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23. Wer sparsam sät, wird mager ernten. Überwindung der Selbstsucht

(Am 20. Dezember 1842 von 4 – 6 3/4 Uhr abends.)

[1.23.1] Da wir uns hier gehörig von unserer Reise ausgeruht haben, und haben bei dieser Gelegenheit so manchen weitgedehnten Rückblick dahin senden können, von wannen wir hergekommen sind, so wird uns die Weiterreise ja eben keine so großen Beschwerden mehr machen. Seht, da zieht sich sogleich ein so ziemlich breites Tal, mit einer kleinen Meereseinbuchtung versehen, landeinwärts. Also machen wir unseren Weg zur rechten Seite der Bucht vorwärts. Hier mögt ihr schon wieder freier wandeln, denn nun haben wir festen Boden. Da seht einmal ganz in die Tiefe des Tales hinein nach vorwärts, allda es sich ganz zusammenengt. Dorthin müssen wir sobald gelangen und unsere erste kleine Station machen. Also nur munter darauf losgeschritten, und wir werden sobald an Ort und Stelle sein. Seht, wie das Tal immer enger und enger wird und von allen Seiten her die furchterregendsten Hochgebirgsfelsen so herabhängen, als wollten sie jeden Augenblick herabstürzen. Allein, lasst euch alles dessen nicht bange werden; es wird niemandem dabei auch nur ein Haar gekrümmt werden.

[1.23.2] Nun seht, da sind wir schon bei unserer engen Kluft; wie gefällt es euch hier? – Ihr sagt: Eben gerade nicht am besten. – Das tut aber nichts zur Sache, wenn wir erst einen schärferen Blick in diese Gegend tun werden, so wird sie euch schon ein wenig besser zu munden anfangen, als es soeben der Fall ist. Seht, da neben der Kluft geht zur linken Hand ebenfalls ein enger Graben, sich gegen Mittag hinziehend, hinein. Was erblickt ihr da? – Ihr sagt, wie ihr seht: Wir sehen abhängende Gebirgstriften, hier und da sparsame Äcker über denselben; hier und da, mehr in der Niederung, ist ein kleines Häuschen wie gegen den Berg hinzugedrückt erbaut. Hier und da wieder sehen wir große und überaus hoch herabstürzende Wasserquellen; Bäume und Gesträuche gibt es auch hier und da, und es hat dieses Tal das Aussehen einer höchst eingeengten Gebirgsgegend in der Schweiz auf dem Erdkörper.

[1.23.3] Seht ihr keine Menschen? – Ihr sagt: Bis jetzt hat sich noch nichts Ähnliches unseren Blicken dargestellt; aber, wie es uns vorkommt, da nicht ferne bei der ersten Bauernhütte erblicken wir soeben einige ganz armselige Landleute der Hütte entsteigen. Sie sind ebenso mit graulodenem Kleid angetan wie auf der Erde. Dort weiter vorne erblicken wir ja auch ganz ähnliche Landleute, die da auf dem Acker damit beschäftigt zu sein scheinen, als jäteten sie einiges Unkraut aus dem besseren Getreide und, wenn wir uns nicht täuschen, so erblicken wir dort auf einer mehr im Hintergrund befindlichen Gebirgstrift eine etwas mager aussehende Kuhherde. Und, lieber Freund und Bruder, wie du dich selbst überzeugen kannst, das ist aber auch alles, was wir von lebenden Wesen hier erschauen. Geht dieses Tal noch tiefer hinein oder hat es mit der letzten Ansicht schon ein Ende?

[1.23.4] Liebe Freunde und Brüder, dieses Tal geht noch gar tief hinein, wird nach und nach stets breiter und freundlicher, jedoch nicht zu vergleichen mit denjenigen Gegenden, die wir vor der ersten Säule erschaut haben. – Ihr fragt: Was bedeutet denn dieses Tal? – Ich sage euch: Dieses Tal und noch gar viele seinesgleichen ist nichts als eine vollgültige Enthüllung desjenigen Textes in der Schrift, der also lautet: „Wer sparsam sät, der wird auch sparsam ernten.“ – Ihr fragt mich abermals: Wer waren denn diese Leute auf der Erde? – Ich sage euch: Das waren auf der Erde sehr angesehene und wohlhabende Menschen und taten der armen dürftigen Menschheit manches Gute. Die größten Wohltäter aber waren sie dennoch ihrer selbst.

[1.23.5] So war der erste Besitzer der Hütte, die ihr da im Vordergrund erschaut, ein überaus reicher Mann. Dieser Mann hat bei jeder Gelegenheit den Armen mitunter ganz ansehnliche Stipendien gegeben. Aber alle diese Stipendien zusammengenommen machten nicht den zehntausendsten Teil seines Vermögens aus. Nun seht, dieser Mann hatte wohl Nächstenliebe; wägt aber die Nächstenliebe ab mit seiner stark vorherrschenden Eigenliebe, so werdet ihr sobald den Grund einsehen, warum er nun hier ein gar so dürftiger Landmann ist. – Ihr sagt: Beiläufig sehen wir ihn wohl ein; aber so ganz gründlich noch nicht. – Gut, ich will euch den Grund sogleich ganz klar darstellen. Solches müsst ihr aber zuvor wissen, dass man hier im Reich des Geistes sich auch ganz außerordentlich wohl auf die Kapital- und Zinsenrechnung versteht, und dass auf die Atome der kleinsten Zinsmünze Rücksicht genommen wird.

[1.23.6] Und so denn merkt wohl auf: Dieser hier dürftige Landmann besaß auf der Erde ein Vermögen so in runder Zahl von zwei Millionen Silbergulden. Nach eurem gesetzlichen Zinsfuß warf ihm dieses ansehnliche Kapital jährlich einmalhunderttausend Silbergulden an Zinsen ab. Die Früchte dieses Kapitals hatte dieser Mann auf der Erde volle dreißig Jahre hindurch genossen. Dadurch hat er sich sein ursprüngliches Vermögen noch um drei Millionen Silbergulden vergrößert. Sein Hauswesen bestritt er mit den Zinseszinsen. Von diesen Zinseszinsen, welche ebenfalls sehr ansehnlich waren, machte er auch allerlei wohltätige Stipendien [Spenden], welche am Ende seines Lebens zusammengenommen bei fünfzigtausend Gulden ausmachten. Wie verhält sich diese Summe zu seinem Hauptkapital und zu den alljährigen Zinsen, welche dasselbe abwirft? Es ist ein Fünftel seines jährlichen Haupteinkommens. Er bekommt aber das Fünffache als Hauptzinsenertrag seines Kapitals nach den erworbenen fünf Millionen alljährig, während diese Summe von fünfzigtausend Gulden, für wohltätige Zwecke verwendet, sich auf seine ganze Lebenszeit erstreckt. Diese Summe wird bei uns genau auf die dreißig Jahre ausgemessen, und was da fällt auf ein Jahr, wird als Kapital angenommen. Von diesem Kapital kommen ihm nun die Zinsen zugute. Das Kapital stellt seine ganze Wirtschaft dar, und der Ertrag dieser Wirtschaft steht mit den gesetzlichen Zinsen stets in der genauen Übereinstimmung. Die zwei Personen, die noch an seiner Seite sind, das sind sein Weib und ein verstorbener Sohn von ihm. Diese haben gewisserart mit dem Geist des Vaters mitgearbeitet, daher haben sie gar kein eigenes Kapital, sondern müssen alle drei von dem Zinsertrag leben, welchen diese Bauernwirtschaft abwirft.

[1.23.7] Ihr fragt: Können diese Menschen nie zu einem größeren Gut gelangen? – Die Möglichkeit ist wohl vorhanden; aber es geht solches hier noch ums Bedeutende schwerer als bei euch auf der Erde. Ihr wisst aber, wie schwer es einem ist, auf dem gesetzlichen Zinsweg sich mit einem Kapital von etwas über tausend Gulden zu einer Million zu erheben. Seht, noch schwerer ist es hier, zu einem größeren Besitztum sich emporzuarbeiten, denn was dieser magere Grund erträgt, reicht mit der allergenauesten Not kaum hin, um diesen drei Personen die allernötigste Subsistenz zu geben. Daher ist da mit der Ersparnis nicht wohl weiterzukommen.

[1.23.8] Es bietet sich nur ein Fall dar, durch welchen sich die armseligen Bewohner dieser Gegend nach und nach emporhelfen können, und dieser Fall besteht darin: Es kommen von Zeit zu Zeit ganz entsetzlich arme Pilger durch diese enge Kluft herein. Diese sind gewöhnlich nackt und voll des drückendsten Hungers. Wenn diese Pilger solche Häuser erblicken, so verlegen sie sich alsbald aufs Betteln. Wenn dann einem solchen Bettler ein solcher Landmann bei aller seiner Dürftigkeit dennoch mit offenen Armen entgegengeht, ihn führt in seine ärmliche Hütte, ihn daselbst mit der nötigen Kleidung versieht und sein kärgliches Mahl brüderlich mit ihm teilt, so wird durch eine solche Unterstützung sein Kapital um die Hälfte vergrößert, jedoch ihm unbewusstermaßen. Tut er solches öfter oder behält sogar einen gar Armseligen in seiner Pflege, indem er zu ihm spricht: Lieber Bruder! Siehe, ich bin arm und habe wenig; bleibe darum aber dennoch hier, und ich will dieses wenige allzeit brüderlich mit dir teilen solange ich etwas haben werde, und habe ich mit dir alles verzehrt, was ich habe, so will ich dann auch mit dir gern den Bettelstab ergreifen.

[1.23.9] Wenn solches der Fall ist, so wird sobald das Kapital eines solchen Landmannes heimlich verhundertfacht. Und wenn bei einer solchen Gelegenheit noch mehrere Dürftige zu ihm kommen, und er nimmt sie liebfreundlich auf und bietet alles Mögliche auf, sie zu versorgen, so dass er z. B. mit den Pilgern im Falle seiner gänzlichen Versorgungsunfähigkeit zu den anderen Nachbarn geht und für sie um Unterkunft und mögliche Versorgung bittet, so wird dadurch sein Kapital vertausendfacht; jedoch ohne sein Wissen.

[1.23.10] Wenn es denn geschieht, dass er zufolge seiner Nächstenliebe sich aller seiner Habseligkeit so entblößt hat, dass er dann im Ernst mit seinen Stipendisten den Bettelstab ergreift, so wird er einige Zeit belassen, auf dass er bettle um den Unterhalt vorerst seines armen Aufgenommenen und so nebenbei erst auch für sich – für sich aber dennoch so, dass er stets den größeren Teil seinem armen Bruder zuwendet, als sich. Da geschieht es denn, dass ihm unbekanntermaßen vom Herrn ein Engelsgeist entgegenkommt und sich um seine Umstände erkundigt und er dann spricht: Lieber Freund, du siehst, dass ich arm bin, jedoch solche Armut drückt mich nicht; aber dass ich diesem meinem Bruder nicht mehr helfen kann, solche Armut drückt mich. – Was glaubt ihr, was da geschieht? – Hier kehrt sich der arme Bruder um und spricht zu ihm: Ich kam nackt zu dir, du hast mich bekleidet, hast mich, den Hungrigen und Durstigen, gespeist und getränkt und achtetest nicht auf deine Gabe, auf dass du sogar mit mir den Bettelstab ergriffest und suchtest allenthalben Brot für mich. Siehe, so bin Ich aber nun auch dein großer Lohn, denn Ich, dein armer Bruder, bin der alleinige Herr Himmels und aller Welten und kam zu dir, auf dass Ich dir helfe.

[1.23.11] Dieweil du auf der Erde warst, hast du zwar sparsam gesät, und eine sparsame Ernte musste daher notwendig dein Anteil sein. Mit deiner sparsamen Ernte aber hast du keinen Wucher mehr getrieben, sondern hast erweichen lassen dein Herz und mochtest keinen Armen vor deiner Hütte vorüberziehen sehen, ohne mit ihm zu teilen deine sparsame Ernte. Siehe, solches hat dir geholfen und dich zu einem reichen Einwohner des Himmels gemacht. Siehe, dieser Bruder, der dir hier entgegenkam, wird dich führen in dein neues Besitztum.

[1.23.12] Hier verschwindet der Herr, und der abgesandte Bote führt den liebtätigen armen Bewohner dieser Gegend hinüber in den goldenen Mittag, allda für ihn ein dem Kapital seiner Liebtätigkeit wohl angemessenes neues Besitztum harrt.

[1.23.13] Wenn der also Beglückte spricht zum Boten: Lieber Freund und Bruder, siehe, ich bin unendlich glücklich, darum mir die unendliche Gnade und Erbarmung des Herrn solches beschert hat; ich weiß, dass dies neue Besitztum sicher von gar herrlicher und reichlicher Art sein wird. Allein siehe, hier sind andere arme Brüder; an diese trete ich dieses mir bestimmte Gut ab, mich aber lasse wieder zurückziehen in meine ärmliche Hütte; denn es könnte ja geschehen, dass sich unter den vielen Armen, die vielleicht noch meine ärmliche Hütte besuchen werden, wieder einmal der Herr einfinden könnte. Und so will ich zurückziehen und in meiner armen Hütte noch jeglichem armen Bruder mit hundertfach größerer Liebe entgegenkommen, als solches bis jetzt der Fall war. Wahrlich kann ich dir sagen, wenn ich solch eines Glückes noch einmal in meiner ärmlichen Hütte möchte gewürdigt werden, so werde ich in dieser meiner ärmlichen Hütte in alle Ewigkeit glücklicher sein, als gäbest du mir die größten und herrlichsten Güter in einem allerschönsten Teil des Himmels! Und so denn lasse mich wieder zurückziehen.

[1.23.14] Alsdann geschieht es auch, dass der Geist den armen Landmann mit seiner kleinen Familie zurückziehen lässt. Wenn dieser aber dann in seine ärmliche Hütte kommt, so harrt auch schon seiner der Herr mit offenen Armen und macht ihn sobald zu einem Bürger des ewigen Morgens!

[1.23.15] Seht, solche Szenen gehen da wohl öfter vor sich; aber ihr möchtet es kaum glauben, welch ein hoher Grad der Selbstverleugnung dazu erfordert wird. Denn die Armut hat nur gar zu häufig die fast notwendige Eigenliebe unzertrennlich bei sich; darum da auch ein Armer nur für sich um Unterstützung bittet. Hat er dann sich ein kleines Stipendium zusammengebeten, so reicht dieses kaum für seinen Bedarf hin, und die eigene Not und Armseligkeit lässt es ihm beinahe gar nicht zu, seine höchst sparsame Gabe mit einem anderen armen Bruder zu teilen; aus welchem Grund ihr schon auf der Erde unter der armen Klasse der Menschen nicht selten einen verheerenden Neid antrefft. Aus dem geht aber hervor, dass solche armbestellte Einwohner dieses Tales vor den Bettelnden sich so viel als möglich verbergen. Aus dem Grund seht ihr auch wenige außer den Häusern, die ihr aber außerhalb erblickt, sind schon von solch guter Art.

[1.23.16] Nächstens wollen wir das sehr schroffe Tal zu unsrer rechten Hand gegen den Norden zu beschauen. Und somit gut für heute.

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