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26. Der neue Rock enthüllt Martins ehrliche Demut. Seine Bruderliebe wächst, er will sein Mahl den noch Hungrigen geben. Das gesegnete Liebesmahl

[26.1] Wir setzen uns nun zum Tisch, und Petrus bringt den Wein nebst einer Toga für Bischof Martin und sagt: „Da, Bruder, weil du deinen Rock und [dein] Leibchen den Armen gabst, so ziehe dafür diesen etwas bessern Rock an, und verzehre in diesem Kleid das vorgesetzte Mahl!“

[26.2] Bischof Martin betrachtet den schönen lichtblauen Rock mit purpurner Verbrämung und spricht: „Ah, ah, das ist für unsereinen ja viel zu schön und herrlich! Was fällt dir denn da ein? Ich – ein armer Sünder vom Kopf bis zum Zehenspitzel – und so ein Rock, wie ihn der Heiland Jesus auf der Welt getragen, der Würdigste der Menschen! Das wäre ja eine Persiflage ohnegleichen!?

[26.3] Nein, nein, das tue ich nicht! War Jesus auch gerade kein Gott, wozu ihn die dummen Menschen machten, so war Er aber dennoch der weiseste und beste Mensch aller Menschen, die je die Erde bewohnt haben. Er war ein vollkommenster Mensch ohne Sünde, an dem Gott sicher Sein höchstes Wohlgefallen haben konnte. Ich aber bin und war der unvollkommenste Mensch voller Sünden. Daher kann ich Seinen Rock nimmer anziehen!

[26.4] Wahrlich, Freunde, da wollte ich lieber keinen Bissen Brot und keinen Tropfen dieses Weines verkosten, als allerunwürdigster Weise diesen wahrhaftigsten Jesusrock anziehen. Gebt mir sonst irgendeinen für mich taugenden Fetzen her. Es ist genug, dass ich auf der Welt Melchisedeks Kleider trug und hier diese Torheit teuer genug habe büßen müssen: Für die ewige Zukunft werde ich mit Gottes Hilfe etwa wohl klüger sein!?“

[26.5] Rede Ich: „Auch gut; wie du’s willst! Hier gibt es durchaus keinen Zwang; daher esse und trinke nun ohne Rock. Es sei!“

[26.6] Spricht wieder Bischof Martin: „Das freut mich, das freut mich, nur keinen Luxus für unsereinen! Aber, liebe Brüder, nun komme ich euch mit einer andern Bitte; höret! Ich bin zwar schon recht hungrig und durstig, aber unsere armen Schützlinge werden sicher noch hungriger und durstiger sein. Gönnt mir daher die Freude, dass ich den mir beschiedenen Teil diesen Armen überlasse und ihn selbst hintrage. Die Freude, diese Armen gesättigt zu haben, soll diesmal eine Hauptsättigung meines Herzens sein!“

[26.7] Rede Ich: „Liebster Bruder, solch ein Wunsch aus deinem Herzen macht auch Mir die größte Freud! Aber diesmal soll’s bei deinem alleinigen Wunsch verbleiben, denn siehe, für diese deine Armen ist schon bestens gesorgt. Daher setze dich nur zu Mir her und esse und trinke nach deiner Herzenslust. Nach der Mahlzeit werden wir dann die Armen besuchen und werden sehen, ihnen irgendeine angemessene Beschäftigung zu geben. Also sei es!“

[26.8] Petrus spricht: „Herr und Meister, teile Du das Brot und auch den Wein aus; denn mir schmeckt alles besser, so Du es austeilst, als wenn ich mir’s selbst nehme! Ich bitte Dich darum, liebster Herr und Meister!“

[26.9] Rede Ich: „Ja, ja, mein geliebtester Bruder, das tue Ich dir von ganzem Herzen gerne, wenn es nur unsern lieben Freund und Bruder nicht geniert!“

[26.10] Spricht Bischof Martin: „Oh, nicht im Geringsten, liebste Freunde und Brüder! Ich kenne wohl die Sekte der sogenannten Brotbrecher – ihr werdet weltlicherseits wahrscheinlich ihr angehört haben? Allein das ist hier in der Geisterwelt ja ohnehin gehauen wie gestochen. Wem hier derlei menschlich fromme Rückerinnerungen aufheiternd dünken, der tue meines Erachtens, was ihm gut deucht. Mir aber ist nun alles, was da irgend nach einer Zeremonie riecht, sehr leicht entbehrlich. Denn ich habe mir auf der Welt an aller Zeremonie einen allerbarsten Ekel gefressen.

[26.11] Daher mögt ihr hier das Brot auseinanderbrechen, -schneiden oder -sägen, das ist mir eines; wenn’s zur rechten Zeit nur was zu beißen gibt. Mit dem aber bin ich einverstanden, dass da der Herr des Hauses das Brot an seine zwei Knechte austeilen soll; denn man isst ein gegebenes Stück Brot ungenierter als eines, das man selbst genommen hat!“

[26.12] Rede Ich: „Nun gut, gut, so es dich nicht geniert, so will Ich das Brot brechen und segnen und es euch dann austeilen!“

[26.13] Ich breche nun das Brot und segne es und gebe es dann den zweien.

[26.14] Petrus weint nahe vor Freude, Bischof Martin aber lächelt ganz freundlichst und umarmt den Petrus und spricht: „Bist aber du auch ein seelenguter Mensch! Die Brotbrechung hat dich gewiss an die sehr erhabene, entweder wirkliche oder wahrscheinlich frommgedichtete Szene der zwei nach Emmaus wandelnden Jünger erinnert? Ich muss es auch aufrichtig gestehen, dass sie mich selbst schon oft zu Tränen gerührt hat.

[26.15] Denn es liegt darinnen fürs Erste wirklich eine schöne, hohe Bedeutung zugrunde. Und fürs Zweite fühlt man die Sehnsucht und den Wunsch, dass sich diese Szene wirklich hätte ereignen mögen, indem der schwache, kurzsichtige Mensch nichts lieber als von Wundern hört und träumt, besonders wenn seine Phantasie irgend das allerhöchste Gottwesen so inkognito persönlich kann mitwirkend darstellen bei irgendeiner urzeitlichen Gelegenheit. Bei einer gleichzeitigen würde die Sache freilich ein bei weitem unglaublicheres Gesicht bekommen.

[26.16] Also brich du, liebster Herr, Meister und Freund, nur allzeit das Brot; denn auch mir gefällt diese fromme Art!

[26.17] Aber hörst Du, lieber Freund, ist aber das ein herrliches Brot! Und der Wein – Nonplusultra! Hab’ wahrlich auf der Erde wohl nie etwas Exzellenteres verkostet! Ist das auch etwa so ein Gedankenwein, also überaus geistiger Natur? Das macht aber nichts! Mag er wachsen, wo er will, wenn er nur gut schmeckt. Gott sei gelobt und gepriesen für ewig für dies herrlichste Mahl! Jetzt wird sich’s schon wieder tun bei der möglich vorkommenden schwersten Arbeit.“

[26.18] Rede Ich: „Nun, Mich freut es auch, so es euch beiden wohlgeschmeckt hat; es sei euch gesegnet! Nun aber gehen wir schnell zu unseren Armen und wollen sehen, wie sie sich befinden!“

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