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6. Kräuter und Nutzpflanzen des Saturnus

[6.1] Was also von den Gesträuchen bemerkenswert war, haben wir hauptsächlich schon vernommen, und wollen daher jetzt uns zu den Kräutern und Pflanzen dieses Landes wenden.

[6.2] Dieses Land gehört zu den gebirgigsten Ländern dieses Planeten, und somit hat es auch die größte Anzahl von den nützlichsten und heilsamsten Pflanzen und Kräuter aller erdenklichen Arten.

[6.3] Dergleichen Pflanzen, wie zum Beispiel eure Feldfrüchte, als Korn, Weizen, Gerste usw. sind, wachsen allhier nicht; aber dafür gibt es eine andere und viel edlere Getreidegattung, die beinahe so aussieht als wie bei euch das Maiskorn, nur mit dem Unterschied, dass die Pflanze ums Zwanzig- bis Dreißigfache höher wächst als bei euch; und sind deren Blätter auch oft bei zwei bis dreieinhalb Klafter lang und gut bei zwei bis dreieinhalb Ellen breit, haben eine vollkommen himmelblaue Farbe, an den Rändern eine Spanne weit mit hellem Karminrot verbrämt, und sieht die Mittelzeile, die ebenfalls eine Spanne und so bis gegen die Spitze auf einen Zoll abnehmend breit ist, grünlich golden aus. Der Stängel, welcher unterhalb so dick wird wie bei euch oft eine ausgewachsene Eiche, sieht zuunterst aus als wie dunkel mattpoliertes Gold, und je höher hinauf, desto heller wird auch seine Farbe. Die Blütenkrone, welche nicht selten Äste von ein bis eineinhalb Klafter Ausbreitung hat, sieht gerade so aus wie bei euch ein Lüster aus dem schönsten brillant-geschliffenen Kristallglas, und das darum, weil alldort alles im vergrößerten Maßstab vorkommt. So ihr aber bei euch eine Maisblüte durch ein gutes Mikroskop beschauen möchtet, dürftet ihr beinahe dasselbe Brillantspiel des sonst weißlich aussehenden Blütenstaubs bemerken.

[6.4] Was aber die Frucht dieser Pflanze betrifft, so gleicht sie zwar wohl der Form im vergrößerten Maßstab der eurigen, aber nicht also dem Gebrauch und dem Geschmack nach. Denn alldort gibt diese Frucht den allerwohlschmeckendsten Leckerbissen und gleicht in dieser Hinsicht mehr eurer sogenannten Ananas; nur mit dem Unterschied, dass dort die einzelnen Körner sich gar wohl auslösen lassen, wenn die Frucht zur Reife gekommen ist, und dann auch sogleich genossen werden können, und sind nicht mehlig, sondern saftig als wie bei euch eine Weinbeere. Eine von diesen Beeren hat, nach eurem Gewicht berechnet, nicht selten zwei bis drei Pfund Schwere. Wenn auf einem solchen sogenannten Stritzel [Kolben] dann oft zu drei-, vier- bis fünfhundert solche Beeren sitzen und eine einzige Staude aber oft alldort zwanzig bis dreißig solche Stritzel zum Vorschein bringt, so könnt ihr euch schon einen Begriff machen, wie reichlich oft eine solche Ernte aussieht.

[6.5] Aber wohin legen denn die Bewohner solche Ernte? Ihr habt schon die guten Gefäße beim Trichterbaum kennengelernt; darin werden diese Beeren aufbehalten, ein Teil davon in Beeren selbst und ein Teil als ausgepresster Saft. Diese Frucht wächst viermal in einem Jahr, ist äußerst gesund und stärkend, und erquickt ihr Saft das Herz des Saturnusbewohners also und noch mehr als euch die Traube und ihr stärkender Saft.

[6.6] Nach Abnahme der Frucht lassen die Bewohner das Stroh auf dem Feld so lange stehen, bis es ganz dürr geworden ist; alsdann lassen sie ihre großen Zug- und Lasttiere auf den Acker, allda diese Pflanze dürr steht. Diese Tiere fressen da das Laub, und die Stängel aber lassen sie unbeschadet stehen, welche dann von den Bewohnern mit einer eigenen Säge umgesägt werden, und werden dann kreuz und quer auf dem Acker Haufen gebildet und hernach angezündet, durch welchen Akt dann der Acker auf das Allerbeste für eine fernere Fruchttragung gedüngt wird.

[6.7] Dieser Acker braucht einen feuchten Boden, wenn die Frucht gut gedeihen soll. Da es aber hier in diesem Land, wie auch fast auf diesem ganzen gemäßigten Landstrich dieses Planeten, nie oder nur höchst selten regnet oder taut und auch die Quellen auf dem Land nicht eben zu häufig vorkommen – was tun da die Einwohner und wie bewässern sie einen solchen Acker, der nach eurem Maß nicht selten eine Ausdehnung von dreißig bis vierzig Quadratmeilen hat? Seht, allda habe Ich schon wieder mit einer anderen merkwürdigen Pflanze dafür gesorgt, welche allda das mühselige Geschäft der Bewässerung gar vortrefflich besorgt, welche Pflanze denn auch fleißig mitunter angebaut wird.

[6.8] Diese Pflanze wird alldort „das rinnende Fass“ genannt und hat eine große Ähnlichkeit mit euren Feldkürbissen, nur mit dem Unterschied, dass diese Kürbisse nicht selten eine solche Größe erreichen, dass ein Saturnusmensch zu tun hat, darüber hinwegzusehen. Die Pflanze selbst wächst oft mehrere tausend Klafter weit auf der Erde klafterdick im Umfang fort und läuft von ihrer Wurzel in vielen hundert Armen nach allen möglichen Richtungen aus. Ihre Blätter sehen denen eurer Kürbisstaude völlig ähnlich, nur dass sie ums Hundertfache größer sind und ihre Farbe nicht grün, sondern ganz violettblau aussieht, und ist übersät mit lauter silberweißen Sternen. Der Stiel ist zwei bis drei Klafter lang, rund und im Durchmesser nicht selten mehrere Klafter betragend, und ist inwendig hohl; in den Wänden aber laufen viele tausend Röhrchen hinauf, welche fürs Erste das Blatt nähren mit einem süßlichen Saft und zum Teil aber auch durch die vielfachen Poren der unterblattigen Spitzen als tropfbare Flüssigkeit hinaustreten und dadurch unter sich das Erdreich wie durch einen immerwährenden leichten Regen befeuchten. Jedoch was die Hauptbewässerung dieser Pflanze betrifft, so wird sie eigentlich von der Frucht bewerkstelligt. Denn wenn diese zu ihrer halben Reife nur gekommen ist, so öffnet sie gerade in der Nachtzeit an ihrer Oberfläche befindliche Poren und über der Oberfläche eigens dazu gebildete Röhrchen, durch welche dann eine süßliche, klare Flüssigkeit wie aus einem Springbrunnen weit und breit hinausgetrieben wird, wodurch dann das Erdreich jede Nacht eine regelmäßige und hinreichende Bewässerung empfängt.

[6.9] Ihr werdet euch fragen: Aber woher nimmt denn diese Frucht dieses so reichliche Wasser? Da sage Ich euch, dass diese Frucht ein wahrer artesischer Brunnenbohrer ist; denn sie treibt ihre Wurzeln so weit und so tief hinab, bis sie zu irgendeinem unterirdischen Wasserbehälter gekommen ist. Allda saugt sie dann mit der größten Emsigkeit das ihr selbst zusagende Wasser und treibt und führt dasselbe als die bessere Wasserleitung, als wohlgeläutert nach allen möglichen Richtungen ihres äußeren, schnell fortwachsenden Gebietes.

[6.10] Hat denn aber diese Frucht bei der Bewässerung keinen anderen Gebrauchszweck als nur den der Bewässerung allein? Die Bewohner brauchen diesen Kürbis auch noch zu etwas anderem. Wenn nun die Frucht zur Vollreife gediehen ist, alsdann wird sie von ihrem Stiel abgesägt und heimgebracht; allda wird sie dann der Länge nach in der Mitte auseinandergeschnitten, Same und das Fleisch werden dann aus ihr genommen, und der Same natürlich zur ferneren Ansaat und das Fleisch zur Fütterung der dortigen Kühe, Schafe und Ziegen. Die Schale aber, welche bei einem Klafter dick ist, wird dann getrocknet, wodurch sie eine große Festigkeit bekommt. Wenn sie vollkommen getrocknet ist, so wird dann der untere Teil gewöhnlich zu einer Art Wasserfahrzeug verwendet. Der obere Teil aber, der da sehr röhrig und porös ist, wird als Wagen verwendet, und zwar auf eine höchst einfache Art.

[6.11] Es wird in der Mitte auf beiden Seiten ein Loch durchgebohrt, durch welches Loch dann dort eine wohlzubereitete, verhältnismäßig dicke und starke Räderspindel durchgesteckt wird, an deren äußeren beiden Seiten dann zwei verhältnismäßige Räder angesteckt werden. Ebenso wird noch ein zweites Loch von vorne durchgebohrt, durch welches dann eine Zugstange bis zur Spindel, daran die Räder stecken, gesteckt wird. Diese Zugstange wird dann mit einem Nagel mit der Radspindel befestigt und vorne mit einem verhältnismäßig langen und starken Querbalken versehen. Und auf diese Weise ist dann der Wagen auch schon fertig, und das umso geschwinder, wenn ihr dazu noch annehmt, dass die Räder alldort nicht durch die Kunst der Menschenhände, sondern auch durch die Kunst der Natur hervorgebracht werden, und das zwar von einer und derselben Pflanze. Denn dazu braucht es nichts mehr, als den vollkommen runden Stiel eben dieses Kürbisses so oft man will abzusägen, so hat man auch schon allzeit ein vollkommen festes und fertiges Rad in einem Durchmesser von drei bis vier, oft auch fünf bis sechs Klaftern.

[6.12] Wenn hernach an den Querbalken ein Ochse oder für eine schnellere Fahrt ein dortiger Zughund oder Zughirsch angebunden wird, so ist ein ganzes Fuhrwerk so gut wie vollkommen fertig, und können dann in einem solchen Wagen sehr bequem vier Saturnusmenschen fahren, wohin sie nur immer wollen.

[6.13] Diese Art Wagen wird allda freilich nur für leichteres Fuhrwerk gebraucht; denn auch sie haben noch viel größere und schwerere Wagen, welche sie künstlich aus dem Holz bauen und, so wie ihr die eurigen, auch sie die ihrigen fleißig mit einem sehr geschmeidigen und festen Metall beschlagen, welches eurem Eisen nicht unähnlich ist; nur ist es viel gediegener und haltbarer und rostet nicht also, wie das eurige, sondern behält immerwährend seine glänzende Oberfläche gleich dem Gold, und hat eine Farbe wie bei euch das sogenannte Platin, welches Metall ist auch bei euch ein Gemisch von gediegenem Gold und gediegenem Eisen, welche Mischung also auf dem chemischen Weg freilich wohl schwerlich je ein Chemiker zuwege bringen wird.

[6.14] Und nachdem wir jetzt diese zwei Pflanzen haben kennengelernt, so gehen wir zu einer anderen alldort überaus lustigen und zugleich auch sehr nützlichen Pflanze über.

[6.15] Diese Pflanze ist für euch so gut wie unerhört. Denn auf der Erde gibt es durchaus nichts Ähnliches. Denn das sogenannte „wandelnde Blatt“, welches im südlichen Amerika vorkommt, ist eigentlich keine Pflanze, sondern ist nur ein Tier. Die Pflanze auf diesem Planeten, die wir soeben betrachten wollen, aber ist in allem Ernst eine wandelnde, die da gleich einem Tier sich von einem Ort zu dem anderen bewegt. Die bewegende Kraft liegt in ihrer Wurzel, die da das Aussehen hat wie ungefähr ein sehr unförmig gebildeter Menschenfuß, nur dass sie natürlicherweise nicht etwa förmliche Zehen und irgendeine Ferse und so weiter zum Fuß Gehöriges besitzt; sondern das Ganze ist ein in einem rechten Winkel begonnener bei zehn Klafter langer Strunk, aus welchem nach allen Seiten eine Menge Fang- und Saugwurzeln auslaufen, welche sich fast so wie die Krempen einer Weinrebe überall anfassen, nur mit dem Unterschied, dass diese Wurzeln nur so lange auf einem Punkt der Erde alldort sich festhalten, solange sie hinreichende Nahrung finden. Haben sie auf einem Ort alle Feuchtigkeit aufgezehrt, dann entwinden sie sich wieder aus der Erde, strecken sich weiter nach vorne aus, und das so weit auf der Erde hin, bis sie wieder auf einen feuchten Ort gekommen sind. Allda bohren sie sich wieder fleißig in das Erdreich ein, umwinden die feuchten Erdschichten und andere Kräuter und Gräser und ziehen durch dieses Umwinden die ganze Pflanze nach sich – durch welche Tätigkeit der Fußwurzeln dann eine solche Pflanze im Verlauf von einem Jahr nicht selten eine Reise von mehreren Meilen nach eurer Rechnung und eurem Maß macht.

[6.16] Wie sieht denn aber eigentlich die Pflanze selbst aus? Die Pflanze selbst hat einen vier bis fünf Klafter hohen Stamm, der schon eine Klafter hoch Zweige und Äste treibt, wovon einige Zweige nach allen Richtungen hinab zur Erde langen und auf diese Art die ganze Pflanze vor dem möglichen Umfallen schützen. Diese Zweige sind gewöhnlich nackt und ohne Blätter, nur diejenigen, die dann aufwärts treiben und in mannigfaltigen Krümmungen vom Stamm auslaufen, tragen Blätter, Blüten und Früchte, welches alles so ziemlich eurer Weinpflanze ähnlich ist. Nur ist das Laub viel größer und von hellblauer Farbe, seine untere Seite mit roten Wärzchen übersät. Die Frucht aber gleicht vollkommen derjenigen Gattung eurer Trauben, die ihr mit dem Namen „die Gaisdutte“ benennt habt; nur ist ihre Farbe nicht blau, sondern so gelb wie eine Orange, aber halb durchsichtig, also wie bei euch die weißen Traubenbeeren. Der Unterschied liegt vorzüglich auch nur in der Größe, da eine Beere nicht selten nach eurem Maße eine Maß reinen Saftes und eine Traube nicht selten fünfzig bis hundert Beeren enthält, wie manche Pflanze oft zu zehn bis zwanzig solcher Trauben. Der Geschmack dieser Frucht aber kommt derjenigen Traube bei euch gleich, die ihr die Muskattraube nennt; nur muss diese bei euch zur vollsten Reife gelangen.

[6.17] Seht, das ist also diese merkwürdige Pflanze dieses Planeten, und hat dadurch einen großen Vorzug, weil sie durchaus keine Bearbeitung benötigt, sondern sich selbst bestens bearbeitet und gedeihlichst versorgt. Damit aber bei den Einwohnern dieses Planeten keine Eigentumsstreitigkeiten hinsichtlich dieser sehr beliebten Pflanze dadurch entstehen, wenn diese ebenfalls ihren Marsch auf den Grund des Nachbarn richten möchte (denn auch hier wird das Eigentumsrecht streng beobachtet) – so pflanzen die Einwohner dieselbe meistens entweder in der Mitte ihrer Gründe oder setzen sie um ihre Regenbäume herum, da sie dann ruhig stehen bleiben und keine weiteren Bewegungen machen, so ihre Wurzeln mit Nahrung versehen sind. Und wenn sie schon allenfalls dann und wann zu wandern genötigt werden, sie dann nicht sogleich auf den nachbarlichen Grund überlaufen können, denn von der Mitte eines solchen Grundes dürfte es ihnen wohl ein wenig schwer werden, die weiten Grenzen desselben zu überschreiten, da, wie schon bemerkt wurde, ein solcher Saturnus-Bauerngrund nicht selten in der Ausdehnung die doppelte Größe eures Kaiserstaates übersteigt.

[6.18] Den Saft verwenden die Einwohner gerade auch dazu, wozu ihr den Saft eurer Traube verwendet. Dieser Saft ist viel kräftiger noch als derjenige, dessen schon früher erwähnt wurde, und wird auch nicht in den früher erwähnten Gefäßen aufbewahrt; sondern für die Aufbewahrung dieses Saftes wächst alldort eine eigene Flaschenfrucht, die nicht unähnlich ist derjenigen bei euch, welche euch ebenfalls brauchbare Gefäße als Frucht hervorbringt, dergleichen da vorzugsweise eure sogenannten Flaschenkürbisse sind; nur mit dem Unterschied, dass diese Flaschenkürbisse daselbst euer Heidelberger Fass sicher zuschanden machen würden, denn ein solcher Flaschenkürbis, wenn er alldort vollkommen ausgewachsen ist, möchte wohl ganz bequem eintausend eurer Eimer in sich aufnehmen. Diese Flaschenkürbisse sind auch alldort außerordentlich fest, und hat ihre Wand einen Durchmesser bei einer guten halben und zuunterst auch einer ganzen Klafter. Wenn sie dann gehörig ausgeräumt sind, welche Arbeit alldort durch ein gewisses Tier verrichtet wird, so ist das Gefäß auch fertig.

[6.19] Was die Fortsetzung von den merkwürdigsten noch ferneren Pflanzen und Kräutern betrifft, sei aufbewahrt für die nächste Mitteilung. Und daher für heute Amen.

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