[78.1] [Bischof Martin:] „Ein sehr bejahrt aussehender Vater einer dieser Herz-Jesu-Damen tritt nun vor die zwei weißen Männer und spricht in einem noch sehr weinerlichen Ton: ‚O ihr mächtigsten Boten Gottes! Aber wie kann denn doch das sein, dass auch meine Tochter sich unter diesen Unglücklichen befindet? So viel mir gar wohl bekannt ist, so lebte meine Tochter ja doch so streng und gewissenhaft genau nach den Regeln ihres Ordens und somit im vollkommensten Geiste der alleinseligmachenden römisch-katholischen Kirche, welcher Geist somit ja doch offenbar der Heilige Geist sein muss?
[78.2] Zufolge solchen Lebens und laut den vielen Versicherungen der Kirche hätte meine Tochter ja doch sollen vom Munde auf in den Himmel fahren, da sie nebst ihrem gewissenhaft strengen Leben auch vom Papst selbst nicht nur einen, sondern ein ganzes Dutzend vollkommene, von der lauretanischen Maria selbst privilegierte Ablässe bekam, wodurch ihr auch das Fegefeuer vollkommen erlassen war! Wie geht es demnach hier zu, wenn ein solches Leben vor Gott keinen Wert hat?
[78.3] Ja, ich sage es euch und kann es euch auf mein Gewissen und Leben sagen, dass meine Tochter vom Himmel aus ganz unverhohlen zur Braut Christi berufen wurde durch ein Traumgesicht eines allerstrengst lebenden frömmsten Jesuiten. Diesem frömmsten Mann Gottes träumte nach seinem ganz einfachen und schlichten Geständnis:
[78.4] Maria und der heilige Joseph seien ihm erschienen im allerhöchsten Himmelsglanz und sprachen zu ihm: ‚Höre uns, du reinster Bruder der Engel, gehe du hin zum N. N.; der hat ein liebes Töchterchen, an der Jesus ein großes Wohlgefallen hat, dass Er sie darob zu Seiner fürnehmsten Braut haben will; gehe ins Bitten für deinen Gott, für deinen Herrn, und verschaffe Ihm diese Braut, sonst sollst du nie einen Teil am Himmelreich haben!‘
[78.5] Darauf sei er wach geworden und habe sehr darüber nachgedacht, habe solchen dreimal gleich gehabten Traum dem Konvent angezeigt, und dieser den Generalen nach Rom. Und wie war der ganze Konvent überrascht, als er vom General die überwunderbare Erklärung zurückerhielt, dass auch demselben das Gleiche geträumt habe und, als er dem Traume nicht glauben wollte, Maria sogar zum vierten Mal allein ihm ganz traurig erschien und zu ihm sagte:
[78.6] ‚O du elender Wurm im Staub! Dieweil du nicht glaubst, so sollst du so lange mit einer schweren Krankheit geplagt werden, als bis das liebe Mädchen sich im Kloster der Herz-Jesu-Damen als eine Braut meines Sohnes befinden wird, und zur Steuer der Wahrheit sollen durch drei Tage in der Nacht um 12 Uhr alle Glocken Roms eine Stunde lang von selbst ertönen!‘
[78.7] Alles dieses sei wunderbarst wirklich eingetroffen; und der General hat dann sogleich Gebete in allen Konventen heimlich angeordnet und hat besonders den Pater, dem es von meiner Tochter so wunderbar geträumt hatte, dringendst gebeten, dass er Tag und Nacht beten soll, damit meine Tochter ins Kloster ginge.
[78.8] Ich für mich aber wollte sie nicht so leicht hineingeben, denn ich war auf der Welt ja sehr reich und von hohem Adel. Meine Tochter aber war auch überaus schön und sanft und gut und hätte wohl die beste Partie machen können. Aber ich gab endlich den vielen Bitten des frommen Paters nach. Und da die Tochter auch Christus allen anderen Bräutigamen vorzog, so wählte auch sie den Schleier und wurde eine Braut Christi. Ach, du unglückliche Braut!
[78.9] O ihr beiden mächtigen Boten des Herrn, o sagt, o sagt es mir armem unglücklichstem Vater, was um Gottes willen hat denn meine Tochter verbrochen, darum sie sich nun auch unter diesen unglücklichsten echtesten Teufelsgestalten befindet? Hatte sie etwa geheime Sünden? Oder war sie eine pure Heuchlerin? Oder ist die römische Kirche ein Betrug? O sagt, warum widerfuhr meiner Tochter dieses unaussprechliche Unglück!‘
[78.10] Nun spricht der eine aus den zweien, sagend: ‚O Freund, hast du denn nie das Evangelium des Herrn gelesen?‘
[78.11] Antwortet der Alte: ‚Als Schulknabe wohl, aber später nimmer; denn ich ging ja alle Sonn- und Feiertage ohnehin in die Kirche und hörte da Predigt und Messe! Zudem war das Lesen der Bibel uns Laien ja ohnehin von der Kirche aus untersagt, und ich glaube recht gehandelt zu haben, so ich der Kirche in allem gehorchte!‘
[78.12] Spricht wieder der eine: ‚Nun, wenn dir die Kirche mehr galt als das reine Wort Gottes, so musst du nun schon die Kirche um Rechenschaft angehen und nicht uns, die wir als vollendetste Protestanten der römischen Kirche uns nie an etwas anderes gehalten haben als allein an das nur, was Christus allein gelehrt hat! Im Evangelium des Herrn aber steht nirgends was von einer alleinseligmachenden römisch-katholischen Kirche, nichts vom Papst, nichts von den Jesuiten und nichts von den Herz-Jesu-Damen, sondern da steht es ganz einfach: ‚Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst! Darin ist das Gesetz und alle Propheten!‘
[78.13] Siehe, wer nur des Lohns wegen arbeitet, der ist ein unnützer Knecht und ist nicht wert des Lohns, geschweige des Herrn, der da spricht: ‚Wer seinen Vater, seine Mutter, seine Brüder, seine Schwester und dergl. mehr liebt als Mich, der ist Meiner nicht wert! So ihr aber alles getan habt, da bekennt, dass ihr unnütze Knechte wart!‘
[78.14] Siehe, das sind Gottes Worte. Frage dich selbst, ob du sie wusstest, und ob du und deine himmelsstolze Tochter sie je beobachtetet?!‘
[78.15] Spricht der Alte: ‚Ja, wenn das wirklich Gottes Worte sind, wie sie auch sein werden – besonders die des Gesetzes der Liebe, die ich wohl öfter von der Kanzel gehört habe –, dann ist es mir schon mehr und mehr einleuchtend, warum meiner Tochter so etwas widerfuhr. Aber sie ist auf diese Art eine derbst Geprellte und verdient daher Nachsicht und ein gnädigstes Erbarmen vom Herrn!‘
[78.16] Spricht wieder der eine: ‚Freund, wäre der Herr nicht besser, als du und deine Tochter Ihn kennen, so würdest du samt deiner Tochter dich nun in der Hölle befinden. Weil aber der Herr endlos besser und weiser ist, so befindet ihr euch anstatt in der Hölle nur in der notwendigsten Korrektion eurer Sehe und im Gnadenbad zur Heilung eures ganzen Lebens!
[78.17] Wisse denn, jener Traum des Jesuiten war rein erdichtet deiner schönen und reichsten Tochter wegen, und du warst durch Zulassung des Herrn darum schändlichst geprellt, weil du sonst deine Tochter niemandem als nur einem Prinzen geben wolltest, was von dir umso ärger gefehlt war, als du wider aller Christuslehre Sinn, nach dem alle Menschen gleich sind, deine Tochter einem armen, aber sonst rechtlichen Mann schmählichst vorenthieltst und ihn für seine Keckheit noch züchtigen ließest! Siehe, solch ein Verfahren ist vor Gott das fluchwürdigste!
[78.18] Es kam aber um deine Tochter dennoch kein Prinz, sondern ein hinterlistiger Jesuit und überlistete dich samt deiner Tochter! Kannst du darum vom Herrn, der die höchste Liebe, Demut und Sanftmut Selbst ist, wohl eine gewisse Rechenschaft verlangen, so du deine Tochter statt im Himmel hier in diesem sehr misslichsten Zustand findest?
[78.19] Dann, mein Freund, war deine Tochter stolz und hart gegen ihre Untergebenen, da sie als die Reichste bald die Vorsteherin dieses neugebackenen Ordens ward, und hielt sich für eine Heilige zufolge ihrer wunderbaren Berufung, und noch mehr, weil alle Nacht ein maskierter Herr Jesu leibhaftig sie besuchte und sie als seine Braut natürlich ihm alles gewährte, was er nach der Lüftung des sogenannten himmlischen Schleiers von ihr verlangte; davon sie dir freilich nicht alles sagte, sondern nur, dass dieser ihr Jesus von dir auf das Strengste verlangt, dass du dein gesamtes großes Vermögen dem heiligen Kollegium vermachen sollst, was du auch getan hast in deinem blinden Glauben!
[78.20] Siehe, so stehen die Dinge um dich und deine Tochter und werden auch so um dein noch auf der Welt lebendes Weib stehen! Wie meinst du nun: kann ein Mensch neben der Lehre Gottes mittels eines solchen Lebens den Himmel erwarten – besonders wenn deine Tochter gar bald wusste, wer ihr Herr Jesus so ganz eigentlich war? Verstehst du das nun, mein lieber Freund?‘
[78.21] Der Alte macht nun sehr große Augen, und mehrere andere mit ihm, und er möchte nun über alle Maßen über Rom zu fluchen anfangen. Aber die beiden verbieten ihm streng, solches zu tun, und zeigen ihm, dass das Gericht allein des Herrn ist, allen Menschen aber kommt die Vergebung zu, so sie auch Vergebung erlangen wollen. Das beruhigt nun unseren Alten. Und ich sehe nun, dass ein Frosch kleiner zu werden beginnt; das wird sicher die besagte ‚Braut Christi‘ sein! Bruder, die Sache macht sich!“
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