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53. Sturz aus dem Scheinhimmel

(Am 7. Februar 1843 von 4 1/4 – 7 1/4 Uhr abends.)

[1.53.1] Nun seht, die gesamte Gesellschaft setzt ihren Entschluss ins Werk und zieht sich längs der Mauer hin gegen den Palast. Aber nun gebt Acht, es wird sich sobald eine Hauptszene erheben, denn diese Gesellschaft wird bald auf eine Kluft stoßen, welche sich ganz gegen die Tafel hinzieht. Über diese Kluft wird niemand imstande sein seine Füße zu setzen; wenn aber jemand in die Kluft hinabsehen wird, so wird ihm da ein ganz entsetzlich tiefer und finsterer Abgrund entgegenstarren.

[1.53.2] Nun seht, die Gesellschaft nähert sich schon diesem besagten Punkt. Der beredte Anführer ist der Erste. Noch wenige Schritte, und seht – er prallt schon zurück und schreit: Aber um Gottes willen, was ist denn das? Da seht nur einmal her; das ist ja ein Abgrund wie schnurgerade in die Hölle hinab! Nein, wenn ich mit unserem Tafeldiener wieder zusammenkomme, dem will ich’s aber doch auf eine allerverständigste Weise bekanntmachen, wie gründlich er in dieser himmlischen Geographie bewandert ist. Hat er nicht früher erklärt, als er hinter mir noch an der Tafel den Wolkenboden etwas aufgerührt hatte, dass dieser große Gartenboden allenthalben gleich fest ist? Und nun sehen wir zu unserem größten Erstaunen diese ganz entsetzliche Kluft hier!

[1.53.3] Ein anderer aus der Gesellschaft tritt zum Redner hin und sagt mit ganz weise tuender Miene: Bruder, werde nicht so laut, denn sonst könnte dir der Tafeldiener auch sagen, dass du ganz schwach in der Heiligen Schrift bewandert bist. Siehe, da weiß ich mir wieder besser Rat zu schaffen. Das ist sicher diejenige Kluft, durch welche einst der reiche Prasser in der Hölle mit Abraham im Himmel gesprochen und ihn um einen Tropfen Wasser gebeten hat und noch um anderes mehreres. Diese Kluft ist aber demnach sicher zu einem ewigen Gedenkzeichen belassen worden. Und da wir über diese Kluft nicht hinüberkönnen, was für uns selige Geister freilich etwas sonderbar klingt, so gehen wir wieder unseren Weg zurück und schleichen uns so ganz unvermerkt wieder zur Tafel hin.

[1.53.4] Der frühere Redner spricht: Bruder, du hast nicht unrecht; es wird sicher also sein, und so bin ich auch wie wir alle entschlossen, deinem Rat zu folgen. – Nun seht, die Gesellschaft wendet sich wieder um und zieht sich zurück. Aber seht hier einen abermaligen, sehr fatalen Umstand. Es hat sich auch hinter ihnen eine Kluft gebildet, und so steht nun unsere arme Gesellschaft wie zwischen zwei Feuern und hat kaum eine einige Klafter breite Landzunge, auf welcher sie sich hin zur Tafel bewegen kann.

[1.53.5] Aber nun hört unseren Hauptredner, was er da spricht beim Erblicken der zweiten Kluft. Seine Worte lauten: Oho, um des Herrn willen! Was ist denn das für eine himmlische Spitzbüberei? So geht’s im Himmel zu? Das ist nichts anderes als eine geheime Bosheit von unserem löblichen Tafeldiener. Der wird von irgendeinem heimlichen Versteck aus unsere Unterredung belauscht haben, hat dann durch was immer für ihm zu Gebote stehende geistige Zaubermittel diese Abgründe gebildet, und wir stehen jetzt da, wie ein Sprichwort auf der Erde gesagt hat, gleich den dummen Ochsen am Berg. Er lässt sich aber auch gar nicht blicken; ich meine, er muss den Braten von unserer Seite schon von ferne riechen. Wahrhaftig wahr, wenn der Schlingel jetzt daherkäme, ich könnte mich sogar mit meinen himmlischen Armen an ihm vergreifen! Diese zwei Abgründe hier, es ist ja etwas Entsetzliches! Wenn wir nicht so vorsichtig wären, so läge sicher schon einer oder der andere, Gott weiß wo, da unten! Meine lieben Freunde, spricht er weiter, und nun himmlischen Brüder und Schwestern! Ich habe es zuerst ausgesprochen und bleibe auch ganz fest dabei, dass dieser ganze Himmel nichts anderes als eine Fopperei ist. Der Tafeldiener hat uns alle gefoppt, mit unserer Spazierreise sind wir gefoppt, und somit sind auch alle unsere irdischen himmlischen Hoffnungen gefoppt. Es ginge jetzt nichts ab, als noch so ein kleiner Abgrund über die Quere, und wir alle säßen im allerschönsten himmlischen Pfeffer!

[1.53.6] Ein anderer spricht zu ihm: Bruder, Bruder, rede nicht so laut! Hast du nicht gehört auf der Erde das alte Sprichwort: „Wenn man den Wolf nennt, so kommt er gerennt!“ Hat sich unser Tafeldiener schon diesen Doppelspaß mit uns erlaubt, so könnte es ihm auch sehr leicht beifallen, auch noch einen Strich über unsere Tafelrechnung zu machen. Daher ist meine Meinung, wir sollten uns ganz ruhig und demütig auf dieser Landzunge hin zur Tafel ziehen, sonst könnte es sehr leicht geschehen, dass uns allen hier ein kleiner himmlischer Hungerarrest gegeben würde. Denn ich bin der Meinung: wenn man im Himmel so ganz eigentlich auch nicht sündigen kann, so aber dürfte eigenmächtig zu handeln vielleicht doch wohl auch nicht ganz recht sein. Und so wäre es ja leicht möglich, dass es im Himmel für himmlisch ungehorsame Geister auch vielleicht eine Art himmlischer Strafen gibt, von denen freilich wohl kein Sterblicher etwas weiß, weil, wie du und ihr alle wisst, wir auf der Erde eben vom Himmel durchaus nichts Bestimmtes je haben erfahren können und müssen daher erst hier mit den Einrichtungen desselben näher vertraut werden. Ich bin der Meinung, wir sollten hier im Angesicht der allerheiligsten Dreieinigkeit eine kleine Reue erwecken, damit uns solch unser Vergehen möchte verziehen werden.

[1.53.7] Der Hauptredner spricht: Lieber Bruder! Du hast eben nicht unrecht; aber mir kommt es hier vor, wie da einmal die alten Römer von einer sogenannten Szylla und Charybdis fabelten, und so bin ich der Meinung, bei dieser Gestaltung des Himmels wird auf keiner Seite gar viel zu gewinnen sein. Müssen wir hier verbleiben, so steht uns offenbar ein ewiger Hunger bevor, und gelangen wir zum Tisch, so heißt es allda wieder ewig sitzenbleiben und ewig essen und trinken. Daher meine ich, wer von euch Lust hat, wieder zur Tafel zurückzukehren, der versuche immerhin sein Glück, vorausgesetzt, dass er auf keine Querkluft stößt, ich aber bleibe hier und gehe eher um keinen Schritt weiter, bis nicht der Tafeldiener, wie er es versprochen hat, hierherkommt und mir die genügendste Auskunft über diese unsere Verkluftung gibt.

[1.53.8] Nun seht, ein Teil fängt an, längs der Zunge sich fortzubewegen und geht auch ohne Anstand weiter. Jetzt aber kommt auch unserem Hauptredner ein nachträglicher Appetit, der anderen Gesellschaft nachzuziehen. Er fängt nun auch an mit der bei ihm verbliebenen Gesellschaft sich vorwärtszubewegen. Aber seht, er findet auch richtig den zum Voraus berechneten Querstrich, über den er nicht zu springen vermag. Aber nun hört, wie dieser Himmelsbewohner aus allen Kräften über diese himmlische Einrichtung loszuziehen anfängt und spricht: Nun, da haben wir’s! Wie ich mir’s gedacht habe, das ist ja ein Himmel, wie man sich ihn nicht besser wünschen kann. Meine lieben Brüder und Freunde, sind das die sogenannten himmlischen Freuden? Ich muss es aufrichtig gestehen, solange ich auf der Erde gelebt habe kann ich mich nicht erinnern mich je in einer größeren und allerfatalsten Verlegenheit befunden zu haben als gerade jetzt im Ort der Seligkeit.

[1.53.9] Nein, wenn ich nun allerklarst zurückdenke, was alles ich auf der Erde getan habe, um diesen Himmel mir zu verdienen, wie oftmal ich gefastet habe, wie viel hundert, ja tausend Rosenkränze gebetet, wie viele Messen gezahlt und bei wie vielen selbst allerandächtigst zugegen gewesen, wie viele Arme, als selbst ein armer Bauer, ich durch mein ganzes Leben hindurch gespeist habe! Ja, ich muss es aufrichtig gestehen, dass ich mir auf der Erde für diesen Himmel förmlich die Haut vom Leibe habe ziehen lassen. Und nun genieße ich und ihr alle den vielversprechenden Lohn, nämlich auf diesem von drei Abgründen begrenzten Quadratfleck, von welchem aus wir zwar wohl die hl. Dreieinigkeit anschauen können bis zum Augenvergehen; dabei aber dürfen wir uns nicht einmal rühren, sonst liegen wir bald drunten, Gott weiß wo! Es ginge jetzt nichts ab, als dass noch dieses bisschen himmlisches Landquadratel nach und nach sich so in den Abgrund hinunterzusenken beginnen möchte. Da bliebe uns doch bei Gott nichts anderes übrig, als entweder auf gerad oder ungerad mit hinabzusinken, Gott weiß, wohin; oder wir müssten uns nolens volens auf die Mauer hinaufbegeben und auf derselben zwischen zwei Abgründen reiten, vorausgesetzt, wenn die Mauer nicht etwa auch einen Mitrutscher machte. Nein, liebe Freunde! Wenn ich jetzt zurückdenke, welchen wahrhaftigen Millionenweg uns, wie wir in der geistigen Welt angekommen sind, der Priester, mir schon immer etwas verdächtigerweise, geführt, und welche Anstrengung es uns gekostet hat, bis wir die goldene Himmelspforte erreicht haben, da möchte ich gerade vor lauter Ärger zerspringen; denn dort unten ist es uns ja doch um eine ganze Million besser gegangen denn hier!

[1.53.10] Seht, soeben zupft ein anderer unseren Redner und zeigt ihm mit dem Finger hin auf die Querkluft und macht ihn eben darauf aufmerksam, wie soeben ein bedeutendes Stück sich hinabgesenkt habe. Unser Hauptredner zieht sich etwas zurück und spricht in einem sehr verlegenen Ton: Nun, was hab ich denn gesagt, es wird noch sicher zur Mauerreiterei kommen! Fürwahr, wenn ich nicht mit Bestimmtheit wüsste, und das zwar zufolge meines eisenfesten Glaubens, dass man vom Himmel denn doch sicher nicht mehr etwa gar in die Hölle hinabgeworfen werden kann, so müsste ich bei diesem meinem armseligen himmlischen Leben behaupten, es ist hier alles zu einer solchen löblichen Fahrt auf das Zweckmäßigste vorbereitet. Ich meine, wir sollten uns lieber sogleich über die Mauer hermachen, denn man kann denn doch nicht wissen, wie viel Flächenraum eine allfällige zweite Einbruchsportion haben könnte. Sind wir aber auf der Mauer, da rutschen wir längs derselben noch rückwärts fort, bis wir aus diesem fatalen Quadrat draußen sind, und sehen dann bis zur Ausgangspforte des Himmels zu gelangen, durch welche wir dann den uns schon bekannten Millionsweg wieder zurückmachen werden. Gott gebe uns nur so viel Erbarmung und Glück, dass uns die Mauer keine Fatalitäten spielt. Und so bin ich der Meinung, werden wir uns noch wohl mit heiler Haut aus dieser Verlegenheit zu ziehen imstande sein.

[1.53.11] Seht, auf diese Rede zieht sich alles eilig zu der Mauer. Die Mauer wäre erreicht, aber sie ist unglücklicherweise doch etwas zu hoch, dass sie erstiegen werden könnte. Daher legt unsere Gesellschaft nun ganz natürliche Leitern an und nimmt gewisserart die Mauer im Sturm ein.

[1.53.12] Sie hätten sich glücklich hinaufgebracht; wie aber der letzte Mann hinaufgezogen ward, da fing die Mauer an, sich einzubiegen und unser Hauptredner spricht: Liebe Freunde, den Mut nicht verloren! Gott dem Herrn alle Ehre! Nun soll’s gehen, wo es hingehen will; jetzt ist mir schon alles eins! Denn ich ersehe es jetzt ganz klar, dass mit der alleinigen Ausnahme der göttlichen Dreieinigkeit, die wir noch immer sehen, dieser ganze Himmel eine reine Lumperei ist; denn unser ehrsamer Tafeldiener lässt sich gar nicht mehr blicken, obschon er uns solches ganz treu versprochen hat, und lässt uns jetzt in dieser allergrößten himmlischen Not sitzen. Und da seht nun, unser halb hängendes Stück Mauer hat sich nun auch losgerissen, und wir fahren damit hinab, Gott weiß, wohin!

[1.53.13] Nun fahren aber auch wir mit und belauschen unseren Redner noch während der Fahrt. Seine Gesellschaft macht eine ganz verzweifelte Miene; nur unseren Redner will sein guter Humor noch nicht verlassen. Er tröstet daher seine mitfahrende Gesellschaft, so gut er nur immer kann, und spricht: Macht euch nichts daraus, liebe Brüder; der Herr will ja immer des Menschen Allerbestes. Wir können nicht wissen, für was diese Fahrt gut ist. Vielleicht werden wir jetzt bei dieser Gelegenheit eine wahrhafte, überaus geistig interessante Himmelsreise machen, werden vielleicht bei dieser Gelegenheit mit dem sicher viel tiefer unten liegenden gestirnten Himmel eine nähere Bekanntschaft machen und vielleicht trifft sich’s, dass wir gar auf eine fremde schöne Welt stoßen. Ich sage dabei: Des Herrn Wille geschehe! Totschlagen können wir uns nicht; es wird uns vielleicht besser gehen als in dem Himmel da oben. Es wäre freilich sehr fatal, wenn wir so etwa gar die ganze Ewigkeit hindurch fallen müssten, aber solches ist doch wohl kaum anzunehmen; denn da müsste selbst die von uns allen noch immer sichtbare Dreieinigkeit bloß eine geistig meteorische Erscheinung sein. Wir müssen aber schon schön tief unten sein; denn das ganze Bild der Dreieinigkeit wird schon ganz verzweifelt klein. Nein, liebe Freunde, fürwahr, es sei wie es denn wolle, aber ich bin doch ganz entsetzlich neugierig, wohin wir mit der Gelegenheit dieser geistigen Luftreise kommen werden.

[1.53.14] Seht, einer aus der Gesellschaft bemerkt dem Redner soeben, dass er zuunterst in großer Tiefe ein unermessliches Gewässer entdecke. Der Redner bemerkt denn solches auch und spricht: Bei solcher Unterlage wird uns unser Stück Mauer sicherlich keinen bedeutenden Schutz gewähren; aber ich mache mir einmal gar nichts daraus, denn unter solchen Bedingungen bin ich wahrlich alles Lebens satt! Und so geschehe denn, was wolle; Wasser oder kein Wasser, das ist mir gleich! – Und nun seht, die ganze Gesellschaft erreicht nun die Oberfläche des Wassers, und ihr Stückchen Mauer verwandelt sich in einen Nachen, und die ganze Gesellschaft befindet sich nun unbeschädigt in diesem Nachen. Ein Wind fängt an zu wehen; der Nachen bewegt sich über die Wogen.

[1.53.15] Und nun seht, in der Richtung zwischen Morgen und Mittag taucht soeben, wie aus den Fluten emporsteigend, ein herrliches und weit gedehntes Land auf; und unser Redner spricht zu seiner Gesellschaft: Ich habe es euch ja gesagt, dass wir an dem obigen Himmel nicht viel verloren haben. Gott dem Herrn alles Lob und allen Dank für diese wunderbare Rettung! Auch unserem sauberen Tafeldiener sei’s verziehen. Wenn ich aber wieder einmal mit ihm zusammenkommen sollte, so will ich ihm denn doch eine kleine Lektion in dem jüdischen Levitendienst geben! – Nun seht, der Nachen naht sich dem Land. Aber seht noch genauer, dort am Ufer erwartet soeben unser wohlbekannter Tafeldiener unsere schnellsegelnde Gesellschaft. Auch unserem Redner muss er anfangen bekannt zu werden, denn er sendet ganz erstaunte Blicke ans Ufer. Was da weiter folgen wird, werden wir das nächste Mal in Augenschein nehmen!

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