(Am 1. Februar 1843 von 4 1/2 – 6 3/4 Uhr abends.)
[1.49.1] Da unsere Gesellschaft schon samt und sämtlich eingelassen wurde, so suchen auch wir bei dieser goldenen Pforte durchzukommen. Der Petrus und der Michael haben aus dem Grunde die Pforte auch offen gelassen; denn sie wissen schon, was wir hier zu tun haben.
[1.49.2] Ihr wisst die mannigfaltigen Vorstellungen vom Himmel, welche in der katholischen Kirche gang und gäbe sind. Solltet ihr nicht völlig in die Vorstellungen eingeweiht sein, so werdet ihr hier sicher tatsächlich eingeweiht werden. Und so seht denn vorwärts; wir nähern uns hinter unserer ziemlich zahlreichen Gesellschaft soeben der ersten Szene.
[1.49.3] Was seht ihr nicht ferne vor uns? Ihr sagt: Wir sehen im weiten Hintergrund einen überaus prachtvollen Palast und ober dem Palast ist eine aus lichten Wolken gruppierte Schrift zu lesen; und so wir übrigens richtig sehen, so steht geschrieben: „Abrahams Wohnung“.
[1.49.4] Gut, sage ich euch; was seht ihr ferner noch? Ihr sagt: Wir erblicken um dieses große Gebäude einen überaus großen und weitgedehnten Garten, der schon gleich wenige Schritte vor uns seinen Anfang zu nehmen scheint. – Was seht ihr da noch? – Ihr sagt:
[1.49.5] Es ist wahrhaft wunderbar; wir erblicken einen beinahe endlos weit gedehnten Tisch, welcher mit den köstlichsten Speisen besetzt zu sein scheint, und wenn wir übrigens richtig sehen, so sitzen ja an beiden Seiten schon eine Menge Gäste und greifen recht tüchtig zu. Auch sehen wir eine Menge geschäftiger Wesen, welche diese Gäste auf das Eifrigste zu bedienen scheinen. Auch sehen wir noch, wie sich so manche Gäste recht angelegentlich mit diesen dienenden Geistern über irgendetwas besprechen.
[1.49.6] Ich sage euch: Ihr seht ganz richtig; wir wollen uns daher sogleich samt unserer Gesellschaft, welche schon soeben sich gegen den Tisch hinzieht, in diesen Garten begeben und längs dem Tisch unsere Betrachtungen machen.
[1.49.7] Seht, der Petrus und der Michael weisen nun unserer Gesellschaft Sitze an und sagen zu ihr: Also setzt euch denn im Himmelreich zum Tisch Abrahams, Isaaks und Jakobs und genießt da in überirdischer Fülle die Früchte eurer irdischen Werke, die ihr allzeit unverdrossen aus großer Liebe zum Himmel zur Ehre Gottes vollbracht habt. – Nun seht, wie unsere Gesellschaft sich überseligen Antlitzes zum Tisch setzt und auch sogleich recht wacker nach den Speisen und Getränken zuzugreifen beginnt. Lassen wir aber jetzt unsere Gesellschaft ganz ungestört und wohlgemut sich sättigen und gehen wir ein wenig fürbass.
[1.49.8] Nun seht, dort am kaum erschaubaren Ende dieses langen Tisches sitzen mit starker Glorie umflossen Abraham, Isaak und Jakob; – und nun seht ferner, da eben vor uns bespricht sich ein Gast mit einem solchen himmlischen Tafeldiener. Was lauter [mögen] sie etwa miteinander verhandeln? Nur ein wenig näher getreten; wir werden es sogleich vernehmen.
[1.49.9] Hört ihr’s, soeben fragt ein schon übersättigter Gast, der nach eurer Zeitrechnung sich schon ungefähr vier volle Wochen am Tisch sitzend und essend befindet, den Tafeldiener und sagt soeben zu ihm: Lieber Freund, wie lange wird denn diese herrliche Mahlzeit noch dauern? – Und der Tafeldiener fragt den Gast: Herzensallerliebster Freund, warum fragst du mich darum? – Der Gast spricht etwas verlegen: Lieber Freund, ich würde dich nicht fragen – ja, wenn ich auf der Erde wäre, so wäre ich fest der Meinung, durch eine solche Frage eine Sünde begangen zu haben; da ich aber nun im Himmel bin, allda niemand mehr einer Sünde fähig ist, so weiß ich auch, dass solch eine Frage keine Sünde ist.
[1.49.10] Der eigentliche Grund meiner Frage aber ist dieser: Siehe, Gott ewig alles Lob und alle Ehre! Es ist hier zwar unbeschreiblich herrlich zu sein, und die Speisen und die Getränke sind wahrhaft himmlisch gut; aber dessen ungeachtet muss ich es dir offen gestehen, dass mich dieses beständige Einerlei etwas zu langweilen anfängt. Darum habe ich dich eigentlich gefragt, wie lange diese Tafel noch währen wird.
[1.49.11] Der Tafeldiener spricht: O lieber Freund, hast du denn auf der Erde nie gehört, dass die himmlischen Freuden von ewiger, unveränderlicher Dauer sind; wie kannst du mich demnach fragen, wie lange noch diese Tafel währen wird? Siehe, solche Tafel dauert ja ewig!
[1.49.12] Seht, hier erschrickt unser Gast und fragt den Tafeldiener: Lieber Freund, solches sehe ich wohl ein; aber ich habe auf der Erde ja auch von einer ewigen Anschauung Gottes gehört. Ich sehe wohl dort im allerweitesten Vordergrund Abraham, Isaak und Jakob; aber von Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott-Hl. Geist ist darunter nirgends etwas zu erschauen.
[1.49.13] Der Tafeldiener spricht: O mein lieber Freund, meinst du denn, die göttliche Dreieinigkeit solle dir auf der Nase sitzen? Da sieh einmal aufwärts dort über Abraham, Isaak und Jakob, und du wirst sobald Gott in Seiner Dreieinigkeit im unzugänglichen Licht erblicken, denn solches wirst du auf der Erde doch öfter gehört haben, dass Gott zwar im Himmel wohne, und alle die Seligen können Ihn von Angesicht zu Angesicht schauen, d. h. vom Angesicht des Vaters bis zum Angesicht des hl. Geistes, aber an und für sich wohnt die göttliche Dreieinigkeit ja im unzugänglichen Licht! Nun, lieber Freund, willst du etwa einen noch vollkommeneren Himmel?
[1.49.14] Unser Gast spricht: O lieber Freund! Ich sage dir, mitnichten; ich bin vollkommen zufrieden; nur unter uns gesagt, wenn ich nur wenigstens, dir gleich, so einen Bedienten machen könnte, um auf diese Weise doch eine kleine Bewegung zu machen, oder wenn es doch erlaubt wäre, dass man wenigstens in diesem großen, schönen Garten nur dann und wann ein bisschen herumgehen dürfte, so bin ich der Meinung, würde das diese himmlische Seligkeit um ein sehr Bedeutendes erhöhen!
[1.49.15] Der Tafeldiener spricht: Lieber Freund, was muss ich vernehmen aus deinem Munde? Dein Begehren klingt ja wie eine Unzufriedenheit mit allem dem, was dir Gott im Himmel beschert hat. Du redest von Bewegung machen und vom Lustwandeln in diesem Garten; hast du denn nicht selbst allzeit gebetet: Gott, gebe ihnen die ewige Ruhe und den ewigen Frieden!? Hast du hier nicht eine ewige Ruhe und einen ewigen Frieden? Was willst du demnach hier für eine Bewegung?
[1.49.16] Der Gast wird ganz verlegen und spricht endlich zum Tafeldiener: Lieber Freund, ich erkenne, dass solches alles richtig ist, und dass sich das Himmelreich hier wahrhaftig im buchstäblichen Sinne ausspricht, und ich sehe es auch ein, dass es zufolge der für ewig ausgesprochenen Wahrheit nicht anders sein kann. Wenn ich aber dagegen bedenke, dass ich hier auf diesem Fleck werde ewig sitzen müssen, wahrhaftig wahr, lieber Freund, da läuft’s mir eiskalt über den Rücken, und ich muss dir dazu noch offen gestehen, bei solcher Aussicht bezüglich der himmlischen Seligkeit und bezüglich der himmlischen Freude kommt es mir vor, dass ich als ein armseliger Landmann auf der Erde um sehr Bedeutendes glücklicher war als jetzt bei dieser ewigen Aussicht im Himmel! Da ich aber schon einmal im Himmel bin, so sei es Gott aufgeopfert; das Beste ist hier nur, dass man sich nicht versündigen kann.
[1.49.17] Der Tafeldiener spricht: Ich sehe schon, dass du mit dem Himmel unzufrieden bist; was soll ich aber mit dir machen? Deinetwegen kann doch die himmlische Ordnung nicht gestört werden.
[1.49.18] Der Gast spricht: Lieber Freund, ich habe auch einmal auf der Erde gehört und auch also gemalte Bilder gesehen, dass die Seligen auf Wolken knien und allda unverrückt Gott anschauen, hier aber ist es ja nur ein Garten; wo sind denn die Wolken? – Der Tafeldiener spricht: Mein lieber Freund, betrachte den Boden nur ein wenig genauer, und du wirst der lockeren Unterlage gar bald gewahr werden; meinst du denn etwa, das ist ein Erdreich? Da sieh nur her; ich werde mit meiner Hand den Boden ein wenig aufrühren, und du wirst dich gleich überzeugen, dass wir uns alle auf den himmlischen Wolken befinden.
[1.49.19] Seht, der Tafeldiener schiebt ein wenig das Gras auf die Seite, und unser Gast erblickt zu seinem nicht geringen Erstaunen, dass die Unterlage wirklich nur ein ganz leichtes Gewölk ist, und wendet sich nach solcher Überzeugung sogleich wieder mit folgender Frage an den Tafeldiener: Lieber Freund, wenn hier der Boden also gewaltig locker ist, wäre es denn nicht auch möglich, dass jemand bei einer etwas eigenmächtig ungeschickten Bewegung gar durchfallen könnte? Und wenn solches möglich wäre, wohin würde er fallen? Es wird etwa doch nicht unter uns das Fegfeuer sich befinden?
[1.49.20] Der Tafeldiener spricht: Lieber Freund, solches hast du mitnichten zu befürchten; denn du bist ja nun ein überaus leichter Geist und dieser Boden ist für dich so fest, als es dereinst war das Erdreich für deinen Leib.
[1.49.21] Der Gast spricht ferner: Lieber Freund, erlaube mir noch eine Frage: Ist dieser Boden nur hier in der Gegend dieses Tisches so fest, oder ist er allenthalben von gleicher Festigkeit? – Der Tafeldiener spricht: Lieber Freund, warum fragst du um solches, das dich nicht angeht? Hier, wo du deine Seligkeit genießt, siehst du ja wohl, dass der Boden für Ewigkeiten fest genug ist. Den weiten Garten aber hast du ja ohnehin nicht zu betreten; was kümmert dich seine Festigkeit? Da du mich aber schon gefragt hast, so will ich dir gleichwohl darauf sagen, dass der Garten überall von gleicher Festigkeit ist; sonst würde er uns ja nicht tragen, so wir von allen Seiten her die reichlichen Früchte für diese ewige Tafel fortwährend sammeln und hierherbringen.
[1.49.22] Der Gast gibt sich nun endlich einmal zufrieden, und der Tafeldiener will sich entfernen. Aber unserem Gast fällt soeben etwas ein, daher bittet er den Tafeldiener noch um ein Wort und spricht zu ihm: Lieber Freund, da wir schon einmal über so manches miteinander Worte getauscht haben, so möchte ich dich denn doch noch um eines fragen, aber so ganz unter uns gesagt. Was könnte hier einem denn geschehen, wenn man allenfalls doch einmal, des zu langen Sitzens überdrüssig, aufstünde und eine kleine Bewegung machen möchte da über diese herrlichen Fluren hin?
[1.49.23] Der Tafeldiener spricht: Geschehen gerade würde dir nichts; aber du weißt ja, dass es Gott nicht gerne sehen würde, wenn ein seliger Geist mit Seiner Anordnung unzufrieden wäre. Was dir demnach geschehen könnte, wüsste ich dir so nicht wohl auseinanderzusetzen; aber so viel ist gewiss, dass dein leerer Platz sobald besetzt würde und du dich dann weiter unten hinsetzen müsstest. Überhaupt aber, mein lieber Freund, sehe ich, dass du während unseres ganzen Gesprächs kaum einmal zur Dreieinigkeit hingeblickt hast; und es heißt, ihr sollt unverwandt Gott anschauen!
[1.49.24] Der Gast spricht: Lieber Freund, solches alles ist richtig und wahr; aber siehe, mein ganzes Wesen sehnt sich nun ganz gewaltig nach mehr Freiheit und womöglich auch nach irgendeiner Tätigkeit; denn bei Gott muss ich dir sagen: Also, wie es jetzt ist, halte ich es keinen Augenblick mehr aus, geschweige erst eine Ewigkeit!
[1.49.25] Nun seht, unser Gast erhebt sich und läuft davon, was er nur kann; und wie ihr auch leichtlich seht, sein Beispiel findet Nachahmer. Die Tafeldiener setzen ihnen nach, und wenn sie sie werden eingeholt haben, wollen auch wir sie einholen und da unsere ferneren Betrachtungen machen und sehen, welchen Ausgang diese Geschichte nehmen wird. Und somit gut für heute!
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