(Am 14. Dezember 1842 von 4 – 7 Uhr abends.)
[1.18.1] Bevor wir uns diesem anderen Tal nähern, will ich euch noch eine Frage, die ihr an mich gestellt habt, kurz beantworten. Ihr möchtet wohl wissen, ob solches nicht etwa gar die Hölle ist, was ihr da gesehen habt. Ich kann euch darauf weder ja noch nein zur Antwort geben, sondern euch nur sagen, dass solches, was ihr da gesehen habt, wohl höllischer Art ist, aber die Hölle an und für sich nicht; denn was sich da zeigt, ist nichts anderes, als eine für sich abgeschlossene Anschauung des Lasters, vorzugsweise in Hinsicht auf die Begierlichkeit des Menschen. Allda ihr gesehen habt die verzehrtesten Wesen, allda ist auch das Laster schon in ähnlichem Zustand; allda ihr aber noch vollkommenere Erscheinungen fleischlich tätig gesehen habt, da ist die Lastertatkraft aus der argen Begierde heraus auch noch mit der Lastertätigkeitsfähigkeit mehr und mehr und mehr verbunden. Solches gibt sich ja auf eurer Erde klar und deutlich kund; denn ihr werdet doch schon gar sicher auf Menschen gekommen sein, die durch vielfaches Sündigen ihre fleischliche Natur so ganz und gar verwüstend herabgestimmt haben, dass sie dieselbe durch alle künstlerischen Reizmittel nicht wieder mehr für einen völligen Fleischeslustgenuss zu erwecken imstande sind. Seht, solche erscheinen hier im Vordergrund, weil sie dann und wann doch einen Gedanken in sich aufkommen lassen, der ihnen die Nichtigkeit und Vergänglichkeit alles solchen Genusses zeigt. Im Hintergrund aber habt ihr erschaut diejenigen, wo die Kraft der Begierde auch mit der Lastertatkraft mehr und mehr im Einklang steht. Da seht nur ähnliche Menschen auf der Erde; so lange sie noch bei solchen Kräften sind, wie sie förmlich hasardieren und, wie ihr zu sagen pflegt, das sogenannte Schindluder treiben mit ihrem Leib.
[1.18.2] Aus diesen könnt ihr nun ersehen, dass das von euch Geschaute weder die Hölle noch die Nichthölle, sondern nur das Höllischgeartete des Lasters erscheinlich ist. Und da wir nun solches wissen, so verfügen wir uns mit eben dieser Kenntnis zum nächsten vorbesagten Tal.
[1.18.3] Seht, dieses Tal ist von diesem uns bekannten nur durch einen niederen und ziemlich schmutzigen Gebirgsrücken getrennt. Wir dürfen somit nur diesen übersteigen, und wir werden sobald das Wesen des anderen Tales erschauen. Ihr wollt es, und seht, wir sind schon auf der Höhe des Bergrückens. Seht da unten das neue Dorf; wie gefällt es euch? Ihr sagt: In der Entfernung nimmt es sich beinahe besser aus, als das vorige; nur der Umstand, dass es sich mehr abendlich befindet, lässt uns nicht viel Gutes erwarten von selbem. – Ja, ja, ihr habt recht; so wird es auch sein.
[1.18.4] Ihr fragt mich, warum denn diese Gebäude viel größer sind und im Ganzen viel respektabler denn die des früheren Dorfes. Ich sage euch: Bewegen wir uns nur sogleich hinab in das Dorf, und zwar zu seinem Anfang, und ihr werdet sobald die Antwort auf eure Frage finden. – Nun, da wären wir schon vor dem ersten Haus. Es hat eine nach vornehinaus abgerundete und schmutzigweiß übertünchte Wand, hat aber kein Fenster wie auch keinen Eingang von dieser vorderen Seite. Ihr fragt: Warum denn solches? – Weil diese Seite dem Morgen zugekehrt ist, und dieser ist ein Gräuel für die Bewohner dieses Dorfes. Sonach müssen wir uns schon ein wenig hinter das Gebäude begeben, welches freilich wohl etwas bergan steht, um den Inhalt eines solchen Wohnhauses zu erspähen. Seht, da ist schon ein geräumiges Fenster; seht einmal hinein und sagt mir, was ihr da erblickt habt.
[1.18.5] Oho, ihr fallt gleich beim ersten Haus schon zurück. Was wird es dann erst beim nächsten Haus mit euch für eine Bewandtnis haben? Ihr sagt ganz erstaunt: Um Gotteswillen, das ist unerhört, unmenschlich, undenkbar! Im Hintergrund saß auf einer breiten Bank ein förmliches menschliches Ungeheuer. Es hatte eine übermenschliche Dicke, einen mehr als das halbe Zimmer einnehmenden und gar abscheulich herabhängenden Bauch; vom Hals saß eine schmutzige Fettwurst auf der anderen. Vor ihm standen eine Menge ganz abgemagerter Skelettmenschen und drängten sich zu diesem allergrauslichsten Fettwanst hin und baten ihn, dass er sie auffressen möchte! Und wirklich hatte dieses Ungeheuer auf einem starken Tisch vor sich mehrere schon ganz abgemagerte Menschengerippe. Einige aber im Hintergrund fluchten diesem Ungeheuer und wollten wütend auf dasselbe losstürzen. Aber sie wurden abgehalten von denjenigen, welchen das Ungeheuer versprach, von ihrem Fleisch auch etwas zu verzehren und dasselbe in sein Fett zu verwandeln.
[1.18.6] Ihr fragt nun freilich: Was soll es denn mit diesem sonderbar gräuelhaftesten Bild für eine Bewandtnis haben? Solches mag begreifen, wer es will; wir begreifen es einmal nicht. – Ich aber sage euch, meine lieben Brüder und Freunde, wenn ihr solches nicht auf den ersten Augenblick begreift und fasst, so müsst ihr ja völlig blind auf eurer Erde herumwandeln.
[1.18.7] Ist das nicht ein ganz vortreffliches Bild eines Wucherers, und ganz besonders eines selbstsüchtigen Hauptindustrieritters, der sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, alles aufzuspeisen, was ihn nur immer zinserträglich umgibt? Bestimmt einmal die sättigende Grenze eines solchen Wucherers; geht seine Begierlichkeit nicht ins Unendliche? Würde er sich wohl nur das geringste Gewissen machen, so er die Schätze und Reichtümer der ganzen Welt an sich zu reißen vermöchte? Wird er wohl eine Träne vergießen, wenn er das Leben aller Witwen und Waisen der Erde an sich reißend aufzehren könnte?
[1.18.8] Ja ich sage euch: Die Armen laufen noch haufenweise zu ihm hin und opfern ihm all ihre Habe und Kräfte; für den schnödesten Sold lassen sie sich von ihm nahe ganz aufreiben und aufzehren. Andere tragen ihre wenigen Schätze zu ihm hin und preisen sich glücklich, so er dieselben nur gegen einen elenden Zins angenommen hat. Ja viele Betrogene gehen so weit, dass sie es förmlich für eine Notwendigkeit einsehen, dass sie von ihm nach Gestalt der Dinge ohne sein Verschulden haben geprellt werden müssen.
[1.18.9] Einige ebenfalls Habsüchtige, aber dabei doch weltlich unkluge arme Teufel, die Lumperei dieses Reichen einsehend, drohen ihm mit der Vernichtung und mit dem Tod. Allein die Interessenten unseres Wucherers, einsehend, dass sie mit dem Tod desselben noch eher zugrunde gingen denn also bei der vollkommenen Sättigung desselben, verhindern so viel als möglich einen solchen Gewaltstreich.
[1.18.10] Nun, was sagt ihr denn nun zu diesem Bild? Ist es nicht vortrefflich und zeigt dieses Laster im enthüllten Zustand, wie es ist? Solches aber ist nur ein gutmütiger Anfang. Gehen wir daher zum nächsten, etwas größeren Haus und betrachten desselben Inhalt; und ihr werdet sehen, unsere Sache wird sich, wie gesagt, immer besser machen.
[1.18.11] Seht, wir sind schon am rechten Fenster. Ihr müsst recht scharf hineinsehen; denn weil das Haus größer ist, und, wie ihr seht, von rückwärts nur zwei verhältnismäßig kleine, schmutzige Fenster hat, darum ist es inwendig bedeutend finster. Also darum nur scharf geschaut! Habt ihr schon gesehen, was sich da drinnen alles vorfindet? Ihr bebt zurück; das gilt mir schon für ein sicheres Zeichen, dass ihr den Inhalt gehörig gesehen habt. Aber ihr könnt nicht reden. Ich will es euch auch recht gerne glauben, denn dergleichen Anblicke machen selbst uns starke Geister gewaltig stutzen und das besonders aus dem Grund, weil sie eben jetzt stets vielfältiger und großartiger werden. Ich sehe aber hier, dass es notwendig sein wird, euch das Geschaute vorzusagen, weil ihr für ein solches Bild nicht leichtlich die rechten Worte finden dürftet.
[1.18.12] Ihr sahet hier ebenfalls im Hintergrund ein ganz scheußlich fett gemästetes Wesen. Dieses Wesen hatte einen ganz entsetzlich aufgetriebenen Bauch, sein Kopf hatte einen großen Rachen gleich dem einer Hyäne, seine Arme waren gestaltet wie ein Paar allerkräftigste Riesenschlangen, seine Füße waren gleich denen eines Bären. Auf seinem überaus großen Bauch war eine Art Altar aufgerichtet. In der Mitte dieses Altars ging ein zweischneidiger Spieß in die Höhe. Auf diesem Spieß erblicktet ihr eine Menge abgemagerter Menschenwesen aufgesteckt. Ein Schlangenarm war stets beschäftigt, die Gespießten vom Spieß herabzunehmen und sie dem Rachen des Vielfraßes zuzuführen. Ein anderer Schlangenarm griff stets nach allen Seiten herum nach den armseligen, in dieses schauerliche Gemach unglücklich verbannten Menschen, und den nächsten besten, den er ergriff, erdrückte er und schleuderte ihn dann auf den Spieß seines Bauchaltars. Das große Jammern der Unglücklichen machte seinen Arm nur umso tätiger. Seht, das ist das Bild, das ihr geschaut habt.
[1.18.13] Wie gefällt es euch? Ihr sagt: Ganz entsetzlich grauenerregend schlecht! – Und ihr sagt ferner: Das ist denn doch etwas zu stark. Auf der Erde geht es zwar arg zu; aber was dieses Bild betrifft, so scheint es doch offenbar eine bedeutende Übertreibung zu sein!
[1.18.14] Ich sage euch aber: Hier ist weder zu viel noch zu wenig, sondern allzeit die nackte Wahrheit. Blickt nur auf eurer Erde diejenigen Handelsindustriehelden an. Nehmt einen Maßstab und bemesst den Rachen der Habsucht an denselben. Dann prüft seine Arme, wie dieselben beschaffen sind, und ihr werdet finden, ob sie nicht völlig diesen gleichen. Der eine ist beschäftigt, stets einzuscharren, der andere, auf allen Wegen durch Schlauheit, List oder Gewalt Beute zu machen. Wenn er gar leichtlich einen Fang gemacht hat, so wird dieser sogleich als ein Opfer der Habsucht auf den euch schon bekannten Altar gesteckt.
[1.18.15] Aber ihr fragt: Warum befindet sich denn dieser Altar gerade auf dem Bauch dieses Ungeheuers? – Weil unter dem Bauch zu verstehen ist die allerschmutzigste Art der Habsucht, Selbstsucht und Eigenliebe. Der große Bauch bezeichnet die übermäßige Art solcher Liebe, und der Altar auf dem Bauch bezeichnet das weltlich Ehrsame und Erhabene und somit die stolze und hochmütige Art dergleichen großartiger Industrieritter.
[1.18.16] Was bedeutet denn das aufgestellte zweischneidige Schwert oder der Spieß am Altar? Solches solltet ihr wohl auf den ersten Augenblick erraten; habt ihr denn noch nie etwas vom Handels- und Wechselrecht gehört? Seht, da ist es auf dem Altar! Daher darf sich nur irgendein armseliges Wesen fangen lassen, so wird es ergriffen und ohne alle Gnade, Schonung und Pardon auf das Recht hinaufgesteckt und somit mit solchem Recht sogleich zu Tode gespießt.
[1.18.17] Ihr fragt noch: Wer sind denn dann die vielen Armseligen, die da fleißig abgefangen werden, und warum ist der Spieß zweischneidig? – Die vielen Armseligen sind allerlei Menschen. Ein Teil, die dem Fang zunächst ausgestellt sind, sind die Kleinhändler, ein Teil, welche ihre Produkte notgedrungen an einen solchen Großspekulanten abliefern müssen, ein dritter Teil sind allerlei arme auswärtige Völker, die mit solch einem Haus in Handelsverbindungen stehen, ein vierter Teil sind andere kauflustige Menschen, ein fünfter Teil anderweitige Handelskompagnons, ein sechster Teil die dem Haus dienende Klasse und noch ein siebter Teil sind solche, die unter allerlei Rücksichten und Beziehungen von einem solchen Haus abhängen. Für alle diese Klassen ist der zweischneidige Spieß in steter Bereitschaft. Aber wir hätten bald vergessen, was die doppelte Schneide des Spießes bedeutet.
[1.18.18] Solches ist ja doch auch leicht mit den Händen zu greifen. Die eine Seite bedeutet die kaufmännische Handelspolitik. Was bedeutet denn dann die zweite Schneide? Dasjenige, worauf sich die Handelspolitik stützt. Worauf stützt sie sich aber? Auf das ihr eingeräumte Recht, jeden Zweig ihrer Handlung so zu ergreifen, dass es ihr die sicheren Wucherprozente abwirft. Versteht ihr solches? Solltet ihr solches nicht genau verstehen, so schlagt irgend nach und sagt es mir, wo dem Handelsstand der Gewinn gesetzlich vorgeschrieben ist? Also schneidet der Spieß auf beiden Seiten; fürs Erste durch die euch wohlbekannte kaufmännische Politik und auf der anderen Seite durch die unbeschränkte Gewinnsucht; und diese beiden Schneiden sind mit dem Handelsrecht so eng verbunden wie die zwei Schneiden mit einem Schwert. Nun seht, ist das Bild nicht treffend und zeigt, wie ich gesagt habe, nicht mehr und nicht weniger als die nackte Wahrheit?
[1.18.19] Ihr sagt nun: Das Bild ist richtig; aber hier bleibt uns auch kein Zweifel mehr übrig, dass es ganz rein in die unterste Hölle gehört! – Ihr habt im Grunde nicht ganz unrecht, allein, es bleibt beim früheren Ausspruch. Denn dieses alles bezeichnet nur ganz für sich allein das Laster, ohne darauf abzusehen auf diejenigen Personen, welche solch ein Laster wirklich verüben. Daher ist es also höllischer Art, aber nicht wirklich die Hölle selbst; denn würdet ihr solches in der wirklichen Hölle zu schauen bekommen, da erginge es euch ganz anders schon bei einem fernen Anblick, als es euch hier ergeht in der vollen Nähe eines solchen Lasterbildes.
[1.18.20] Seht, es gibt noch eine Menge solcher Häuser in dieser schmutzigen Schlucht. Aber da in denselben das Laster der Habsucht stets innerlicher und daher ums Unaussprechliche gräuelhafter dargestellt wird, und ihr schon den nächsten Anblick nicht mehr ertragen würdet, so lassen wir die Sache mit diesen zwei geschauten Häusern beschlossen sein. Denn wenn dieses Laster erst in die Sphäre der brennend habsüchtigen Eifersucht übergeht, da wird es dann aber auch schon ganz rein höllisch und ist somit nicht geeignet für eure schwachen Augen. Daher wollen wir uns fürs nächste Mal lieber in ein drittes Tal begeben; allda werden wir noch ganz neue Erscheinungen zu Gesicht bekommen, und so lassen wir es für heute bei dem bewendet sein!
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