(Am 2. März 1843 von 4 3/4 – 7 Uhr abends.)
[1.69.1] Seht, er [der Mönch] geht dort in eine bedeutend große Halle und wie ihr seht, so kommt ihm auch schon eine Menge Mönchsbrüder entgegen. Mehrere fragen ihn, unser ansichtig, wer wir seien und was wir wollten. Und er erwidert ihnen ganz verstohlen: Fragt nicht, denn das sind schreckliche Wesen, welche durch eine sonderbare Zulassung uns in unserer seligen Ruhe allergewaltigst stören wollen. Ob der Mittlere der Luzifer selbst ist oder sein erster Helfershelfer, das weiß ich nicht. Aber so viel ist gewiss, dass er allen meinen allerkräftigsten kirchlich exorzistischen Mitteln Hohn sprach und mir noch obendrauf etwas umschriebenermaßen mit der offenbaren Hölle drohte, so ich ihm nicht vermöchte buchstäblich aus der Heiligen Schrift zu erweisen, dass Petrus ganz sicher die römische Kirche gegründet habe.
[1.69.2] Ja, ich sage euch, ich habe alle meine Weisheit zusammengesucht und ihm die kräftigsten Beweise dafür geliefert. Allein sie waren gegen seine Schlauheit gerade so wenig stichhaltend und wirkend, als da wäre ein Tropfen Wasser zur Löschung eines Hausbrandes. Was kann man da mehr sagen, wenn man einem aus der Schrift beinahe auf ein Haar beweist, dass, wenn die römische Kirche in ihrer bestehenden Ordnung vom hl. Geist geleitet und erhalten wird, Christus entweder ein Lügner oder ein Wesen war, wennschon der Gottheit entstammend, so aber doch in einer solchen Unvollkommenheit, dass eben dieser Seiner Unvollkommenheit zufolge nun die Gottheit für notwendig erschaut, ganz allgewaltige Verbesserungen in der von Christo gegründeten Lehre nachträglich durch den hl. Geist anzuordnen?
[1.69.3] Kurz und gut, er beweist auf ein Haar, dass bei der gegenwärtig bestandenen kirchlichen Ordnung entweder die Lehre Christi vollkommen göttlichen Ursprungs ist, und unsere Kirche sei daneben nichts als ein eigenmächtiges allerfinsterstes Heidentum; ist aber unsere Kirche rechter Dinge, so ist Christus so viel wie nichts, und ist Christus nichts, so fällt dieses Nichts auch auf unsere Kirche. Da habt ihr das Entsetzliche!
[1.69.4] Wenn wir nur hier in diesem Reich die heilige Inquisition hätten und könnten solch ketzerische Geister wie die leiblichen Menschen auf der Erde peinigen, wir wollten ihnen schon ihre Ketzerei so heiß machen, dass sich die unterste Hölle dagegen schämen müsste. Was ist aber hier zu tun, wo man keine Gewalt mehr hat? Man muss hier erst im buchstäblichen Sinne solch ein entsetzliches Kreuz auf den Rücken nehmen und Christus ganz geduldig nachfolgen.
[1.69.5] Seht, er bewegt sich mit seinen Helfershelfern schon in den Saal herein. Ich kann euch keinen anderen Rat geben als bei jeglichem seiner Worte ein heimliches Kreuz zu machen, nichts zu reden und ihm ja auf keine Frage die allerleiseste Antwort zu geben. Fliehen wir daher hinter unser Refektorialkruzifix und verhalten wir uns dort ganz ruhig! Und einer stelle sich hinter das Kreuz und mache, dass dem Gekreuzigten Blutstropfen aus den Wunden entträufeln, und dieser höllische Gast wird uns sicher nichts anhaben können.
[1.69.6] Seht, das ganze Gremium, etwa fünfhundert Köpfe stark, zieht sich hinter das Kruzifix und wie ihr seht, so fängt auch soeben das Blut aus den Wunden des gekreuzigten Christusbildnisses an förmlich zu fließen. Die Mönche verhalten sich, als schliefen sie, und unser Haupturteilssprecher befindet sich am meisten im Hintergrund.
[1.69.7] Ihr fragt mich wohl und sagt: Lieber Freund, wie es uns vorkommt, so wird da wohl jede Mühe und Arbeit vergeblich sein, ja wir sind sehr stark der Meinung, dass diese sogar der bemooste Sandboden im äußersten stockfinsteren Abend nicht zurechtbringen wird. Denn es ist gerade entsetzlich, wie diese Wesen die allertriftigsten Worte des Herrn schnurgerade als Worte des Satans betrachten. Ja, da mag der Herr persönlich erscheinen und ihnen predigen gegen ihren Unsinn, so werden sie Ihn für nichts anderes halten, als für was sie dich halten. Und wird Er ihnen durch Wunderwerke die Wahrheit Seines Wesens bezeugen, so werden sie ebenso gut wie die Pharisäer sagen: Er wirkt alles dieses durch der Teufel Obersten.
[1.69.8] Ja, meine lieben Freunde, eure Anmerkung ist ganz richtig, und es verhält sich im Ernst mit diesen Wesen also, wie ihr ausgesagt habt. Aber solches ist daneben auch wahr, dass dem Herrn gar unendlich vieles möglich ist, wovon sich all unsere Weisheit nichts einfallen lassen kann. Und so werden wir denn auch hier einige Experimente machen, und es wird sich darauf bald zeigen, was sie bei diesen Wesen für Wirkungen hervorbringen werden. Und so seht! Dieses Trugkruzifix ist ein Hauptstützpunkt und eine Hauptschutzwehr für ihren Unsinn. Dieses wollen wir zuerst angreifen, es niederreißen und unter unseren Füßen vernichten.
[1.69.9] Und so denn nähern wir uns demselben. Seht, der Blutmaschinist weicht schon bei unserer Annäherung zurück und ich sage: Du Trugbild, das da hervorgegangen ist aus der lange anhaltenden falschen Begründung dieser Wesen, werde zunichte! Denn einen größeren Gräuel gibt es vor den Augen des Herrn nicht, als ein solches auf Ihn Bezug habendes Trugbild, durch welches tausend und tausend Menschenherzen mit dem allerfinstersten Wahn und mit dem scheußlichsten Unrat des Todes erfüllt werden.
[1.69.10] Seht, das Kruzifix liegt schon völlig vernichtet wie eine schmutzige Spreu auf dem Boden, und seht, die stummen Mönche fangen sich an einer nach dem anderen zu erheben. Und aus jedem Antlitz sprühen uns Wut und Grimm entgegen, aber dennoch getraut sich keiner, seine Hand an uns zu legen. Es will auch niemand ein Wort sprechen; dafür aber will ich ein Wort an den im Hintergrund befindlichen, uns schon bekannten Mönch richten. Und ich spreche nun zu ihm:
[1.69.11] Höre, du finsterer Geist im Hintergrund! Trete hervor und gebe mir auf meine dir im Tempel gegebene Frage Antwort! – Der Mönch tritt, von großer Furcht gepeitscht, hervor und will statt der Antwort mit einem Fluch ob der Vernichtung des Kruzifixes entgegenkommen. Aber nun seht, gerade vor ihm macht der Boden eine klafterweite Spalte, und er sieht hinab zur Hölle. – Und ich spreche zu ihm: Siehe, du finsterer Geist, das ist dein Christentum; was du hier siehst, dessen ist voll dein Herz.
[1.69.12] An der Stelle der über alles sanften Liebe Christi, die noch am Kreuz blutend für die Täter des Übels den Vater in Sich um Vergebung bat, habt ihr nichts als Hass, Sektenwut, Verdammnis, Gericht und Feuer in euch und seid dadurch der Grundlehre Christi als die entschiedensten Antichristen schnurstracks entgegen. Ihr nehmt allen euren Bekennern des Lebens letzten Tropfen und erfüllt ihre Herzen dafür mit dem Tod.
[1.69.13] Statt des lebendigen Brotes, welches ist das wahrhaftige lebendige Wort Gottes, gebt ihr ihnen glühende Steine zu verzehren, damit alle, gleich euch, voll Rache, Zorn, Wut, Gericht und Verdammnis werden gegen alle jene, die je der Vater Selbst hat ziehen und lehren wollen. Ja, ihr macht euch kein Gewissen daraus, um euren herrsch- und gewinnsüchtigen Völkerdruck zu bekräftigen, das Wort Gottes so viel als nur immer möglich aus der Gemeinde zu verbannen und einen allfälligen Besitzer desselben sogar mit dem Ketzerfluch zu belegen und ihn zu verdammen. Anstatt des Wortes Gottes aber speist ihr das Volk mit eurem Eigennutz, eurer Herrschsucht; und euer Wahlspruch ist, jeden Funken besseren Lichtes dem Volk fernzuhalten, während doch Christus, der Herr, ausdrücklich gesagt hat: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!“
[1.69.14] Was soll ich mit euch machen? Ihr, die ihr die Herde des Herrn hättet weiden sollen, habt euch, den Wolf scheuend, in eine siebenfache Mauer verkrochen und machtet am Ende statt getreuer Hirten selbst Wölfe aus dieser eurer Schlucht. Und draußen stehen viele Tausende und tausendmal Tausende, die die Härte eurer Wolfszähne geschmeckt haben und euch laut schreiend anklagen vor dem Richterstuhl Christi.
[1.69.15] Was soll ich mit euch machen, die ihr allzeit das Wort Gottes mit Füßen getreten habt, weil es nicht taugte für eure unersättliche Herrsch- und Gewinnsucht? Was soll ich mit euch machen, die ihr, dreist genug, vor dem Volk euch zu behaupten wagtet und sagtet: Die Erde liegt zu unseren Füßen und Gott tragen wir in unseren Händen?! Ich sage euch: Ein nachteiligeres Zeugnis und zugleich ein treffenderes hättet ihr nimmer erfinden können als eben dieses. Denn fürwahr, ihr habt die Völker samt den gesalbten Kaisern und Königen, wo es sich nur immer hat tun lassen, noch allzeit mit euren herrschsüchtigen und gewinnlustigen Füßen getreten, und mit Gott in euren Händen triebt ihr Handel wie mit einer schlechten Ware. Aber dafür waren eure Herzen allzeit ledig dessen, was Gottes ist, und waren dafür allzeit mit dem erfüllt, was du, finsterer Geist, nun durch die gähnende Kluft zu deinen Füßen erschaust.
[1.69.16] Was soll ich nun mit euch machen? Fragt mich, wer ich bin, und ich werde euch antworten und sagen: Ich bin ein rechter Apostel des Herrn und bin hierher gesandt, auf dass ich euch erwecken möchte in Seinem Namen. Wie aber soll ich euch erwecken, da ihr voll seid des ewigen Gerichtes? Also frage ich euch noch einmal: Was wollt ihr tun? Redet, oder dieser Abgrund verschlinge euch!
[1.69.17] Hört nun, unser Mönch spricht und sagt: Im Namen aller dieser meiner Brüder bitte ich dich, wer du auch immer sein magst, dass du uns verschonen möchtest mit dieser deiner harten Prüfung! Denn sind wir nach der Lehre Christi unseres Herrn wahrhaftige Betrüger geworden, so waren wir es ja doch nicht eigenmächtig, sondern wir mussten sein, wie wir sind, und niemand aus uns durfte anders reden und handeln, als wie es ihm zu reden und handeln gestattet war von der Kirche. Waren wir Wölfe, so mussten wir es sein; und so, wenn du im Ernst ein höherer Bote sein sollst, wirst du es ja auch wohl wissen, wie es mit uns stand und noch steht. Und wir sind hier noch ebenso gefangen wie auf der Welt. Daher, wenn es dir möglich ist, mache uns frei, und wir wollen ja auch das reine Wort Christi ergreifen! Aber nur verdecke diesen entsetzlichen Abgrund vor uns.
[1.69.18] Ich spreche zu ihnen: Willst du über diese Kluft, so musst du im Geiste und in der Wahrheit das in dir ersticken, was du da siehst vor dir in dem Abgrund, denn solches ist eine Erscheinung gleich dem, was du selbst im eigenen Herzen birgst. Daher erforsche dich, und ihr alle, die ihr hier seid, tut dasselbe. Erwacht aus eurem Todesschlaf, damit ich, wenn ich wiederkomme, euch gereinigt finde und lebendig, um euch zu führen aus diesem eurem Gefängnis des Todes. Es gibt aber in diesem Kloster noch mehrere, und diese muss ich auch noch zuvor ermahnen; und wenn sie sich werden gefunden haben, dann erst will ich wiederkommen und euch vorzeichnen einen neuen Weg im Namen des Herrn. – Seht, wie sie nun zu jammern und zu heulen anfangen. Wir aber wollen solches nicht anhören, sondern uns sogleich zu den Paradiesmönchen begeben.
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