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8. Die Schiffs-Pflanze

[8.1] Da wir uns schon mit den Pflanzen dieses Landes unterhalten und betrachtet haben dessen mannigfaltige Baum- und Strauchgattungen, so wird es, bevor wir zu den Flüssen und Seen dieses Landes übergehen, nötig sein, noch eine Uferpflanze kennenzulernen, welche allenthalben an den Ufern der Flüsse und Seen, wie bei euch ungefähr das Schilfrohr und andere Wasserpflanzungen, häufig vorkommt. Es ist das die sogenannte Schiff-Moos-Pflanze, Chaiaba genannt.

[8.2] Diese Pflanze gehört alldort zu dem Geschlecht der Windgewächse und gehört somit auch zum Geschlecht der Kürbisse – nur mit dem Unterschied, dass, so oft sein fortlaufender Stiel über die Erdoberfläche irgendeinen gliederartigen Abschnitt bildet, sich an einer solchen Stelle eine Menge weißlicher Wurzeln in die Erde schieben und somit neue Säfte und Kräfte derselben entsaugen, um auf diese Weise desto lebendigkräftiger sich auch desto weiter und weiter nach allen Richtungen, besonders längs der Ufer über der Erde dieses Planeten auszubreiten.

[8.3] Wie sieht dieses Gewächs denn aus und was bringt es für Früchte und wozu werden dieselben verwendet? Dieses Gewächs macht, da es zuerst aus der Erde zum Vorschein kommt, einen hochmächtigen Aufschuss, fast in der Art wie euer Schilfrohr, welches ihr zum Bau eurer gemauerten Häuser und namentlich für die sogenannte Stuckatur verwendet. Der Stamm wird alldort nicht selten fünfzehn bis zwanzig Klafter hoch, wächst ohne irgendein Blatt gleich einer grüngoldenen Stange in die Höhe. Nur am Ende hat es anfänglich einen blauen Knopf, welcher nach und nach in eine eigentümliche Art Blüte aufbricht, welche genau das Aussehen hat, als wenn ihr auf einem runden Obelisken in einem Kreis zehn Kriegsfahnen ausstecken möchtet.

[8.4] Diese Fahnen rollen sich von zwei Klafter langen, weißlichgelben, geraden Stielen auseinander und hängen dann in der Mitte der Vollbreite vier bis fünf Klafter von denselben flatternd herab. Diese Blüte, von diesem langen Stiel ausgehend, ist so beschaffen, dass sie gewisserart an und für sich schon die eine Gattung Frucht dieser Pflanze ausmacht, welche darum auch nicht leichtlich mehr verwelkt, sondern jahrelang solid und beständig verbleibt.

[8.5] Die Stange selbst oder eigentlich vielmehr der Stamm, der an der Erde nicht selten einen Durchmesser von ein, zwei bis drei Ellen hat, ist inwendig durchaus hohl, aber dessen ungeachtet von einer metallischen Festigkeit. Wenn diese Stange einmal zur halben Reife gediegen ist, alsdann schießen sobald an der Wurzel Auswüchse hervor, die sich dann behende und üppig an der Erde fortzuschlängeln anfangen, und zwar ebenfalls auch in einem nur etwas blässeren Goldgrün. Aus dem fortschlängelnden runden Stamm schießen an jeder Gliederung an hohen Stielen große und breite Blätter hervor. Der Stiel dieser Blätter ist grünlichblau, rund und hohl, in einer Länge von nicht selten ein, zwei bis drei Klaftern. Das Blatt ist ein stumpf eiförmiges, und hat der Länge nach eine Ausdehnung von fünf und der Breite nach von drei Klaftern. Seine Farbe ist so rot wie eure schönsten Rosen; nur der Rand des Blattes ist bei zwei Ellen breit so farbig gebrämt, als wie bei euch ein schöner, heller Regenbogen aussieht. Die Oberfläche dieses Blattes glänzt so wie spiegelblank poliertes Gold, und vorzugsweise erglänzen in majestätischer Pracht dessen Ränder. Die untere Seite oder die Unterfläche ist ganz dunkelblau und durchaus behängt von einer Spannen langen wie die schönste Seide aussehenden Härchen, welche allesamt in der Farbe eurem allerreinsten Indigo gleichen, nur sind sie etwas heller als diese Farbe bei euch. Der Stiel dieses Blattes sieht ebenfalls grüngolden aus, d. i. also, als wenn ihr poliertes Gold mit einer dünnen grünen Farbe überziehen möchtet – und ist ganz glatt und hat an dem Stamm nicht selten einen Durchmesser von ein bis zwei Ellen. Da er aber aus dem Stamm hervorragt, umgibt ihn eine Art Spitzenkrone, ungefähr auf die Art, wie ihr bei euch eine sogenannte eiserne Krone formt; nur sind dieser auslaufenden Spitzen mehrere und alle von vollkommener Runde und von blendend weißer Farbe. Ungefähr beim dritten Absatz bricht dann auf einem langen und starken Stiel eine merkwürdige Blüte hervor. Diese Blüte gleicht ganz vollkommen einer großen Turmglocke bei euch, die da hätte am breiten Rand einen Durchmesser von vier bis fünf Klaftern und zuunterst, das ist an dem dünneren, geschlossenen Teil, etwa von ein bis eineinhalb Klaftern.

[8.6] Diese Blume wächst so vollkommen rund in allen ihren Teilen, als wenn sie der beste Drechsler gedrechselt hätte. Nur darinnen unterscheidet sie sich von einer Glocke, dass ihr breiter Rand nach aufwärts von regelmäßig aneinandergereihten ellenlangen Spitzen kammartig besetzt ist. Die Blüte ist von hochgelber Farbe, die Spitzen aber sind hellrot.

[8.7] Aus der Mitte dieses Glockenkelches läuft eine blendendweiße Säule, zweimal so hoch wie die Glockenblume samt den Spitzen, über den Rand heraus. Diese Säule ist der männliche Staubfaden, und die Spitzen an dem Rand sind eigentlich die weiblichen Fäden an dieser Blume. Wenn der männliche Staubfaden seine vollkommene Ausbildung erreicht hat, alsdann fängt er an, leuchtende Sternchen auszustreuen, welche dann von diesen Randspitzen gleich elektrischen Funken angezogen werden. Und dieser Akt ist die eigentliche Befruchtung dieses Gewächses.

[8.8] Wenn nun die Befruchtung hinreichend vor sich gegangen ist, alsdann welkt diese massive Blume und fällt ohne Veränderung der Form von dem Blütenstiel herab und wird da auch häufig gesammelt; denn da sie eine elastische Polsterweiche besitzt, so wird sie zu allerlei Sitz- und Lieggerätschaften benützt. Die Spitzen aber werden ihr abgelöst und ihrer Festigkeit wegen als Nägel benützt.

[8.9] Was kommt denn da wohl für eine Frucht zum Vorschein? Ich sage euch, die merkwürdigste von der Welt. Denn so albern es euch auch immer dünken möchte, so ist es aber dessen ungeachtet doch so, dass die Pflanze am Ende ein förmliches Schiff zum Vorschein bringt. Doch nicht so müsst ihr es denken wie etwa eure Schiffe, welche untergehen können mit Mann und Ware, was bei diesen gewachsenen Schiffen eine ganz reine Unmöglichkeit ist, und [was] ihr bald ersehen werdet, so euch die Beschaffenheit der Frucht näher dargetan wird. Also ersichtlich kommt die Frucht zum Vorschein: Nach dem Abfall der Blüte, welche so wie bei euren Kürbissen eigentlich schon über der ersichtlichen Frucht zu stehen kommt, fängt sich an die Frucht sehr schnell und großartig zu entwickeln, und zwar so, als wenn ihr ein großes Ei euch aus feinerem Blech machen ließet und es dann von obenher eindrückt, nicht aber etwa einen Pol in den anderen, sondern einen Gürtel in den anderen – jedoch so, dass die eingedrückte Wand die untere nicht berührt, sondern zwischen beiden noch ein verhältnismäßig leerer Raum bleibt.

[8.10] Nun übertragt diese Form auf unsere Frucht, welche eben auch in dieser eingedrückten Eiform fortwächst und erreicht bei voller Reife nicht selten eine Länge von dreißig bis vierzig Klaftern und eine Breite von fünfzehn bis zwanzig Klaftern. Der Raum zwischen der eingedrückten oberen und unteren Wand beträgt gewöhnlich ein, zwei bis zweieinhalb Klafter. Wenn die Frucht vollkommen reif geworden ist, haben diese Wände jede für sich einen Dichtigkeitsdurchmesser von zwei bis drei Ellen und eine mehr denn metallische Festigkeit, und in der Reife lösen sie sich dann selbst vom Stiel los, in welchem der eigentliche Same dieser Frucht kreisförmig steckt. In der Frucht selbst ist gar nichts darinnen als eine sehr feine Luftgattung, darum eine solche große Frucht auch so leicht zu heben ist, dass dieselbe ein Kind mit geringer Mühe von der Stelle zu schaffen vermag. Der Rand dieser Frucht ist mit einem eigens gearbeiteten Gesimse umgeben, welches sich nicht selten bis zwei Klafter über die eigentliche Frucht hinaustreibt, und hat ungefähr das Aussehen wie bei euch die Flossen eines Fisches; nur ist es auf allen Seiten gleich strahlenförmig und elastisch fest, so dass da niemand leichtlich vermag vom selben etwas abzubrechen.

[8.11] Nun seht, die Frucht, wie sie ist, wird dann alsbald ins Wasser gesetzt und als nicht leicht zerstörbares Schiff verwendet. Damit sie, die Saturnusbewohner nämlich, dieses Schiff aber nach Belieben auf der Oberfläche der Wässer nach allen Richtungen lenken können, so benützen sie dazu die schon vorerwähnte lange Mittelstange, vermöge welcher sie das Schiff so lenken wie ungefähr ihr eure Flusskähne. Nur hat diese Stange diesen Vorteil, dass sie fürs Erste sehr leicht ist, und fürs Zweite, weil sie hohl ist, so ist es auch gar nicht nötig, mit derselben auf den Boden zu stoßen, sondern das Wasser wird selbst zum gegenwirkenden Grund, denn der kubische Wasserinhalt wird bald schwerer als der hohle Raum der Stange. Und so widersteht das Wasser selbst dem Stoß mit einer solchen hohlen Stange, von welcher früher freilich wohl die schon erwähnten Fähnlein abgesägt werden, welche Fähnlein dann die Bewohner auf eine zierliche Weise um den Rand dieser Naturschiffe anzubringen wissen.

[8.12] Eine andere Art der Fortbewegung besteht aber darinnen: Sie nehmen nämlich die schon früher erwähnten schönen Blätter dieser Pflanze und bilden daraus Segel, bei welcher Gelegenheit sie nichts anderes zu tun haben, als dass sie ein solches Blatt samt dem Stiel und der unten befindlichen Spitzkrone absägen und es mit einem klebrigen Saft einer anderen Pflanze so fest ankleben, dass dasselbe selbst ein Orkan eures Planeten nicht abzubrechen imstande wäre. Seht, auf diese Weise ist nun das Schiff fertig, welches fürs Erste imstande ist, zehn bis zwanzig Saturnusmenschen im höchsten Notfall zu tragen.

[8.13] Allein die Saturnusmenschen verbinden dann künstlichermaßen auch mehrere solche Schiffe miteinander und machen dann ein großes, zusammengesetztes Schiff daraus, gegen das eure Linienschiffe eine reine Kinderspielerei wären; denn auf breiteren Strömen, Seen und Meeren werden nicht selten tausende von solchen Schiffen miteinander verbunden. Über diesen Schiffen werden dann erst leichte, wahrhaft wunderbar schöne Gebäude aufgeführt, so dass dann ein solches schwimmendes Schiff eher einer bedeutenden Stadt gleichsieht als einem eigentlichen Schiff selbst.

[8.14] Nun habt ihr alles von dieser merkwürdigen Frucht. Erweckt auch hier ein wenig eure Phantasie und ihr werdet dabei sicher auf das Angenehmste überrascht werden. Das Einzige ist noch beizusetzen, nämlich die Farbe dieser Frucht. Diese allein ist das Unnachahmlichste, denn sie sieht so geschuppt aus wie die Haut eines Hechtfisches und ist auch von gleicher Farbe. Und somit für heute Amen.

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