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106. Martin in der Klemme durch die weiteren Fragen der Chanchah

[106.1] Spricht die Chanchah: „O du liebster Freund, weißt du, ich habe dich wohl überaus lieb und kann dich um nicht viel weiteres fragen, da ich mir schon einmal vorgenommen habe, dich fürderhin nicht so leicht wieder mit irgendeiner vielleicht zu wenig klug berechneten Frage zu belästigen. Aber dessen ungeachtet musst du mir hier folgende Bemerkung doch einmal wieder zugutehalten:

[106.2] Siehe, ich merke es aus deiner Rede wie aus deiner Miene dir nur zu gut an, dass du allzeit ganz absonderlich verlegen wirst, so oft ich nur immer mit dir und in was immer für einer Beziehung von jenem, deinem überhimmlischen Freund und Bruder mich zu besprechen anfange. Woher wohl mag solche deine Verlegenheit herrühren?

[106.3] Bist du etwa darum eifersüchtigen Herzens, darum mein Herz jenen weit über dich hinaus bevorzugt? Oder bist du sein wahrer Freund und Bruder nicht so sehr, als wie sehr zu sein du es vorgibst? Ärgert es dich etwa heimlich in deinem Herzen, so jener bis jetzt für mich noch namenlose Herrliche dich nach meinem Dafürhalten in jeglicher Art geistiger Vollendung unberechenbar weit übertrifft? Oder ist dir eben etwa seine männlich göttliche Schönheit im Weg? Magst du etwa seine Augen und seinen Mund nicht, die freilich den deinigen Mund samt deinen Augen ebenso übertreffen, wie seine ganze erhabenste Wesenheit die deinige, obschon du bei weitem glänzender aussiehst als er?

[106.4] Siehe, lieber Freund, diese Fragen sind für mich von besonders wichtiger Art, und ich sehne mich nach ihrer Beantwortung ebenso mächtig, als ein Wanderer über eine heiße Sandwüste, so ihn ein brennender Durst quält, nach einem Labetrunk frischen Wassers. Daher, so du irgendeine Liebe in deinem Herzen zu mir empfindest, zaudere ja nicht, mir diese wichtigen Fragepunkte treuherzig zu beantworten. Wirst du das nicht tun, so wird sich die Chanchah von dir wenden und dich nimmer, nimmer um etwas fragen!“

[106.5] Bischof Martin macht über diese Fragepunkte schon wieder ein ganz verdutztes Gesicht. Äußerlich macht er zwar eine Miene, als ob er nachdächte, wie er der holden Chanchah auf die höflichste Art ihre Fragen beantworten möchte. Innerlich aber wartet er ängstlich, ob Ich ihm nicht bald irgendeine, natürlich über alles vortreffliche Antwort ins Herz legen würde. Ich aber lasse den guten Martin auch diesmal aus wohlweisen Gründen ein wenig zappeln, wie ihr zu sagen pflegt.

[106.6] Da auf diese Art der Martin die holde Chanchah schon eine ziemliche Weile mit lauter vielversprechenden Gesichterschneidereien auf die erwünschte Beantwortung ihrer Fragen warten lässt, so wird diese nun schon etwas unwillig und fängt ihn zuerst mit ihren großen Augen vom Kopf bis zum Fuß sehr bedeutend zu messen an, welches Messen den Martin noch mehr geniert und ihn um eine rechte Antwort noch verlegener macht.

[106.7] Die holde Chanchah lässt den guten Martin noch eine kleine Weile nachdenken, weil sie aus seinen weisescheinenden Gesichterschneidereien noch immer irgendeine Antwort erwartet. Aber da von einer sehnlichst erwarteten Antwort trotz allen den, dieselbe gewisserart vorbereitenden, weise scheinenden Gesichterschneidereien dennoch nichts zum Vorschein kommt, so bricht ihr endlich die Geduld und sie spricht:

[106.8] [Chanchah:] „Lieber Freund und Bruder, ich sehe, dass du mir durchaus entweder keine Antwort geben kannst oder willst oder höchstwahrscheinlich etwa gar nicht geben darfst?! Kannst du mir keine Antwort geben, so bist du zu entschuldigen. Denn es wäre höchst unbillig, von jemandem mehr zu verlangen, als er geben kann. Du wirst mich wohl verstehen, was ich damit sagen will, vorausgesetzt, dass dir so viel Verständnis innewohnt!

[106.9] Darfst du mir keine Antwort geben? Da bist du auch zu entschuldigen. Denn da ist auch klar, dass sich hier jemand befindet, der dir aus einer ihm innewohnenden Machtvollkommenheit genau vorschreibt, was du reden und nicht reden darfst. In diesem Fall wäre es dann auch von mir eine Tollheit, von dir über das Gesetz etwas zu verlangen; denn ich als eine Chinesin weiß wie nicht leichtlich jemand anderer, Gesetze zu respektieren.

[106.10] Willst du mir aber keine Antwort geben, obschon du vielleicht solches tun dürftest und könntest, so bist du ein eifersüchtiger und sogar böswilliger Mensch. Und dein glänzend Gewand ist gleich dem Fell einer sanften Gazelle, innerhalb dessen sich aber dennoch eine reißende Hyäne birgt. In diesem Fall bist du durchaus nicht zu entschuldigen und verdienst nichts anderes als die vollste Verachtung meines Herzens.

[106.11] Da du mir auf meine früheren wichtigen Fragepunkte durchaus keine Antwort gegeben hast, so beantworte nur doch wenigstens einen oder den anderen dieser drei Fragepunkte, damit ich mich als ein Neuling in dieser Welt und zunächst in diesem deinem Haus zu benehmen weiß! Aber ich bitte dich aus dem tiefsten Grund meines Herzens, rede hier die Wahrheit und bleibe mir hier ja in keinem Fall die Antwort schuldig!“

[106.12] Der Martin wird hier noch zehnmal verlegener als bei den früheren Fragen. Denn sagt er: ‚Ich kann es nicht!‘ – so lügt er. Sagt er aber: ‚Ich will es nicht!‘ – so lügt er auch und zieht sich noch obendarauf die Verachtung seiner vielgeliebten Chanchah zu. Sagt er aber: ‚Ich darf es nicht!‘ – so setzt er sich augenscheinlich der weiteren Frage aus, wer ihm solches verboten hatte und warum, welche beiden Fragen er dann notwendig beantworten muss, so er nicht beschämt vor der Chanchah notgedrungen Reißaus nehmen will.

[106.13] Da unser Martin durch diese drei letzten Fragen der Chanchah in die größte Verlegenheit gerät, so komme Ich soeben von der Gesellschaft zur Chanchah zurück und übernehme Selbst die Beantwortung der obigen drei Fragen, und dadurch die Entschuldigung des über alle Maßen verlegen gewordenen treuherzigen Martin.

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