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192. Martin versucht den Satan zur Umkehr zu bewegen. Dessen Größenwahn-Erwiderung

[192.1] Spricht Martin: „Armseliger, wie ich dich nun vor allen diesen lieben Zeugen und Freunden des Herrn geduldigst angehört habe, so auch erwarte ich von dir, dass du mich nun geduldig anhören wirst. Denn ich sage dir im Namen des Herrn, dass wir nun so ganz eigentlich da sind, dir zu helfen für ewig, oder dich zu richten für immer.

[192.2] Viel sagtest du mir nun von deiner wahrlich höchst unglücklichen Lage und Stellung, in der du dich schon Äonen von großen Schöpfungszeiträumen befindest. Aber siehe, ich bin ein Hartgläubiger und sage es dir gerade heraus, dass ich von all dem nicht den dritten Teil glaube.

[192.3] Dass es dir sicher sehr elend geht, ja manchmal sogar unaussprechlich elend und schlecht, das glaube ich dir recht gerne. Aber die Gründe deines großen Elends glaube ich dir durchaus nicht! Denn nur zu gut kenne ich nun des Herrn endloseste Güte, Liebe, Geduld, Sanftmut und die unbegreiflichste Herablassung zu uns, Seinen Geschöpfen, als dass ich nur im Geringsten glauben könnte, dass es Sein Wille sein könnte, dich rein für das entsetzlichste größte Elend in der ganzen Unendlichkeit geschaffen zu haben, indem es doch sonst nirgends ein Wesen gibt oder geben kann, das den Herrn solch einer furchtbarst schrecklichsten Härte zeihen könnte!

[192.4] Mir ging es auch, als ich in diese wahre Welt kam, gar nicht gut. Ich war elend, litt Hunger und Durst und wurde von der entsetzlichsten Langeweile geplagt, die aus Minuten Jahrtausende schuf. Aber das geschah alles, um mich zu erwecken und endlich einzuführen in das Reich der ewigen Herrlichkeit Gottes. In diesem Reich erkannte und erkenne ich stets mehr und mehr, wie alle die scheinbar elenden Zustände nichts als die größte Liebe des Herrn waren, auf dass ich durch sie geläutert und fähig würde, die nunmalige Vollliebe des Vaters in mich aufnehmen zu können.

[192.5] Hätte ich meinen herübergebrachten bischöflichen Hochmut früher abgelegt – was ich, wie ich es nun einsehe, gar leicht hätte tun können – so wäre es mit mir auch schnell besser gewesen. Aber ich selbst war hart und wollte es nicht, weil der bischöfliche Hochmut mich belebte und aus dem heraus eine wahre Millionsinnlichkeit! Und so musste ich wohl leiden, aber nicht aus dem Willen des Herrn, sondern rein aus meinem höchst eigenen Willen heraus, an dem du von mir aus ewig keine Schuld tragen sollst und noch endlos weniger der Wille des Herrn!

[192.6] Und siehe, so glaube ich auch fest, dass an deinem Elend niemand schuld ist als du ganz allein! Wolltest du in diesem Augenblick dich zum Herrn wenden und als ein wahrhaft verlorener Sohn zurückkehren in den Schoß deines heiligen, ewigen Vaters, fürwahr, für ewig will ich an deiner statt das elendste Wesen der ganzen Unendlichkeit sein, so Er dir nicht augenblicklich mit den liebeerfülltesten offnen Armen entgegenkäme und dich unter der größten Festlichkeit aller Himmel als Seinen liebsten Sohn aufnähme!

[192.7] Durch dich selbst, ärmster Bruder, tue das, und dein großes Elend hat augenblicklich für ewig ein Ende! Vergib mir auch, dass ich oft hart auf dich war und legte meine Sünden dir zur Last! Ich nehme nun aber alles auf meine Rechnung und will dir ewig gut sein, so du diesen meinen Vorschlag annimmst und danach handelst!

[192.8] Ich bekenne es auch, dass ich gar nicht wert bin, dir als dem ersten und größten Geist aus Gott solch einen Vorschlag zu machen. Denn ich weiß es, dass in dir noch jetzt in deinem Gericht endlos mehr Weisheit und Stärke zu Hause ist, als ich, ein wahres Nichts gegen deine Größe, es ewig je werde fassen und begreifen können. Aber eben darum, weil ich dich deiner Größe wegen so schätze und als den Erstling Gottes hoch verehre, wünsche ich gleichwie alle Himmel, dass du endlich einmal zu deinem Gott, zu deinem Vater umkehren möchtest!

[192.9] Es sind ja schon völlige Ewigkeiten verronnen, in denen du stets bemüht warst, dich über den ewigen, allmächtigen Gott zu schwingen durch alle Mittel, die deiner tiefsten Weisheit und übergroßen Macht nur auffindbar möglich waren! Du hast durch sie nicht nur nie etwas erreicht, sondern bist nur allzeit und allwegs elender, schwächer und armseliger geworden. In nichts bist du dadurch reicher geworden als in dem nur dich selbst verzehrenden Grimm und Zorn gegen Gott.

[192.10] Wohl zahllose Male hast du auch schon entweder gleiche und auch bessere Einladungen bekommen, als wie diese meine nun ist. Aber sie gingen fruchtlos an deinem mir unbegreiflichen Starrsinn vorüber. Aber siehe, einen elenderen Boten hast du sicher nie noch in solcher Absicht vor dir gehabt, als ich nun bin; daher mache nun eine Ausnahme und kehre mit mir um!“

[192.11] Spricht der Satan: „Du hast nun wahrlich sehr artig und nett geredet, und ich vergebe dir darum auch alle deine Grobheiten, die du mir angetan hast. Aber was da dein mir nur schon zu bekanntes Begehren betrifft, da werde ich dir erst dann antworten können, wenn im ganzen unermesslichen Schöpfungsraum keine Sonne und keine harte Erde mehr mein Wesen gefangen halten wird.

[192.12] Denn mein Ich ist das unermessliche All; dieses aber ist gerichtet. Wie kann ich des Gerichtes los werden in meiner Allheit? Denn was du hier vor dir siehst, ist nur der innerste Lebenskern meines für deine Begriffe zu endlosen Seins! Kannst du mir geben, was ich verloren habe, dann will ich dir auch unverzüglich folgen!“

[192.13] Martin starrt den Satan an und spricht nach einer Weile ganz ernst: „Ja, durchaus alles, armseligster Erstling aus Gott; also folge mir!“

[192.14] Spricht Satan: „Womit kannst du dein Versprechen mir als vollends wahr garantieren?“

[192.15] Spricht Martin: „Mit der endlosen Liebe Gottes, deines Vaters! Genügt dir diese?“

[192.16] Spricht Satan: „Freund Martin, du meinst es nach deinen beschränkten Begriffen wohl recht artig und gut mit mir, und die Garantie ist gut und annehmbar für Geister, die wie du endlich und beschränkt sind. Aber ob diese Garantie auch mir, der ich gleich Gott – wennschon aus Gott – ein unendlicher Geist bin, genügen kann, das ist eine ganz andere Frage!

[192.17] Siehe, für eine Mücke wirst du bald und leicht Futter in Menge finden, aber nicht so leicht für einen Elefanten und noch weniger für den riesigsten Leviathan, der berggroße Brocken zu seiner Sättigung braucht.

[192.18] Also ist die für dich unendliche Liebe Gottes für endliche Wesen wohl mehr als genügendst groß, um sie alle für ewig zu sättigen. Aber für einen gleichmäßig unendlichen Geist dürfte sie nur dann genügend sein, so sie nur ihn allein zu sättigen hätte.

[192.19] Aber neben ihm noch eine Unendlichkeit von zahllosen Wesen sättigen, von denen mit der Weile ein jedes Unendliches benötigen wird, siehe, da hat auch die unendliche Liebe der Gottheit notwendig ihre Grenzen, weil sie aus ihrer einen Unendlichkeit zwei Unendlichkeiten zu erhalten hätte, was da rein unmöglich wäre.

[192.20] Ich brauche selbst jetzt noch endlos viel durch den ganzen endlosen Schöpfungsraum physisch und moralisch, wo ich allerhärtest gefangen bin. Wie endlos mehr würde ich erst dann in meiner wiedergewonnenen Freiheit brauchen!

[192.21] Ich sage dir und auch euch allen, die ihr hier seid: Ich kehre euretwegen nicht zurück. Denn kehre ich zurück, so geht ihr unter und zugrunde! Ich allein weiß es, wie groß Gott ist, wie viel Er hat und was Er geben kann. Ich sehe es ein, dass Er mich und euch unmöglich zugleich erhalten kann. Daher bleibe ich lieber ewig elend, auf dass ihr als meine Kinder die mir allein bestimmte und gebührende Herrlichkeit genießen könnt, was ich euch auch von ganzem Herzen gönne.

[192.22] Ich sehe es wohl nur zu gut ein, dass Gott unendlich gut ist; aber eben diese Seine zu unendliche Güte macht Ihn zum Verschwender! Würde ich aus Liebe zu euch, meinen Kindern, Ihm nicht die freilich sehr heiße Stange halten und Ihn manchmal beschränken in Seiner zu ungeheuren Großmut, so dürfte Er bald wieder auf die Erde gehen und dort bei Seinen harten Geschöpfen Brot suchen!

[192.23] Du siehst also, dass mir die endlose Liebe Gottes nicht als eine annehmbare Garantie dienen kann. Daher musst du mir schon eine andere geben, die mir mehr taugen wird als diese!“

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Bischof Martin

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