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16. Die riesige, leuchtende Strahlenschnecke

[16.1] Was die Schnecke Nummer fünf betrifft, so ist das die letzte der Schneckenordnung nach, zugleich auch die größte und in einer Hinsicht die merkwürdigste. Diese Schnecke hat den Namen: die Strahlenschnecke. Sie ist die größte aus all den Schnecken, welche auf diesem Planeten vorkommen, aber zugleich auch die seltenste; denn sie wird von den Bewohnern dieses Planeten nur vor den größten, euch schon bekanntgegebenen Seestürmen gesehen. Ihre Gestalt ist an und für sich das Großartigste, was ihr euch denken könnt. Auf eurem Erdkörper gibt es wohl nichts Ähnliches, um damit eine annähernde Vergleichung machen zu können.

[16.2] Um euch aber doch einen Begriff davon zu machen, so denkt euch ungefähr einen großen geschliffenen Brillanten; denn so kantig ist diese Schnecke, auf der Oberfläche flacher und an dem unteren Teil zugespitzter. Die Kanten, deren die Oberfläche allein mehrere Tausende in der schönsten Ordnung sich in lauter Dreiecken durchziehend besitzt, sehen aus als wie halbklafterweite, polierte, goldene Streifen, welche allzeit eine vollkommen regelmäßig dreieckige Fläche einschließen oder vielmehr einfassen. Die dreieckige Tafel ist so groß, dass eine jede Seite bei drei Klaftern misst, und es ist keine größer und keine kleiner. Nur zuoberst der Schnecke befindet sich eine größere Fläche, welche aber nicht mehr dreieckig, sondern zweiunddreißigeckig ist und vollkommen ähnlich sieht einer sogenannten Windrose bei euch, welche in ihren äußeren Enden eben auch mit den breiten Goldstreifen umfasst ist. Diese Tafeln sind so durchsichtig wie ein geschliffener Diamant bei euch, und auch nicht minder fest. Der Unterschied besteht nur darinnen, dass alle diese Flächen das Vermögen haben, das Licht der Sonne und der Gestirne einzusaugen und es dann in den verschiedensten Strahlenbrechungen zur dunkler gewordenen Nachtzeit wiederstrahlen zu lassen.

[16.3] Wie groß ist denn eigentlich diese Schnecke? Wenn sie auf dem Meer daherschwimmt, so wäre auf ihrer Oberfläche wohl Raum genug, um alle Häuser eurer Hauptstadt auf dieselbe zu setzen, mit dem Beibehalt der Gassen und Plätze. Die Schale ist durchgehend bei zehn Klafter dick und hat von der Oberfläche bis zur unteren Spitze einen Durchmesser von dreihundert Klaftern. Was aber den Durchmesser der Breite dieser Schnecke anbelangt, so beträgt derselbe nicht selten über eine deutsche Meile. Die Mündung dieser Schnecke, welche etwas länglich-rund ist, hat einen Durchmesser von siebzig Klaftern. Durch diese Mündung streckt diese Schnecke ihren massiven Kopf, der dem Kopf eines Walrosses nicht unähnlich ist, oft so weit über die Meeresoberfläche heraus, und zwar meistens bei Stürmen schnurgerade in die Höhe, dass sie auf eurer Erde mit großer Leichtigkeit über hohe Berge dahinsehen könnte.

[16.4] Aber bei aller ihrer riesenhaften Größe ist diese Schnecke dessen ungeachtet sehr sanfter Natur und tut niemandem etwas zuleide. Ihre Nahrung besteht in drei verschiedenen Arten. Die erste Art sind ebenfalls noch sehr große und sehr häufig im Meer vorkommende Kräuter. Die zweite Art ihrer Nahrung sind große Seewürmer. Und die dritte Art ihrer Nahrung sind mitunter auch Seevögel, welche zugleich ein Leckerbissen für sie sind. Diese letztere Nahrung nimmt sie aber jedoch nur bei großen Stürmen zu sich, denn bei ruhigem Wetter befindet sich dieses Riesentier gewöhnlich in der Tiefe des Meeres.

[16.5] Diese Schnecke wird von den Saturnusbewohnern nicht gefangen. Fürs Erste, weil sie bei ruhiger Zeit nie an die Oberfläche des Meeres kommt. Fürs Zweite aber auch, weil die Schale zu schwer wäre, sie irgendwohin zu irgendeinem Zweck aufs Land bringen zu können. Diese Schnecke erlangt auch gewöhnlich ein hohes Alter und lebt nicht selten dreißig Jahre, d. h. Saturnusjahre. Wenn sie stirbt, so geht dann bald auch ihr ganzes Gehäuse aus den Fugen und zerfällt und verwest dann mit der Zeit alles zusammen. Das Fleisch verzehren gewöhnlich eine Art Fische, die den Haifischen in euren Meeren nicht unähnlich sind, aber noch größere Ähnlichkeit haben mit euren Krokodilen.

[16.6] In einer dunklen Sturmesnacht verbreitet eine solche auftauchende Schnecke nicht selten ein so starkes Licht, dass davon eine ganze Meeresgegend in einem Bereich von hundert Quadratmeilen ganz stark erleuchtet wird. Nehmt jetzt bei einem solchen Meeressturm die vielen himmelanragenden Wasserberge und denkt euch von einer Höhe die Aussicht von mehreren tausend Quadratmeilen über die Oberfläche des Meeres, auf welchem hie und da solche Strahlenschnecken auftauchen – so könnt ihr euch einen kleinen Begriff machen, welches Wunderschauspiel das auf diesem Planeten gewährt. Besonders imposant wird es dann, wenn mehrere solcher Schnecken gruppenweise auftauchen, ihre langen Hälse über die Oberfläche des Meeres erheben und mit denselben nach den häufig herumfliegenden Sturmvögeln jagen. Alsdann wird ein solcher Anblick für euch, und nach eurer Weise zu reden, grauenhaft-fürchterlich schön.

[16.7] Das ist nun alles von dieser Schnecke. Erweckt auch hier wieder ein wenig eure innere Phantasie, und ihr werdet mit Hilfe dieser getreuen Bekanntgebung euch in eine ziemlich lebhafte Anschauung versetzen können.

[16.8] Für ein nächstes Mal wollen wir dann zu der dritten Gattung der Schaltiere übergehen, und das zwar zu den Schildkröten, wobei ihr euch noch mehr verwundern werdet als bei der Darstellung und Beschreibung der Muscheln und Schnecken. Und darum für diesmal Amen.

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