[172.1] Nach diesen Worten wendet sich Martin an die Gemeinde und spricht: „Ihr alle, die ihr hier bei dieser außerordentlichen Gelegenheit versammelt seid, um Worte des Lebens aus meinem und endlich sogar aus dem Mund des Herrn Selbst zu vernehmen: Lasst euch vor allem gesagt sein, dass ihr euch nicht sollt stören lassen, so nun ein böses Wetter euch bedrohen wird. Denn seht, es ist ja der Gott, der allerhöchste, allmächtigste Geist Selbst hier sichtbar gegenwärtig und ist eben Derselbe, mit dem ihr alle mich ehedem habt reden gesehen, wenn auch nicht gehört.
[172.2] Dieser alleinig wahre, ewige Herr und Schöpfer aller Unendlichkeit hat Selbst mir für euch alle die vollste und wahrste Versicherung gegeben, dass Er den Bösen vor euren Augen auf das Allergewaltigste züchtigen wird, so er es wagen sollte, sein arges Spiel noch weiter treiben zu wollen. Da wir von Ihm Selbst aber solch eine Versicherung haben, so wollen wir aber auch ohne alle Furcht in aller Geduld harren, was alles der Herr über uns für Gnaden wird ergehen lassen.
[172.3] Ich aber, der nun redet, bin durchaus kein Weiser aus mir, sondern alles, was ich euch nun sagen werde, das werde ich euch sagen aus dem Herrn, nicht in hohen, sondern in ganz einfältigen Worten. Daher erwartet auch nicht Hohes, aber dafür desto mehr Wahres und Gutes! Denn ich werde euch geben, was ich habe; und so vernehmt mich!
[172.4] Meine teuren nunmaligen Genossen der Gnade, der Gnade meines Gottes und eures Gottes, meines Herrn und Vaters und eures Herrn und nun auch eures Vaters! Der allmächtige beste Wille eben dieses einen Vaters hat euch alle schon vom Uranfang auf dieser eurer herrlichsten Welt mit so viel Vorzügen ausgerüstet, dass sich dieselben gegen die Bewohner meiner Erde in gar kein Verhältnis bringen lassen.
[172.5] Ihr seid eurer Gestalt nach schön, ja so schön seid ihr, dass wir Erdbewohner uns nicht einmal einen reinsten Lichtengel unmöglich schöner vorstellen können. Dazu habt ihr die Dauer eures irdischen Lebens freigestellt, so dass da jeder aus euch leben kann, solange er will. Und der Unterschied zwischen eurem Naturleben und eurem abgeschiedenen Seelenleben ist wirklich so gering, dass es nahe ein Gleiches ist, ob ihr mit diesem eurem Leib oder ohne denselben herumwandelt. Ihr seht und sprecht die, so dahingeschieden sind, wann und wie oft ihr nur immer wollt, und könnt auch sogar mit uns nun ganz reinen Geistern reden und handeln, als hättet ihr gar keinen Leib mehr!
[172.6] Wie ganz anders ist das alles auf jener harten Welt gestellt, auf der ich und alle hier mit mir Seienden im Fleische gewandelt haben! Das Naturleben ist zwar wohl unbestimmt, aber dabei dennoch sehr kurz gehalten und gemessen; so von euch jemand sagt: ‚Ich bin jung!‘, da wäre er bei uns schon ungeheuer alt. Denn ich weiß es, dass hier in dieser Versammlung es noch gar viele gibt, die nach unserer Zeitrechnung mehrere hundert Jahre alt wären. Und das sind bei euch noch junge Menschen, während sie bei uns schon wahrlich fabelhaft alt wären.
[172.7] Also gibt es bei euch aber auch so alte Menschen, dass sie nach unserer Zeitrechnung schon schier älter sind als das gesamte Menschengeschlecht auf meiner kleinen Welt! Ja es wird hier wohl auch so alte noch im Fleische lebende Menschen geben, die vielleicht noch um tausendmal älter sind. Welche große, wichtige und man könnte sogar sagen – welche heilige Erfahrungen müssen solche Menschen gemacht haben, und welch einen hohen Aufschwung muss eure geistige Bildung an der Seite solcher hocherfahrenen Lehrer gewinnen, und wie tief muss eure Weisheit ihre herrlichsten Wurzeln treiben!
[172.8] Während auf unserer Welt man noch kaum zu begreifen angefangen hat, was das Leben ist, so wird man schon schmerzlichst getötet, muss aus dem schlechten Fleische. Ob zum ewigen Leben oder Tod, das wird wohl kaum jemandem angezeigt. Kurz, man muss alles verlassen, was man sich irgend erworben hatte, sei es Ehre, Ruhm, Glanz, Tugend, Wissenschaft, Weisheit; darauf wird nie vom Herrn aus Rücksicht genommen! Sondern wenn der heimliche Würge- und Marterengel kommt und dem Menschen heimlich sein Schwert ins Herz stößt, so ist es dann schon gar.
[172.9] Man muss sterben ohne alle bestimmte Aussicht auf eine Vergeltung! Denn das Leben nach dem Tod des Leibes besteht bei uns nach tradierter Lehre bloß nur im Glauben und Hoffen; aber wohl fast niemand hat schon, wie ihr hier, ein bestimmtes Bewusstsein (des ewigen Lebens) in seinem Fleischleben! Bedenkt, welch ein Vorzug das für einen freien Menschen ist, so er, wie ihr hier, ein Herr seines Lebens ist! Wie kann er sich all des Erworbenen freuen und wie frei genießen all die zahllosen Vorzüge solch eines Lebens!
[172.10] Ihr könnt mit den Seelen eurer von euch leiblich geschiedenen Brüder reden und könnt sie auch allzeit sehen, als wären sie gar nicht gestorben. Bei uns weiß der Zehntausendste kaum, ob nach dem Fleischtod wohl noch ein Leben ist und wie gestaltet. Und doch ist man verpflichtet, alles für ein Leben zum Opfer zu bringen, das so viele gar nicht kennen und nicht einmal eine volle Ahnung haben, dass es ein solches Leben gibt. Und die es wohl glauben, haben doch nicht die leiseste Andeutung – außer einigen unhaltbaren Fabeln –, worin dieses Leben, und wie es bestehet oder bestehen wird!
[172.11] Denkt euch, welch ein unberechenbarer Vorzug das ist, so ein Geschöpf von Anfang an schon wie ein Herr seines Lebens dasteht!“
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