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166. Johannes beleuchtet die Einswerdung des Menschen mit Gott. Beispiel vom Meer und den Wassertropfen. Schwerfälligkeit der Verstandsweisheit

[166.1] Spricht Johannes: „Lieber Freund, du gehst wohl sehr kritisch zu Werk in dieser freilich über alles wichtigen Sache und hast in so manchem recht. Aber im Ganzen und Allgemeinen kannst du damit aber dennoch auf sogestaltige Abwege gelangen, auf denen du wohl Ewigkeiten schwerlich das einstige wahre Ziel deines Seins erreichen möchtest! Daher will ich dich im Namen des Herrn, der nun gerade unsertwegen ein wenig innehält, auch ein wenig tiefer beleuchten. Und so höre, du lieber Freund:

[166.2] Du nahmst zu einem natürlichen Bild deine Zuflucht, um mir die Richtigkeit deines dich vor Furcht schützen sollenden Grundsatzes desto klarer vorzustellen. So kann ja auch ich ein ähnliches Bild nehmen, um wider dich selbst ein Zeugnis zu stellen, das dich erhellen soll mehr denn das nahe maßlose Lichtmeer deiner mir vorgeführten Sonne! Ich werde zwar nicht so tief wie du in den Schöpfungsraum hineingreifen, aber ich glaube dennoch, dass ich unter dem Beistand des Herrn den Nagel auf den Kopf treffen werde.

[166.3] Siehe, das Meer ist auf nahe einer jeden Welt – mag sie groß oder klein sein ihrem Volumen nach – jene Wassermasse, in die sich endlich alle einzelnen Ströme, Flüsse, Bäche und zahllose kleinere Bächlein und Quellen ergießen, und in die auch die allermeisten Regentropfen fallen.

[166.4] Dieses Meer aber ist auf jeder Welt der erste Hauptgrund zu allen Seen, Strömen, Flüssen, Bächen, Bächlein und Quellen, sowie auch von jedem Regen und Tau. Denn hätte eine Welt kein Meer, so gliche sie einem Menschen, der kein Blut und somit auch keine anderen Säfte hätte und sonach denn auch ehestens zu einer Mumie oder zu einer leblosen Bildsäule werden müsste. Einer Welt ist sonach das Meer ebenso notwendig wie das Blut dem Menschen und auch jedem anderen lebenden Wesen.

[166.5] Nun geht aber alles, was auf einer Welt nur immer den Namen Flüssigkeit hat, aus dem einen Meer hervor, verrichtet die bestimmten Dienste und kehrt nachher wieder in das Meer zurück. In zahllos vielen kleinsten Kügelchen oder Tröpfchen spendet das Meer fortwährend seinen großen Überfluss in den ihm vollends verwandten Luftraum, der jede Welt umgibt. In diesem stets bewegten Luftraum werden diese kleinsten Wasserteilchen in allen möglichen Richtungen über die ganze Welt getragen. Sind sie in der Luft einmal in großer Fülle vorhanden, so werden sie anfangs als Nebel und später bei noch größeren Ansammlungen als dichte Wolken ersichtlich. In diesen Wolken ergreifen sie sich, bilden dadurch größere und somit auch schwerere Tropfen, die dann alsbald hie und da in großer Anzahl als ein Regen auf die dürstende Welt niederfallen und diese wie neu beleben und erquicken.

[166.6] Du weißt nun, was das Meer ist und was alles aus ihm hervorgeht?

[166.7] Du sprichst: ‚Ja, das beruhe schon auf gar alten Erfahrungen!‘

[166.8] Gut, sage ich dir, so du das verstehst, da sage mir, was da so ganz eigentlich älter ist: die einzelnen Tropfen des Meeres oder das gesamte Meer selbst? Freilich wohl ist das gesamte Meer früher dagewesen, bevor aus demselben ein Regentropfen aufsteigen konnte in die Luft; aber so er einmal aus dem Meer stieg, war er da als Teil desselben Meeres etwas anderes als das Meer selbst? Und so er wieder ins Meer zurückfallen wird, wirst du da wohl einen Unterschied finden zwischen ihm und dem Meer?

[166.9] Du sprichst, und sagst: ‚Nein, da ist alles identisch; denn wo der Teil vom Ganzen gleich ist dem Ganzen, da sind Teil und das Ganze eins!‘

[166.10] Gut, sage ich; wenn aber nun zwischen Schöpfer und Geschöpf dasselbe Verhältnis waltet, woher nimmst du dann deine scharfen Grenzen, die du zwischen Schöpfer und Geschöpf stellst?“

[166.11] Der Weise ist hier ganz frappiert und spricht erst nach einer Weile sagend: „Überweisester Freund, ich sehe nun ganz klar, dass du recht hast, und es lässt sich diesem deinem Beweis für die Identität des Schöpfers mit dem Geschöpf nichts mehr entgegenstellen! Es ist so und es kann durchaus nicht anders sein. Denn woher soll der Schöpfer zur Erschaffung der Geschöpfe den Stoff genommen haben, so Er ihn nicht aus Sich genommen hätte?

[166.12] Hat Er ihn aber sonach aus Sich genommen, so muss wenigstens das Material oder der Stoff mit dem Schöpfer identisch sein, wennschon die Zeit, in der das Material, aus dem das Geschöpf gestaltet ist, vom Schöpfer getrennt wurde, natürlich mit dem Schöpfer nicht identisch ist, weil die Zeit nur ein zu beiden Seiten scharf begrenzter Ausschnitt der Ewigkeit ist, während der Schöpfer durchaus ewig ist und notwendig sein muss, weil ohne Ihn sich ewig nie ein Werden denken ließe.

[166.13] Diese Sache ist demnach nun klar und kann unmöglich erst klarer werden durch was immer für noch tiefere Beweise. Aber um diese Sache so recht bergfest zu stellen, da glaube ich, dürfte eine Aufstellung einer Proportion nicht ohne großen Nutzen sein, besonders für diese Gemeinde, die alles genau berechnet haben will!

[166.14] Die Proportion aber möchte ich so stellen, dass nämlich der Schöpfer als Gesamttotalität aller einzelnen von Ihm durch Sein Wollen getrennten Totalitäten sich gerade so verhält, wie umgekehrt alle einzelnen Totalitäten, die ewig aus Ihm hervorgehen, sich in ihrer Gesamtheit zum Schöpfer verhalten – welche Proportion aber dann auch notwendig dieses Fazit der Produkte gibt, dass nämlich die volle Zusammenfassung aller speziellen produzierten Totalitäten der in ihnen gesetzten einen Totalität des Schöpfers gleich ist. Oder: das gesamte Eins des Schöpfers ist vollkommen im Eins der Geschöpfe enthalten, wie auch umgekehrt.

[166.15] Ist aber das gesamte Eins im Geschöpf dem Eins des Schöpfers gleich, so ist auch ein getrenntes Eins dem Gesamt-Eins gleich, weil es ebenso gut wie das Gesamte im Gesamten, und zwar im streng gleichen Verhältnis enthalten ist. Ich meine, diese Proportion dürfte hierzu gar nicht überflüssig sein?“

[166.16] Spricht Johannes: „Ja, ja, die Proportion ist wohl richtig. Aber ich muss dir dazu nur das bemerken, dass wir als Kinder des Herrn, der uns ein Vater ist und bleibt auf ewig, ganz anders zu rechnen pflegen, als du mir hier vorgerechnet hast!

[166.17] Siehe, das, was du berechnest mit deinem Kopf, das alles berechnen wir stets mit unserem Herzen und bekommen allzeit ein bestes Resultat, das da alle ordentlichen Sonderheitsfälle in sich begreift! Aber nun kommt der Hauptrechenmeister, Der wird dir ganz andere Rechnungen zeigen!“

[166.18] Spricht der Weise: „Also, das ist der Herr, oder das eigentliche Wesen Gottes?“

[166.19] Spricht Johannes: „Ja, Freund, das ist der Herr!“

[166.20] Spricht der Weise: „Wahrlich, Sein Äußeres verrät eben nicht viel Herrliches; wohl aber erweckt Sein Annahen einen starken Grad Liebe zu Ihm in mir!

[166.21] Das Aussehen ist gut, ja sehr gut ist es. Aber dass dieser ganz natürlich aussehende Mensch, der wohl ungeheuer viel Weisheit haben kann, der Schöpfer der Unendlichkeit und aller Werke in ihr sein soll, das schaue sich aus Ihm heraus, wer es mag. Mir ist das so gut wie völlig unmöglich.

[166.22] Er ist ja ebenso begrenzt wie wir beide! Wie möglich kann Er da das Unendliche zugleich durchdringen und umfassen? Aber, wie gesagt, die Weisheit hat ewig unergründliche Tiefen; es kann alles möglich sein. Ich sage nur oder will eigentlich damit nur so viel gesagt haben, dass es mir nur so absonderlich vorkommt! Aber nun nur still; Er winkt zu schweigen!“

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Bischof Martin

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