[59.1] Der Redner begibt sich sogleich zurück gegen die Tür dieses Hauses, allwo sich die Schwestern befinden, beruft sie und führt sie dann dem Bischof Martin vor.
[59.2] Als sie nun samt und sämtlich um den Bischof Martin sich befinden, da fragt dieser sie sogleich sogestaltig: „Liebe Schwestern und Damen, wie sieht es denn so ganz eigentlich mit euch aus? Wie seid denn ihr in solches Elend gekommen? Ihr habt doch sicher gebeichtet und kommuniziert genug, und habt Chor gesungen und zahllose Rosenkränze herabgebetet, wenn schon manchmal vielleicht mehr geschnattert als gebetet.
[59.3] Auch an anderen Andachtsübungen wird es nicht gemangelt haben. Auch habt ihr sicher alle Fasttage streng gehalten und habt in großen Ehren gehalten die heiligen Reliquien, den Weihbrunn und den Weihrauch und Glocke und Glöckchen. Auch habt ihr in euerm sonstigen Amtswesen sicher unverdrossen eure Pflichten erfüllt. Es fragt sich daher hier, wie ich euch gleich anfangs gefragt habe: Wie möglich wohl seid ihr in dieses Elend gekommen?“
[59.4] Spricht eine aus den Barmherzigen Schwestern: „O du lieber Freund, das alles wird der liebe Herrgott besser wissen als wir! Ich sage dir, ich und auch alle diese Schwestern meines Ordens waren dir wahre Märtyrerinnen!
[59.5] Tag und Nacht waren wir auf den Beinen; unverdrossen pflegten wir die Kranken; taten manchmal sogar mehr, als was uns die ohnehin allergestrengste Ordensregel auferlegte. Wir fasteten dabei und beteten ohne Unterlass; wir gingen wöchentlich zwei- bis dreimal zur Beichte und Kommunion. Und so uns manchmal dennoch ehestandliche, sinnliche Gedanken kamen, da schrien wir laut: ‚Jesus, Maria und Joseph, steht uns bei und bewahrt unseren keuschen Leib vor solchen Teufelsanfechtungen!‘
[59.6] Und hat das dreimal nacheinander noch nichts genützt, da liefen wir in die Kirche. Half auch diese nicht, da kasteiten wir uns oft blutig und legten uns die allerschärfsten Cilliösen [Bußgewänder (Cilicia)] an den bloßen Leib; und hat manchmal auch das nicht den erwünschten Erfolg gehabt, so hat dann freilich müssen der Beichtvater mit exorzistischen Mitteln zu Hilfe kommen, die aber leider nur bei den jüngeren Schwestern mit Nutzen konnten angewendet werden. Bei uns älteren mussten dann eiskalte Bäder statt des Exorzismus angewendet werden, auch mitunter ein Aderlass.
[59.7] Siehe, du liebster Freund, so streng war unser Leben; ja mancher Kettenhund hätte uns darum sicher nicht beneidet, so er Verstand hätte!
[59.8] Dass wir für solche Strapazen hier die himmlischen Freuden mit Recht erwarteten, das wird etwa für unser wahres Kettenhundeleben auf der Welt doch nicht zu unbillig sein, so wir solches mit ungezweifelter Zuversicht erwarteten, wie es allen jenen verheißen ist, die um Christi willen auf der Welt alles verlassen haben, und haben sich wegen der himmlischen Glorie den schmalen, dornigsten Kreuzespfad erwählt?!
[59.9] Aber da sehe du nun unsere verhoffte himmlische Glorie! Sehen wir nicht aus wie die barsten Blocksberghexen? Die Gesichtsfarbe dunkelgrau, die Kleidung besteht aus den schmutzigsten Fetzen, und fett sind wir schon, als wie die Mumien, die man dann und wann in den Wüsten Afrikas findet, und hungrig wie ein Haifisch und durstig wie die Sandwüste Sahara! Das ist nun unser so bestimmt und gewiss erhoffter Himmel! Was soll man sich von solch einer göttlichen Gerechtigkeit nun wohl für einen Begriff machen?
[59.10] Als ich von der Welt hier anlangte, da sah ich wohl ein sehr schlechtes Mensch, die nichts als eine Hure war, von leuchtenden Engeln abholen und sie gegen den Himmel führen – so eine Kanaille! Zu mir aber kam bis jetzt noch keine Katze, geschweige erst ein besseres Wesen aus dem Himmel! Frage: Ist das auch eine Gerechtigkeit?! Ach, ist das doch ein Elend, ist das ein Elend!
[59.11] Ich habe nur gar so manche ehrliche Mädchen, die jung, reich und schön waren, zu meinem Orden gebracht, die mir nun fluchen, dass ich sie so schändlich geprellt hätte. Das geht mir nun gerade auch noch ab! Für solch meinen Eifer etwa gar noch eine verdammliche Verantwortung vor dem ewigen Richter!“
[59.12] Hier treten mehrere jüngere Barmherzige Schwestern hervor und schreien: „Ja, ja, ja – du altes Luder, du alte Bestie bist an allem dem schuld! Hast du dir nicht die Zunge nahe bis in den Magen hinab ausgeschrien, um uns zu überreden für deinen barmherzigen Lumpenorden? Als wir den Profess nicht ablegen wollten – da wir in der Welt doch bessere Aussichten hatten, als wir sie in deiner Hurenanstalt kennenlernten – liefst du da nicht zum Tod und allen Teufeln, auf dass uns nur der Austritt verleidet wurde?!
[59.13] Und als wir – zum größten Teil gezwungen – den schmählichen Profess ungefähr so ablegten, als wie ein Rekrut den militärischen Eid der Treue schwört, nämlich unter ‚Du musst, sonst bist du des Teufels!‘ – da wurden wir dann behandelt ärger denn irgend die ärmsten Seelen im Fegfeuer oder gar in der Hölle selbst, und durften bei der strengsten Ahndung nicht einmal unseren lieben Eltern auch nur eine Silbe vermelden, wie schändlich und schmählichst wir gehalten wurden! Nur dem Beichtvater durften wir klagen, und das nur im Beichtstuhl, weil er über eine solche Anklage dann selbst verstummen musste!
[59.14] Wir fordern nun den verheißenen Himmel von dir (du römische Lockeule), und das mit mehr Recht als du den deinigen! Wo ist er? Führe uns hin – oder wir vergreifen uns an dir für ewig!“
[59.15] Die erste Nonne wirft sich nun vor dem Bischof Martin nieder und fleht ihn um Schutz an.
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