er kann sich beim Anblick einer solchen Prachtgröße solchen Gefühls nicht erwehren. Ja, ich muss euch sagen: Wäre der sogenannte Petrusdom und der päpstliche Vatikan nicht in einer beinahe die meisten menschlichen Begriffe übersteigenden Pracht und Größe erbaut, so würden gar manche sich keine so große Gnade daraus machen, zum Pantoffelkuss des Papstes allergnädigst zugelassen zu werden. Die blinden Ablässe, aus einer Bauernhütte gereicht, hätten nie diese einträgliche Wirkung zuwege gebracht, als aus der irdisch wundervollen Pracht des Vatikans. Ihr habt aber noch allzeit gesehen, dass was immer für eine Religion, wenn sie ins äußere Materielle überging, sich durch die äußere Pracht aufzuhelfen anfing, um noch auf eine Zeit lang sich die Blindheit der Menschen zum Nutzen machen zu können. Es lässt sich aber daneben fragen, ob solche Blendung der Menschheit je etwas genützt hat?

[1.70.4] Selbst der Tempel Salomons war im Grunde nichts anderes als ein stummer Prophet, der durch sein Dasein von Salomons Zeiten her dem ganzen israelitischen Volke zeigte, wie es selbst vom Geistigen ins Materielle übergegangen ist, und wie am Ende im ganzen Tempel nichts mehr Gutes und Wahres anzutreffen war, und der Herr den Juden selbst vom Tempel das Zeugnis gab, dass sie das Bethaus zu einer Mördergrube gemacht haben! Ja, in diesem Tempel sind Gräuel ohne Namen verübt worden. Und so weit wurden die Menschen durch den Tempel geblendet, dass sie den Herrn der Herrlichkeit nicht erkannt haben und haben sogar im Tempel Seine Kreuzigung beschlossen. Auch der Judas ist im Tempel mit dem Geld ausbezahlt worden und warf am Ende selbst wieder dieses Blutgeld in den Tempel zurück, zu einem großen Zeugnis, dass der Tempel schon von jeher eine Mördergrube des Geistes Gottes war.

[1.70.5] Wenn ihr dieses Gesagte ein wenig betrachtet, so wird euch diese Pracht eben nicht in einem zu günstigen Licht erscheinen; und wie es sich mit ihr verhält, [dazu] werden wir bei der Annäherung des ersten Gartentempels sogleich eine kleine Verkostung machen.

[1.70.6] Da seht nur einmal hin, es kommen uns schon zwei weißgekleidete Mönche entgegen. Ihr fragt: Sind das etwa gar Dominikaner oder Zisterzienser? – O nein, meine lieben Freunde und Brüder, das sind bloß paradiesische Augustiner, denn im Paradies ziehen sie die schwarzen Kutten aus und legen dafür ganz weiße an. Was seht ihr denn dort so aufmerksam hin gegen den Palast? Ich weiß schon, was euch in die Augen fällt: die dort herumspringenden Engel mit dem Flügelpaar aus weißen Federn verfertigt über den Schultern angebracht. Ihr fragt freilich, ob sie wohl auch auffliegen können? O nein, das können sie durchaus nicht, denn die Flügel sind ihnen nicht gewachsen, sondern nur ganz, wie ihr zu sagen pflegt, theatralisch künstlich angesetzt. Und das Springen soll die Lebhaftigkeit dieser Engel darstellen, und wie dieselben bereit sind, diesen Paradiesinwohnern auf den leisesten Wink zu dienen. Seht, es rennt auch schon ein halbes Dutzend den zwei auf uns zugehenden Paradiesinwohnern nach; und ihr werdet bald sehen, dass dieses Paradieses Engel sogar mit Knitteln und Säbeln versehen sind, um allfällige ungebetene Gäste auf eine eben nicht sehr paradiesische Weise aus diesem Paradies zu treiben.

[1.70.7] Ihr fragt, wer denn solche Engel auf der Erde waren? Habt ihr noch nie etwas von den sogenannten Laienbrüdern gehört, besser gesagt: klösterliche Hausknechte? Seht, auch hier sind sie dienstbare Geister des Klosters. Damit ihnen aber ihr Dienst besser gefällt, so werden sie als Engel angezogen. Solches rührt alles von der fälschlichen Begründung her, in welcher dergleichen Menschen das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselt haben. Die große Liebe und Erbarmung des Herrn aber belässt diese Wesen so lange in solcher Begründung, solange solche nicht leise in sich angefangen haben, innezuwerden, dass es mit dergleichen Situationen sicher irgendeinen fatalen Umstand haben muss, weil sie sich fürs Erste mit all diesen schönen Früchten nie vollkommen satt essen können. Es kommt ihnen das Essen und Trinken beinahe so vor, als wenn sie im Traum äßen und tränken. Fürs Zweite sehen sie hier ober ihnen wohl fortwährend weiße Wolken ziehen; woher aber diese Wolken das Licht haben, können sie nicht erschauen. Und fürs Dritte fällt es ihnen mit der Zeit auf, dass sie, wohl wissend, in der geistigen Welt zu sein, nirgends einen Heiligen, auch nicht die Mutter Gottes, Maria, also auch keinen Petrus und keinen Erzengel Michael zu Gesicht bekommen. Ein vierter für sie sehr fataler Umstand ist noch dieser, dass, so sie über diese Gartenmauer, welche gewöhnlich mit Leitern erstiegen wird, hinwegschauen, sie nichts als unfruchtbare Steppen erschauen, und bloß allein nur ihr Garten fruchtbringend ist. Und fünftens ist auch dieser Umstand für sie nach und nach erwecklich wirkend, dass ihre Klosterkirche außer ihnen von niemand anderem besucht wird. Und so gibt es noch mehrere solche Stupfmittel, durch welche der Geist aufmerksam gemacht werden kann, dass es mit seinem Paradies irgendein sogenanntes nisi haben muss.

[1.70.8] Diese Paradiesinwohner haben freilich wohl noch den Klosterhimmel vor sich, den wir erst später werden kennenlernen; aber der Himmel hat noch bedeutende Bedenklichkeiten. Daher müssen die Himmelsbewohner auch sehr politisch sein und die Misslichkeit des Himmels so geheim als möglich halten, denn sonst würde es mit dem Paradies, das auch für den Himmel sorgen muss, bald gar kläglich aussehen, und unsere munteren Engel würden nicht den bedeutend großen Garten mehr bearbeiten. Denn das müsst ihr wissen, dass der Herr solches aus gutem Grunde zulässt, dass diese Menschengeister hier so gut wie auf der Erde mit dem Fleiß ihrer Hände und im Schweiß ihres Angesichts sich das Brot erwerben müssen. Sie müssen also arbeiten, wenn sie etwas essen wollen.

[1.70.9] Doch seht, unsere Paradiesbewohner nähern sich uns. Daher sind wir nun still, und ihr habt Acht auf den Empfang! Seht, soeben winkt ein Paradiesmann zweien mit Knitteln versehenen Engeln, sich an seine Seite zu begeben, damit er sich uns unter sicherem Geleit nahe. Und der andere Paradiesmann macht mit vier besäbelten Engeln den nachtrabenden Schutz für den Vortrab, sollte derselbe etwa zu schwach gegen den Feind sein.

[1.70.10] Nun habt Acht; der erste Paradiesmann öffnet schon seinen Mund und fragt uns: Wo kommt ihr her, von oben oder von unten? – Ich sage: von oben. – Er fragt uns: Wo ist oben? – Ich zeige ihm mit der Hand auf die Brust und sage: Hier im Herzen, in der alleinigen Liebe zum Herrn, ist von oben! – Er spricht: Was schwätzt du für ein albernes Zeug? Weißt du nicht, wo der Himmel ist, und weißt du nicht, dass du dich hier im Paradies Gottes befindest? – Ich sage zu ihm: Ich weiß, wo der Himmel ist und kenne sehr wohl das Paradies. Aber dieses Paradies hier und deinen Himmel erkenne ich nicht als ein Paradies und als einen Himmel, sondern ich erkenne solches nur nach der Wahrheit, und in dieser ist dieser Himmel und dieses Paradies nichts als eine Ausgeburt deiner und eurer allerweltlichen Torheit. – Er spricht: Was ist das für eine Rede! So reden die, welche von oben kommen? Nein, warte du nur ein wenig, wir werden dir ganz handgreiflich zeigen, wo es unten ist. Kommt her, ihr Engel Gottes, und nehmt sogleich diese drei höllischen Galgenschlingel in den sicheren Empfang und bringt sie dorthin, ihr wisst schon, welchen Ort ich meine, nämlich in die Schule, wo sie das Oben und Unten sollen unterscheiden lernen.

[1.70.11] Seht, die Engel umfangen uns, und wir wollen uns diesmal nicht wehren, sondern uns von ihnen einführen lassen. Erst wenn sie über uns ein ganz menschenfreundliches Urteil werden geschöpft haben, dann erst werden wir uns ein wenig zu rühren anfangen, denn solches alles gehört zur Sache. Ihr würdet ohne dies keine vollkommene Kenntnis von dieser geistigen Situation haben, und diesen Geistern könnten wir auf einem anderen Weg nicht leichtlich zukommen und sie dann, zu ihrem eigenen Besten, ihres Wahnes überführen. Daher lassen wir uns, wie gesagt, unterdessen nur ganz gutmütig einführen, damit ihr daraus auch erseht, auf welch endlos mannigfaltige Weise der Herr Seine Diener fortwährend liebersprießlich zu beschäftigen weiß.

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