[13.1] Bei dieser energischen Widersprache des römischen Richters traten alle, wieder sichtbar unwillig, an ihre Plätze und verhielten sich eine Zeitlang ganz stumm. Da an Mich denn keine Frage mehr ergehen wollte,
[13.2] so trat Ich unter sie und sagte: „Hört, da ihr Mich keiner Frage mehr würdigen wollt, so werde Ich so frei sein, euch eine kleine Frage zu stellen: Sagt Mir — aber ganz offen —, was ihr dann tun würdet, so Ich denn doch im Ernst der verheißene Messias wäre, um den sich gestern das Hauptgespräch gedreht hat!“
[13.3] Sagte mir ein griesgrämiger, alter Tempelzelot: „Knabe, Knabe, nimm dich vor Jehovas Tempel wohl in acht, was du rechtest und redest allhier an heiliger Stätte! Hüte dich vor zu großem Frevel!“
[13.4] Ich aber sagte ihm darauf: „Hüte lieber du dich davor und ihr alle, dass das Haus des Herrn von euch nicht gänzlich zu einer Mördergrube wird! Dadurch aber, so ich sage, was ihr tun würdet, so Ich am Ende dennoch der verheißene Messias wäre, entheilige Ich den Tempel durchaus nicht, indem solch eine Frage ohne alle Sünde und Scheu ein jeder Mensch an euch stellen kann. Und ihr könnt Mir ja ebenso eine bedingungsweise Antwort geben, als Ich euch nur eine bedingungsweise Frage gestellt habe!“
[13.5] Hier erhob sich der alte weise Talmudist und Großkabbalist namens Joram und sagte: „Bei Gott sind alle Dinge möglich; doch wir Menschen müssen sehr auf unserer Hut sein, eine solche über alles hochwichtige Verheißung erst dann als wahr anzunehmen, so alle Umstände, von denen die Erfüllung der Verheißung in der [beschriebenen] Art begleitet sein muss, mit Händen zu greifen klar dastehen vor jedermanns staunendem Auge.
[13.6] Nun, du mein Holdjunge, hast wohl so halbwegs in Bezug auf deine Geburt im Propheten Jesajas ein paar Verse für dich; aber wie viel hat dieser Prophet noch alles von dem verheißenen und kommen sollenden Messias geweissagt, was auf dich ebenso wenig passt wie auf mich, obschon ich auch ein Abkomme Davids und auch mit deinem Vater Joseph weitschichtig verwandt bin, wie ich auch am meisten dazu beigetragen habe, dass die Tempelzöglingin Maria sein Weib wurde.
[13.7] Ich habe nun dieses mir sonst sehr werte Ehepaar schon über elf Jahre lang nicht gesehen und dich als offenbar den Erstling Josephs aus der zweiten Ehe noch gar nie. Ich weiß von dir also nachgerade nur so viel, als ich gestern von dir aus deinem Mund und von unserm Leviten Barnabe, der auch ein Nazaräer ist, vernommen habe.
[13.8] Nun, deine besonderen Fähigkeiten, die nach verlässlichen Berichten alles, was je irgendeine noch so vollendete Willens- und Glaubensmacht als ein offenes Wunder leistete, himmelweit übertreffen sollen, wären freilich von der Art, dass man von ihnen aus auch auf den Besitzer derselben ein ganz besonderes Augenmerk zu richten hätte; aber von irgendeiner abgemachten Bestimmtheit dessen, was sie beurkunden sollen, kann da begreiflicherweise noch lange keine Rede sein, obwohl, wie gesagt, man sie als ein hell denkender Mensch und Priester nicht unberücksichtigt lassen kann.
[13.9] Auf jeden Fall wird der Messias auch gleich uns allen ein Mensch sein, nur seine Eigenschaften und Fähigkeiten werden göttlicher Art sein. Nun, was deine Eigenschaften schon jetzt in deinen Kinderjahren betrifft, so wären die schon von der Art, die für dein späteres Mannesalter etwas Ungeheures erwarten ließen. Aber siehe, ich bin schon ein sehr alter Mann und habe viele Erfahrungen gemacht, und [ich habe] auch schon zu öfteren Malen in der oft zartesten Jugend nicht selten Fähigkeiten und Eigenschaften entdeckt, die mir da sagten: Aus diesem und jenem Kind hat uns Jehova offenbar wieder einen großen Propheten erweckt! Allein, als solche Kinder dann älter und älter geworden sind, haben alle die glänzenden Eigenschaften rein, als wären sie nie dagewesen, sich verloren, und der Mensch war so ein ganz gewöhnlicher wie unsereiner, der ich nun nur das weiß, was ich bei allem Fleiß in vielen Jahren recht mühsam erlernt und erfahren habe!
[13.10] Es hat sonach an mir wie an unzählig vielen anderen Menschen sich der Schriftspruch bewahrheitet: ‚Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen!‘ Und es wird dir, mein holdester junger Vetter, vielleicht auch noch einmal so ergehen – vielleicht auch nicht, was wir Menschen natürlich nicht und nie als ausgemacht zum Voraus bestimmen können. Der Mensch denkt wohl so manches, Gott aber lenkt es. Nun, mein lieber, holdester junger Vetter, kannst du schon wieder deine Bemerkungen machen, und ich werde dir recht gerne Rede stehen.“
[13.11] Sagte Ich: „Du bist Mir auch aus eurem ganzen Collegio der Liebste und hast für Mich schon in dieser Nacht dem Hohenpriester ein gutes und ein reines Wort geredet, wodurch dem Hohenpriester ein wenig die Augen bezüglich der Persönlichkeit des Satans geöffnet wurden, dass er zum Wenigsten – und zwar zum ersten Mal in seinem ganzen Leben – einen Dunst von der allerwichtigsten Entsprechungslehre bekommen hat und dadurch einzusehen begann, dass Taten wie die Meinigen unmöglich mit Hilfe einer bösen Macht und Kraft zustande gebracht werden können!
[13.12] Du siehst aus dem, dass Mir auch das nicht verborgen ist, was du noch so still und geheim mit dem Oberpriester verhandelt hast, und so kannst du dir es auch denken, dass Ich nun ganz genau weiß, was sich nun der sehr verlegene Oberpriester denkt, und hat darum eine große Furcht, durch Mich in irgendetwas für ihn Unangenehmem verraten zu werden. Allein, diese Furcht ist bei ihm eine eitle.
[13.13] Ja, würde Ich mit des Beelzebubs Hilfe Meine Taten verrichten, da wäre er schon lange verraten und auch schon gerichtet, aber da Ich alle Meine Werke nur mit Kraft und Macht Gottes in Mir verrichte, die ewig nur Gutes und nimmer was Böses will, so hat der Oberpriester sich vor Mir auch nicht zu ängstigen – denn von Mir ausgehend soll ihm kein Haar gekrümmt werden.
[13.14] Wir aber haben nun die Zeit mit recht vielen unnützen Dingen verplaudert und die eigentliche Hauptsache in ihrem weiteren Verfolge ganz beiseitegelassen!“
[13.15] Hier fragte Joram: „Worin soll denn eigentlich diese bestehen? Rede du nun nur ganz von der Leber weg, und wir werden in unserer Beurteilung billig sein, da wir auch in dir recht viel Billigkeit entdeckt haben.“
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