[143.1] Nach diesen Worten verstummen sie ganz, und die drei sagen zum Martin wie auch zum Petrus und Johannes: „Ach, da habt ihr’s nun! So ihr das schon im Voraus gewusst habt, warum hießet ihr uns, sich ihnen enthüllten Angesichtes zu zeigen!? Nun liegen die Armen ganz leblos vor uns! Wer wird ihnen nun ein neues Leben wiedergeben? Könnt etwa ihr das? Oh, wenn ihr es könnt, da erweckt die Armen wieder, denn sie dauern uns gar sehr! Ach, wenn wir uns vor ihnen doch nur nicht enthüllt hätten!“
[143.2] Spricht Johannes: „Macht euch nichts daraus! Was hier diesen durch eure – von Gott, dem Herrn, eigens erhöhte – übermächtige gestaltliche Schönheit begegnete, ist ihnen überaus gut und heilsam. Denn eben dadurch sind sie einer letzten, aber überaus schweren materiellen Bürde ledig geworden, die sie sonst noch lange gequält hätte, und hätte sie auch ebenso lange unfähig gehalten, höhere und höchste Freuden der Himmel Gottes zu genießen. Nun aber ist diese Bürde wie mit einem Hieb von ihnen gewichen auf ewig, und so werden sie auch bald zu einem besseren und reineren Leben erstehen, und werden euch ohne Ärger, Schande und Schaden beschauen können gleich uns, und werden euch recht viel nützen können, indem sie doch Töchter des Allerhöchsten und heiligen Vaters sind!
[143.3] Sie sind jetzt freilich so gut wie tot, indem ihnen nun diese ihre falsche Liebe genommen wurde, die sie bis jetzt belebt hatte bei weitem mehr denn die Liebe zu Gott, dem ewigen Herrn aller Herrlichkeit und alles Lebens. Aber seht, dort ganz vom Hintergrund dieser großen Gesellschaft kommt soeben ein Mann, ein Vater, zwischen zwei Töchtern hierher. Dieser Mann wird diese nun tot zu sein Scheinenden schon zur rechten Weile wieder ins Leben zurückrufen, und vor euren Augen wird sich dadurch Gottes Herrlichkeit auftun. Daher, wie gesagt, macht euch nichts daraus; denn was diesen nun begegnet ist, ist ein heilsamster Akt für ihre noch sehr eitel gewesenen Herzen.“
[143.4] Sprechen die drei: „O du herrlicher, uns schon bekannter Freund! Da du uns nun so viel Tröstendes gesagt hast, so sage uns auch, wer denn jener Mann ist, der nun zwischen seinen zwei Töchtern hierher wandelt. Ist es auch ein Bruder von euch und entstammt er auch gleich wie ihr dem heiligen Planeten?“
[143.5] Spricht Johannes: „Wie ihr Ihn nun daher wandeln seht, ist Er wohl uns allen ein Bruder, und entstammt so wie wir Seinem hier sichtbaren gestaltlichen Wesen nach der Erde, d. i. jener kleinen Welt, die eure Weisen gemeinweg den heiligen Planeten nennen. Aber dessen ungeachtet ist Er dennoch unser aller Meister und somit auch Herr! Denn wer ein Meister ist, der ist auch ein Herr. Er aber ist unser Meister in allen Dingen; also ist Er auch ein Herr über alle Dinge, von Gott verordnet!“
[143.6] Sprechen die drei: „Oh, wenn so, da ist er ja um sehr vieles mehr denn ihr? Vielleicht so wie bei uns der oberste Weise, dem nicht nur alle Menschen dieser großen Welt, sondern auch alle Berge und Wässer und alle Tiere und Pflanzen gehorchen müssen?“
[143.7] Spricht Johannes: „Ja, ja, ungefähr so; aber noch etwas mehr, wie ihr es selbst gar bald werdet kennenlernen!“
[143.8] Sprechen die drei: „Müssen wir uns etwa auch vor ihm verhüllen?“
[143.9] Spricht Johannes: „Hat keine Not! Der kennt euch schon lange und eure ganze Welt, bevor sie noch war und bevor wir und eure Weisen waren!“
[143.10] Das nimmt die drei Sonnentöchter sehr wunder, dass sie darauf erwidern: „Was sagst du? Oh, das ist etwas, was wir noch nie vernommen haben, selbst von unseren größten und höchsten Weisen nicht. Denn diese sagen, diese unsere Lichtwelt sei wie eine Mutter aller anderen Welten und ist daher auch die älteste unter allen. Wenn aber diese unsere große Welt, die nahe kein Ende hat, die älteste ist – was da sicher und gewiss ist, da wir doch schon gar oft Zeugen waren, wie aus ihrem weiten Schoß neue, aber freilich nur kleine Welten, wie sie unsere Weisen nennen, geboren wurden –, wie kann da ein Weiser einer anderen, sicher kleineren Welt, die auch aus dieser unserer Welt geboren ward, älter sein als unsere Weisen, ja älter als unsere große, nahe endlose Welt?!
[143.11] O du sonst überherrlicher Freund, siehe, da hast du dich doch wohl sicher ein wenig verrechnet. Es müsste nur sein, dass jener euer Meister ein Urengelsgeist wäre; dann freilich wäre es etwas anderes, dann könntest du wohl recht haben. Aber so das schwerlich der Fall sein wird – was wir daraus entnehmen, dass ihn gar kein Lichtglanz umgibt, was doch bei den anderen Engelsgeistern stets so mächtigst der Fall ist, dass wir gegen sie nahe ganz finster erscheinen –, so musst du es uns schon zugutehalten, so wir dir hier einen kleinen Rechenfehler zur Last legen.“
[143.12] Spricht Johannes: „Meine geachtetsten Töchter! Eure Weisen rechnen wohl gut, aber wir rechnen besser. Denn seht, es ist ein großer Unterschied zwischen uns und euch! Wir sind wahrste Kinder des Allerhöchsten; ihr alle aber seid nur Seine Geschöpfe und könnt nur durch uns Seine Kindeskinder werden! Das wisst ihr auch aus dem Mund eurer Weisen. Wenn aber also, da sagt mir, wer da älter ist: die Kinder oder die Kindeskinder, was ihr seid?“
[143.13] Hier stutzen die drei und sagen erst nach einer Weile: „O du Herrlichster! Diese deine Frage ist von einer zu tiefen Weisheit! Diese können wir dir nicht beantworten. Vielleicht könnten es unsere Weisen wohl, was wir aber auch nicht behaupten können, da wir natürlich nicht berechnen können, wie tief sie mit ihrer Weisheit reichen. Lassen wir aber nun diese Sachen ruhen, denn euer Meister und Herr – wie du es uns gesagt hast – ist uns schon ziemlich nahegekommen. Wir wollen uns auf seinen Empfang würdig vorbereiten! Nur das sage uns nun, wie er es am liebsten hat, dass man ihm entgegenkommt, auf dass wir uns danach vorbereiten können, innerlich und äußerlich!“
[143.14] Spricht Johannes: „Über diesen Punkt wendet euch nur an euren zweiten Vater Martin, der euch lieben gelernt hat ehedem; der wird es euch schon ganz genau sagen!“
[143.15] Auf diese Beheißung wenden sich die drei sogleich an den Martin in dieser Hinsicht, und dieser spricht sogleich:
[143.16] [Martin:] „O ihr meine geliebtesten Töchter! Bei diesem unserem Meister und Herrn gilt nichts als allein nur die reine einzige Liebe! Daher kommt Ihm mit der größten Liebe entgegen, so werdet ihr Ihn gewinnen. Habt ihr aber Ihn gewonnen, so habt ihr alles gewonnen, denn Ihm sind alle Dinge möglich. Er könnte euch sogar zu wirklichen Gotteskindern machen, dessen bin ich vollends überzeugt!“
[143.17] Sprechen die drei: „Dürfen wir ihn denn wohl auch so lieben, wie wir dich ehedem geliebt haben? Dürfen wir uns auch so nach unserer neuerwachten Herzenslust recht fest an ihn schmiegen?“
[143.18] Spricht der Martin: „Allerdings, die Liebe kann vor Ihm nie einen Fehltritt machen. Würde Er auch im äußersten Fall zu euch sagen: ‚Rührt mich nicht an!‘, so lasst euch aber dadurch dennoch nicht abhalten und erglüht nur desto mehr zu Ihm, und fasst Ihn ehern fest in eure Herzen, so wird Er euch dann schon von selbst entgegenkommen und wird euch in aller Fülle gestatten, danach eure Herzen dürsten! Hat Er euch aber einmal in Sein Herz aufgenommen, dann erst werdet ihr eine Seligkeit in euch empfinden, von der kein Weiser dieser eurer Welt auch nur die allerleiseste Ahnung hat!“
[143.19] Sprechen die drei: „Ach, jene beiden Herrlichsten werden nun sicher solch eine Seligkeit in der größten Fülle genießen? Was für ein mächtiger Himmelsgeist muss er doch sein, dass ihr, als wahre Kinder des allerhöchsten Geistes, ihn als euren Herrn und Meister bekennt?! Er muss sicher der erste Sohn des Allerhöchsten sein und daher auch Sein Liebling und Sein Alles?!“
[143.20] Spricht Martin: „Ja, ja, ihr habt nun durch diesen euren Wurf nahe das Zentrum getroffen; es wird sich die Sache so ziemlich also verhalten. Aber nun seid nur ganz ruhig, Er wird nun sogleich hier sein! Seht, die Toten fangen bei Seiner Annäherung auch schon sich zu rühren an; daher also nur ruhig! Aber nicht wahr, meine geliebtesten Töchter, ist Er nicht endlos liebenswürdig?“
[143.21] Sprechen ganz entzückt die drei: „Ach Himmel, ach Himmel! Oh, so eine Liebenswürdigkeit haben sicher alle endlosen Himmel nicht noch einmal! Ach, ach, ach! Welch eine unbeschreiblichste Sanftmut strahlt aus seinem ganzen Wesen! Ach, ach, je näher er kommt, desto endlos liebenswürdiger wird er! O vergib uns, so wir dir hier sagen müssen, dass ihr, als auch Kinder des Allerhöchsten, doch nahe wie leere Schatten gegen ihn erscheint. Ach, ach, je näher er kommt, desto klarer wird es unseren Herzen, dass man außer ihm kein Wesen mehr lieben könne!
[143.22] O Freund, o du unser geistiger, neuer Vater, wir können nun unsere Herzen beim Allerhöchsten wahr nimmer zurückhalten; zu mächtig verlangt es sie nach ihm! Und da sieh’ hin, nun bleibt er ungefähr zehn Schritte vor uns stehen, und ach, ach, da sieh, da sieh hin! Siehe, siehe! Er winkt ja mit dem Zeigefinger! O sage uns, wem, wem, ach, wem gilt dieses heilige Winken? Ach ist das ein Winken! Sieh, sieh, die Berge dieser Welt neigen sich, sooft Er winkt! Und sieh, dort unten tief im Tal, wie das große Wasser sich erhebt und erbebt, sooft Er winkt! O sage, sage es uns, wem gilt dieses heilige Winken?“
[143.23] Spricht Martin, auch ganz gerührt: „Euch, euch, meine geliebtesten Töchterchen, und nach euch diesmal sicher dieser eurer ganzen Welt! Daher eilt nun hin und tut, wie ich euch früher belehrt habe!“
[143.24] Sprechen die drei: „Ach, führe uns hin! Wir haben nicht den Mut und die Kraft, denn unsere zu mächtige Liebe erlahmt unsere Glieder!“
[143.25] Martin, Johannes und Petrus greifen nun sogleich den dreien unter die Arme und führen sie gar sanft zu Mir hin.
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