(Am 29. November 1842 von 4 – 5 3/4 Uhr abends.)
[1.6.1] Wie werden wir es denn anstellen, damit wir auf unserer bisher noch immer einfachen geistigen Sonne etwas mehr zu sehen bekommen? Werden wir uns daselbst bequemen, etwa große und weitgedehnte Untersuchungsreisen anzustellen, oder werden wir uns auf irgendeinem Punkt aufstellen, allda den Mund und die Augen recht weit aufsperren, damit wir sehen, wie uns etwa die gebratenen Vögel in den Mund fliegen werden? Ich sage: Wir werden weder das eine noch das andere tun, sondern wir werden uns in ein geistiges Kosmorama und Diorama begeben und wollen uns daselbst, so gut es nur immer sein kann, an den wunderbaren Anschauungen im Herzen vergnügen. Damit ihr euch aber davon eine etwas bessere Vorstellung machen könnt, so will Ich euch wieder durch ein sehr anschauliches Beispiel der Sache näherführen. Ihr habt doch sicher schon ein sogenanntes optisches Diorama gesehen, welches darin besteht, dass da mittels eines etwa einen halben Schuh im Durchmesser habenden Vergrößerungsglases gut gemalte Bilder, die da hinter einer schwarzen Wand aufgestellt sind, angeschaut werden. Wenn ihr so ein recht gutes Stück durchseht, so könnt ihr tun, was ihr wollt, eure Phantasie und Einbildung mäßigen und modulieren nach Möglichkeit, und ihr werdet es mit aller Anstrengung nicht dahin bringen, dass ihr das gemalte Bild als ein bloß gemaltes anseht, sondern immer wird es vollkommen plastisch erscheinen und die Gegenstände so darstellen, dass ihr sie erblickt wie in der Natur selbst, vorausgesetzt, dass das Bild und das Glas selbst vollkommen tadellos sind.
[1.6.2] Wenn ihr euch nun in einer Hütte befindet, allda etwa einige zwanzig solcher Vergrößerungsfensterchen angebracht sind, so werdet ihr dem außen nach ein jedes Fensterchen doch sicher völlig gleich finden. Wenn ihr aber hinzutretet, so werdet ihr in dem kleinen Raum über die zwanzig Fensterchen hin in wenig Schritten eine Reise machen, die ihr sonst vielleicht in einigen Jahren nicht gemacht hättet. Ähnlich ist zwar jedes Fensterchen dem anderen, wie gesagt; aber durch das Fensterchen geschaut, repräsentiert sich eine ganze Weltgegend. Ihr geht zum zweiten Fensterchen und seht da hinein: wie himmelhoch verschieden von dem vorigen und so fort bis zum letzten Fensterchen. Hat euch nicht ein jeder neue Fensterchendurchblick auf das außerordentlich Befriedigendste ergötzt? Ihr müsst solches offenbar bejahen, denn in einem Fensterchen saht ihr eine vortrefflich dargestellte große Stadt nebst einem weiten Landbezirk ihrer Umgebung und in dem nächsten Fensterchen eine überaus romantische Gebirgsgegend so vortrefflich dargestellt, dass ihr glaubtet, ihr brauchtet nur die schwarze Wand zu durchbrechen, um euch in dieser Gegend ganz natürlich zu befinden. Ihr mochtet euch völlig nicht trennen, aber der Führer sagte euch: Beim nächsten Fensterchen werden Sie noch etwas Großartigeres sehen, und ihr begebt euch zum dritten Fensterchen. Der erste Anblick schlägt euch schon völlig nieder, denn ihr erblickt eine endlos weitgedehnte Meeresfläche. Längs dem Meer eine sich in den bläulichsten Dunst verlierende Ufergegend mit all ihren Seeherrlichkeiten. Auf der weitgedehnten Meeresfläche erblickt ihr hier und da Inseln und eine zahllose Menge von großen und besonders kleinen Seefahrzeugen. Und dieses alles ist so vortrefflich dargestellt, dass ihr nicht umhinkönnt auszurufen und zu sagen: Da hört die Kunst auf, Kunst zu sein, sondern tritt völlig in das Gebiet der reinsten, natürlichen Wirklichkeit! Und so geleitet euch der Führer zu einem nächsten Fensterchen; allda werdet ihr wieder noch mehr überrascht und so fort bis zum letzten.
[1.6.3] Wenn ihr also alles genau durchschaut habt, so möchtet ihr dann wohl gehen; aber der Führer hält euch auf und sagt: Meine lieben Freunde! Wollten Sie denn nicht noch einmal zum ersten Fensterchen hingehen? Ihr sagt ihm aber: Das haben wir ja ohnedies schon betrachtet. Aber der Führer sagt zu euch: Das Fensterchen ist wohl dasselbe, aber die Ansichten sind ganz verändert. Ihr geht darauf hin und seht zu eurem größten Erstaunen wieder ganz Neues und völlig Unerwartetes und so durch die ganze Reihe der etlichen und zwanzig Fensterchen hindurch. Hoch erstaunt verlasst ihr wieder das letzte, und der Führer sagt wieder zu euch: Meine Freunde! Die Fensterchen sind zwar noch dieselben, aber es ist schon wieder eine neue Welt. Und ihr geht, von hohem Interesse ergriffen, wieder an die Betrachtung und ruft schon beim ersten Fensterchen: Wunder, Wunder, Wunder!!! Sie, schätzbarer Freund, sind ja unerschöpflich in Ihrem Kunstgebiet! Und er spricht zu euch: Ja, meine lieben Freunde, also könnte ich euch wohl noch tagelang mit stets neuen und großartigeren Abwechslungen unterhalten.
[1.6.4] Seht, in diesem einförmigen, ganz kleinen Raum habt ihr eine Weltanschauung genossen, wie sie manche große Erdumsegler in der Natürlichkeit nicht genossen haben. Eure Augen haben Entfernungen von hundert Meilen und darüber geschaut, und das alles auf einem Raum von wenigen Klaftern und Schuhen.
[1.6.5] Nun seht, dieses sicher recht anschauliche Beispiel gibt uns einen recht guten Vorgeschmack zu der wundervollsten geistigen Anschauung auf unserer geistigen Sonne, und sagt uns, wie wir allda auf einem kleinen Raum ebenso überschwänglich vieles können zu Gesichte unseres Geistes bekommen, wie wir eben in unserem optischen Kämmerchen mit der leichtesten Mühe von der Welt zum Wenigsten gut die halbe Oberfläche der Erde geschaut haben. Wie aber werden wir solches anstellen? Davon ist schon ein kleiner Wink gegeben worden, und diesem Wink zufolge wollen wir denn auch einen kleinen anfänglichen Versuch machen.
[1.6.6] Seht, wir befinden uns noch immer auf unserer einfachen geistigen Sonne, sehen noch immer nichts als selige Geister in vollkommener Menschengestalt durcheinander, miteinander und übereinander wandeln und auf dem Boden unsere Bäumchen, edle Gesträuche und das schöne Gras. Aber seht, da kommt soeben ein Geistmann auf uns zu. Mich sieht er nicht, daher redet ihn nur an, damit er vor euch stehenbleibe. Und wenn er stehenbleiben wird, sodann tretet näher zu ihm, dass ihr seine Sphäre erreicht, und ihr werdet sogleich die geistige Sonne in einem anderen Kleid erblicken.
[1.6.7] Nun, ihr seid in seiner Sphäre und schlagt eure Hände über dem Kopf zusammen. Was aber seht ihr denn? Ihr könnt ja vor lauter Verwunderung nahe zu keinem Wort kommen! Es hat auch nicht Not, denn mit Mir ist in dieser Hinsicht leicht reden, weil Ich dasselbe, was ihr schaut, ebenso wie ihr und daneben aber auch noch ums Unendliche vollkommener schaue.
[1.6.8] Ihr seht die wunderherrlichsten Gegenden, hohe glänzende Berge, weite allerfruchtbarste Ebenen, wie Diamanten in der Sonne schimmernde Flüsse, Bäche und Meere; das helllichtblaue Firmament erblickt ihr übersät mit den herrlichsten und allerreinst glänzendsten Sterngruppen. Eine herrliche Sonne schaut ihr im Aufgang. Sie leuchtet überhell, mild und sanft, und dennoch mag sie mit ihrem Licht die schönen Sterne des Himmels nicht ermatten. Ihr seht große glänzende Tempel und Paläste in einer Unzahl, große Städte, an den weiten Ufern großer Meere erbaut. Zahllose seligste Wesen wandeln über die herrlichen, alle Seligkeit atmenden Gefilde. Ihr hört sogar ihre Sprache, und ihre himmlischen Lobgesänge dringen an euer Ohr. Ihr seht euch nach allen Seiten in der früher einfachen geistigen Sonne um; aber nirgends zeigt sich etwas mehr von ihrer früheren Einfachheit, sondern alles ist in zahllose Wunder aufgelöst!
[1.6.9] Aber tretet jetzt wieder aus der Sphäre unseres Geistmannes! Seht, nun ist alles wieder verschwunden, wir befinden uns wieder auf unserer einfachen Sonne. Ihr sagt nun: Ja, was war denn das? Wie ist solches möglich? Trägt ein solcher Geist denn alles dieses in solchem engen Zirkel, eine unendliche Welt voll der wunderbarsten Herrlichkeiten, in solch engem Kreis ein so weitgedehntes vielfaches Leben? Ist das Wirklichkeit oder ist es nur eine leere Erscheinlichkeit?
[1.6.10] Meine lieben Freunde! Ich sage euch jetzt noch gar nichts darüber, sondern wir wollen noch eher von mehreren Fensterchen unseres geistigen Dioramas profitieren und sodann erst uns auf ein inwendigstes Beleuchten einlassen. Denn solches ist nur ein leiser Anfang von dem, was sich noch alles unseren Blicken darstellen wird.
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