(Am 13. Februar 1843 von 4 1/4 – 6 Uhr abends.)
[1.58.1] Unser Hauptredner spricht: Lieber Freund und Bruder! Diese deine letzten Worte klingen wohl an und für sich überaus tröstend; nur möchte ich dagegen bemerken, dass es da mit dem rechten Ergreifen Christi sicher so lange einen etwas verdächtigen Umstand haben werde, bis Er nicht da stehen wird vor mir. Denn was da mein Herz betrifft, so habe ich Ihn schon gar lange, wie auch diese ganze Gesellschaft, mit demselben ergriffen; aber trotzdem wollte sich der liebe Christus wesenhaft von uns nicht ergreifen lassen. Und so brennen wir jetzt auch alle für Ihn und möchten Ihn ja ergreifen und Ihn dann vor lauter übermäßiger Liebe ewig nimmer auslassen, aber nur fehlt zu dieser für uns allerseligsten Unternehmung nichts mehr und nichts weniger als eben der zu ergreifende Hauptgegenstand Selbst!
[1.58.2] Gut wäre es, lieber Freund, ja übergut, Christus aus allen Kräften zu ergreifen, ja mein ganzes Wesen und meine Hände sind seligst lüstern danach; aber nur da soll Er sein, oder Sich wenigstens in dieser Gegend irgendwo auffinden lassen. Fürwahr, wenn es auf mich ankäme, so würde ich mir gar nichts daraus machen, aus Liebe zu Christo noch aus tausend solchen Himmeln hinausgeworfen zu werden; und mit dem oberen Himmel hätte es wohl gar schon seine geweisten Wege. Wenn ich aber demnach nur versichert wäre, bei der tausendmaligen Hinauswerfung aus den Himmeln gerade zu den Füßen Christi geworfen zu werden. Aber wenn man dessen nicht vollends ganz sicher ist, so gleicht meine Liebe zu Christo noch immer mehr oder weniger einem vergeblichen Umsichherschnappen nach dieser allerseligsten Lebensluft, wie wenn man sich in einer solchen Sphäre befinden möchte, da entweder gar keine oder nur sehr wenig Lebensluft vorhanden ist.
[1.58.3] Der vermeintliche Tafeldiener spricht: Hast du denn hierzu wenig Luft zum Atmen, weil du also sprichst, als müsstest du nach der Lebensluft schnappen?
[1.58.4] Unser Hauptredner entgegnet: Mein lieber Freund und Bruder, ich will doch nicht meinen, dass du mich unrecht verstehen solltest, denn es gibt eine zweifache Lebensluft, das heißt, lieber Freund und Bruder, nach meinem Verstand gesprochen. Eine Lebensluft, die hier in reichlicher Fülle vorhanden ist, ist die für den Lebensbedarf der Lunge; diese meine ich aber nicht. Das Herz aber ist auch ein höher atmendes Wesen, das heißt, wie ich es denn verstehe, es atmet nämlich Liebe aus und will daher auch wieder Liebe einatmen.
[1.58.5] Siehe, als ich noch als ein Mensch auf der Erde lebte, da ward ich, wie schon einmal bemerkt, in ein weibliches Wesen gar sonderheitlich stark verliebt. Für meine Lunge hatte ich in diesem Umstand wohl überall Luft genug zum Einatmen. Wenn ich aber nicht in der Nähe dieses meines geliebten Gegenstandes mich befand, da war es mir dennoch trotz der Fülle der Lungenluft zum Ersticken. Befand ich mich aber wieder in der vollen Nähe meines geliebten Gegenstandes (du musst es mir nicht verargen, wenn ich mich hier vielleicht eines unpassenden Ausdruckes bediene), da wäre mir die Luft, wenn es nicht anders hätte sein können, sogar eines Abtrittes zu einem wohlduftenden Äther geworden.
[1.58.6] Siehe, gerade so geht es mir auch hier und sicher dieser ganzen Gesellschaft nicht um ein Haar besser denn mir. Ich sage dir, räume alle diese himmlischen Herrlichkeiten hinweg und setze an diese Stelle, wo nun dieser Prachttempel sich befindet, eine ganz gemeine Bauernhütte her. Gebe mir statt dieser weichen Prachtkleider eine ganz ordinäre Bauernjacke und schaffe für all diese üppigen Fruchtbaumalleen ganz dürftige Bäume und etwa ein mäßiges Korn- und Weizenfeld hinzu; aber stelle Christus zu allem dem, so wirst du mich glücklicher machen, als wenn du mir noch tausend endlos herrlichere Gebiete zu dieser Aussicht hier hinzufügen möchtest.
[1.58.7] Ja, ich will dir noch mehr sagen, was da mein Herz betrifft. Wenn ein solches Verhältnis möglich wäre, so wäre ich mit Christo auf dem armseligsten Erdwinkel, wenn dieser schon aussehen möchte wie eine Vorhölle oder gar die eigentliche Hölle selbst, noch ums Unaussprechliche glücklicher und seliger, als ohne Seine sichtbare, menschlich wesenhafte Gegenwart in dem allererhabensten und allerwundervollsten Himmel! Ich meine, lieber Freund und Bruder, das wird etwa doch klar genug gesagt sein.
[1.58.8] Unser vermeintlicher Tafeldiener spricht: Mein geliebter Freund, ich habe dich ganz gut verstanden, nur kommt es mir vor, dass du deine Liebe zu Christo mit deiner sinnlichen Weltliebe zu parallelisieren scheinst. Da meine ich, es muss die Liebe zum Herrn doch ganz anders gestaltet sein als wie die zu einer angehenden Braut. Und da meine ich denn, solange du solche Liebe nicht scheiden wirst in deinem Herzen, wirst du auch Christus nicht recht lieben; solange du Ihn aber nicht recht lieben wirst, da meine ich, wird Sich Christus auch bedenken, dir zu erscheinen oder völlig zu dir zu kommen.
[1.58.9] Unser Hauptredner spricht: Mein lieber Freund, das ist viel leichter gesprochen als getan. Gebe in mein Herz noch eine zweite Liebe hinein, die des Herrn sicher würdiger sein wird, als diese da ist, in der ich jetzt lebe, und ich will diese sogleich fahren lassen. Ich meine aber, wenn ich nun alle meine Liebe in mir vereinigt habe, auch diejenige, die ich einst zu meinem Weib hatte, und habe all diese vereinigte Liebe heimlich schon gar lange allein dem Herrn zugewandt, so zwar, dass ich nun aus dem innersten Grunde meines Lebens sagen kann: Ich habe für Christus alles, was ich nur immer hatte, hergegeben; da kann ich ja vorderhand doch nicht mehr tun. Wenn aber all diese Liebe des Herrn ganz rein unwürdig ist, so habe ich dir ja eben gesagt: mir ist sie in jedem Augenblick für eine des Herrn würdigere feil. Das aber kann ich beinahe unmöglich glauben, dass der Herr mit einer anderen Liebe von unserer Seite will geliebt sein als gerade mit derjenigen nur, die Er Selbst in unser Herz gelegt hat.
[1.58.10] Wenn ich aber zurückdenke an alle die Lieblinge des Herrn aus Seinen irdischen Lebzeiten heraus, so hat Er aber allda dennoch diejenigen am liebsten gehabt, welche sich mit der ganz gewöhnlichen kindlichen Herzensliebe zu Ihm genähert hatten. Also war der Johannes, der den Herrn sicher gar oft kreuz und quer abgeküsst und selbst noch beim letzten Abendmahl sich förmlich verliebtermaßen an Seine Brust hingelegt hatte, Sein Liebling. Dasselbe war auch der Fall mit der Maria, einer Schwester der Martha, und nicht weniger mit der Magdalena, die doch förmlich in Ihn verliebt war; welch letztere eben dieser ihrer großen Liebe zufolge Ihn nach der Auferstehung zuerst ersah.
[1.58.11] Und das alleranschaulichste und handgreiflichste Beispiel hat der liebe Herr Christus ja bei der Gelegenheit gegeben, als man die kleinen Kindlein zu Ihm brachte, da Er gesagt: „Lasst die Kleinen, und wehrt ihnen nicht, zu Mir zu kommen, denn solcher ist das Himmelreich!“ Siehe, die Kindlein wussten sicher nichts von einer höheren, des Herrn würdigeren Liebe, sondern mit der ganz kindlich natürlichen Liebe umfassten sie den allmächtigen Herrn Himmels und der Erde. Und dennoch sagte der Herr darauf zu Seinen Aposteln und Jüngern: „Wenn ihr nicht werdet wie diese Kindlein hier, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel kommen!“
[1.58.12] Siehe, lieber Freund, solches gibt mir nun den vollen Mut, den Herrn mit meiner natürlich-kindlichen oder kindischen Liebe zu lieben, und wer weiß, ob Ihm diese meine zwar an und für sich höchst einfache Liebe dennoch nicht, von meiner Seite aus betrachtet, angenehmer sein möchte, als vermöchte ich Ihn mit der allerreinsten Seraphsliebe zu lieben. Ich möchte Ihn ja auch wohl mit der Seraphsliebe lieben, wenn ich sie hätte! Wahrlich, ich würde sicher in dieser Hinsicht mein Herz zu keiner Liebesparkammer machen; so aber muss ich auch mit dem lieben Apostel Petrus ausrufen: „Mein lieber Christus! Siehe, Gold und Silber habe ich freilich in meinem Herzen nicht; aber was ich habe, das möchte ich Dir wohl alles geben, wenn ich Dich nur hätte!“
[1.58.13] Unser vermeintlicher Tafeldiener öffnet Seine Arme, breitet sie weit aus und spricht zu unserem Hauptredner, wie durch ihn auch zur ganzen Gesellschaft: Mein geliebtester Freund und Bruder! Ich habe dir ja gesagt: Erfasse du nur Christus recht, so wird Er auch da sein! Du hast Ihn erfasst, und so ist auch das eingetroffen, was Ich dir gesagt habe; denn Christus hat sich dir genaht, und du sollst fürder ewig nicht mehr aus Seiner Gesellschaft kommen, – und so denn magst du deinen Christus nach deiner Herzenslust umfassen!
[1.58.14] Unser Hauptredner fragt den noch immer vermeintlichen Tafeldiener, in seinem Gemüt höchst liebeaufgeregt: O lieber Freund, wo, wo ist Er denn, auf dass ich und meine ganze Gesellschaft hinfallen möchten zu Seinen Füßen?
[1.58.15] Und der vermeintliche Tafeldiener spricht: Freunde, Brüder! Hier steht Er vor euch; Ich bin es, den ihr in euren Herzen gesucht habt! Aber Ich war schon lange eher bei euch und habe euch gesucht und hierhergebracht. Also kommt denn her, und Ich will euch führen dahin, da Ich wohne unter denen, die Mich also lieben, wie ihr Mich liebt; denn wahrlich, Ich frage nicht nach Gold und Silber; aber nach der kindlichen Liebe zu Mir frage Ich! Will Ich Pracht und Glanz, solches, Meine lieben Freunde und Brüder, steht wohl ewig in Meiner Macht, die ganze Unendlichkeit damit wunderprachtvollst auszuschmücken.
[1.58.16] Ich aber bin ein wahrer Vater zu euch, Meine lieben Kindlein, und daher sind Mir eure Herzen auch mehr, in all ihrer kindlichen Einfachheit, denn alle Pracht der Himmel! Und so denn folgt Mir!
[1.58.17] Nun seht, wie sich jetzt plötzlich alles verändert hat. Unsere Gesellschaft umfasst den Herrn, liebt Ihn und drückt ihre Herzen hin an den Vater, wie es die Kinder tun, wenn sie lange ihre guten Eltern nicht gesehen haben. Und der Herr führt sie wie ein guter Vater und lehrt sie unterwegs Selbst Seine Wunder kennen. Seht, welche Seligkeit nun aus unseren Gesellschaftsangesichtern strahlt! Und unser Hauptredner macht noch einen Ausruf: O welche Reise ist das, wo der heilige Vater Seine Kinder hinführt, da Er wohnt!
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