[22.1] Spricht der Bischof Martin: „Ja, ja, Du hast vollends recht, teuerster Freund! Nun gehen mir erst die Augen so ganz eigentlich ein wenig auf. Auch empfinde ich nun rechte Liebe in mir – ja, ich liebe Dich nun von ganzem Herzen! O lass Dich an mein Herz drücken, denn ich sehe nun, wie arg und dumm ich war und noch bin und wie wahrhaft gut Du es mit mir meinst! O Du herrlicher Freund Du, und du auch, mein erster Führer, vergib mir meine große, roheste Blindheit!
[22.2] Aber, aber, was ist denn das?! Wo ist denn nun das Meer hingekommen, wohin unser Schiff? Es ist hier ja alles trocken, das schönste Land! Ach, diese herrlichen Fluren, dieser wunderschöne Garten, und dort, wo ehedem die Hütte stand, steht nun ein Palast von – von mir nie geschauter Pracht! Ja – wie, wie, wie ist denn nun das geschehen?“
[22.3] Rede Ich: „Siehe, Bruder, das gebar schon ein kleinster Funke rechter Liebe zu nur deinen Brüdern und Freunden! Das Meer deiner Sünden trocknete er aus samt all den bösen Wirkungen, und den Schlamm deines Herzens verwandelte er in ein fruchtbares Land. Die ärmliche Hütte deiner Erkenntnis verwandelte dieser Liebesfunke in einen Palast.
[22.4] Aber siehe, wie herrlich dies auch alles schon aussieht, so aber ist dennoch nirgends noch von einer reifen, genießbaren Frucht etwas zu entdecken. Alles gleicht noch stark dem Feigenbaum, der keine Frucht hatte zur Zeit, da es den Herrn hungerte nach des Feigenbaumes Frucht.
[22.5] Darum heißt es nun vollauf tätig sein und die einmal erwachte Liebe frei walten lassen, wodurch dann diese Bäume ehestens Frucht tragen werden. Denn siehe, wie auf der Welt alles im Licht und in der Wärme der Sonne wächst und reift, ebenso wächst und reift hier alles im Licht und in der Liebe des Herzens des Menschen! Des Menschen Herz ist die Sonne dieser Welt für ewig!
[22.6] Bald werden sich dir nun in dieser neuen, besseren Periode eine Menge Gelegenheiten zeigen, dein Herz zu beschäftigen, seine Kraft zu erweitern und zu stärken. Je mehr du es in der Liebe wirst wallen lassen, desto mehr des Segens wirst du in dieser Gegend auftauchen ersehen!
[22.7] Komm aber nun mit uns in diesen Palast, darinnen werden wir erst das Nähere dieses deines neuen Zustandes besprechen, und du wirst von da aus auch sobald eine Menge Gelegenheiten entdecken, die alle dein Herz in den vollsten Anspruch nehmen werden. Komm also, Bruder, und folge uns beiden! Es sei!“
[22.8] Wir sind nun schon im Palast, dessen Inneres bei weitem nicht so herrlich aussieht, als dessen Äußeres, was den Bischof Martin auch etwas frappiert, dass er sich darob nicht enthalten kann, folgende satirische Bemerkung zu machen, die also lautet:
[22.9] „Nein, aber das heißt bei mir doch auch etwas fürs Gesicht herstellen! Von außen Königspracht und von innen Bettlertracht! Wer dies gemacht, hat schlecht gedacht. Da sieht es ja gerade so aus, als so das Gebäude von innen noch gar nicht ausgebaut wäre, sondern bloß nur von außen fürs Auge verputzt.
[22.10] Liebe Freunde, da muss ich auch offen gestehen: Die frühere Hütte wäre mir um eine ganze Million lieber! Nur der Mist, der Mist! Ah, was es da noch Mist darinnen gibt! Hört, in diesem Mist kann ich’s, der ich die größte Reinlichkeit liebe, ja beinahe gar nicht aushalten!
[22.11] Freunde, liebe Freunde, ich bitte euch, gehen wir sogleich wieder in das herrliche Freie! Denn in diesen Mistgemächern wäre ich auch nicht eines guten Gedankens fähig und könnte eher schlechter als besser werden; denn vor dem Zimmermist habe ich einen ganz absonderlichen Widerwillen!“
[22.12] Nun rede wieder Ich: „Höre, du lieber Bruder und Freund, wohl sehe Ich, dass dir das Innere dieses Palastes nicht gefallen kann. Aber du wirst damit auch einsehen, dass das Innere deines Herzens, das genau diesem Palast entspricht, Gott dem Herrn ebenso wenig gefallen kann wie deinen Augen diese unreinsten Gemächer!
[22.13] Du hast sicher auf der Welt unter den heidnischen Fabeln auch von des Herkules zwölf schweren Arbeiten gehört, welche dieser Held verrichten musste, um in die Zahl der fabelhaften Götter aufgenommen zu werden? Unter diesen Arbeiten befand sich auch die bekannte Stallreinigung.
[22.14] Was tat der fabelhafte Held Herkules? Siehe, er leitete einen ganzen Fluss durch den großen Stall, und dieser hob sobald allen Mist in wunderkürzester Zeit aus dem Stall!
[22.15] Ich aber sage dir: Leite du auf gleiche Weise einen ganzen Strom der Liebe durch den alten Sündenstall deines Herzens, so wird solch ein Strom auch am geschwindesten mit diesem deinem Herzensmist fertig werden.
[22.16] Als wir uns noch am Meer befanden, das da aus deiner eigenen Sündflut entstanden ist, da genügte ein Fünklein oder ein Tropfen der echten Liebe und das Meer vertrocknete, und der Schlamm wurde in fruchtbares Erdreich verkehrt!
[22.17] Dies Fünklein, da es bei dir nur durch Meine Rede erzeugt wurde, also wie durch ein äußeres Mittel, konnte daher auch nur das Äußere deines Herzens berühren und durch diese Berührung es rein machen. Aber das Innere deines Herzens blieb noch, wie es war: ein wahrer Augiasstall, der nur durch dich selbst gereinigt werden kann. Und das, wie oben gesagt, durch einen ganzen Strom von rechter Liebe zu uns, deinen Brüdern und größten Freunden, und auch zu denen, die dir bald hie und da vors Gesicht treten werden und in Anspruch nehmen dein Herz.
[22.18] Da sehe zu diesem Fenster hinaus! Was siehst du dort in einiger Ferne von hier gegen Mitternacht hin?“
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