(Am 18. Februar 1843 von 4 1/2 – 6 1/2 Uhr abends.)
[1.62.1] Ihr fragt und sagt: Werden wir aber hier wohl vorgelassen werden? Denn wenn es hier mit diesem Orden so zugeht wie auf der Erde, so wird daraus für unsere Erfahrungen eben nicht gar viel Ersprießliches hervorgehen. – Meine lieben Freunde und Brüder! Es geht hier noch ebenso zu wie auf der Erde. Solches wird uns aber gar wenig beirren; denn in dieser Hinsicht sind wir über alle Schmarotzerfliegen und nichts kann uns hindern, sich allenthalben den tiefen Geheimnissen schnurgerade auf die Nase zu setzen. Und so werden wir’s denn auch hier machen, uns in dieses Kloster ganz verborgen hineinschleichen und dann alles Mögliche beschnüffeln. Und so denn geht nun mit mir und sorgt euch um nichts.
[1.62.2] Diesen Wesen werden wir noch gar lange völlig unsichtbar bleiben. Denn solches müsst ihr wissen, dass die Engelsgeister entweder aus dem dritten Himmel selbst oder im Wollen des dritten Himmels für die Geister der unteren Himmel so lange völlig unsichtbar bleiben, bis die Geister der unteren Himmel ihrem Inwendigen nach nicht selbst das Wesenhafte der Liebe zum Herrn aufgenommen haben, und zwar zuerst der Einsicht nach und dann der Liebtätigkeit nach. Also können auch wir darum in dieses Kloster ohne weitere Besorgnis treten, und es wird uns niemand erschauen. Mich nicht, weil ich ein Bürger der heiligen Stadt bin, und euch nicht, weil ihr fürs Erste in meiner Sphäre seid, und in dieser nach dem Wollen des obersten Himmels seid, welcher ist das Wollen des Herrn!
[1.62.3] Seht, wir sind schon im sogenannten Refectorio [Refektorium], oder verständlicher, wir sind im Speisegemach. Seht, soeben werden einige Schüsseln von sogenannten Erzfastenspeisen aufgetragen. Die Speisen stehen auf dem Tisch und nun kommen, wie ihr seht, unsere Klosterdamen. Sind sie nicht noch ebenso kostümiert wie auf der Erde? – Ihr sagt: Wir haben zwar noch nicht die Gelegenheit gehabt, eine solche Klosternonne in völliger Nähe zu betrachten. Aber sie sind vollkommen so gekleidet, wie wir sie zufolge guter bildlicher Darstellungen gesehen haben auf der Erde.
[1.62.4] Nun seht aber, sie begeben sich zum Tischgebet. Worin besteht aber dieses? Wie ihr es selbst gar leicht hören könnt, besteht es in einem wohlgenährten Rosenkranz, und zudem noch nachfolgend in einigen lateinischen Pronunciationen aus den Psalmen und aus den Kirchenvätern, welche aber auch hier von keiner dieser Klosterdamen verstanden werden. Seht, die Oberin setzt sich zu Tisch. Die anderen machen vor ihr eine bodentiefe Verbeugung und stehen dann wieder neben ihren Stühlen auf. Die Oberin gibt das Zeichen zum Niedersitzen. Und seht, die Oberin hat ein Glöckchen an der Seite, sie läutet soeben, und das ist das Zeichen, dass die Damen nun in die Schüssel greifen dürfen.
[1.62.5] Aber dort vorn seht ihr eine stehen. Diese darf jetzt nicht essen, sondern muss den Essenden die Leidensgeschichte des Herrn vorlesen. Nun haben unsere Damen ihr körperliches Mahl beendet, und die Oberin läutet wieder. Damit will sie sagen, dass sie nun wieder alle aufstehen sollen. Sie stehen auf, verbeugen sich abermals bodentief vor der Oberin, dann aber knieen sie wieder nieder, und es wird das Dankgebet verrichtet, bestehend abermals aus einem wohlgenährten Rosenkranz. Diesem folgen stille hundert Ave-Maria. Sind diese auch im Verlaufe von etwa dreiviertel Stunden herabgebetet, so werden wieder die lateinischen Gebete nachgebetet. Wenn sie nun fertig sind, so gehen sie hin vor das Kruzifix, legen sich vor demselben förmlich auf den Boden nieder. Dann gehen sie hin zum Bildnis der Maria, tun dasselbe, dann zum Bildnis des Joseph, wieder dasselbe tuend, hierauf zum Bildnis ihrer Ordensstifterin, der Theresia, tun abermals dasselbe, und nun erst gehen sie zu der Oberin als zur Theresia in corpore und tun abermals dasselbe.
[1.62.6] Nun heißt die Oberin sie alle aufstehen und kündigt ihnen an, dass sie sich zum Chorgebet in einer Stunde bereithalten sollen. Unterdessen aber sollen sie in ihren Zellen die ihnen vorbestimmten Chorgebete überlesen, damit sie dann im Chor ohne Störung vor sich gehen, welche leichtlich ein kleines Ärgernis und somit auch eine lässliche Sünde erzeugen könnte. Denn, setzt die Oberin noch hinzu, sieben Male sündigt ohnehin der Allergerechteste vor Gott im Tag; wie sehr muss er sich da wohl hüten, um nicht acht oder noch mehr Male zu sündigen.
[1.62.7] Aber eine der Klosterfrauen bittet die Oberin nun um die Erlaubnis, mit ihr ein Wort sprechen zu dürfen; und weil gerade jetzt nicht das strenge Silentium vorgeschrieben ist, so gestattet die Oberin der fragenden Dame solches. (Fragen aber heißt in diesem Kloster so viel als etwas freimütiger bitten.) Was lauter wird etwa wohl diese Dame fragen? Wir wollen die Sache anhören. Hört, sie spricht: Allerwürdigste Braut Christi! Solange wir leiblich gelebt haben auf der Erde, so lange auch war uns, des nach dem Tode zu gewinnenden Himmels wegen, das strenge Klosterleben genehm. Da wir aber nun schon eine geraume Zeit das Irdische mit dem Ewigen vertauscht haben, und wir noch immer auch in diesem ewigen Leben das überstrenge Klosterleben fortführen und von dem Himmel wirklich noch gar nichts verspüren, so fragt es sich, ob dieses Klosterleben hier ewig nimmer ein Ende nehmen wird? Denn müssten wir immer in dieser strengen Klausur verbleiben, so wäre das doch etwas Entsetzliches!
[1.62.8] Die Oberin spricht: O du ungehorsames Kind! Wie hast du dein Herz so sehr vom Teufel einnehmen lassen können, dass du darob dich einer solch entsetzlichen Frage hast können ermächtigen? Weißt du denn nicht, dass vor dem Jüngsten Tag niemand in den Himmel kommen kann, und dass durch die Fürbitte der heiligsten Jungfrau Maria, der hl. Theresia und in der Mitte dieser beiden des hl. Joseph – Christus, der Herr, darum unserem Orden, weil er der allerstrengste ist, das Fegfeuer nachgelassen und uns dafür zur völligen Reinigung die Gnade verliehen hat, selbst nach unserem Leibesleben für die im selben begangenen lässlichen Sünden und Todsündflecken Seiner allerhöchsten Gerechtigkeit genugzutun und uns völlig zu reinigen? Daher muss hier die Ordensregel unserer erhabenen Stifterin auf das Allerstrengste beobachtet werden. Sonst dürfte es auch geschehen, dass ein solch ungehorsames Kind, wie du bist, am Jüngsten Tage vor dem unerbittlichst allerstrengsten und gerechtesten Richter das Urteil vernehmen möchte: Weiche von Mir, du Verfluchte, denn Ich habe dich nie als Meine Schwester erkannt!
[1.62.9] Nun seht, diese Worte der Oberin haben unsere arme Fragestellerin wie tausend Blitze auf einmal getroffen. Sie fällt vor ihr nieder und bittet sie um eine wohlgemessene Züchtigung. Und die Oberin spricht: Ja, eine wohlgemessene Züchtigung hast du verdient; aber ich will dich für diesmal nur mit einem Backenstreich und dann mit einem eintägigen Fasten zurechtweisen. Doch sollst du keinen Augenblick säumen, den Beichtvater rufen zu lassen und ihm deine teuflische und vor Gott höchst verdammliche Rede an mich genau und allerreumütigst kundgeben, und dann die Bußwerke, die er dir aufgeben wird, zu Ehren der hl. Dreieinigkeit, zu Ehren der fünf Wunden Jesu Christi, zu Ehren Seines bitteren Leidens und Sterbens, zu Ehren Seiner allerheiligsten Jungfrau Mutter Maria, zu Ehren des hl. Joseph und zu Ehren der hl. Theresia zehnfach verrichten. Und nun erhebe dich und empfange meinen Backenstreich.
[1.62.10] Seht, unsere Dame erhebt sich, hält sobald der Oberin demütigst die Backe hin, und diese gibt ihr zur Vertreibung des Teufels, wie ihr seht, durchaus keine spaßhafte, sondern eine möglichst wohlgenährte, beinahe schwindelerregende Ohrfeige. Unsere Dame weint darauf bitterlich, dankt der Oberin für diese Züchtigung und begibt sich, wie ihr seht, mit den anderen Schwestern aus dem Refectorio in ihre Zelle. Was da weiter geschehen wird, darüber wollen wir nächstens unsere Beobachtungen anstellen!
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