(Am 30. Dezember 1842 von 4 1/4 – 7 Uhr abends.)
[1.27.1] Der Vernunftpräses spricht: Liebe Freunde, bei dieser Frage, um darauf eine günstige Antwort geben zu können, ist eine gehörige Distinktion als vorangehend notwendig. Vorerst muss der Begriff ‚Liebe‘ der Vernunft vollkommen gemäß erörtert sein, und dann erst wird man daraus ersehen können, wie sich solcher verhält zu sich selbst und zu allen dem, was ihn umgibt. Der Begriff ‚Liebe‘ ist nichts anderes und kann unmöglich etwas anderes sein als ein sich aussprechendes Bedürfnis, dessen Grund offenbar nichts anderes sein kann als der Mangel an dem, wonach sich das Bedürfnis ausspricht. Das Bedürfnis gleicht einem Hunger. Wenn ein Mensch einen starken Hunger hat, so hat er einen so ungeheuren Appetit, dass er in sich gewisserart eine Überzeugung trägt, er müsse wenigstens eine Welt verzehren, bis er sich gestillt haben wird seinen Hunger. Was aber sagt die wirkliche Erfahrung zu dieser phantastischen? Nichts anderes als: Du hungriger Mensch, verzehre nur ein einziges Pfund Brot, und du wirst hinreichend gesättigt sein! – Seht, nahe ein ganz ähnlicher Fall ist solches mit dem mehr geistigen Bedürfnis unter dem Begriff ‚Liebe‘. Der liebehungrige Mensch ist der Meinung, er müsse den Magen seines Herzens mit der ganzen Unendlichkeit anfüllen, bis er gehörig gesättigt wird. Worin aber liegt der Grund dieses irrwähnigen Verlangens? Der Grund liegt in nichts anderem als in der Nichtsättigung des eigenen Erkenntnishorizontes, wodurch dann notwendigerweise eine Leerheit die andere nach sich zieht, ein Mangel den anderen, und somit ein Bedürfnis das andere. Die Liebe begehrt Sättigung. Da sie aber ein pures mechanisches Begehrungsvermögen des Geistes ist, so wohnt in ihr auch die Fähigkeit, zu beurteilen, was es zur Sättigung begehren soll. Da sich aber eben durch dieses Begehrungsvermögen eine Leerheit in der Erkenntnis ausspricht, so kann da ja auch diese Erkenntnisleerheit, was ebenso viel als gar keine Erkenntnis heißt, nicht beurteilen den zu seiner Sättigung notwendigen Stoff. Bei solcher Gelegenheit wenden sich dann solche Hohlköpfe mit ihrem blinden Begehrungsvermögen freilich wohl an das Gebiet des Unendlichen und sind der Meinung, aus diesem ewigen Füllhorn wird ihnen das Mangelnde gleich den sogenannten gebratenen Vögeln in den Mund fliegen. Wie leer aber solch eine wahrhafte Wahnmeinung ist, ist ja daraus mit den Händen zu greifen, dass solche Unendlichkeitsliebhaber anstatt irgendeiner vollkommenen Sättigung nur einen stets größeren Hunger überkommen, was auch ganz natürlich ist, und zwar durch ein naturmäßiges Beispiel ersichtlich klar. Denn nehmt ihr nur einen naturmäßig hungrigen Menschen; wenn er voll Hungers neben einem Brotkorb sitzt, dabei aber seinen Mund nur in den unendlichen Raum hin stets weiter und weiter aufsperrt und tut, als wollte er die ganze Erde, die Sonne und den Mond und das ganze gestirnte Firmament verschlingen, des Brotes aber an seiner Seite achtet er nicht. Da ist es dann ja offenbar, dass er mit solch einem Unendlichkeitsappetit von Stunde zu Stunde hungriger wird, und wenn er nicht bald nach dem Korb greift, am Ende gar dem Verhungern preisgegeben ist. Aus diesem aber könnt ihr, meine geehrten Freunde, ja nun ohne weitere Erörterung gar leicht entnehmen, welch eine Bewandtnis es mit der sogenannten Gottesliebe hat. Die wahre Gottesliebe kann demnach ja nichts anderes sein und in nichts anderem bestehen, als dass ein jeder gegebene Mensch den ihm gegebenen Horizont seiner Erkenntnisse erfüllen soll. Diese Erfüllung aber kann unmöglich eher vor sich gehen, als dann nur, so der Mensch sich selbst und somit seinen ihm gegebenen Kreis erkannt hat. Um aber solches zu können, muss der Mensch sorgfältigst alle Hindernisse aus dem Weg räumen, sich von allen äußeren, kleinlichen Bedürfnissen lossprechen und dann sich in seinen eigenen Mittelpunkt begeben, von welchem aus erst es ihm dann möglich wird, seinen ganzen Horizont zu überblicken und diesen dann auszufüllen mit dem, was ihm gegeben ist. Hat er das ausharrend, und in allem Albernen sich selbst verleugnend, zuwege gebracht, sodann hat er auch seine Liebe oder sein begehrendes Bedürfnis vollkommen gesättigt. Was er von alledem verdauen wird, das wird er leichtlich sobald mit der eigenen, ihm gegebenen Fülle ersetzen; und solches ist dann – vom Standpunkt der reinen Vernunft aus betrachtet – eine vollkommene und gesättigte Liebe, die sich nicht mehr als ein Hunger, sondern stets als eine erfreuliche Sättigung ausspricht. Seht nun, das ist meine für meinen Horizont klarst möglichste Ansicht; könnt ihr jedoch [etwas einwenden, so könnt ihr], wie gesagt, solches ebenso frei tun, als wie ganz frei ich jedem Einwurf zu begegnen imstande bin.
[1.27.2] Der Anführer spricht: Lieber Freund! Du hast deine Antwort gut bemessen, und wir können ihr im Grunde nichts entgegenstellen. Da du uns aber schon noch ferner zu reden gestattet hast, so wollen wir uns in einer gar außerordentlichen Hauptsache mit dir beraten; und so wolle uns denn anhören!
[1.27.3] Siehe, bei uns wird noch etwas anderes hauptsächlich gelehrt, und gegen diese Lehre will sich niemand stemmen; dessen ungeachtet aber wissen wir nach deiner Art dennoch nicht, was wir daraus machen sollen. Diese Lehre aber besteht darin:
[1.27.4] Gott oder das allumfassende Kraft- und Machtprinzip habe Sich Selbst in Seinem Zentrum ergriffen, habe im selben einen Kulminationspunkt aller Seiner unendlichen Kraft und Macht gebildet, und sei dann als eben solcher Kulminationspunkt aller göttlichen Wesenheit in menschlicher Form, und zwar in der Person eines gewissen Jesus Christus, auf dem Planeten Erde aufgetreten, habe da Selbst gelehrt und sei unter den Menschen als Seinen Geschöpfen wie ein Bruder zu ihnen gewandelt und habe Sich am Ende gar aus übergroßer Liebe zu Seinen Geschöpfen von ihnen dem angenommenen Leibe nach töten lassen!
[1.27.5] Zum Beweis Seiner Göttlichkeit wirkte Er Dinge und Taten, welche keinem Menschen möglich sind, und erweckte Sich nach drei Tagen Selbst vom Leibestod und fuhr dann im Angesichte vieler wieder in Sein göttliches Zentrum zurück!
[1.27.6] Er lehrte auf der Welt oder vielmehr auf dem Planeten Erde die Menschen nichts anderes, als dass sie Ihn über alles lieben sollten und verhieß denen, die solches täten, Sein Reich, welches da bestehen sollte in der stets tieferen Erkenntnis Gottes, in der stets wachsenden Liebe zu Ihm und in der aus der Erkenntnis und Liebe entspringenden unaussprechlich allerwonnigsten Seligkeit, welche das ewige Leben in Gott genannt wird.
[1.27.7] Und siehe, die Sache ist nicht so leer als du glaubst. In der Gegend, da wir her sind, wohnt derselbe Christus; und wie wir uns noch allzeit auf das Klarste und Lebendigste überzeugt haben, es gehorcht Ihm alle Kreatur in der ganzen Unendlichkeit. Es bedarf von Seiner Seite nur eines Winkes, und zahllose Weltenheere sind aus dem Dasein verschwunden, und wieder eines Winkes, und zahllose Heere erfüllen wieder die endlosesten Tiefen des ewig unendlichen Raumes. Was sagst du nun zu diesem unserem Anstand, den wir dir in dieser deiner Sphäre eröffnet haben?
[1.27.8] Der Vernunftpräses spricht: Wenn eure ganze Erzählung kein Hirngespinst ist, so liegt bezüglich des sich Ergreifens der unendlichen Macht und Kraft in irgendeinem Zentrum gerade nichts Unmögliches, da von einem jeden gegebenen Punkt ausgehend unendliche Linien denkbar sind. Aber bezüglich der Menschwerdung dieses göttlichen Kraft- und Machtzentrums ließe sich wohl so manches einwenden, obschon die reine Vernunft solches eben nicht als einen völligen Widerspruch aufnehmen kann. Dass aber dieses Wesen dann hauptsächlich die Liebe zu Ihm gelehrt hat, dieses erscheint dem reinen Denker von Seiten des göttlichen Wesens wie ein barster Egoismus. Nehmen wir aber bei dem göttlichen Wesen oder bei der sich selbst konzentrierten Urkraft das egoistische Bedürfnis an, so hört sie fürs Erste auf, absolut zu sein; und ließe sich solches bestreiten, so steht aller Wesenheit die gänzliche Vernichtung bevor.
[1.27.9] Es muss demnach mit dieser Liebe eine andere Bewandtnis haben, und das göttliche Zentrum kann sich dann gar wohl in der menschlichen Form äußern. Wenn es aber mit dieser von euch dargestellten Liebe nur die hungernde Bewandtnis hat, so müsst ihr es ja doch mit den Händen greifen, in welchen Händen sich da die ganze Wesenheit aller Dinge befinden dürfte, wenn die unendliche Macht und Kraft gleichsam notgedrungen sich an ihnen sättigen sollte.
[1.27.10] Da ihr mir aber von diesem Christus ferner ausgesagt habt, dass Er gewisserart zufolge Seiner Verheißung Sich als die allzeit aussprechende Allmacht und Allkraft unter euch wirkend befinde, so müsst ihr solches doch offenbar einsehen, dass ich aus diesem meinem gegebenen Kreis weder dafür noch dagegen etwas sagen kann. Es kommt bei dergleichen Sachen allzeit auf die eigene Erfahrung an.
[1.27.11] Könnte ich diesen Christus oder das vermenschlichte göttliche Zentrum selbst erschauen, so wüsste ich dann auch ganz sicher, wie viel daran gelegen ist; so aber müsst ihr euch, meine geehrten Freunde, mit dem Gesagten begnügen. Könnt ihr aber diesen Christus hierher zu mir bringen, so könnt ihr auch versichert sein, dass ich Seine Wesenheit, so viel es in meiner Sphäre steht, nicht unklug beurteilen werde; nur über meine Sphäre soll nichts gestellt sein!
[1.27.12] Der Anführer spricht: Setzen wir den Fall, dieser Christus als das liebevollste Wesen würde hierherkommen und hieße dich Ihm folgen; was würdest du dann tun?
[1.27.13] Der Vernunftpräses spricht: So Er das ist, und ich Ihn als das erkenne, was ihr von Ihm ausgesagt habt, so lässt sich ja nichts Klareres denken, als dass die endlos geringere Potenz der endlos größeren notwendig durch sich selbst getrieben folgen muss, weil da kein Ausweg möglich gedenkbar ist. Verhält sich aber die Sache nicht so, da ist es dann ja auch klar, dass ich aus meiner Sphäre nicht eigenmächtig treten kann, weil ich samt meiner Sphäre, wie schon hinreichend erklärt, ein Gegebenes, aber nicht ein sich selbst Gebendes bin.
[1.27.14] Der Anführer spricht: So sehe denn her! Ich bin der Christus! Was willst du nun von Mir?
[1.27.15] Der Vernunftpräses spricht: So Du der Christus bist, so zeige mir solches, und ich will Dir folgen.
[1.27.16] Und Christus als der Anführer spricht: Es werde Licht in dieser Sphäre! Und du öde Gegend werde zu einem Paradies!
[1.27.17] Nun seht, der Vernunftpräses fällt vor dem Herrn nieder und betet Ihn an und spricht: Also ist es, dass Gott alle Dinge möglich sind! Herr! Da Du mir, einem armseligen, durch sich selbst Verbannten also gnädig warst, so nehme mich denn auf in Deinen Kreis!
[1.27.18] Aber lasse mich in Deinem Gnadenkreis ja den Allergeringsten sein! Ich weiß, dass Du meinen Horizont so erweitern kannst, wie Du mich selbst so, wie ich bin, aus Dir gegeben hast; ich aber habe mich dieses Kreises angewöhnt als des engsten einer lebendigen Sphäre, und so belasse mich denn auch in diesem Kreis als den Allergeringsten unter allen denen, die Du Deiner Gnade gewürdigt hast! Glaube es mir, o Herr, und sehe es in meinem ganzen aus Dir gegangenen Wesen, mein Geist war allzeit unfähig des Gedankens, Dich unendlichen Geber je möglich in Seiner Urwesenheit zu erschauen; da ich Dich nun aber also erschaut habe, so sind auch durch diesen Anblick alle die größten Lebensbedingungen meines Geistes erfüllt.
[1.27.19] Und der Herr spricht: Also folge Mir, und du sollst mitnichten der Geringste allda sein, wo Ich bin unter Meinen Kindern! Doch nicht hier, sondern dort erst sollst du in Mir den liebevollsten heiligen Vater erkennen!
[1.27.20] Seht nun, meine lieben Freunde, das ist noch eine der allerbesten Arten der Erlösung eines solchen reinen Vernunftgeistes aus seiner Sphäre. Es gibt aber deren eine gar große Menge in dieser euch anschaulichen Gegend, mit denen es nicht so leicht geht wie mit diesem. Solches ist besonders dann der Fall, wenn solche stoische Vernunftgeister auch noch, was eben nicht selten der Fall ist, einen bedeutenden Grad gelehrten Hochmutes in sich vereinigen. Einer solchen Bekehrung wäre es auch für euch nicht gut beizuwohnen; denn ihr könnt es sicher gläubig annehmen, dass da nicht selten mehrere hundert Versuche scheitern. Und so wollen wir auch diese Gegend wieder verlassen und uns in die Mittelschlucht tiefer einwärts begeben. Und somit gut für heute!
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