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55. Vom Hunger und Durst unreifer Geister. Martin im angeheiterten Zustand. Ernüchterung durch den erzürnten Jupitler

[55.1] Nach diesen Worten macht sich der Bischof Martin sogleich über ein gutes Stück Brot her und verzehrt es mit einem starken Appetit. Denn so irgendein Geist sich eine Weile von Mir abgewandt hat, da wird er bald sehr hungrig und durstig. Und bekommt er dann, so er ein wenig wieder in sich geht, etwas zu essen, so verzehrt er es mit großer Gier, desgleichen auch den Trank. Aber diese Gier zeigt eben auch, wie leer der Geist in seinem Innern ist und daher von ihm noch lange nicht viel Ersprießliches zu erwarten ist – was sich bei unserem Martin sogleich zeigen wird.

[55.2] Nachdem er nun das Brot verzehrt hat und darauf auch eine gute Flasche Wein, wird er sehr lustig und dabei aber noch mehr sinnlich. Denn auch die Geister, wenn sie nicht aus Mir und durch Mich wiedergeboren sind, können sich berauschen, in welchem Zustand sie dann oft ganz dumm und oft ganz sinnlich ausgelassen werden und ihre Freiheit dabei sehr missbrauchen.

[55.3] Als unser Bischof Martin die Flasche geleert hat, macht er den nunmaligen Wandkasten zu, damit sein Vorrat nicht verderbe nach seiner Idee. Als er mit der Verwahrung des Kastens zu Ende ist, da geht er hinaus ins Freie und spricht, natürlich zu sich selbst:

[55.4] [Bischof Martin:] „Gott sei Dank, nun hätt’ mein schon sehr hungrig gewordener Magen auch endlich wieder eine kleine Arbeit bekommen. Ich aber will nun in diesem meinem Gärtchen ein wenig herumschlendern und frische Luft einatmen.

[55.5] Ja, ja, die frische Luft nach einer Mahlzeit ist bei weitem besser als der dumme schwarze Kaffee, und wirklich, das muss ich sagen, die Luft dieses Gärtchens ist wirklich das Beste an ihm.

[55.6] Der Wein aber war schon auch so ein rechter Mondtropfen! Sapperment! Ist eigentlich nur so ein schwaches Halberl gewesen, aber ich g’spür ihn – was schon sehr viel sagen will, wann ich einmal so ein Halberl g’spür! Und ich g’spür ihn ganz ordentlich! Bin zwar nicht rauschig, aber ich gespür ihn!

[55.7] Wann in diesem Gärtchen nur so ein Bänkchen wäre, auf das man sich ein wenig niedersetzen könnte! So einem die Füße so ein wenig zu wackeln anfangen, da wäre dieses Gärtchen nicht zu verachten. Aber da gibt es nichts dergleichen und der Boden sieht eben auch nicht zu appetitlich aus!

[55.8] Ich werde an die Umzäunung des Gartens mich begeben, mich dort ein wenig anlehnen und einmal betrachten, was ich denn so ganz eigentlich für eine Nachbarschaft habe, oder ob ich eine habe! Denn von irgendeiner Landschaft ist hier wohl keine Spur zu entdecken, sondern die ganze Gegend gleicht einer Sandwüste, über der noch dazu ein grau umwölkter Himmel ein sehr düsteres und unfreundliches Gesicht macht. Also nur an den Zaun hin; wer weiß, was sich über denselben alles wird erschauen lassen?!

[55.9] Sapperment, sapperment! Aber ’s Wein’l g’spür ich! Ich sage es, ’s Wein’l g’spür ich! Aber nur an den Zaun!

[55.10] Aha, aha, da bin ich schon! Ahh, ahh! Die Aussicht ist prächtig! Da sieht man gar nichts! Dieser Garten samt meinem Palais royal scheint so eine Art Schiff zu sein, das auf den Wogen der Unendlichkeit herumschwimmt, in der es mit irgendeiner Nachbarschaft ganz verzweifelt schlecht aussieht. Ich bin also nun ganz allein, ja vollkommen allein bin ich, und das wird doch etwa auch ein wenig verflucht sein – und verdammt obendarauf!

[55.11] So, so, so – das ist nicht übel! Ich kann also nirgends hin, über dieses Gärtchen nicht eine Spanne weit? Oh, das ist ja ganz rein verflucht! Ich bin also so ganz geheim verflucht? Deswegen also solche Sentenzen auf der weißen Tafel? Deswegen also richtig dies irae, dies illa [Tag des Zornes, jener Tag]? Da werde ich nun einstweilen bis zum jüngsten Tag – requiescam in pace [in Frieden ruhen]. Dann aber wird über mich erfolgen die allerschönste ewige Verdammnis! O wehe, o wehe mir Armen!

[55.12] Wenn ich nur beten könnte, so einen Rosenkranz nach dem anderen und eine heilige lauretanische Litanei nach der anderen, die von großer Kraft und Wirkung ist, da könnte mir vielleicht doch noch geholfen werden. Aber ich kann nicht beten, und es kommt mir auch vor, als wollte ich’s nicht, wenn ich’s auch könnte! Ich kann höchstens noch herausbringen: ‚Herr, erbarme Dich meiner; Christus, erbarme Dich meiner; Herr, erbarme Dich meiner!‘ Weiter aber geht es auf keinen Fall!

[55.13] Ja, was schaue ich denn aber auch da in dieses dümmste Nichts hinaus? Zurück mit dir ins Haus! Da werde ich mich wieder an die Sonnentür hinmachen, von der man doch wenigstens die schöne Sonne sieht! Oder – halt! Ich gehe einmal an die Mondtür! Vielleicht treffe ich da meinen Mondweisen; der soll mir anzeigen, was ich zu tun habe, um möglicherweise vielleicht doch in ein etwas besseres Los zu gelangen! Also nur ins Haus hinein und da an die Mondtür!

[55.14] Da wär’ ich wieder! Schau, das Innere dieses Hauses sieht noch überaus herrlich aus; es bleibt sich gleich! Ah, da bleib’ ich von nun an ununterbrochen im Haus, es ist wirklich hier sehr angenehm! Aber nun an die Mondtür!

[55.15] Holla, da wäre ich bald hergefallen! Du Wein’l du; das will noch nicht so recht aus dem Capitolio [Kapitol, bzw. Kopf]! Aber das macht nichts. Da ist schon die Mondtür und offen auch noch dazu! Aber – o du verzweifelter Kampel [Kerl] von einem Mond – wie weit steht er von hier! Da wird sich mit dem Mondweisen aber nicht viel reden lassen! Ist zwar gerade Vollmond, aber er steht ja noch weiter von hier, als von der Erde ab, da ist also nichts!

[55.16] Werde mich einmal aber an den Jupiter machen; vielleicht ist der nicht gar so g’schämig als der keusche Mond?

[55.17] Da ist schon die Pforte zum großen Jupiter! Schau, diese ist zu! Werde sie aufzumachen versuchen! Hephata (tue dich auf)! Da sehe einmal, die ging leicht auf! Und, Gott sei Dank, Gott sei Dank, da werde ich etwa doch einmal zu einer respektablen Menschengesellschaft gelangen!

[55.18] Richtig, richtig, da kommt schon einer gerade auf mich zu, und nun ist der Planet auch völlig da! O Gott, o Gott, was sind das für furchtbar weite Ausdehnungen der Ländereien! Nun kommt es mir vor, als stünde mein Haus selbst auf dem Boden dieses Riesen der Planeten!

[55.19] Der schöne, große Mann steht zwar mir gerade vor dem Gesicht und ist ein Riese. Aber er scheint mich nicht zu bemerken, weil er gar nicht nach mir sich umschaut. Werde einmal in seine Sphäre treten – vielleicht wird er mich dann wohl erschauen?“

[55.20] Bischof Martin tritt nun in die Sphäre des Jupitlers und dieser ersieht ihn und fragt ihn sogleich:

[55.21] [Der Jupitler:] „Wer bist du, der du es wagst, dich mir zu nahen voll Schmutz und Unflat, voll Trug und voll Hurerei – lauter Schändlichkeiten, die meiner großen Erde völlig unbekannt sind? Meine Erde ist ein reines Land und würde gewaltigst erzürnt werden, so sie von dir länger betreten würde. Daher weiche zurück in dein Schmeißhaus, wo du fressen und huren kannst im Vollmaß deiner Schändlichkeit – oder ich zerreiße dich!“

[55.22] Bischof Martin macht nun einen Satz ins Innere seines Hauses und wirft eilends die Tür hinter sich zu und sagt zu sich: „Gehorsamer Diener – den Kerl könnte ich gerade noch brauchen als Zugabe zu meinem Elend! Lebe wohl, Herr vom Jupiter, wir sind für ewig quitt! Nein, das ginge mir gerade noch ab! Zerreißen? Ganz gehorsamer Diener! Da habe ich’s letzte Mal hinausgeschaut!“

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