[21.1] Sänger über den Flüssen und Seen heißt diese Gattung der Vögel, die wir jetzt näher betrachten wollen. Es ist dieser Vögel schon einmal erwähnt worden, ihres reizenden Gesanges wegen; dessen ungeachtet aber wollen wir ihnen hier noch eine kleine Aufmerksamkeit widmen und da vorerst sehen, welche Gestalt ihnen eigen. Was ihre Gestalt anbelangt, so hat diese eben nichts besonders Erhebliches, sie sehen so ziemlich euren Schwänen ähnlich; nur sind sie gut ums Zwanzig- bis Dreißigfache größer als diese Vögel bei euch auf der Erde und ist im Verhältnis ihr Hals nicht so lang, aber dafür viel dicker. Und was den Kopf betrifft, so ist dieser ebenfalls im Verhältnis größer als bei euren Schwänen.
[21.2] Diese Vögel haben einen sehr beugsamen Kehlkopf, mit welchem eine sehr bewegliche Zunge in Verbindung steht, und haben auch im Verhältnis zu ihrem übrigen Körpermaß eine große, sehr elastische und viel Luft fassende Lunge. Diese Vögel sind die eigentlichen Musiker in diesem Planeten und sind in musikalischer Hinsicht wahre Kaleidoskope. Denn ein solcher Vogel hat das Eigentümliche, dass er sich in seiner Gesangsweise nie wiederholt. Und so er jahrelang singt, da kommt aber dennoch nie wieder irgendeine schon gesungene Melodie zum Vorschein.
[21.3] Das aber ist nicht das eigentlich Überraschende; dieses besteht darinnen, dass, wenn mehrere Vögel, was gewöhnlich zu geschehen pflegt, in Kompanie oder Gesellschaft ihre Lieder singen, nie ein disharmonischer Akkord zum Vorschein kommt. Denn wenn da ein Vogel zu singen pflegt, so singt auch sobald ein zweiter, dritter und vierter usw. mit, jedoch niemals eine und dieselbe Melodie. Es wird aber dennoch ein jeder Vogel durch sein sehr reizbares Gefühl von dem Gesang eines anderen Kameraden so gehalten, dass er seine ganz eigentümliche Melodie stets so führt, dass sie mit der seines Vorsängers niemals in einen unharmonischen Kontrast gerät. Solches ist auch der Fall, wenn dreißig oder noch mehr solcher Vögel sich vergesellschaften.
[21.4] Wer da ein Freund des allerstrengsten und allergelungensten sogenannten Fugensatzes ist, dessen Ohren hätten da jahraus jahrein keine Rast. Denn nicht nur allein dass hier stets neue Ideen sich begegnen, sondern diese Ideen werden da so moduliert und wechseln die Grundtonarten so überraschend, dass sich davon der allergrößte Tondichter auf der Erde nicht den allerleisesten Begriff machen kann. Denkt euch noch dazu die allerreinsten Stimmen, gegen die der Ton eines der allerbesten Sänger auf eurem Erdkörper ein barstes Gekreisch ist, so könnt ihr euch schon eine kleine Vorstellung machen, welchen fröhlichen Genuss dies für einen Saturnusbewohner abgibt, der schon von seiner Geburt aus ein so großer Tonfreund ist. Ich sage euch, wenn es euch möglich wäre, nur drei Töne aus der Kehle eines solchen Wassersängers aus dem Saturnus zu hören, fürwahr, alle eure Musik auf der Erde würde euch sobald für alle Zeiten unerträglich werden.
[21.5] Die Wassersänger aber sind auch zugleich schuld daran, dass die Saturnusbewohner, obschon sie so große Freunde der Musik sind, sich aber dennoch äußerst wenig auf dieselbe verlegen, denn sie sagen: „Unsere Kehlen sind gegen diese Sänger nur aus plumpem Holz. Und die Töne, die wir irgend erfinden, sind dagegen nicht anzuhören. Solange uns der große Geist der Geister diese Sänger lässt, haben wir der herrlichsten Musik in großer Menge.“ Und so wird auch besonders von jenen Saturnusbewohnern, die an den Ufern solcher Seen leben, die Musik gar nicht betrieben, wohl aber von denjenigen, welche natürlicherweise entfernter leben von solchen Gewässern, darunter zumeist die Gebirgsbewohner zu verstehen sind.
[21.6] Können diese Vögel nicht gefangen und zahm gemacht werden? O ja, das können sie recht wohl; aber wenn ein solcher Vogel gefangen ist, dann singt er auch nicht mehr, und wenn da auch eine ganze Gesellschaft beisammen wäre. Sobald er aber wieder freigegeben wird und auf dem Wasserspiegel herumschwimmt, da ist auch der Virtuose schon wieder fertig.
[21.7] Seht, das sind demnach die singenden Vögel, deren schon früher einmal erwähnt wurde. Es dürfte auch hier mit der Zeit die Frage sich aufwerfen, ob diese Sänger in allen den vielen und großen Ländern dieses Planeten zu Hause sind und wo sie sich in einem Land vorzüglich aufhalten, ob mehr im südlichen, nördlichen, östlichen oder westlichen Teil? Da sage Ich euch, dass fürs Erste diese Vogelgattung fast in den meisten großen Festländern dieses Planeten zu Hause ist. Aber in den Ländern selbst hält sie sich dennoch zuallermeist in den südlichen Regionen derselben auf.
[21.8] Die nördlicheren Teile sind zumeist nur sehr dürftig damit versehen, dafür sie aber dann auch schon wieder eine andere Vogelgattung besitzen, die ihnen gewisserart die allerausgezeichnetste Sängergesellschaft entbehrlich macht. Jedoch sind diese nördlichen Luftsänger keine Melodiensänger, sondern da singen mehrere so zusammen, wie da ein Wind durch die Saiten einer Harfe, Töne herauslockend, bläst. Hier kommt’s freilich nur selten vor, dass diese viel schwächeren Tonkünstler auf einen wohlklingenden Akkord treffen. Aber für den Saturnusbewohner, der nie Gelegenheit hatte, die besseren Sänger zu hören, ist das dennoch etwas sehr Erhebendes. Wenn diese Vögel aber auch nicht so wohlkonditionierte Wundersänger sind, so sind sie aber anderseits desto heimlicher; und was ihre Gestalt betrifft, da sind sie die bei weitem allerschönste und herrlichste Vogelgattung dieses Planeten. Was aber diese betrifft, davon wollen wir in der nächsten Mitteilung etwas Näheres kennenlernen. Und somit sei für heute mit unseren berühmten Sängern die Mitteilung beschlossen.
[21.9] Wie sehen also diese Vögel aus? Hier wird es ein wenig schwer halten, eine haltbare oder vielmehr gelungene Vorstellung zu machen von dem, wie diese Vögel aussehen, da auf der Erde durchaus kein ähnlicher Vogel anzutreffen ist. Dessen ungeachtet aber wollen wir ihn dennoch so darstellen, dass ihr euch zum wenigsten einen kleinen Begriff machen könnt, wie gestaltet dieser Vogel ist. Und so hört denn:
[21.10] Dieser Vogel ist, was seine Größe betrifft, so groß wie ein wohlausgewachsener Ochse bei euch. Auf dem Leib hat er durchaus grünlichgoldene Federn, welche mehr wollig als glatt sind. Die kleineren Federn am oberen Flügelrand, vom Leib angefangen bis zum Ende des Flügels, sehen aus wie poliertes Gold, über welches man eine hochrote Karminfarbe auftragen möchte. Die Schwungfedern der Flügel selbst sind hellblau; die Ränder derselben aber sehen aus wie mattes Gold. Die Kiele der Federn sind blendendweiß und schillern also verschiedene Farben wie eine Goldperlmuschel bei euch. Der Schweif besteht aus sehr langen Federn, die in zwei Teile abgeteilt sind, wie ungefähr bei einer Schwalbe bei euch; nur sind diese Federn nicht mit steifen, sondern mit weichen, langen und fliehenden Flaumen bekleidet. Diese fliehenden Flaumen haben ungefähr die Farben wie die Flaumen an der Schweiffeder eines Pfaues bei euch. An den äußersten Rändern oder Spitzen hängt ein förmlicher Mähnenbusch von solchen fliegenden Flaumen, welcher manchesmal bei drei Ellen lang von den Federn herabhängt, aber bei allem dem so leicht ist, dass sein ganzes Gewicht nach eurer Waage berechnet kaum ein halbes Quintel Gewichtes wiegen dürfte. Diese Flaum-Mähnen sind mit allen Farben so gefärbt, dass sie bei jeder Wendung eine andere Farbe spielen.
[21.11] Die Füße dieses Vogels sind ganz vollkommen weiß und ganz wohl gebildet, das heißt, nicht etwa nach der Art der Füße der Vögel auf eurer Erde. Der Unterschied besteht darinnen, dass die Füße eurer Vögel gewöhnlich nackt und höchst mager sind, während die Füße der Vögel im Saturnus viel fleischiger sind, und sind bekleidet noch bis zur Kralle mit dem schönsten Gefieder, welches allzeit so aussieht wie das Gefieder des Bauches, nur gewöhnlich etwas heller in der Farbe. Die sogenannten Vogelkrallen oder, eigentlicher und verständiger gesprochen, die Finger oder Zehen am Fuß der Vögel sind bei den Vögeln des Saturnus zumeist so gestaltet wie auf der Erde die Pfoten eines wohlgebildeten Affen. Bei diesem unserem Vogel aber haben sie die Gestalt einer förmlichen Menschenhand, nur dass da auch die Finger bis an die Spitznägel mit schönen leichten Federchen versehen sind.
[21.12] Also sähe dieser Vogel dem Leibe nach aus bis zum Kopf. Allein der Kopf ist aber zugleich auch das Merkwürdigste an diesem Vogel. Warum denn? Seht, dieser Vogel hat im Ernst zwei Köpfe, aber nicht etwa so, wie ihr euch einen Adler mit zwei Köpfen vorstellt, sondern diese zwei Köpfe stehen übereinander, ungefähr so, als wenn irgendein Frauenzimmer vom Scheitel ihres Hauptes aufsteigend noch hätte einen Aufsatz von einem Schwanenhals samt dessen Kopf.
[21.13] Der untere Kopf ist ziemlich rund und hat der Länge nach von unten nach oben einen Durchmesser von nahe zwei Fuß eures Maßes, der Breite nach aber anderthalb Fuß. Dieser Kopf hat ein förmliches weibliches Menschengesicht, nahe so, wie bei euch auf der Erde die etwas seltenen sogenannten Meeresjungfern, und ist mit den reichsten, ins Dunkelblaue übergehenden langen Haaren versehen; über welchen Haaren sich dann noch ein drei Ellen langer Hals mit einem euren Schwänen nicht unähnlichen Kopf befindet, welcher Kopf diesem Vogel dieselben Dienste tut, als wie der Rüssel einem Elefanten.
[21.14] Durch diesen zweiten Kopf nimmt dieser Vogel keine Nahrung und kann auch keine nehmen, da dessen Hals mit keinem Schlund versehen ist. Dessen ungeachtet hat auch dieser Kopf seine zwei Augen, und da er sehr beweglich ist, so kann sich dieser Vogel mit dieses oberen Kopfes Augen überall beschauen, wohin er mit den Augen des unteren Kopfes nicht hingelangen kann. Mit den Augen des unteren Kopfes, welche sehr scharf sind, kann er aber wieder [bis] in die weitesten Entfernungen alles sehr genau ausnehmen. Das Gesicht des unteren Kopfes ist aber nicht etwa nackt, sondern ist ebenfalls mit sehr kleinen, blaßroten Federchen besetzt; nur die Lippen sind frei, und die Mündungen der etwas plattgedrückten Nase. Alles andere aber ist befiedert. Die Augen des unteren Kopfes sind groß und hellblau, und die Stirn geht gegen den oberen Hals ins Blendendweiße über. Der Hals des oberen Kopfes aber ist hellviolett und der Kopf ganz feuerrot. Der Schnabel aber ist bläulichweiß und sehr fest zum Halten ergriffener Gegenstände.
[21.15] Wie nimmt denn dieser Vogel hernach seine Nahrung zu sich? Und wie trinkt er? Dieses geschieht auf eine sehr einfache Art. Er löst mit dem oberen Kopf die Früchte vom Baum ab und hält sie dann vor den Mund des unteren Kopfes, welcher dann natürlicherweise mit seinen scharfen Zähnen, gleich den Affen bei euch, sehr hurtig und munter hineinbeißt und also dieselben auch bald verzehrt. Will nun der Vogel trinken, so bedient er sich des oberen Kopfes statt eines Trinkglases. Er schöpft nämlich in den ziemlich großen Raum des unteren Kopfes das Wasser aus dem oberen Kopf heraus.
[21.16] Seht, das ist also unser zweiter, freilich wohl etwas unvollkommener Sänger, indem er nur einen Ton singen kann. Aber dieser Ton ist dennoch so schön und wohlklingend, dass er auf eure Ohren noch immer effektvoller wirken dürfte als ein ganzes komplettes irdisches Konzert.
[21.17] Denn ihr könnt es sicher glauben, dass selbst die Musik der Himmel, wenn sie am reizendsten ist, nicht in einem Konflikt von vielen Tönen besteht, sondern in einem ganz einfachen Ton. Diese Musik ist die ergreifendste und die wirksamste. Denn prüft es nur bei euch, was euch im Grunde lieber ist: ein allerschönster Ton eines Sängers oder einer Sängerin – oder ein kreischender Instrumentalakkord? Wenn aber jemand hat eine überaus reine und höchst wohlklingende Stimme, ist’s da nicht schade um jeden Ton, der da verdeckt wird durch die anderen kreischenden Töne? Es liegt also nicht in der Vielheit der Töne, sondern in der Qualität des einzelnen Tones die ergreifende Wirkung der Musik. Denn ein vollkommener Ton ist ja in sich selbst schon die allerreinste Harmonie, da er nicht einzeln für sich zur vernehmbaren Erscheinung gelangt; sondern, wenn er als Grundton auftritt, so sind in ihm schon die ihm entsprechenden und von ihm abgeleiteten Töne in gerechtem Klangverhältnis da, wie ungefähr bei einer reinen Glocke.
[21.18] Alsonach müsst ihr euch auch den Ton dieses unseres nun bekannten zweiten Sängers im Saturnus vorstellen; aber nur in einer ziemlich tiefen Oktave, so wie z. B. das g, a und h in der großen Oktave bei euch. So könnt ihr euch eine ziemliche Vorstellung vom Gesang dieses Vogels machen. Wenn er zu singen anfängt, so fängt er höchst pianissimo an, steigert dann den Ton, ohne nur im Geringsten höher oder tiefer zu werden, bis zu einer solchen Stärke, als wäret ihr mit euren Ohren knapp an einer Glocke, wenn sie geläutet wird. In dieser Kraft hält er den Ton einige Sekunden lang; dann aber lässt er ihn wieder schwächer und schwächer werden bis zum gänzlichen Verschwinden. Wenn dann zwei, drei oder vier solcher Vögel beisammen sind, und sind, wie ihr zu sagen pflegt, zufällig gutgestimmter Kehlen, so gibt das oft einen überraschend wundervoll klingenden Akkord, welcher die Saturnusbewohner allzeit ergötzt.
[21.19] Freilich bleibt es dann nur immer bei einem und demselben Akkord und steht dann diese Art Musik auch bei weitem nach derjenigen unserer bekannten Hauptsänger; aber dessen ungeachtet verfehlt diese einfache Musik dennoch nie ihren Zweck. Es möchten zwei Saturnusbewohner noch so erbittert gegeneinander rücken, was in diesem Planeten hier und da nicht selten der Fall ist, so braucht’s dann nichts mehr als eines solchen einfachen Gesanges und die zwei Feinde werden sich im Augenblick zu den innigsten Freunden. Aus diesem Grund werden auch diese Vögel sehr häufig „Ruhestifter“ genannt.
[21.20] Aus diesem Grund auch lassen sie sich zähmen und vertreten da die Stelle eurer Pfauen und werden als Zierdevögel angesehen; dessen ungeachtet aber gibt es auch eine bedeutende Menge ungezähmter. Die gezähmten haben zwar einen stärkeren Ton in ihrer Kehle, aber dafür gewöhnlich etwas rauer; während die ungezähmten höchst reine Töne von sich hören lassen. Die gezähmten werden manchesmal auch als Seltenheit in die südlichen Gegenden gebracht. Dort verlieren sie aber bald ihre Stimme, zufolge anderer Kost, und werden auch traurig und krank und gehen dann gewöhnlich auch bald zugrunde; darum die nördlichen Bewohner, welche diesen Vögeln sehr zugetan sind, nicht leichtlich zu bewegen sind, einen oder den anderen Vogel hintan zu geben.
[21.21] Was noch die Geburt dieser Vögel betrifft, so bringt das Weibchen lebendige Junge zur Welt und säugt sie mit einer sehr vollen Brust, welche unter dem Hals des unteren Kopfes fast so wie bei einem Weib hängt; nur ist die Brust ebenfalls nicht nackt, sondern mit leichten Federchen bekleidet.
[21.22] Jetzt habt ihr alles von diesem Vogel. Nach ihm wollen wir noch einiges Hausgeflügel betrachten und uns dann sogleich zu den Landtieren und sonach zum Menschen selbst wenden.
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