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164. Des Weisen Bedenken weichen vor der Logik des Petrus. Er überwindet seine Furcht vor dem Schöpfer

(Am 22. Juli 1848)

[164.1] Spricht der Weise: „Lieber Freund, der wird es etwa doch nicht sein, der dort in der Mitte von zwei Weibern wandelt, vor denen – wie es mir vorkommt – eben jene drei Töchter dieses Hauses einhergehen, die wir früher dahin abgesandt haben, da ihr wart und nicht weitergehen wolltet oder durftet?

[164.2] Denn siehe, bei uns wäre es im höchsten Grad unschicksam, so sich auch nur ein Weiser dritten Ranges von Weibern führen ließe! Wie sollen wir danach erst das ansehen, so der allerhöchste Gott, von dem doch alle Gesetze der Ordnung herrühren müssen, entweder mittel- oder unmittelbar, Sich von Weibern führen lässt? Natürlich vorausgesetzt, dass jener eben nicht etwas Besonderes verratende Geist oder vielmehr Mensch wie wir, ein solcher Gott ist?!“

[164.3] Spricht Petrus: „Freund, hast du durch dein ganzes Leben nicht verschiedene Dinge entweder zu deinem nützlichen Gebrauch oder bloß nur zu deinem Vergnügen verfertigt?

[164.4] Du sagst: ‚O ja, eine Menge zu beiderlei Bestimmungen!‘

[164.5] Gut, sage ich; so du also verschiedene Dinge verfertigt hast, da sage mir, ob sich darunter auch eines befindet, von dem du behaupten könntest und sagen: ‚Dieses Werk ist meiner nicht wert! Ich schäme mich dessen, und es wäre wider alle Ordnung und also im höchsten Grad unschicksam, dieses Werk mit meinen Augen anzusehen oder gar dasselbe mit meinen Händen anzurühren?!‘

[164.6] Du sprichst: ‚Nein!‘ Denn hättest du ein solches Werk, wie wohl hättest du es verfertigen können, so es weder deiner Augen noch deiner Hände würdig wäre? Siehe, sehr richtig hast du da geredet und es ist auch ganz so. Nun aber höre:

[164.7] So aber du schon keines deiner Werke für so schlecht hältst, dass sie deiner unwürdig wären, so du doch gegen Gott ein allerunvollkommenster Meister deiner Werke bist, wie sollst du dann von Gott eine Ordnungstugend verlangen, der doch der ewig vollkommenste Meister aller Seiner vollkommensten Werke ist?!

[164.8] O sage es mir, welches Gotteswerk wohl findest du so schlecht, dass Sich Gott dessen schämen soll? Oder soll Er als der ewige Herr aller Seiner unendlichen Werke etwa von uns, eben Seinen Werken, erst das schicksame Recht erbitten und die Bestimmung, ob und mit welchem Seiner Werke Er umgehen dürfe? Was meinst du, Freund, in dieser Hinsicht?“

[164.9] Spricht der Weise: „O Freund, ich sehe nun wohl ganz klar, dass du ein überaus tiefer Weiser bist; denn jeder deiner Sätze hat den allerfestesten Grund, und [es] lässt sich dagegen gar nichts stellen! Und so fange ich nun auch an, vollernstlich solchen Glauben zu fassen, dass jener ganz einfach aussehende Mensch gar wohl möglicherweise das allerhöchste Gottwesen in Sich fassen kann. Denn konnte Er das auf dem kleinen heiligen Planeten, wie wir von Seinen Engeln benachrichtigt und unterwiesen worden sind, warum soll Ihm das hier auf dieser großen und lichten Welt unmöglich sein?

[164.10] Du siehst, dass ich solches wohl annehmen kann und es nun auch annehme. Aber nun kommt eine andere, gar erschrecklich wichtigere Frage und diese lautet: Freund, so Er es aber ist, Er, der Allgewaltigste, der Heiligste, der endlos Weiseste; ich sage dir, Er, der sogar für unsere größten und tiefsten Gedanken zu endlos erhaben, zu endlos heilig ist, als dass sich auch nur der höchste und reinste Weise je getrauen dürfte, Seinen Namen zu denken! Wie, ich frage, wie? Wie werden wir Ihn empfangen und wie werden wir vor Ihm bestehen?!“

[164.11] Spricht Petrus: „Freund, Er ist uns schon ziemlich nahe. Sehe Ihn einmal mit deinen scharfen Augen so recht fest an und sage mir dann, ob Er wohl gar so fürchterlich, grimmig und erschrecklich aussieht? Und sage mir auch, ob die drei Töchter dieses Hauses, die sich fortwährend nach Ihm umsehen und überaus heiter gestimmt zu sein scheinen, auch von deiner großen Furcht etwas in sich verspüren mögen?“

[164.12] Spricht der Weise: „O Freund, so was entdecke ich nicht. Er sieht überaus gut, sanft und mild aus, und die drei habe ich noch nie so, ich könnte sagen, nahe ausgelassen heiter gesehen!“

[164.13] Spricht Petrus: „Nun, so du das wohl bemerkst, wie kannst du dann so fragen, als du ehedem gefragt hast? Ich sage dir, fürchte dich vor Ihm nur nicht! Denn wo Er kommt, da kommt Er allzeit aus Liebe – und ewig nie aus Zorn und Rache. Obschon Zorn und Rache gleich wie die Liebe ewig Sein sind und daher niemand einen Zorn haben und die Rache üben soll an seinen Nebengeschöpfen.

[164.14] Denn der Zorn ist allein Gottes und die Rache des Richters; aber die Liebe ist des Vaters, und diese gibt er Seinen Kindern, sucht sie bei ihnen und kommt, so Er kommt, weder im Zorn, noch in der Rache, sondern allzeit in der Liebe als Vater zu Seinen Kindern, die Er eben aus Liebe nach Seiner Gestalt gebildet hat, und in ihr Herz die heilige wunderbarste Bestimmung gelegt, ganz das werden zu können, was Er Selbst ist.

[164.15] Wenn nun aber das, was ich dir eröffnet habe, der ewigen Wahrheit gemäß so ist, wäre es da wohl weise, sich vor Dem zu fürchten, der gegen uns die Liebe Selbst ist?

[164.16] Fürchtest du dich doch nun vor mir nicht, der ich auch so viel Macht und Kraft besitze, dass ich bloß durch den leisesten Gedanken diese ganze Welt in einem Augenblick zerstören und im nächsten Augenblick eine andere hervorrufen könnte! Da du dich aber vor mir nicht fürchtest, der ich ebenfalls alle Macht aus dem Herrn in mir habe, aber dabei ewig doch nicht so gut sein werde, als Er es ist, wie sollst du dann dich vor Ihm fürchten, dessen Güte endlos ist?!

[164.17] Fürchte dich also nicht vor Ihm, sondern freue dich vielmehr über alle Maßen, darum dir und dieser ganzen Welt nun eine so unbegrenzt große Gnade wiederfährt, so wird auch Er Freude an dir und an euch allen haben und wird euch helfen, da ihr am meisten Seiner Hilfe bedürft! Aber nun, Freund, ordne dein Herz; denn nur wenige Schritte, und Er ist in unserer Mitte!“

[164.18] Spricht der Weise: „O Freund, ob mein Herz geordnet ist, weiß ich zu sagen nicht. Aber dass ich große Liebe zu Ihm empfinde, das fühle ich nun zum ersten Mal lebendig!

[164.19] Also habe ich mich auch so ziemlich von meiner Furcht ledig gemacht, und zwar unter folgenden mir gar nicht unweise vorkommenden Voraussetzungen, denen nach zufolge richtigen Denkens und Annehmens ich als Geschöpf unmöglich mehr sein und werden kann, als das nur, was ich bin, nämlich ein Geschöpf! Und dass demgegenüber Gott ebenso auch unmöglich weniger sein und werden kann, als was Er ist, nämlich Gott, das allervollkommenste Grundurwesen, durch das jede andere wie immer geartete Wesenheit bedingt ist und sein muss.

[164.20] Denn ohne Schöpfer lässt sich kein Geschöpf denken, wohl aber der Schöpfer ohne Geschöpf. Denn der Schöpfer ist schon das, was Er ist, durch Sein ewig klarstes Bewusstsein, demzufolge Er erschaffen kann, was und wann Er will. Das Geschöpf aber kann unmöglich zuvor etwas sein, als bis es erst der allmächtige Wille des Schöpfers zu etwas gemacht hat.

[164.21] Ich ersehe im Schöpfer wie im Geschöpf zwei Notwendigkeiten, wo die zweite durch die erste als unwidersprechlich bedingt erscheint. Wenn diese Sache aber doch unmöglich anders als gerade so nur zu betrachten ist, da sehe ich durchaus nicht ein, wie ich mich als bedingte Notwendigkeit vor der ersten unbedingten fürchten soll!

[164.22] Ich denke mir die Sache zur größeren Beruhigung meines Gemütes so: Diese unsere große Welt hat auf ihrer Oberfläche eine zahllose Menge so kleiner Dinge, von denen das Volumen eines einzelnen zum Gesamtvolumen dieser ganzen Welt in einem so allerunansehnlichen Verhältnis steht, wie nahe das reine Nichts zur Unendlichkeit.

[164.23] Aber dessen ungeachtet besteht das Kleinste neben dem Großen ganz unbeirrt und hat denselben Grund, sich seines Daseins zu erfreuen, als das nahe endlos Große; denn ist es auch gegen das Große ein Nichts, so ist es aber doch gegen sich selbst das, was es ist, vollkommen; und denke ich da auch wieder: Ich kann freilich das ewig nie werden, was da ist unser aller hocherhabenster allmächtigster Schöpfer. Aber dagegen kann auch der Schöpfer trotz aller Seiner Allmacht das nie werden, was ich bin, nämlich ein Geschöpf.

[164.24] Es ist freilich an diesem leidenden Vorzug, ich möchte lieber ‚Nachzug‘ sagen, nichts gelegen. Aber es ist dessen ungeachtet eine so eigentümliche Stufe, die vom Schöpfer, als erster Bedingung alles Seins, in keinem Fall je betreten werden kann. Und so hat hier jede der zwei Notwendigkeiten etwas für sich, und zwar in der Art, dass eben dieses Etwas vielleicht wohl scheinbar, aber in der Wirklichkeit vom Gegenteil doch nie erreicht werden kann. Und so ich dieses richtige Verhältnis mir recht klar vor die Augen stelle, so werde ich auch der gewissen Furcht überhoben, die mich bis jetzt beschäftigte.“

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Bischof Martin

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