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63. Martins erklärt zwei anderen Jesuiten und zwei Liquorianern den Sinn der Schrift auf der weißen Tafel. Ein dummes Glaubensleben hat auch ein entsprechendes jenseitiges Leben zur Folge

[63.1] Es treten abermals ganz andere Jesuiten und dazu noch zwei Liguorianer vor den Bischof Martin und sagen: „Lieber, bester Freund, wir sind mit deiner Lehre, die du uns allen zugleich gegeben hast, wohl recht sehr einverstanden, und wie wir’s jetzt verspüren, so geht uns allen hier auch wirklich nichts ab. Aber so wir daneben nur so eine kleine Beschäftigung hätten, da wären wir mit diesem Los ja überaus zufrieden und verlangten uns für die ganze Ewigkeit kein besseres! Aber so wir ohne alle Beschäftigung die ganze Ewigkeit zubringen müssten, da wäre uns am Ende schon der vollkommene Tod lieber als so ein einförmigstes geschäftsloses Leben.“

[63.2] Spricht Bischof Martin: „Freunde, könnt ihr lesen, was da auf dieser runden weißen Tafel geschrieben steht?“

[63.3] Spricht einer von den vieren: „O ja, da steht ja das verhängnisvollste ‚Dies irae, dies illa! Libera nos ab omni malo! Memento, homo, quia pulvis es et in pulverem reverteris! Requiescant in pace! Requiem aeternam dona eis, domine, et lux perpetua luceat eis! Ex profundis clamavi! Clamor meus ad te veniat! Vitam aeternam dona eis, domine, et sedere in sino Abrahami, et considere ad mensam illius, et comedere cum illo per omnia secula seculorum, amen!‘ [Tag des Zornes, jener Tag! Befreie uns von allem Übel! Gedenke Mensch, dass du Staub bist und zu Staub wirst! Sie ruhen im Frieden! Gib ihnen Herr, die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen! Aus der Tiefe rief ich! Mein Rufen dringe zu Dir! Gib ihnen das ewige Leben, Herr, und einen Platz im Schoß Abrahams, und lass sie an seinem Tisch niedersitzen und mit ihm speisen durch alle Ewigkeiten! Amen.]

[63.4] Siehe, lesen kann ich ja noch, wenn ich auch meinem Gefühl nach einige tausend Millionen von Jahren keinen Buchstaben mehr gesehen habe. Aber sage mir, was soll’s denn da mit diesen alten dogmatischen Versikeln? Wird sich denn hier in der Geisterwelt denn doch etwa ganz ernstlich danach gerichtet? Wahrlich, so das der Fall wäre, da sähe es sehr schlecht aus mit unser aller Existenz für die ganze endlose lange Ewigkeit! O Freund, erläutere uns das, wie es hier zu verstehen und zu nehmen ist!“

[63.5] Spricht Bischof Martin: „Wie anders soll es denn zu verstehen sein, als wie es da geschrieben steht! Ich sage euch, diese Stellen haben keinen anderen Sinn als den nur, der sich klar aus ihren zusammengefügten Worten entnehmen lässt! Und zudem sagt ihr es selbst: Habt ihr wohl je auf der Welt einen anderen Sinn mit diesen Ausrufen verbunden, als der sich in der äußeren Fügung kundgibt? Wart ihr auf der Welt mit diesen Versikeln zufrieden, wo sie euch Geld trugen und ein geheimes geistliches Ansehen, warum sollen sie euch jetzt genieren, wo ihr Sinn an euch praktisch angewendet wird? Was braucht ihr Beschäftigung? Requiescant in pace; ergo requiescamus! [Sie mögen in Frieden ruhen; daher lasst uns ruhen!] Diese Ruhe im ewigen Frieden habt ihr nun alle gefunden!

[63.6] Licht gibt es auch hier, das da bei den schönen großen Fenstern fortwährend gleich hereinleuchtet. Also ist auch dies mein Haus gleich einem Schoß Abrahams und dort jener große, mit gutem Brot und Wein vollgefüllte Schrank ein wahrer Abrahamstisch, bei dem ihr samt mir ewig gespeist werdet bis zum jüngsten Gericht – und, so ihr an diesem Tag des Zornes nicht verdammt werdet, auch nach diesem ewig! Was wollt ihr da noch mehr?!“

[63.7] Spricht der Liguorianer einer: „Ja, ja, Freund, du hast recht, es wird schon also sein; aber dessen ungeachtet muss ich dir nach meinem Gefühl bemerken, dass die Geschichte mit der hier überaus langweiligsten Zeitenfolge ganz unbegreiflich, entsetzlich langweilig wird! Denke dir, ewig hier und vollends müßig, und nichts anderes ewig zu erwarten habend!? Höre, Freund, diese Langweile nach etwa einigen Dezillionen Erdjahren! O Herr, das wird etwa doch kein lebend Wesen mehr zu ertragen imstande sein!“

[63.8] Spricht Bischof Martin: „Ja, was nützt dir aber da auch dein Vernünfteln!? Hast du denn nie gelesen wie geschrieben steht: ‚Jeder wird seines Glaubens leben‘ und ‚Wie der Baum fällt, so wird er liegen bleiben‘? Warum glaubten wir denn solch dumm’s Zeug, dessen Wirklichkeit uns hier nicht munden will?

[63.9] Waren wir starrsinnige Esel auf der Welt, so müssen wir uns auch hier die Verwirklichung unseres eselhaften Glaubens gefallen lassen, ob sie uns behagt oder nicht! Hätten wir aber weiser unseren Glauben auf der Welt eingerichtet, da würden wir uns auch hier sicher besser befinden; aber wir alle, ich nicht ausgenommen, waren auf der Welt nur desto glücklicher, je mehr Finsternis wir in derselben verbreiteten. Darum geniere uns das auch hier nicht, so wir nun allesamt hier in unserer eigenen Dummheit begraben leben wie im vermeintlichen Schoß Abrahams!

[63.10] Gab und gibt es nicht in der Welt eine ungeheure Menge von alten Eseln, Ochsen und Schafsköpfen, die zwar selbst in einem fort vom Licht und von Aufklärung faseln, und wenn ihnen auch ein besseres Licht gegeben wird und ein besseres Futter, so aber richten sie sich dennoch nicht danach, sondern kehren ganz behaglich in ihre alte Dummheit zurück, und fressen das alte Futter, und erquicken ihre Augen am spärlichsten Zwielicht ihres Esels- oder Ochsenstalls, so sie ihres Magens alten Unflat wiederkäuen können.

[63.11] Seht, dergleichen Esel und Ochsen und Schafsköpfe waren ja eben auch wir im Vollmaß. Daher muss es uns ja nun gar nicht wundern, so der Herr so gnädig und großmütig für unsere alte Viehnatur gesorgt hat. Wer Freude hatte an der Dummheit, der bleibe in seiner Freude! Wer Freude hatte mit dem Schlaf, der kann hier schlafen nach Herzenslust! Wer Freude hatte am Müßiggang, der ruhe hier ewig! Wer Freude hatte am Essen und Trinken, dort ist Abrahams Tisch! Wer sich gerne mit Jungfrauen befasste, der hat dort Barmherzige Schwestern, Schulschwestern und Herz-Jesu-Damen! Wir sind ja ohnehin mit allem bestens versorgt; was jammern wir da noch?!“

[63.12] Alle zucken die Achseln und sagen: „Du hast zwar recht – aber der Teufel soll unsere Weisheit holen! Könnten wir noch einmal Frösche auf der Welt werden und quaken nach unserer Lust, so wären wir offenbar besser daran! Aber was nicht mehr zu ändern ist, das muss leider so verbleiben.“

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