[29.1] Als er (Martin) nun zu Mir kommt, da spricht er sogleich: „Aber Du mein allerliebster Herr, Meister, Freund und Bruder, das war eine schöne Geschäftsbescherung von Deiner Seite an meine angeborene Dummheit! Nun weiß ich wirklich nicht: Bin ich ein Narr – oder sind es die dadrinnen, die nun die Tür von uns scheidet?
[29.2] Die haben im Grunde eine noch größere Furcht vor Dir als die früheren und halten Dich im Ernst nicht nur für den einstigen Religionsstifter Jesus, sondern auch für das allerhöchste Gottwesen Selbst, und das mit einer Art philosophischer Konsequenz, der man gerade keine Berge von Kontrabeweisgründen entgegenstellen kann.
[29.3] Sage mir denn auch, Du liebster Freund, was an der Sache so ganz eigentlich gelegen ist. Woher mag es denn doch kommen, dass diese armen Seelen oder Geister von Dir so sonderlichen Begriff haben können? Ich sehe nun auch wirklich die bekannten Wundmale an Deinen Händen und Füßen und bin nahe außer Zweifel, dass du der einstige Heiland Jesus bist; aber Gott? Jesus und Gott zugleich? Das – erlaube mir – ist etwas zu viel!
[29.4] Und doch behaupten die dadrinnen das keck weg! Woher also haben denn diese eben einen solchen Begriff von Dir eingesogen? Sollten sie etwa am Ende doch noch recht haben? Das wäre mehr als endlos zu viel für eine arme Seele, wie nun die meinige da ist! Freund, wenn das im Ernst, mir freilich wohl unbegreiflichstermaßen der Fall wäre, da wüsste ich selbst vor Angst und Schrecken mir nicht zu helfen. O Freund, nun noch immer Freund – gib mir doch darüber einen beruhigenden Aufschluss!“
[29.5] Rede Ich: „Freund und Bruder, du warst doch selbst Bischof auf der Welt und hast Jesus, den Gekreuzigten, gepredigt und seine Gottheit sogar in den kleinsten Hostienpartikeln bewiesen! Siehe, alle diese hier nun in unserem Gewahrsam Befindlichen, die wir aus den Flammen gerettet haben, sind Schafe deines Sprengels und Jünger deiner Lehre.
[29.6] Warum hast du sie auf der Welt denn so gelehrt, so dir nun das als ein Unsinn vorkommt, was sie als Schüler deiner Schule behaupten? Reden sie Unsinn – Frage: ‚Wessen ist er?‘ Reden sie aber weise – Frage: ‚Was bleibt dann ihrem einstigen Lehrer für ein Ruhm, so er nun seine eigene Lehre in seinen Schülern bekämpfen will und auch wirklich bekämpft?‘ Ich meine, bei dieser Gelegenheit bliebe für ihn auch der Unsinn zum Präsente!
[29.7] Siehe, Ich bin wirklich der Jesus, der Gekreuzigte! Und in diesem Bruder habe Ich die Ehre, dir den wirklichen alten Petrus vorzustellen, auf dessen angenehmem Stuhl die Bischöfe Roms sitzen und herrschen; aber freilich nicht in der Ordnung dieses wirklichen Petrus, sondern in der Ordnung jenes Petrus, den sie sich selbst fingiert haben, wie sie ihn zu ihren materiellsten Zwecken am besten brauchen konnten! Nun weißt du, wer Ich und dein erster Führer sind; das Weitere werden dir deine eigenen Jünger zeigen!
[29.8] Ich sagte aber einst, dass die Kinder der Welt klüger sind denn die des Lichts. So du dich aber schon für einen Sohn des Lichtes gleich einem Herrscher Chinas hältst, so gehe hin zu deinen Schülern, die da reine Weltkinder sind, und lerne von ihnen Klugheit wenigstens, so dir ihre Weisheit schon durchaus nicht munden will und mag!“
[29.9] Spricht der Bischof Martin: „O Freund, Du bist wohl der Jesus, der Sich als Sohn des Allerhöchsten verkündete und verkünden ließ – wo, wo aber ist der Allerhöchste? Wo ist der allmächtige, ewige Vater? Wo dann der aus beiden hervorgehende Heilige Geist, so wir schon auf das Dogmatische zurückgehen wollen und beseitigen das Licht der reinen Vernunft?“
[29.10] Rede Ich: „Was steht im Evangelium geschrieben? Siehe, da heißt es: ‚Ich und der Vater sind eins; wer Mich sieht, der sieht auch den Vater!‘ Wenn du glaubst, was fragst du da weiter, so du Mich siehst? Glaubst du aber nicht, was fragst du? Bleibe, wie du bist, und Ich auch, wie Ich bin, und Ich meine, wir werden einander doch nicht in die Augen fahren?
[29.11] Dadrinnen aber sind deine Schüler. Gehe hinein zu ihnen und lerne von ihnen Meine Lehre von neuem, und komme dann wieder, auf dass Ich sie dir dann erkläre!
[29.12] Denn Ich, der wirkliche Heiland Jesus, sage dir hier in Meinem ewigen Reich, dass du ein sehr unsinniger Geist bist und erkennst nicht Meine übergroße Liebe, die Ich zu dir habe. Ich trage dich auf den Händen, und du bist noch immer taub und blind! Ich gebe dir das Brot des Lebens, und du verzehrst es wie ein Polyp, ohne auf die innere Wirkung zu achten, die es doch bei diesen Sündern plötzlich hervorgebracht hat!
[29.13] Du bist wohl einer, der mit offenen Augen und Ohren nichts sieht und hört. Welche wunderbarsten Begebnisse habe Ich um dich her geschehen lassen, und du fragtest nicht: ‚Wer ist der, dem Meere und Winde gehorchen?‘
[29.14] Darum gehe noch einmal zu diesen deinen Jüngern und lerne von ihnen den erkennen, den du bis jetzt noch stets dir gleich gehalten hast! Es sei!“
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