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137. Martin im Examenskampf zum Thema Weisheit und Liebe mit den drei Sonnentöchtern

[137.1] Während Martin also mit sich phantasiert, fangen die drei Anführerinnen zu lächeln an; denn sie haben das dem Martin genau aus den Augen und Mundwinkeln gelesen, was er nun mit sich gefaselt hat, und sagen daher zu ihm: „Freund, nun wissen wir schon, warum du nichts redest. Siehe, du bist schwach, ja sehr schwach bist du noch, und diese deine angeborene Schwachheit lähmt dir die Weisheit und die Zunge! Kommen wir dir denn wohl gar so reizend und rührend schön vor? O sage uns doch wenigstens das laut!“

[137.2] Martin will schon auf die erste der drei hinstürzen, aber dennoch ermannt er sich und spricht: „Ja, ihr Herrlichsten, eure Form ist endlos vollkommen schön. Aber ihr seid zu weise dabei, und das deckt eure Schönheit und macht, dass ich sie mit der genauesten Not noch so halbwegs ertragen kann. Denn ich bin kein Freund von zu großer Weisheit. Wollt ihr mich aber zu eurem Freund, da müsst ihr aus der Liebe und nicht aus der Weisheit mit mir reden!

[137.3] Ihr brachtet mir wohl einen Preis entgegen, um ihn mir darzureichen, so ihr mich als einen vollkommenen Weisen erkennen würdet. Ich aber sage euch, dass ihr euch da an mir sehr verrechnet habt, trotz eurer großen Weisheit. Denn seht, solche Preise nehme ich durchaus nicht an! Ich kenne nur einen Preis, und dieser ist für mich allein die Liebe, welche ist Gott der Herr, den ihr als den urewigen Geist kennt, von dem alle Dinge gemacht sind. Dieser ist allein mein Preis, den ich schon lange für ewig angenommen habe. Aber diesen euren Weisheitspreis kann ich durchaus nicht brauchen. Daher reicht ihn irgendwem anderen, den ihr dafür als würdig erachtet; aber mich verschont damit!“

[137.4] Sagen darauf die drei: „O höre uns, du herrlicher Freund! Wir haben mit dir bis jetzt noch durchaus keine Weisheitsprobe angestellt, die auch eitel wäre, da wir ja wohl sehen, was für ein Geist in dir lebt. Da wir aber das sehen, was dich belebt, da wäre es doch sicher höchst unweise von uns, wenn wir mit einem anderen Geist in dir reden wollten, als den wir in dir gefunden haben! Du nanntest uns wohl den Preis, den du, mit Recht über alles schätzend, schon habest; aber da sind wir solchen Lichtes und sagen:

[137.5] Der urewige, allschaffende Geist ist nicht teilbar. Wohl ist sicher die Liebe Sein Grundwesen; aber diese Liebe ist nicht nur Liebe, sondern ist in sich selbst auch die urewige Weisheit. So du aber diese Liebe preist, kannst du wohl die Weisheit, das Licht alles Lichtes, von ihr scheiden? Freund, kommt es dir hier nicht nur etwa so vor, als ob nun nur du, dich selbst übereilend, verrechnet hättest? Wie kannst du den Leib allein wollen und verwerfen den Kopf? O rede, erläutere uns das!“

[137.6] Martin ist nun ganz verblüfft und spricht bei sich: „No, das geht nun schon gut! Die haben mich schon! Aber jetzt nur wieder Ernst, nur ernst! Wenn sie nur nicht gar so entsetzlich liebenswürdig wären, da könnte man auch noch ernster mit ihnen umgehen; aber bei solcher entsetzlichen Liebenswürdigkeit braucht der Ernst fürwahr einen übergroßen Ernst, um mit solchen Liebenswürdigkeiten nur viertelwegs ernst scheinend reden zu können.

[137.7] Sie warten, ach, mit einer endlos anmutigsten Begierde und allerlieblichsten Ungeduld auf eine Antwort. Aber, was soll ich ihnen sagen? Wie wenden und drehen die Zunge, dass ich ihnen die Wahrheit sage, aber dadurch dennoch nicht beleidigte ihr an zu himmlische Harmonie gewöhntes Ohr?! Stille, nur stille, mir fällt nun schon wieder etwas recht Triftiges bei! Das werde ich ihnen sagen, natürlich auf eine mir nur immer möglich humanste Art; da werden sie doch sicher stutzen! Und also nur Mut in des Herrn Namen!“

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Bischof Martin

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