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11. Nächtliche Beratung der Templer. Ein junger Levite aus Nazareth berichtet über den Wunderknaben und dessen Spiele. Diskussion über das Wesen des Beelzebub. Über den Kampf des Satans mit dem Erzengel Michael um den Leib Moses

[11.1] Aber die Tempelherren hatten eben keine so ruhige Nacht; denn Ich wollte es eben, dass diese selbst- und herrschsüchtige Art von Menschen durch allerlei beängstigt werden musste. Und der Hochpriester konnte vor Galle, Ärger und Furcht zu keinem Schlaf kommen, denn es genierte ihn besonders das über alles, dass Mich der römische Richter als einen geehrten Gast mit sich nahm. Er ließ denn auch in einem fort seine Horcher in die Herberge kommen, dass sie ihm Nachricht brächten von dem, was wir etwa miteinander redeten. Aber wir redeten gar nichts, und schwätzten somit auch nichts aus der Schule.

[11.2] Aber dafür schwätzten die Templer mehr unter sich und berieten sich, wie sie Mich am nächsten Tag durch allerlei Fragen verwirrt und recht unsinnig machen könnten. Nur der junge Levite, der auf dem Punkte stand, ein selbständiger Pharisäer und Vorsteher einer Synagoge zu werden, hat dem Gremium, weil er sehr viel gesehen und erfahren hatte bei seinen Missionsreisen, ganz trocken ins Gesicht gesagt:

[11.3] „Mit diesem Knaben werdet ihr alle nichts richten! Ich habe in Nazareth wahrlich Wunderdinge von seiner Beredsamkeit gehört, und da gibt es gar keinen Gelehrten, der diesem Knaben je etwas abgewonnen hätte! Ich sage es euch ganz offen: Dieses Knaben Zunge und seines Freundes unbegreifliche Willenskraft sind mächtig zur Genüge, um die ganze Welt zu unterjochen! Und wir haben uns mit diesem Knaben eine ganz mächtige Laus in den Pelz gesetzt, der wir ohne Schaden nicht leicht loswerden!

[11.4] Daher wäre meine freilich immerhin unmaßgebliche Meinung diese: Man lasse ihn bei seiner Meinung, dass wenigstens möglicherweise jener Wunderknabe der verheißene Messias sein oder mit der Zeit werden kann, da denn doch die Weissagungen der Propheten so ziemlich auf ihn wie auf diese Zeit hindeuten!

[11.5] Mit was immer für Widerspruch kommen wir mit ihm nicht weiter – und ihn ärgerlich machen durch irgendeine Drohung, wäre meiner Ansicht nach sogar bedenklich, denn er weiß um alles auf das Genaueste, und nicht fremd scheinen ihm unsere tiefsten Tempelgeheimnisse zu sein!

[11.6] Es wäre da schon dann rein des Beelzebubs zu werden, so er eben von unseren ganz besonderen Geheimnissen offen vor dem ihm sehr geneigten Simon und dem römischen Richter auszuplaudern anfinge! Daher heißt es da sehr klug sein, ihn bei seinem Thema lassen, ihn darin eher noch bestärken, als von seiner Idee abwendig machen zu wollen!

[11.7] Was liegt denn da daran für uns, die wir alle die alten Schriftglaubenssachen schon lange über Bord ins Meer der Vergessenheit geworfen haben, ob ein Messias, oder ob keiner?! Sondern klug sein und dadurch herrschen und dabei auf Kosten der blinden und dummen Menschenmenge sehr gut leben ist besser, als sich allerlei Gewalt, die wir am Ende doch nicht haben, anmaßen und sich daneben mit allerlei unnötiger Sorge und Angst zernagen lassen!

[11.8] Wir haben uns schon gestern mit unserer schlecht berechneten Hoheitssteife bei dem Römer schlecht insinuiert, und die Zachariasgeschichte kann uns noch in große Verlegenheiten bringen! Denn zu scherzen ist’s mit den Heiden schon durchaus nicht! Wir dürfen uns daher morgen nur ein wenig unsanft gegen den Knaben benehmen – und wir stehen alle in der heißesten, echt römischen Brühe!

[11.9] Darum seien wir nur ganz feine und schlaue Füchse und machen unsere gestrigen Fehler wieder so viel als möglich gut, und ich will wetten, dass der Römer die Geschichte vom Zacharias ganz fallen lässt, ansonst er sie sogleich als eine scharfe Waffe gegen uns benützen wird. Was meint ihr von meinem Rat?“

[11.10] Sagte der stets wache Oberpriester: „Ja, ja, ich bin mit dir da ganz einverstanden; es dürfte also schier am besten sein! Rede und Antwort müssen wir dem Knaben geben, weil er dazu ein teuer erkauftes Recht hat, dieses können wir nicht von uns hinwegschieben! Nur bin ich der Meinung, dass wir ihm morgen ein anderes Kollegium geben aus uns, das ihm da günstiger denn wir gestern Rede stehen soll! Was meint ihr da?“

[11.11] Sagte der junge Redner: „Der Meinung bin ich wieder nicht! Ein fremdes Kollegium müsste erst mühsam informiert werden, um so recht zu verstehen, wen es in dem Knaben vor sich hat. Wir aber kennen ihn nun und wissen, was er eigentlich will. Wir haben ihm sonach leicht Rede zu stehen. Ein fremdes Kollegium würde morgen vor dem Knaben dastehen wie ein junges Paar Zugochsen vor einem Berg und wüsste ihm selbst bei einer besten Information nicht Bescheid zu geben.

[11.12] Dann kommt aber da noch etwas ganz Wichtiges in die Betrachtung, und zwar: Können wir wissen, ob der Knabe sich nicht gerade auf uns versteifen würde? Wir müssten dann, vom Simon und dem römischen Richter verlangt, kommen und dem verzweifelt pfiffigen Knaben zur Rede stehen, bei welcher Gelegenheit wir uns eben nicht gar zu besonders gut vor dem Römer ausnehmen möchten, da wir uns dadurch ja offen verrieten, dass wir im Kampf mit dem Knaben das offenbar Kürzere gezogen haben!

[11.13] Ich will und kann mit solcher meiner Meinung keine gültige Vorschrift machen, aber das ist doch gewiss, dass wir das von mir Bemerkte ganz sicher zu erwarten haben, was niemand aus uns eben etwa sehr erwünscht sein dürfte!“

[11.14] Sagte der Oberpriester: „Bin ganz mit dir einverstanden, und wir werden uns auch deinen guten Rat zur Richtschnur nehmen; aber was meinst du, mein Sohn, denn überhaupt so über diesen ganz verzweifelt pfiffigen Knaben?

[11.15] Es ist ja doch rein des Satans zu werden! Wir höchsten Würdenträger vom ganzen Judenland müssen uns nun von einem echten galiläischen Schweinehirten bis über die Ohren ins Bockshorn treiben lassen! Vor solch einem niedrigsten Wurm des Gassenstaubes müssen wir zittern und alles Mögliche aufbieten, um seiner nur auf eine gute Art loszuwerden. Nein, nein, so was ist noch seit Menschengedenken nicht dagewesen!

[11.16] Aber sage mir, was du so bei dir von dem Knaben denkst! Wie und wann kann sich dieser Knabe von zwölf Jahren Alters solche Totalwissenschaft zu eigen gemacht haben?“

[11.17] Sagte der junge Redner: „Lieber, nach dem Hohenpriester allerhöchster Gebieter und Gönner! So was ist in Galiläa gar nichts Neues. Alles in Galiläa treibt Handel, kommt mit allen Nationen der Welt zusammen und macht tausendfache Erfahrungen aller Art und Gattung, lernt verschiedene Sprachen und verkehrt mit Griechen, mit Armeniern, mit Ägyptern, Römern und noch mit einer Menge anderer Völker. Es ist daher auch begreiflich, dass man in den Städten und Flecken und Dörfern Galiläas nicht selten Kinder antrifft, deren durchdringender Verstand alles ins größte Staunen setzen muss, was von uns aus Jerusalem dahin kommt.

[11.18] Ich, wie bekannt, bin selbst in der Gegend von Nazareth geboren und war mit der ganzen Schrift schon in meinem zwölften Jahr vertrauter denn jetzt, wo ich schon so manches vergessen habe, und daneben noch mit einer Menge anderer Schriften und Dinge. Warum unser blondlockiger Knabe nicht? Mich wundert seine Gewecktheit eben nicht so sehr, obwohl sie sehr durchdringend ist.“

[11.19] Sagte weiter der Oberpriester: „Ja, das wäre bei einer frühzeitigen Bildung eines talentierten Knaben freilich nicht so etwas ganz Besonderes; aber wie kommen diese Menschen in den Besitz der Schrift, die als allein echt nur im Heiligtum des Tempels aufbewahrt ist, und niemand daraus lesen darf als nebst dem Hohenpriester nur der Oberpriester und die Schriftgelehrten?“

[11.20] Sagte der junge Redner: „Höchster Gebieter, das ist ja schon seit der Zeit, als die Römer unser Reich erobert haben, nicht mehr wahr! Dem Eroberer mussten alle Einrichtungen des Tempels und alle seine Bücher zur Einsichtnahme ausgeliefert werden. Da wurden durch drei Wochen lang von allem und jedem die getreuesten Abschriften genommen.

[11.21] Und nun gibt es unter den Römern und Griechen schon eine solche Menge der ganz getreuen Abschriften in allen Zungen sogar, dass man sich um wenige Silberlinge eine solche Abschrift in jeder beliebigen Zunge anschaffen kann. So aber das, wie soll es dann etwa schwer möglich sein, in einem galiläischen Knaben von Talent einen wahren Schriftgelehrten non plus ultra anzutreffen?“

[11.22] Sagte der Oberpriester: „Du kommst mir noch mit römischen Zwischenworten und weißt doch, dass ich ein Todfeind alles Römischen bin! Was heißt denn der Ausdruck ‚non plus ultra‘?“

[11.23] Sagte der junge Redner: „Höchster Gebieter, ich als Galiläer bin auch nebst der hebräischen noch der Griechen wie der Römer Zunge mächtig, also verstehe ich Syrisch, Chaldäisch, Armenisch, Persisch und Altarabisch, das man als ein Sendling auch verstehen muss – und es geschieht mir da im Fluss der Rede gar leicht und öfters, dass sich mir manchmal eine fremde Zunge wie von selbst in den Mund schiebt.

[11.24] Der Ausdruck ‚non plus ultra‘ ist aber nun unter uns Juden seiner Kürze und Bündigkeit wegen so gang und gäbe, dass es einem ordentlich schwer vorkommt, den langen und langweiligen hebräischen zu gebrauchen. An und für sich aber besagt es so viel: So ein Knabe ist also sehr ‚von niemand übertreffend‘ in aller Schrift bewandert.“

[11.25] Sagte der Oberpriester: „Gut, gut, es liegt nichts daran, ich bin nur aus leicht begreiflichen Gründen kein Freund der Römer und somit auch ihrer Zunge nicht; aber lassen wir das beiseite, und du sage mir, was dir allenfalls von jenem Wunderknaben in Nazareth bekannt ist, dessen Vater ich kenne wie auch dessen Mutter!“

[11.26] Sagte der junge Redner: „Ja, höchster Gebieter, das ist ein stark kitzliger Punkt! Ich glaube, ihn vor ein paar Jahren gesehen zu haben, und zwar in Gesellschaft von mehreren Knaben, die einander aber über alle Zwillingsbrüder hinaus ähnlich waren. Man sagte mir wohl, dieser und solcher und jener sei es, aber da die Knaben gleichfort sich sehr lebhaft durcheinander tummelten, so konnte ich unmöglich den rechten aus ihnen fest ins Auge fassen. Ich habe ihn also gesehen, und doch wieder auch nicht gesehen.

[11.27] Unser uns nun ein rechtes Wetter machender Knabe aber war damals ganz sicher auch in der Gesellschaft, begleitet von einem ihm sehr ähnlichen Knaben, und zwar – wie es mir nun vorkommt – mit einem noch mehr ernsthaften Gesicht, und machte keine lustigen Sprünge. Es hatte sehr das Aussehen, als wären die beiden Knaben gleichsam Gebieter über die anderen, da sich die anderen ganz nach deren Willen zu bewegen schienen.

[11.28] Was aber übrigens dieses Buntgetriebe der Knaben durcheinander für ein Spiel bedeutete, begriff ich nicht, da ich früher nie etwas Ähnliches gesehen habe. Planlos schien mir die Sache nicht zu sein, weil sich bei längerer Beobachtung irgendeine Ordnung durchaus nicht verkennen ließ. Was es aber vorstellte, konnte mir niemand von den mit mir Anwesenden erklären. Man sagte mir, dass die Knaben sich stets auf eine solche Art unterhielten, die früher noch nie in Nazareth gesehen ward; aber niemand versteht es, was so eine fremdartige Unterhaltung besagt.

[11.29] Das wäre nun aber auch schon alles, was ich persönlich von jenem Knaben aus eigener Erfahrung weiß. Nun aber habe ich mir von jenem Knaben wohl gar außerordentliche Dinge erzählen lassen, die an das Allerunglaublichste stoßen! Alles das wiederzuerzählen, würde man eine Zeit von wenigstens zehn Tagen vonnöten haben, daher sage ich nur im Allgemeinen:

[11.30] Es gehorchen diesem oder besser jenem Wunderknaben buchstäblich alle Elemente, ja sogar Sonne, Mond und all die Sterne seien seinem Willen augenscheinlich untertan, da er etwa bloß zu wollen brauche, und die Sonne und der Mond geben kein Licht! Und sage er dann ernstvoll zur Sonne oder zum Mond: ‚Leuchte fortan!‘ so ist das Licht gleich wieder gegenwärtig.

[11.31] Von der Geburt an Blinde macht er bloß durch ein Wort so hell sehend, als wie hell sehend da ist eine Katze, die auch in der finstersten Nacht ihren Raub gar wohl erschaut.

[11.32] Einem Knaben aus der Mitte seiner Gespielen, der voll Mutwillens auf ein Dachgerüst stieg, herabfiel und ganz zerschmettert tot blieb, habe er im Angesicht vieler Zuschauer bloß durch sein Wort das Leben also wiedergegeben, dass der wiederbelebte und von allen Wunden geheilte Knabe so ganz kerngesund und munter dastand, als so ihm nie etwas Übles begegnet wäre. Wohl aber habe darauf der Wunderknabe dem vom Tode erweckten Knaben dahin eine ganz ernste Mahnung gegeben, künftighin nicht mehr so mutwillig und unfolgsam zu sein, ansonst er ihm nicht mehr helfen würde.

[11.33] Man spricht überhaupt von Wundern der Sittlichkeit und der weisesten Redekraft von Seite des Wunderknaben. Nur eines klingt etwas sonderbar: Er, der Wunderknabe nämlich, bitte nie jemanden um irgendetwas, und so ihm jemand etwas gegeben, so danke er auch niemals dafür! Er ist stets voll Ernstes, man sieht ihn oft beten, auch weinen im Stillen, aber lachen niemals.

[11.34] Das ist nun so in aller Kürze all das Denkwürdige, was ich von jenem Wunderknaben in meine Erfahrung gebracht habe. Ein Mehreres ist mir nicht bekannt. Wie und mit welchen Mitteln aber jener Knabe solche Wunderdinge zustande bringt, das zu beurteilen steht zu hoch über dem Horizont meines Wissens und meiner zu beschränkten Weisheit – das mögt nun ihr ältesten und weisesten Vorsteher des Tempels tun, und ich habe geredet.“

[11.35] Sagte darauf der Hochpriester: „Mit welch anderer Macht wohl als mit der des leibhaftigen Beelzebub?! Denn Gott wirkt niemals derart Wunder durch Kinder und lose Knaben, sondern höchst selten nur durch fromme, Ihm ganz ergebene und an Jahren reif gewordene Männer, wie wir da sind! So aber zu Nazareth ein zwölfjähriger Knabe solche Dinge verrichtet, so liegt es ja klar am Tage, dass so was nur durch die Hilfe des Beelzebub geschehen kann! Das ist meine Meinung, wer irgendeine andere und bessere geben kann, der stehe auf und rede!“

[11.36] Es erhob sich ein Ältester und sagte: „Meiner Ansicht nach räumst du dem Beelzebub denn doch etwas zu viel Macht ein! Streng unter uns gesagt, ist der Beelzebub ja ohnehin nur eine allegorische Persönlichkeit, unter der man sich den Totalbegriff alles Bösen und Schlechten, das bloß in der Verkehrtheit des Menschenwillens liegt, vorstellt.

[11.37] Dass dann durch ein volles Zusammenwirken einer allen guten Gesetzen hohnsprechenden Gesellschaft von vielen Menschen unter sich ein sogenannter Beelzebub erzeugt wird, der fürder nichts mehr Gutes in ihr aufkommen lässt, das ist eine schon seit lange her ausgemachte Sache! Denn ein solcher böser Geist gleicht einem moralischen Pesthauch und vergiftet fortwährend die Herzen der in solcher Gesellschaft bestehenden Menschen, dass sie aus sich und durch sich nimmer besser werden können.

[11.38] Aber daran schuldet abermals nicht ein gewisser geistig-persönlicher böser Geist Beelzebub, sondern die gänzlich verkehrte und somit schlechte Erziehung der Kinder von der Wiege an. Dergleichen Menschen bekommen keinen Begriff von einem allmächtigen und allweisesten Gott, auch in allen anderen Kenntnissen und Wissenschaften stehen sie den zivilisierten Völkern himmelweit nach und können darum auch bald und leicht besiegt werden von denselben.

[11.39] Wenn wir nun aber die außerordentliche Bildung unseres in der Rede stehenden Knaben betrachten, dessen überaus fromme und tiefgebildete Eltern uns nur zu gut bekannt sind, und beherzigen seinen überaus großen Wohltätigkeitssinn, so kann es wenigstens mir nicht einmal in einem allerschlechtesten Traum unmöglich beifallen, zu behaupten, ein solcher Knabe stehe im vollsten Machtverband mit dem Obersten aller Teufel, die nimmer imstande seien, auch nur einen kleinsten Lichtgedanken in sich aufkommen zu lassen!

[11.40] Oder kann durch das absolut Böse nach unserer Anschauungsweise je auch nur ein anscheinend guter Zweck erreicht werden? Mir wenigstens ist so was bis jetzt noch ganz fremd geblieben! Oder weiß es jemand aus euch etwa, dass irgend ganz grundschlechte Menschen je eine gute und lobenswerte Handlung begangen haben? Oder lässt sich mit den schlechtesten und verworfensten Mitteln je etwas erweislich wahrhaft Gutes erreichen?!

[11.41] So aber unser Wunderknabe mit seiner Willenskraft, die für uns freilich etwas Unbegreifliches ist, lauter allerbeste und großartigst edle Handlungen von nachhaltig besten Folgen verübt, wie möglich kann er sich dabei des allergrundschlechtesten Mittels bedienen?! Darüber bitte ich mir von euch eine haltbare Erklärung aus!“

[11.42] Mehrere von den Ältesten und Schriftgelehrten stimmten mit dem Redner überein – nur der Oberpriester und sein eben nicht sehr zahlreicher Anhang nicht. Und der Oberpriester erhob sich und sagte zum Verteidiger des Wunderknaben:

[11.43] „Sieh, ich merkte aus deiner Rede, dass du des Beelzebubs Persönlichkeit leugnest mit sinniger Rede und ebenso die Persönlichkeit der ihm unterstehenden Teufel. So du mit deiner Rede das Recht behaupten sollst, da erkläre es mir denn auch in deiner Weise, wer auf dem Berg Horeb gestritten hat um den Leib Mosis mit dem Erzengel Michael durch drei Tage und dazu noch den Sieg behauptete!

[11.44] Wer war jene Lichtgestalt, die sich vor den Gottesthron wagen durfte, um sich die Zulassung zu erbitten, um dem Vater Hiob auf den Zahn fühlen zu dürfen? Wer war denn die Schlange Evas? Wer der böse Geist Sauls, den der Knabe David mit dem Saitenklang seiner Harfe verscheuchte? Ferner gibt es noch eine Menge Datas in der Schrift, besonders im Daniel, der zu öfteren Malen des großen Drachen und der großen Hure Babels erwähnt. Wie wirst du eigentlicher Weltweiser das alles in deiner Weise aufklären?“

[11.45] Sagte der frühere, weise Älteste und Schriftgelehrte: „Dies wäre mir eine gar leichte Arbeit, so dein Verstand den das zu begreifen erforderlichen Bildungsgrad besäße, aber deine gänzliche Verstandesnacht fasst solche Lichtdinge nicht. Und so würde ich nur einem Tauben und Blinden eine vergebliche Predigt halten, die keine Wirkung hätte – und so lasse ich das bleiben.

[11.46] Die mich verstehen wollten und konnten, die haben mich schon ehedem verstanden. Einem harten Willen aber eine Predigt halten, heißt einen Stein darum ins Wasser legen, damit er weich werde. Hast du denn nie die große Kabbala gelesen, die da ist ein Werk eines großen Geistes? Darin geschieht eine gedehnte Erklärung von den Entsprechungen zwischen den Sprach- und Schriftbildern und der Wirklichkeit, die sie darstellen!“

[11.47] Sagte der Oberpriester: „Die kleine wohl, aber die große nicht.“

[11.48] Sagte der Redner: „Dann kann ich unmöglich reden mit dir, denn die kleine hat einen anderen Autor und ist nicht wert, ein schlechtester Auszug von der alten, großen genannt zu werden!

[11.49] Vor Gott gibt es keinen Satan und keinen Teufel und somit auch nirgend etwas absolut Böses, denn Ihm müssen alle Mächte und Kräfte gehorchen, und keine kann über ihren Kreis hinaus wirken.

[11.50] Ist das Feuer nicht ein Kraftelement, das des Bösen und Zerstörenden in höchster Fülle in sich fasst? Ist es darum ein Produkt des Satans, so es ganze Städte zerstört und in tote Asche verwandelt, so es entweder durch den bösen Willen, sage, der Menschen oder durch ihre immerhin sträfliche Fahrlässigkeit entfesselt wird?

[11.51] Oder steckt darum etwa der Satan im Wasser, das auch Menschen und Tiere tötet, so sie in dasselbe fallen? Oder steckt der Satan etwa in einem Stein, oder in der Höhe der Gebirge, oder in den giftigen Tieren und Pflanzen, oder kurz in allem, was uns Menschen den Tod bringen kann bei einem unsinnigen Gebrauch? Sieh, alles auf der Erde oder in der Erde kann sein voll Segen, aber auch gleichzeitig voll Fluch, je nachdem es ein Mensch entweder weise oder dumm gebraucht.

[11.52] Was war denn der berühmte Kampf des Satans mit dem Erzengel Michael um den Leib Mosis?

[11.53] Der fromme Teil der Juden, die Moses wie einen Gott verehrten, gedachte, dass Moses auch dem Fleische nach nicht sterben werde, da es hieße: ‚Die die Gesetze Gottes streng beobachten, die werden nicht sterben, sondern gleichfort ewig leben, und ihr Fleisch werden die Würmer nicht zernagen!‘ Moses aber ward am Ende dennoch schwach und starb wie ein jeder andere Mensch.

[11.54] Da waren unter den Juden ein Weiser und ein Arzt.

[11.55] Der Weise sagte: ‚Man trage den Leichnam auf die Spitze eines hohen Berges, allwo die reinsten Lebenslüfte wehen, und Moses wird wieder lebendig und führen sein Volk ins verheißene Gelobte Land!‘

[11.56] Der einsichtsvollere Arzt aber sagte: ‚Kein Leib, der einmal vollends entseelt ist, wird je wieder lebendig!‘

[11.57] Der Weise sagte: ‚So Moses auf der Bergesspitze in drei Tagen nicht wieder völlig lebendig wird, sondern tot bleibt, dann hast du über mich und meinen Glauben gesiegt, und ich bin dein Sklave mein Leben lang!‘

[11.58] Der Arzt aber sagte: ‚Dass ich siegen werde, das weiß ich zum Voraus. Darum brauchst du mir aber keinen Sklaven abzugeben, sondern ich werde bleiben, was ich bin, und du, was du bist, und einsehen, dass der Fürst oder die Macht des Todes sein Opfer behält und nimmer auslässt.‘

[11.59] Und es ward der Leib Mosis mit großer Feierlichkeit wohin gebracht. Viele Tausende der vornehmsten Israeliten begleiteten den Leichnam. Und als die Spitze des Berges mit vieler Mühe erreicht war, so ward Moses den freien Lebenslüften ausgestellt, und es wurden an ihm durch drei Tage alle denkbaren geistigen und materiellen Wiederbelebungsversuche gemacht, aber alles vergebens: Des großen Propheten Auge öffnete sich nicht mehr für das Licht dieser Welt.

[11.60] Da sprach am vierten Tag der Weise ganz entrüstet vor dem Volk: ‚Siehe, du Volk Gottes, des Satans Macht! Drei Tage lang kämpfte Michael (Macht der Himmel) mit dem Satan (Macht des Todes) um den Leib des Propheten und Satan besiegte ihn; aber dafür sprach Michael: ‚Gott wird dich darum richten‘!‘

[11.61] Das war eine Rede vor dem Volk, figürlich zwar, aber doch notwendig und in ihrem eigentlichen Grunde doch auch sehr wahr.

[11.62] Als der Arzt dann unter sicher nur vier Augen mit dem Weisen sprach und ihn daran erinnerte, wie er doch recht hatte, da sagte freilich der Weise:

[11.63] ‚Leider hast du recht. Aber es ist doch immerhin traurig für uns Menschen, dass Jehova auch bei Seinem größten Propheten keine Ausnahme macht und ihn am Ende ebenso wie jedes noch so gemeine Tier erwürgt und tötet! Moses hätte Er wohlbehalten können und zeigen dem Volk, dass Satan über seinen durch und durch Geheiligten keine Macht mehr habe.‘

[11.64] Der Arzt aber sagte: ‚Du rechtest nicht gerecht mit Jehova! Siehe, Er hat allem Fleische seinen Weg und dem Geiste den seinen vorgezeichnet; der Weg des Fleisches aber muss vollends gerichtet sein, damit der Weg des Geistes ein freier bleibe für ewig.‘

[11.65] Als die beiden noch also miteinander Worte wechselten, da trat auf einmal zwischen sie Moses Geist und sagte: ‚Der Friede mit euch! Gottes Ordnung ist unwandelbar, und alles, was Er tut, ist gut! So der Leib auch stirbt, da stirbt dennoch nicht auch der Geist. Haltet die Gesetze, und rechtet nicht um meinen Leib, denn ich, Moses, lebe ewig fort, so auch tausend Male gestorben wäre der Leib, den ich trug!‘

[11.66] Darauf verschwand der Geist, und die beiden waren ausgeglichen.

[11.67] Nun, mein lieber Bruder in Abraham, Isaak und Jakob, was sagst du dazu? Wo ist deine Persönlichkeit des Satans? Denn was ich dir nun sagte, ist die nackte geschichtliche Wahrheit, und die im Buch geschriebene ist nur ein Bild, gegeben wie alle dergleichen Nachrichten in dichterischen Versen, die man doch allein nur durch die Wissenschaft der Entsprechungen in der Natürlichkeit verstehen kann. Was sagst du nun dazu als selbst ein Schriftgelehrter?“

[11.68] Sagte der Oberpriester: „Ja, ja, die Sache hat viel für sich und lässt sich gut hören, aber sie beruht nun dennoch auf dem Glauben und lässt über diesen hinaus keinen erweisenden Grund zu. Aber es mag an dieser Sache immerhin etwas sein, denn so es einmal pur auf dem Glauben beruht, da ist es am Ende schon bald einerlei, ob ich dieses oder jenes glaube – und es ist etwas Natürliches immer leichter zu glauben als etwas Übernatürliches. Lassen wir demnach von dieser Sache ab. Die Nacht ist vorüber, und man wird uns in der Sprechhalle schon erwarten.“

[11.69] Sagte der junge Halbpharisäer: „Bin wahrlich sehr neugierig darauf, was die Sache heute für eine Wendung nehmen wird! Aber nur um das möchte ich um unseres Heiles willen wohl gebeten haben, dass mein Rat als ganz klug wegen der Römer in eine kleine Erwägung gezogen werden möchte; denn es liegt ja doch wahrlich gar nicht so sehr irgendetwas Besonderes daran, ob wir unter uns und zwischen den vier Wänden das halbwegs wenigstens scheinbar annehmen, was der Knabe so ganz eigentlich haben will, da wir uns sonst die Römer zu sicher noch größeren Feinden machen würden, als sie es ohnehin schon sind.“

[11.70] Sagte der Oberpriester: „Sei unbesorgt, mein Sohn! Was sich nur immer tun lässt, das wird nicht unterlassen werden, denn heute kennen wir unseren Standpunkt offenbar besser, als wir ihn gestern gekannt haben.“

[11.71] Nach diesen Worten kam schon ein Tempeldiener und meldete – wie gewöhnlich in der allertiefsten Ehrfurcht –, dass der römische Kommissarius mit dem Knaben, der Simon von Bethania und noch etliche Herren mit ihm in der Halle seien.

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