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57. Der Lebenspalast der Gesellschaft. Das Wort Gottes, der Same zum Himmelreich

(Am 11. Februar 1813 von 4 1/4 – 6 1/2 Uhr abends.)

[1.57.1] Nun seht, unsere Gesellschaft staunt schon vor dem Tor, denn dasselbe ist wie von blankem Gold, und die Rahmen des Tores sind besetzt mit Diamanten und Rubinen. Der Hauptredner spricht sobald zu dem vermeintlichen Tafeldiener: Aber lieber Freund! Das ist denn doch des Guten etwas zu viel; wenn ich mich so recht auskenne, so möchte ich beinahe behaupten, der Wert dieses Tores, nach irdischem Maßstab berechnet, möchte ja doch wahrhaftig alle Schätze und Reichtümer der gesamten Erde übertreffen. Denn fürs Erste ist das Tor selbst gering gemessen bei drei Klafter hoch und ist dabei überaus massiv. Ich übergehe dessen Goldwert; aber die faustgroßen Diamanten und Rubine, o du Heil der Welt!

[1.57.2] Da könnte ja ein allerreichster Kaiser sich nicht einen anschaffen; und da sitzen gleich mehrere Hunderte! Wozu ist denn hier wohl eine so entsetzliche Verschwendung? – Der vermeintliche Tafeldiener spricht: Lieber Freund, lass das gut sein; bei Gott findet keine Verschwendung statt. Hast du je gezählt alle die Sterne des Himmels, die da alle glänzen mit eigenem Licht, und jeder aus ihnen um mehr denn als das Millionenfache größer ist als diejenige Erde, die du bewohnt hast? Möchtest du da nicht auch sagen: Wozu eine solche Verschwendung an Sonnen im unermesslichen Weltenall?

[1.57.3] Siehe, der Herr ist reich genug, und Seine Schätze sind unermesslich; daher ist diese kleine Verzierung hier auch nicht im Geringsten als irgendeine Verschwendung anzusehen, wohl aber ist diese Verzierung des Eingangstores ganz zweckmäßig und bedeutungsvoll und zeigt dir, wie viel Glaubenswahres und Liebegutes in dir ist. Das goldene Tor aber bezeichnet deinen Lebenswandel zufolge deines Glaubenswahren und Liebtätigkeitsguten; und so lass uns denn durch das Tor eingehen in den Palast.

[1.57.4] Seht, nun gehen sie völlig hinein. Gehen aber auch wir mit, damit wir gleich bei der Hand sind, wenn sich nun sogleich eine wichtige Szene darstellen wird. Seht nun unseren Hauptredner an, wie er ganz verblüfft um sich herum schaut und mit ihm auch seine ganze Gesellschaft. Warum denn etwa solches? Ihr könnt es leicht erraten: weil unser guter Hauptredner nun vom ganzen Palast nichts mehr ersieht, sondern sich an der Seite des vermeintlichen Tafeldieners unter einem großen, zehnsäuligen Tempel befindet, da die Säulen aus lauter Diamant bestehen, die Fußgestelle von Gold, die Kapitelle von durchsichtigem Gold, das Dach von Rubinen und der Boden von lauter Amethystplatten. Und über den Tempel hinaus, nach allen Seiten hingeschaut, ist allenthalben eine endlos weit ausgebreitete Ebene, welche hier und da mit ähnlichen Tempeln verzierten Hügeln unterbrochen ist. Die Ebene selbst aber ist allenthalben bewachsen mit den herrlichsten Fruchtbäumen aller erdenklichen Art; und alles ist so wohl geordnet, als hätte solches alles ein allerberühmtester Kunstgärtner angelegt.

[1.57.5] Hören wir aber nun unsern Hauptredner, was er da spricht, und welche Antwort er dem vermeintlichen Diener auf die Frage gibt, wie ihm nämlich das Innere des Palastes gefalle. Hört, so lautet seine Antwort: Aber lieber Freund und Bruder, was ist denn das schon wieder für eine neue himmlische Fopperei?! Ich habe mir in meiner Phantasie schon die herrlichen Zimmer des Palastes ausgemalt, und kaum beim Tor desselben hineingetreten, war der ganze Palast wie weggeblasen! Und an der Stelle des Palastes steht nun hier dieser freilich wohl unaussprechlich herrliche Tempel, und um denselben nach allen Richtungen endlos weit herum ist anstatt der von mir schon auf das Allerrarste ausgemalten Palastzimmer diese Gegend von unnennbarer Herrlichkeit zu erschauen. Nein, das kommt mir schon wieder nicht ganz richtig vor. Wer sich solches erklären kann, der muss wenigstens zehntausend Jahre vor dem Adam geboren worden sein! Denn von den Kindern Adams dürfte wohl keines dieser Erscheinung gewachsen sein. Sage mir aber, mein lieber Freund und Bruder, kennst du dich dabei aus?

[1.57.6] Der vermeintliche Tafeldiener spricht: Sei dessen unbesorgt; ich will dir nur ein Gleichnis geben, und du wirst aus demselben gar bald ins Klare kommen und so habe denn Acht! Wenn du, noch auf der Erde wandelnd, je ein Samenkorn betrachtet hast, so wirst du dasselbe allzeit in seiner einfachen Gestaltung erschaut haben. Du nahmst aber das Samenkorn und legtest es in das Erdreich. Gar bald verfaulte das Samenkorn in der Erde, aber an der Stelle des Samenkorns entwuchs dem Boden eine herrliche Pflanze, welche beinahe alle deine Sinne zu gleicher Zeit in Anspruch nahm. Da sagtest du: Mein Gott, wie ist doch solches möglich? War das denn schon alles in dem früheren Samenkorn vorhanden? So fragtest du, und dein Gefühl und dein Verstand sagten dir: Wie hätte es sich wohl also gestalten können, wenn nicht ein solcher Grund im Samenkorn schon vorhanden gewesen wäre? Und du fandest demnach die innere Pracht eines Samenkornes bei weitem größer denn die frühere äußere, nackte des Samenkorns.

[1.57.7] Nun, mein lieber Freund, hat der große Lehrer der Menschheit nicht auch einmal das Himmelreich mit einem Senfkorn verglichen? Du sprichst: O ja, das weiß ich sehr gut. – Nun siehe, das Senfkörnlein ist das Wort in seiner Außen- oder Buchstabenform. Wenn aber dieses Wort in das Erdreich des Herzens gelegt wird, so geht es auf und wird zu einem förmlichen Baum, unter dessen Ästen die Vögel des Himmels wohnen. Was ist wohl der Baum? Der Baum ist die innere geistige Erkenntnis des äußeren Wortes, und die Vögel bezeichnen das Himmlische, somit den Urstand, woher das Wort gekommen ist.

[1.57.8] Also besagt das ganze Wesen des Baumes die Weisheit, welche aus der Liebe hervorgeht, und dass solche Weisheit allein nur imstande ist, Himmlisches zu erkennen. Wenn der Baum zu seiner Reife kommt, wird er da nicht abgeben einen tausendfachen Samenreichtum? Wenn du aber nun solchen Samenreichtum abermals in dein Erdreich streust, wird da für dich nicht schon eine große Ernte erwachsen, da du statt einem tausend solche Bäume wirst deinem Boden entwachsen sehen? Du sprichst: Jawohl, solches wird ganz sicher sein. – Hast du aber solche unberechenbare Fülle gemerkt im ersten einfachen Samenkorn? Siehe, also verhält es sich ja eben auch mit dem Himmel.

[1.57.9] Du kannst nicht irgendwohin in einen Himmel kommen, sondern du musst dir deinen Himmel selbst bereiten. Der Same zum Himmelreich ist das Wort Gottes; wer dasselbe in sich aufnimmt und danach tätig wird, der hat dieses himmlische Samenkorn in sein Erdreich gelegt, und der Himmel wird aus ihm gleich einem Baum erwachsen.

[1.57.10] Nun höre weiter! Da wir an das Tor des Palastes kamen, da sahst du dasselbe geziert, mit Diamanten, weil du das Wort in dir aufgenommen hast, und mit Rubinen, weil du nach dem Wort bist tätig geworden. Das waren somit noch lauter äußere Samenkörner. Der ganze Palast aber stellte dein gesamtes Leben dar und sonach das Tor mit den Diamanten und Rubinen, dass du in dich selbst mittels des Wortes Gottes dir den Eingang verschafft hast.

[1.57.11] Wir gingen durch das Tor; was will das sagen? Siehe nichts anderes als: wir sind eingegangen in dein und euer aller Inneres, oder wir sind eingegangen in des Wortes inwendigen Sinn. Das Wort aber ist nicht etwa ein leeres Wort und ist nicht nur also wahr, als so jemand sage: eins und eins sind zwei, sondern das Wort ist wesenhaft wahr! Und solches alles, was du hier erblicktest, und noch unendlichfach Mehreres und Tieferes ist schon also in dem göttlichen Wort geschaffen vorhanden, wie da in einem einzigen Samenkorn eine zahllose Menge von Pflanzen oder Bäumen nebst ihren Früchten schon geschaffen vorhanden ist, nur mit dem Unterschied, dass ein Samenkorn immerwährend dasselbe von sich gibt, was es in sich trägt, ohne eine besondere Formveränderung, während das Wort Gottes, als Same des Himmels, sich in einer unaussprechlichen Mannigfaltigkeit ausspricht. Warum? Weil das Wort Gottes ein vollkommener Same ist. Ich meine nun, mein lieber Freund, wenn du dieses recht beachtest, so wirst du wohl mit der leichtesten Mühe diese gegenwärtige Erscheinung begreifen.

[1.57.12] Unser Hauptredner spricht: O lieber Freund! Mir und sicher uns allen fängt nun an ein ganz gewaltiges und völlig neues Licht aufzugehen. Wenn ich aber nun zurückdenke auf meine früheren Himmelsbegriffe, so kommen mir dieselben gerade so vor, als wenn ich manchmal auf der Erde am hellen Mittag zurückdachte auf das Traumgebilde der Nacht. Welch eine Fülle muss im ganzen Wort des Herrn sein, wenn nun solches schon der erste Trieb aus dem Senfkörnlein weist? Ja, jetzt begreife ich auch den Text, der da lautet:

[1.57.13] Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerem Schaugepränge, sondern es ist inwendig in euch. – Ja, es wird mir jetzt gar manches klar. Ich fange auch an, zu begreifen, aus welchem Grunde du im obigen wahrhaftigen Scheinhimmel scheinbar einen Text des Apostels Paulus in den Johannes übertrugst. Der Paulus ist wohl auch eine Pforte, an welcher die Samenkörner des Wortes Gottes in der größten Prachtfülle angebracht sind, aber im Johannes, ja im ganzen Johannes leuchtet nun die Fülle der Gottheit in Christo wesenhaft hervor! Ich meine, Paulus spricht solches wohl in einem Text aus; solches kommt mir vor wie ein Same. Johannes aber spricht solches in der Fülle aus, und das ist schon eine Pflanze. Habe ich recht?

[1.57.14] Der vermeintliche Tafeldiener spricht: Ja, du hast recht, und siehe, was du siehst, ist wohl der erste Trieb. Willst du das völligere Gedeihen dieses ersten Triebes erschauen, so gehe immer tiefer in deine dritte Phantasie ein, und du wirst bald die Früchte dieser herrlichen Anpflanzung in voller Reife ernten!

[1.57.15] Unser Hauptredner spricht: Ja, lieber Freund, ja, du hast vollkommen recht; es geht hier wahrlich mir nichts mehr ab als mein alleiniger, von mir über alles geliebter Christus! Wenn ich nur Den einmal in meine Hand bekäme, da möchte ich meinem Herzen doch Luft machen, wie sich nicht leichtlich jemand zu denken vermöchte.

[1.57.16] Der vermeintliche Tafeldiener spricht: Bleibe nur in dieser Verfassung, denn ich sage es dir: Du bist dieser Luftmachung näher als du glaubst! Wahrlich, wenn du Christus recht ergreifen wirst, so wird Er auch bei dir sein!

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