[23.1] Spricht Bischof Martin: „Ich sehe mehrere überaus zerlumpte Menschen gar entsetzlich langsamen, hinkenden Schrittes wandeln. Sie scheinen kein Obdach zu haben, und wahrscheinlich werden sie auch im Magen eine sehr bedeutende Leere haben und ihr Herz dürfte gerade auch nicht der heitersten Stimmung sein.
[23.2] Freund, mich erbarmen diese armseligen Wanderer. Lass es mir zu, dass ich hingehe und sie hierherführe, sie hier aufnehme und so viel als möglich gut versorge! Sind diese Zimmer auch schmutzig, so werden sie ihnen aber dennoch sicher dienlicher sein als jene frostigen und sehr trüb aussehenden holprigen Pfade nach jener mir wohlbekannten Richtung, bei deren Verfolg es immer schlechter wird!“
[23.3] Rede Ich: „Gut, recht gut, gehe und tue, was dir dein Herz gebeut [gebietet]! Aber das muss dich nicht abschrecken, so du finden wirst, dass jene Wandler nicht deiner, sondern lutherischer Konfession sind!“
[23.4] Spricht Bischof Martin: „Das ist freilich wohl ein wenig zuwider. Aber nun ist schon alles eins, ob Luther, Mohammed, Jude oder Chinese! Kurz, was Mensch ist, dem soll Hilfe werden!“
[23.5] Bischof Martin, noch in der gemeinen Landmannskleidung, empfiehlt sich nun und eilt den Wandlern nach und ruft und schreit, dass sie seiner doch harren sollen. Worauf die Wandler stehenbleiben und warten auf unsern Bischof Martin, um zu erfahren, was er mit ihnen wolle. Denn diese sind eben auch erst von der Erde in der Geisterwelt angelangt und wissen nun auch nicht, wo aus, wo ein.
[23.6] Nun aber hat unser Bischof Martin eben diese traurige Gesellschaft erreicht und spricht zu ihr in einem sehr freundlichen Ton: „Liebe Freunde, wohin, wohin wollt ihr euch denn da begeben? Ich bitte euch um Gottes willen, kehrt um und folgt mir nach, sonst geht ihr alle zugrunde! Denn die Richtung, die ihr verfolgt, führt schnurgerade zu einem Abgrund, der euch alle für ewig verschlingen wird!
[23.7] Ich aber bin hier mit noch zwei gar lieben Freunden ansässig, eine geraume Zeit schon, und weiß, wie diese Gegend hier beschaffen ist, daher ich euch denn auch warnen kann.
[23.8] Seht aber dorthin gegen Mittag! Daselbst werdet ihr einen Palast erschauen, der freilich von außen schöner als von innen aussieht, aber das macht vorderhand nichts! Ein Obdach und auch ein Stückchen Brot werden wir darinnen dennoch finden, was doch auf jeden Fall besser sein wird als diesen ins sichere Verderben führenden Weg fortwandeln! Besinnt euch daher nicht lange, sondern kehrt sogleich um und folgt mir; bei Gott, es soll das euer Schade nicht sein!“
[23.9] Einer von den Wandlern spricht: „Gut, wir wollen dir folgen, nur das bemerken wir dir im Voraus, dass du uns in kein katholisches Haus bringst! Denn da wäre für uns keines Bleibens, indem wir gegen nichts einen so starken Widerwillen haben als eben gegen den über alle Pest stinkenden römischen Katholizismus und namentlich gegen den Papst, gegen seine Bischöfe und gegen das über alles schlechte Mönchstum der römischen Hure!“
[23.10] Spricht der Bischof Martin: „Was Papst, was Bischof, was Mönch, was Luther, was Calvin, was Mohammed, was Moses, was Brahma, was Zoroaster? Das gilt nur auf der dummen Welt etwas; hier im Reich der Seelen und Geister hören alle diese irdischen dummen Unterschiede so gut wie ganz rein auf! Hier gibt es nur eine Losung, und diese heißt Liebe! Mit dieser allein kommt man hier weiter; alles andere zählt so viel als nichts!
[23.11] Als ich auf der Welt war, war ich zwar ein römischer Bischof und bildete mir was Ungeheures darauf ein. Aber hier angelangt, lernte ich es sobald kennen, wie ganz und gar nichts daran gelegen ist, was man auf der Welt war, sondern alles liegt daran, was man auf der Welt getan hat und wie und unter welchen Bedingungen!
[23.12] Daher lasst auch ihr euch weder durch Luther noch durch Calvin beirren, sondern folgt mir! Wahrlich, ihr sollt es nicht bereuen! Wird es euch bei mir aber nicht behagen, nun so steht euch dieser Weg noch immer offen!“
[23.13] Spricht der Anführer dieser Gesellschaft: „Nun gut, du scheinst mir ein ziemlich gescheiter Mann zu sein; daher wollen wir dir denn auch folgen hin in deine Behausung! Aber das bitten wir uns schon im Voraus aus, dass da unter uns ja nie von der Religion etwas gesprochen wird; denn uns ekelt alles, was Religion heißt, auf das allerwidrigste an!“
[23.14] Spricht der Bischof Martin: „No, no, ist ja auch gut! Redet, wovon ihr reden wollt. Nach und nach werden wir uns wohl hoffentlich noch besser kennenlernen, und ihr werdet an mir durchaus nie etwas entdecken, was euch nur irgend im Allergeringsten tuschieren [beleidigen] soll. Daher nur muntern und heitern Geistes aufgebrochen, und in meiner und besonders meiner Freunde und Brüder Behausung Platz genommen!“
[23.15] Nun geht Bischof Martin voraus, und die ganze Karawane von dreißig Köpfen folgt ihm, und er führt sie geraden Weges dem Palast zu und nun in denselben und da schnurgerade zu Mir und spricht:
[23.16] [Martin:] „Siehe, mein geliebtester Freund und Bruder in Gott dem Herrn, hier habe ich sie glücklich samt und sämtlich hierhergebracht. Nun sei Du von der Güte und zeige mir an, in welchen Gemächern wir sie unterbringen werden, und dann werde ich Dich auch bitten um ein wenig Brot, auf dass sie sich stärken, denn sie werden sicher schon sehr hungrig sein.“
[23.17] Rede Ich: „Dort, die Tür gegen Abend, da ist ein großes Zimmer gut eingerichtet! Da werden sie schon alles finden, was ihnen irgend gebricht. Du aber komme dann zurück, auf dass wir schnell an eine wichtige Arbeit gehen, die keinen Aufschub leidet!“
[23.18] Bischof Martin tut schnell, wie Ich es ihm anzeigte, und die Gesellschaft freut sich sehr, als sie in das angezeigte, wohl eingerichtete Zimmer tritt, das ihr der Bischof Martin anweist. Nach der Einlogierung aber kommt er schnell wieder und fragt, wo die neue Arbeit wäre.
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