[10.1] Der Hochpriester machte über diese Vorlesung ein ganz ärgerliches Gesicht.
[10.2] Ich aber sagte: „Nun, du gar so hoch Gottesgelehrter, Oberster des Tempels, ist dadurch von Mir nicht alleraugenfälligst der Beweis geliefert, dass, wenn das von Mir dir ehedem Gesagte ein Unsinn ist – das er aber nicht ist –, eben ihr selbst die Schöpfer und Verbreiter des Unsinns seid? So Ich aber dadurch eine Unwahrheit geredet habe, kannst du Mir sogleich eine Maulschelle für Meine Keckheit verabfolgen! Aber du wirst das nun schwerlich tun, dieweil du das, was in eurem Volkskatechismus geschrieben steht, nun unmöglich mehr als einen Unsinn erklären kannst! Aber nun möchte Ich von dir den Grund vernehmen, warum du das ehedem getan hast! Ich habe geredet, rede nun du!“
[10.3] Der Hochpriester machte nun eine lächerliche Miene und war um eine Antwort sichtbar im hohen Grad verlegen.
[10.4] Es erhob sich aber gleich ein anderer Schriftgelehrter und sagte: „Seine hochzuverehrende Herrlichkeit haben dich dadurch nur auf eine recht heiße Probe gestellt und wollten daraus ersehen, ob du wohl im Volkskatechismus fest bewandert bist, dieweil du selbst solchen zugunsten deiner Sache angezogen hast. Lasse nun das, und reden wir beide lieber von ganz was anderem! Denn es kommt bei diesem Hin- und Herstreit ja am Ende doch nichts heraus.“
[10.5] Sagte Ich: „Siehe du da, wie gescheit du sein möchtest, wenn du es sein könntest!? Du möchtest dem Hochpriester nun gerne aus der Kloake helfen, in die er sich selbst bis über die Ohren und Augen gestürzt hatte; aber es geht das nun wohl nicht mehr!
[10.6] Ich weiß es wohl, dass er Mir nun den Grund nicht sagen wird, warum er das bei Mir einen Unsinn nannte, das er als Hochpriester wohl am ersten hätte wissen sollen, dass das im Volkskatechismus vor jedermanns Augen geschrieben steht; aber weil er eben darum nicht gewusst hat, so nannte er das einen Unsinn – und doch ist er ein Hochpriester, ein Schriftgelehrter und Ältester zugleich!
[10.7] Das Denkwürdige an der Sache ist dabei nur das, wie man in dieser Zeit ein Hochpriester werden und sein kann und wie sich vom Geiste Gottes erfüllt dünken, da man das Wort Gottes nicht einmal äußerlich kennt!? Ist es nicht also Gebot und Sitte, dass ein jeglicher Hochpriester, der am Stuhl Mosis und Aarons sitzt, der Schrift in allen ihren Teilen vollkommenst kundig sein soll und jedem, der irgend in etwas einen Zweifel hat, einen vollrechten Bescheid gebe?!
[10.8] Welchen Bescheid aber kann der jemandem geben, der nicht einmal die sehr kurz gefasste Textierung des Volkskatechismus kennt und somit zum Gelächter und gerechten Ärger eines wahren und eifrigen Juden aus eigener Unkunde das Unsinn nennt, was doch ein jeder Judenknabe aus dem Volkskatechismus wissen muss, ansonst ihn ein ehrlicher Meister in irgendeine Handwerkslehre nicht aufnimmt!“
[10.9] Da ermahnte Mich ein anderer Ältester, dass ich wohl bedenken solle, wer und was ein Hochpriester sei.
[10.10] Ich aber sagte: „So Ich die volle Wahrheit rede, kann Ich dadurch je einen wahren Menschen beleidigen?! Sagt es selbst, ob das, was Ich hier rede, nicht in der Schrift von Moses aus geschrieben steht, und ob sich nicht die Sache so verhält, wie die Sache selbst klar zeigt!
[10.11] Leider werden hochgeborene Menschen nun nicht mehr nach ihrem geistigen Vermögen, sondern nur nach ihren weltlichen Reichtümern zu den höchsten Ämtern befördert, wo sie dann gewöhnlich geistig noch ärmer, aber dafür materiell desto reicher werden! Aber sagt es selbst, ob es so vor Gott auch gerecht ist?!
[10.12] Ja, da kann man dann, gar leicht begreiflich, über die Ankunft des verheißenen Messias freilich wohl schwer eine Auskunft erhalten, so diejenigen, die davon doch füglichermaßen zunächst und zuerst etwas wissen sollen, in der Schrift so unbewandert sind als wie die Menschen, die vom Dasein einer Schrift aus dem Geiste Gottes durch Moses und andere Propheten gar keine Kenntnis besitzen, aber dabei doch ganz entsetzlich hoch und breit auf dem Stuhl Mosis und der Propheten sitzen!
[10.13] Sie selbst wissen von Gott und dessen Wort wenig oder nichts und noch weniger von dem lebendigen Wort Jehovas im Menschen, durch das sie selbst zu einem Gott werden sollen nach ihren eigenen und ausgemachten Volksunterrichtsgrundsätzen! Was sagst denn du, römischer Richter, als ein Heide zu solchen Dingen und Verhältnissen?“
[10.14] Sagte der Richter: „Da kann ich dir in allem nur recht geben! Denn hier zwischen den Mauern und in diesem abgeschlossenen Saal kannst du reden, wie dir die Zunge gewachsen ist, nur öffentlich vor dem Volk wäre so was unschicksam und sogar schlimm – was du aber auch nicht tun wirst, da du ein viel zu vernünftiger Junge bist und die für diese Zeit schlimmen Folgen daraus selbst gar wohl berechnen kannst. Nun aber gehen wir zum Nachtmahl! Du und Simon seid heute und morgen meine Gäste!“ Darauf hob der Richter die Sitzung auf und bestellte sie am nächsten Tag wieder.
[10.15] In des Tempels nächster Nähe aber war eine große Herberge, da nahmen wir ein gutes Nachtmahl und begaben uns dann schnell zur Ruhe.
[10.16] Diese Herberge gehörte aber auch zum Tempel und ward von den Tempeldienern bedient. Wer von den Reisenden in dieser Herberge blieb, dem ward es also angerechnet, als wäre er unmittelbar im Tempel selbst geblieben. Man konnte zwar im Tempel auch verbleiben, musste aber doppelt so viel zahlen und bekam nichts als Brot und Wasser zum Genuss. Wenn es demnach heißt, dass Ich drei Tage lang im Tempel verblieb, da muss auch diese Tempelherberge dazugerechnet werden.
[10.17] Uns dreien ging es in der Herberge ganz gut; jeder konnte ganz süß und ruhig schlafen.
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