Die Haushaltung Gottes in 3 Bänden
Band 3
„Die Haushaltung Gottes“ Band 3 von Jakob Lorber setzt die Geschichte der Urpatriarchen fort und beschreibt die Entwicklung der ersten Hochkulturen sowie deren spirituellen und moralischen Niedergang, der schließlich zur Sintflut führt.
Das Buch beleuchtet die gesellschaftlichen Strukturen, die Herrscher und die zunehmende Abkehr von göttlichen Prinzipien.
Ein zentraler Aspekt ist die Weisheit und Führung der Patriarchen, die versuchen, die Menschen auf den richtigen Weg zu bringen. Doch mit der wachsenden Macht und dem Einfluss weltlicher Herrscher gerät die Gesellschaft zunehmend in Dekadenz und spirituelle Dunkelheit.
Das Werk zeigt die Konsequenzen dieser Entwicklung und bereitet den Boden für die späteren biblischen Ereignisse.
Inhalt
Am 27. März 1843
[3.1.1] Als sich aber nun auch mit der Anbetung Gottes, mit Ausnahme des Henoch und der vier reinen weiblichen Wesen, die da beim Vater sich gar wohlbehalten befanden, alles vor dem auf dem Rasenhügel weilenden Mann zu fürchten anfing, indem es meinte, dieser Mann werde wohl nach und nach einem jeden einen ähnlichen Garaus machen, so wie Er es mit dem großen Sehel gemacht hatte, da sagte der Herr zu der Purista:
[3.1.2] „Höre, du Meine geliebte Köchin! Was meinst du wohl, was sollen wir nun tun, um die Törichten von ihrer Furcht zu befreien und dann aber auch zu machen, dass sie Mich unschädlicher für ihre Freiheit als den alleinig wahren Gott und Vater erkennen möchten? Denn gebe Ich Mich ihnen nun plötzlich zu erkennen – und das zwar ganz besonders den Weibern –, so kostet ihnen das ihr Leben, wenn nicht einigen ihr ganzes Dasein selbst! Also sage Mir und gebe Mir doch einen Rat, was da zu machen sein wird!“
[3.1.3] Diese Frage brachte die Purista ganz aus aller Fassung, und sie fing an zu weinen, da sie meinte, der Vater wolle sie damit züchtigen.
[3.1.4] Der Herr aber sah die Weinende gar freundlichst an und sagte zu ihr: „Sieh Mich doch an, Mein Töchterchen, und sage es Mir dann in deinem Herzen, ob der jemanden züchtigen Wollende auch also aussieht, wie Ich nun aussehe und allezeit also aussehe und ewig also ausgesehen habe im Angesichte derer, die Mich dir gleich geliebt haben und noch lieben und Mich auch allzeit also lieben werden! Nun, was sagst du Mir wohl auf diese Frage, Mein geliebtes Töchterchen?“
[3.1.5] Hier bekam die Purista wieder Mut zu reden und sagte so ganz furchtsam-traulich: „Nein, nein, liebster, bester, heiliger Vater, Du kannst ja gar nicht schlimm oder gar böse werden, das sehe ich jetzt schon ganz klar ein; aber was da Deine frühere Frage, an mich Schwächste gerichtet, betrifft, so ist es ja nur zu sonnenklar vor mir, dass es, von meiner Seite aus betrachtet, wohl die allergrößte Anmaßung wäre, welche der härtesten Züchtigung würdig wäre, so ich Dir, der allerunendlichsten Weisheit, irgendeinen Rat geben solle, um Dir dadurch vorzuzeichnen, was Du tun sollst!
[3.1.6] Ach, ich kann, ohne zu erbeben, gar nicht daran denken, Dir, Gott, dem allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde, einen Rat zu erteilen; daher bitte ich Dich, mein bester, liebster, heiliger Vater, mit solch einer Nötigung mich zu verschonen!“
[3.1.7] Der Vater aber sagte zur Purista darauf: „Höre, du Mein geliebtes Töchterchen, du verstehst Mich noch nicht recht; daher habe nun recht herzlich Acht auf das, was Ich dir nun sagen werde:
[3.1.8] Siehe, du fürchtest dich nun, sträflich zu werden vor Mir, so du Mir nun auf Meinen väterlichen Wunsch einen kindlichen Rat geben sollst, indem du wohl einsiehst, dass da Meine göttliche, unendliche, ewige Weisheit wohl auch ewig nie eines Rates bedarf und Ich demnach auch alles zum Besten leite, sehe es aus, wie es wolle.
[3.1.9] Wenn aber solches doch unbestreitbar richtig ist, wie kommt es denn aber hernach, dass du Mich schon um so manches gebeten hast und Ich dir auch gewährte und allezeit gab, um was du Mich gebeten hast? Was ist solch eine Bitte wohl anders als ein andächtiger Rat in sittlich-frommer Weise, durch den Mir der Bittende anzeigt, was Ich nun tun solle?!
[3.1.10] Weiß denn der Bittende nicht, dass Ich höchst weise und höchst liebevoll gut bin? Und weiß er das, wie mag er Mich dann um etwas bitten? Denn er muss ja doch das allernotwendigst voraussetzen, dass Ich als die höchste Weisheit und Liebe sicher ohne seinen Bittrat das Allerbeste, das Allerweiseste zu der allerrechtesten Zeit tun werde.
[3.1.11] Ein wie großer, frevelhafter Sünder muss demnach doch derjenige sein, der Mich durch seinen Bittrat zu etwas bewegen will, das Ich dann Meiner höchsten göttlichen Weisheit zuwider für ihn tun solle?!“
[3.1.12] Hier fingen die Purista und auch die anderen drei an, sich an die Brust zu schlagen, und alle sagten: „O Herr, sei uns allen barmherzig; denn also sind wir ja die abscheulichsten Sünderinnen vor Dir!“
[3.1.13] Und der Herr sagte wieder zu ihnen: „Ja, hört, ihr Meine Töchterchen, wenn ihr es also treibt, da mehret ihr ja eure Sünde; denn du, Purista, hast Mir ja soeben wieder einen Rat in deiner Bitte erteilt, dem zufolge Ich euch barmherzig sein solle?!“
[3.1.14] Hier schrie die Purista völlig auf vor großer Angst und Traurigkeit und sagte: „Oh, um Deiner Göttlichkeit willen, was habe ich arme Törin getan?!“
[3.1.15] Und die Ghemela sagte auch kläglichst weinend: „Also sind wir alle verloren!“
[3.1.16] Auch die Naëme und die Pura wussten sich vor Angst und Schmerz nicht zu helfen.
[3.1.17] Der Herr aber umfasste sie alle und drückte sie an Seine heiligste Brust und sagte dann zu ihnen: „Töchterchen, seid ihr an Meiner Brust denn unglücklich und verloren, so Ich, euer Schöpfer und Vater, euch heiß liebend sichtbar auf Meinen Händen trage und locke wie eine Mutter ihren zarten geliebtesten Säugling?“
[3.1.18] Diese Frage brachte die vier wieder zur Besinnung, und die Purista erwiderte, bald weinend lächelnd: „O bester Vater! Da sind wir freilich – nicht verloren! Aber – Sünderinnen – sind wir – doch sicher – noch – vor – Dir?!“
[3.1.19] Der Vater aber entgegnete ihr: „Wäret ihr Sünderinnen, so könntet ihr nicht bei Mir sein; da ihr aber keine Sünderinnen seid, so seid ihr Meine lieben Töchterchen, die Ich nun auf Meinen Händen trage.
[3.1.20] Ich als Vater aber will Mir ja von Meinen lieben Kindlein raten lassen also, als hätte Ich ihres Rates vonnöten!
[3.1.21] Denn solches alles tue ich als Vater Meinen Kindlein aus Meiner großen Liebe heraus, leite aber dann ihren Rat und ihre Tat also, dass Ich dadurch dennoch allzeit Mein Ziel erreiche.
[3.1.22] Daher auch musst du, Mein Töchterchen, Mir diesmal raten, was Ich nun tun soll, und Ich werde nichts früher tun und nichts anderes, als wann und was du Mir raten wirst!“
[3.1.23] Hier erst bekam die Purista wieder Mut, fiel dem Vater um den Hals, küsste Ihn klein ab und sagte dann: „Oh, so lasse auch die Weiber alle aus Liebe zu Dir in meine Küche gehen, und gehe nun mit uns allen in die Küche und lasse Dich da nach Deinem Wohlgefallen von allen als den lieben, heiligen Vater erkennen, lieben und anbeten!“
[3.1.24] Und der Herr sprach: „Amen! Ja, so sei es! Und so denn lasst uns in die Hütte ziehen!“
[3.1.25] Die Ghemela aber fragte den Vater: „Vater, dürfen wir auch in der Hütte uns Dir nahen?“
[3.1.26] Und der Herr sagte: „Töchterchen! Wie hier, so auch in der Hütte; denn Ich bin überall und allzeit derselbe gute Vater! Und so denn folgt Mir getrost! Amen.“
Am 28. März 1843
[3.2.1] Als der Herr mit den vieren an den Henoch kam, sagte Er im Vorbeigehen zu ihm: „Henoch, bereite sie alle vor, und führe sie dann in die Hütte zu Mir; die Weiber jedoch sollen nur bis zur Türschwelle kommen und nicht in die Hütte treten, solange Ich in selber verweilen werde, außer die alleinige Eva und diese hier, die Ich in die Hütte führe! Amen.“
[3.2.2] Hier begab Sich der Herr mit Seinen vier geliebten Töchterchen in die Hütte und unterhielt sie bis zum Eintritt der ganzen Gesellschaft mit allerlei göttlichen Gnadenenthüllungen und zeigte ihnen Seine großen Wege, auf welchen Er einhergehe, um das Leben zu leiten zu Seinen Kindern und all den anderen Wesen; auch enthüllte Er ihnen anschaulichst die große Bestimmung der Menschen, aber auch die argen möglichen Eingriffe des Satans.
[3.2.3] Also handelte der Herr in der Hütte; wie aber ging es dem Henoch draußen?
[3.2.4] Zuerst kamen der Hored und der Lamech über ihn und fragten ihn: „Vater Henoch, möchtest du uns nicht kundgeben, wer denn doch der Mann ist, der da in der Hütte nun ganz allein wider die vom Herrn gegebene Regel mit den vier weiblichen Wesen, nämlich mit unseren Weibern, mit der Purista und der schönen Pura, sich ganz wohlgemut begab? Denn es muss etwas Außerordentliches hinter dem Mann stecken; und da er mit dir wie mit einem schon lange guten Bekannten spricht, so wirst du ihn doch sicher kennen?
[3.2.5] Wenn die Verklärung Sehels keine Täuschung unserer Augen war, so gehört er sicher einer höheren Welt an, und somit wäre uns sehr wünschenswert, zu erfahren seine nähere Bewandtnis!
[3.2.6] Wir haben wohl auch schon auf den Herrn Selbst geraten; aber damit stimmt die Ansage der Purista nicht überein, der der Herr geoffenbart hatte, dass Er, so wir alle in der Hütte versammelt sein werden und werden Ihn da erwarten in der tiefsten Ruhe unseres Gemütes, zu uns auf der Stelle gar wohl erkenntlich kommen wird und wird uns dann allen kundgeben, was alles sich nun in der Tiefe zugetragen hatte.
[3.2.7] Dieser Mann kam aber nicht nach der Offenbarung, sondern ganz frei, und während wir uns in der Hütte auf den Herrn vorbereiteten, machte er draußen mit den Weibern nur ein etwas ärgerliches Spektakel und hat sich zu seinem sichtbaren Vergnügen gerade nur die vier Schönsten ausgesucht!
[3.2.8] Diese vier sind freilich wohl die reinsten weiblichen Sterne nun auf der Höhe, und wir können sonderbarerweise ihnen nicht gram werden trotz dem, dass sie in den Mann völlig wie verbissen verliebt sind. Aber aus dem geht doch noch nicht hervor, dass das darum der Herr ist!
[3.2.9] Denn der Herr ist ja getreu in Seinen Verheißungen; also kann Er ja doch auch nicht anders erscheinen, als wie Er es uns allen durch die Purista hat ankündigen lassen! Daher sage uns, lieber Vater Henoch, wer demnach dieser Mann und woher er sei!“
[3.2.10] Also traten auch die anderen hin zum Henoch und fragten ihn desgleichen.
[3.2.11] Der Adam aber war noch einer anderen Meinung; darum sagte er auch mit einer sehr bedeutungsvollen Miene: „Mir kommt der Mann etwas verdächtig vor, denn das Spektakel mit den sonst so züchtigen und allerehrsamsten Weibern kommt mir durchaus nicht richtig vor.
[3.2.12] Die Zerstörung oder eigentlich die völlige Zunichtemachung des Sohnes Seths kann man auch nehmen, wie man will; denn es könnte ja sehr leicht der Herr, um uns so recht tüchtig zu prüfen, zugelassen haben, dass der Feind des Lichtes auf eine Zeit lang solches täte!
[3.2.13] Du scheinst zwar den Mann zu kennen, aber das reicht noch nicht hin, um mich zu beruhigen, da ich ihn noch nicht kenne; ich aber bin ein schon vielfach gebranntes Kind und habe daher bei ähnlichen Erscheinungen eine große Scheu vor dem Feuer!
[3.2.14] Daher gebe uns näheren Aufschluss über den Mann, und mache, dass wir in die Hütte kommen, sonst wird der Herr noch lange verziehen!
[3.2.15] Dieser Mann aber kann doch in aller der schon ausgesprochenen Hinsicht ebenso wenig der Herr sein, als es unsereiner sein könnte! Denn wäre er es, da wäre die Purista doch so gut wie belogen! Das musst du doch einsehen so gut, wie wir es einsehen!
[3.2.16] Dass die vier sich so an den Mann halten, das beweist eben nicht viel! Denn die Weiber sind leichtfertig und alle zusammen blind; und so eine zehn Jahre gebetet hat, da darf im elften eine starke Versuchung über sie kommen, und sie wirft sich vollauf dem Verführer in die Arme! Denn auch das Weib ist frei und kann tun, was sie will.
[3.2.17] Also rede du, was du weißt; aber mache keine lange Rede, damit wir bald in die Hütte kommen, darinnen den Herrn erwarten und dadurch dem Mann die Gelegenheit abschneiden, mit den vier jungen Tauben zu machen nach seinem Wohlgefallen! Wir müssen in göttlichen Dingen überhaupt nicht so lau sein, sonst wird die Welt nicht mehr tausend Jahre und darüber bestehen, wie sie doch schon bestanden ist durch meinen allzeit regen Eifer für Gott!“
[3.2.18] Hier erst kam der Henoch zu Wort und sprach: „Hört ihr alle, meine lieben Väter, Brüder und Kinder! Ihr habt eure Zunge wohl und die Gedanken eurer Seele in eine große Tätigkeit gesetzt, aber eure Herzen sind dabei ganz untätig geblieben!
[3.2.19] Ihr scheint alle meine Sabbatsrede aus dem Herrn ja rein vergessen zu haben, wenn ihr nicht versteht die Verheißung der Purista!
[3.2.20] Was ist die Hütte der Purista, in der wir des Herrn allzeit harren sollen? Hört, unser Herz ist die Hütte der Purista, und das Feuer in derselben ist unsere lebendige Liebe zu Gott!
[3.2.21] Wer aus euch aber hat sich bis jetzt noch in diese Hütte begeben, und wer hat in diese Hütte seine Brüder aufgenommen und der Letzte und der Geringste unter ihnen sein wollen?
[3.2.22] Kein Weib außer der Eva und der Purista solle die Hütte betreten! Das will sagen, wenn wir in der Liebe zu Gott stehen und ruhen in unserem Herzen, dann sollen wir nicht der Weiber gedenken und die Liebe zu Gott nicht trüben mit der Liebe der Weiber, außer mit der Mutterliebe und der kindlichen Liebe, welche Liebe aber die Liebe zu Gott nicht trübt, sondern nur einen Maßstab gibt, wie wir Gott lieben sollen. Versteht ihr solches?
[3.2.23] Wir waren wohl in der Hütte der Purista mit unseren Leibern, aber unsere Herzen staken in den Weibern und fragten sich: ‚Warum dürfen denn nicht alle Weiber in die Hütte?‘ Kein Wunder dann, dass uns die Weiber ein solches Spektakel machten und uns am Ende sogar aus der Hütte trieben! Versteht ihr solches?
[3.2.24] Da aber der Herr endlos barmherziger und getreuer ist als wir, so kam Er Seiner Verheißung zufolge dennoch zu uns; aber Er kam, wie wir waren in unserem Herzen beschaffen. Weiber waren in unseren Herzen; daher kam Er auch zu den Weibern und nahm sie auf, da wir in unserer Hütte der Purista nicht gegenwärtig waren! Versteht ihr solches?
[3.2.25] Die vier reinen Liebhaberinnen des Herrn haben Ihn, uns überhoch beschämend, in der wahren, lebendigen Hütte der Purista erwartet; daher kam Er auch zuerst zu ihnen, und während wir noch unsere leeren Zungen wetzen, genießen sie schon allerseligst die lebendigsten Ausflüsse Seiner Gnade, Erbarmung und Liebe! Versteht ihr solches?
[3.2.26] Noch wisst ihr nichts aus der Tiefe; den vieren aber lässt der Herr schon lange allerhellst schauen Seine wundervollsten Wege und Führungen. Versteht ihr solches?
[3.2.27] Ihr fragt noch und sagt: ‚Wer ist der Mann?‘ Aber die vier Reinen liegen schon lange in Seinen Armen und freuen sich des heiligen, liebevollsten Vaters! Versteht ihr solches?
[3.2.28] Ich sage euch aber nicht, als sei der Mann der Vater, sondern geht hin zu Ihm in euren Herzen, und ihr werdet erkennen, wer der Mann ist! Versteht ihr solches?
[3.2.29] Ja, nun müsst ihr es verstehen, so ihr nicht blinder seid als der Erde Zentrum. Ich habe ausgeredet; tut danach, und erkennt eure große Blindheit im Namen des Herrn! Amen.“
[3.2.30] Hier gingen allen die Augen weit auf, und sie erkannten nun alle, sich an die Brust schlagend, um welche Zeit es also war.
Am 29. März 1843
[3.3.1] Erst nach einer Zeit von einer viertel Schattenwende kamen die Väter und die andere Morgengesellschaft wieder zur Besinnung; aber keiner wusste nun, was er beginnen solle. Daher sahen sie sich auch ganz verblüfft an und fragten sich gleichsam stumm: „Was ist das; was ist mit uns, was haben wir getan?“ Aber es wollte auf all das stumme Gefrage keine Antwort von irgendwoher erfolgen!
[3.3.2] Es merkten aber solches auch von einiger Entfernung her die Weiber, dass da unter den Männern etwas Wichtiges muss vorgefallen sein, da sie also geheimnisvoll täten und die Köpfe zusammensteckten. Daher trieb sie nicht etwa ihre schwache, sondern nur ihre starke Seite unter dem Namen „Neugierde“ alsbald allesamt hin zu den Männern, um da zu erlauschen, was sich etwa doch ereignet haben müsse.
[3.3.3] Die eine aber fragte unterwegs ihre Nachbarin: „Was meinst du wohl, was die Männer etwa doch haben?“
[3.3.4] Die Nachbarin erwiderte mit gewichtiger, aber freilich wohl – wie gewöhnlich – nichtssagender Miene: „O Schwester! Das muss etwas ganz entsetzlich Merkwürdiges sein; ein Wunder ist es jedenfalls! Wenn uns doch nur wer sagen möchte, was es ist!“
[3.3.5] Eine andere sagte: „Es ist sicher wegen dem sehr sonderbaren Mann etwas!“
[3.3.6] „Ja, ja“, fiel ihr gleich eine vierte ein, „der abscheuliche Mensch ist, wie ihr wisst, ehedem mit den vier Keuschheitsdirnen in die Hütte ganz allein gezogen! Weil er sich da draußen vor unseren sittlichen Augen doch etwas fürchtete, sein Wesen mit den vieren zu treiben, so ging er nun in die Hütte!“
[3.3.7] Eine fünfte sagte dazu: „Du hast recht, dort hat er’s jetzt viel ungefürchteter und auch bei weitem bequemer! Ich hab’s aber auch dem Lamech und dem Hored einmal – nur so im Vorbeigehen, wie sich’s denn manchmal gibt – gesagt: ‚Ich will euch keine schlechte Prophetin sein, aber seid ja streng auf eurer Hut, denn so ein schönes, junges, hitziges Blut tut wohl auf keinen Fall so völlig gut!‘
[3.3.8] Und da habt ihr’s jetzt, und da haben’s die weisen Männer, die uns erfahrenen Weibern immer den Mund zustopfen wollen!
[3.3.9] Nein, es ist ja gerade zum Totlachen oder zum Totärgern! Gerade vor ihrer hochweisen Nase schnappt ihnen dieser Zauberer vom Mittag her, von dem ich schon so manches habe reden gehört, ihre Morgenperlen, wie sie’s immer jetzt schon nannten, weg!
[3.3.10] Und jetzt stecken sie die Köpfe sicher aus lauter Furcht und Eifersucht zusammen und wissen sich aus lauter Weisheit nicht zu raten und zu helfen!
[3.3.11] Den stärksten Mann unter ihnen hat er weggezaubert, und es könnte ihnen auch um nichts besser ergehen, so sie Gewalt an ihn legen möchten!“
[3.3.12] Eine sechste bemerkte daneben, sagend: „Ja, du hast aber sicher recht; denn ich hab’s ja gesehen und gehört, wie ehedem der Henoch hinging, um den Zauberer von der geheiligten Stelle zu treiben! Da wollte der Zauberer ihm aber nicht Folge leisten! Er, der Henoch, sendete dann die Purista hin, wahrscheinlich, um dadurch den Zauberer zu erweichen und ihn dadurch eben auch auf eine gegenzauberhafte Weise von der Stelle zu bewegen; allein – fehlgeschlagen Herr Henoch! Der Zauberer verzauberte auch sogleich die Priesterin Purista, diese stürzte nur gleich hin auf den Zauberer los!“
[3.3.13] Eine Nachbarin meldete sich hier und korrigierte die Rednerin mit den Worten: „Schwester, da hab’ ich besser gesehen! Der Herr Henoch hat nur wollen die Purista hinschicken, aber er hat noch kaum mit ihr in dieser Hinsicht einige Worte gesprochen, so war sie auch schon verzaubert, tat einen Schrei – wahrscheinlich, wie sie von der Zauberei angegriffen wurde – und rannte natürlicherweise schon ganz unsinnig blindlings auf den Zauberer los und fiel dann auch ganz nach seinem Wunsch zu ihm hin!“
[3.3.14] Hier fiel dann wieder die frühere Rednerin sagend ein und bemerkte: „Ja, ja, du hast recht; also war es! Was wollte ich aber denn sagen? – Ja, ja, jetzt weiß ich’s schon! Dann schickte der weise Herr Henoch den starken Sehel hin! Als aber dieser den Zauberer gewaltsam vom Hügel mit seiner Hand ziehen wollte, da zauberte ihn alsbald der Zauberer ganz – Gott weiß wohin, und da stehen jetzt die Ochsen am Berge und wissen nicht, was sie nun, aufrichtig gesagt, mit aller ihrer Weisheit anfangen sollen!“
[3.3.15] Eine andere emsige Zuhörerin dieser erbaulichen Bemerkungen setzte ganz höhnisch lachend hinzu: „Nein, aber lachen möchte ich doch aus vollem Halse, wenn dieser sehr annehmbare Zauberer den weisen Herren diese vier Morgenperlen, diese von der ewigen Morgenröte betauten Frühlingsrosen und – Gott weiß was alles noch für andere Schönheiten, so ganz wegputzen möchte! Ich glaube, die Herren würden sich darob die Augen ausperlen und austauen!“
[3.3.16] Eine andere sagte hinzu: „Wenn aber nur jetzt der Herr Jehova käme, wie Ihn die Purista angekündigt hatte, da möchte ich denn doch die kleine Verlegenheit von den weisen Herren sehen!“
[3.3.17] Wieder eine andere entgegnete: „Oh, da seien wir sicher, der Herr wird jetzt wohl sicher etwas stark verziehen! Denn zu so einem Skandal wird Er wohl ewig nicht kommen, außer mit einer glühenden Zuchtrute, welche nun dem Zauberer, den vier Himmelsaugen und auch den überweisen Herren sehr wohl zustattenkäme!
[3.3.18] Die alte, sonst zwar überaus würdige Mutter Eva ist aber auch noch ganz in die Männer hineingewachsen! Man darf sich bei ihr ja nie über einen Mann beklagen, so ist es aus! Wie früher! Es ist gerade zum Lachen! Als sich des Uranion Weib bei ihr beklagte, welch einen schönen Verweis bekam sie statt einer tröstenden Rechtfertigung! Und wir alle mussten unseren gerechten Ärger hinabschlucken und dann schweigen wie eine Maus vor der Katze! Nein, wer das recht findet, der muss doch die Weisheit – ich weiß nicht, aus was für einer Quelle gesoffen haben!“
[3.3.19] Eine andere bemerkte zu all dem noch hinzu: „Was ist’s wohl nun bei den Herren? Oh, das weiß ich aus dem Grunde! Verliebt sind sie alle bis über die Ohren! Der Zauberer aber hat ihnen nun einen Strich durch die Rechnung gemacht, darum stecken sie nun so verdutzt die Köpfe zusammen!
[3.3.20] Nun, wie lang ist es denn her, da der uralte Vater Adam sogar die schöne, junge Pura gar zu sich in sein Haus nahm und ließ sich dann allzeit von ihr auf die Höhe geleiten, und man will sogar bemerkt haben, dass er sie geküsst habe!“
[3.3.21] Eine Nachbarin sagte gleich hinzu: „Nun – nun –, das wird doch etwas Neues sein, hab’s doch selbst mit eigenen Augen gesehen! Nicht nur geküsst, sondern auch geherzt, und wer weiß, mit was für freilich wohl unausführbaren Gedanken! Ja die Herren, die Herren, das sind schon die Rechten; denen soll unsereins ja nicht weiter trauen, als man sie sieht, und das kaum!“
[3.3.22] Eine aber aus dem Morgen, die da war eine jüngste Schwester der Aora, in einem Alter von sechzig Jahren – also für damals noch sehr jung und noch ledig –, trat in die Mitte und sprach: „Unser Gerede kommt mir gerade so vor, als wenn man ein leeres Stroh rippeln möchte, um Brotkörner daraus zu bekommen!
[3.3.23] Wenn es auf mich ankäme, da möchte ich eher behaupten, dass aus euch nur die brennendste Eifersucht spricht, und dass ihr alles dessen, womit ihr die Herren beschuldigt, am allermeisten schuldig seid, als dass ich solches von den allzeit weisen Herren denken möchte!
[3.3.24] Ich getraue mir, fest zu behaupten, dass sich eine jede aus uns von dem herrlichen Mann hätte ohne die geringste Widerrede verzaubern lassen, wenn sie der Mann nur hätte verzaubern wollen!
[3.3.25] Aber weil der Mann das aus gutem Grunde nicht getan hat, sondern hatte euch nur vom Hügel gewiesen, so muss er nun schon auch ein schändlicher Mensch sein! Oh, das finde ich sehr natürlich!
[3.3.26] Er hat mir auch gewunken, zu ihm zu kommen; wenn ich mich vor euch nicht so sehr gefürchtet hätte, da hätte ich’s getan, wie meine Nichte Purista!
[3.3.27] Mich aber hat jetzt alle Furcht verlassen, und ich weiß, was ich rede, und bin nicht im Geringsten unsinnig. Merkt es aber wohl, ihr sonst hohen Mütter und Schwestern: Wenn der Herr Jehova kommen wird – so Er nicht schon gekommen ist –, da wird’s euch übel ergehen, und wer weiß, ob die vier Perlen nicht besser daran sind als wir hier und all die von euch geschmähten Herrn selbst dort; denn ich habe hinter dem Mann einen starken Glanz gesehen, und wer weiß aus uns, ob etwa der von euch verhöhnte Mann nicht der Herr Selbst ist, – und wenn das, was dann mit euch?!“
[3.3.28] Hier verstummten alle die Weiber und gerieten in eine große Furcht.
Am 30. März 1843
[3.4.1] Die junge Rednerin aber, welche Mira hieß, bemerkte gar bald, welche Sensation ihre wenigen Worte bei den Weibern erregt hatten, und dachte sich: „Was soll nun aus dieser Erscheinung werden? Die Mütter und Schwestern sind nun auf einmal ganz verstummt, aus einer jeden Angesicht starrt große Angst und ein namenloser Schreck!
[3.4.2] Es muss denn doch etwas geschehen, in solch einem beklagenswerten Zustand kann man die sonst würdigen Mütter und lieben Schwestern denn doch nicht belassen!
[3.4.3] Ich weiß schon, was ich tun werde! Ich werde gerade allein zum Henoch hingehen, da die Mütter und Schwestern sich nun nicht weiter hingetrauen, und will da eine Fürsprecherin machen; der wird die nun gar stark erschrockenen Mütter schon wieder zurechtbringen! Ja, das ist ein recht gescheiter Gedanke von mir, daher ihn nur auch geschwind in die Ausführung gebracht!“
[3.4.4] Gedacht und getan, war bei der Mira schon von jeher die gute Art; daher ging sie denn auch alsogleich hin und zeigte solches alles dem Henoch an.
[3.4.5] Der Henoch aber sagte zu ihr, sie gleichsam zur Rede stellend: „Ja, warum aber hast du also vorlaut geredet und hast dadurch die Mütter und Schwestern in eine solche Angst versetzt?
[3.4.6] Siehe, wie du jetzt allein den Weg zu mir gefunden hast, also hättest du ihn ehedem finden sollen und mir im Namen des Herrn kundgeben die Irrung der Mütter und Schwestern, so hätte sich die Sache auf dem Wege der alleinigen Liebe beilegen lassen; jetzt aber, da du auf deine etwas zu rasche Art den Müttern und Schwestern ein förmliches Gericht bereitet hast, geht es nicht so leicht, wie du etwa meinen möchtest!“
[3.4.7] Da die Mira solches vom Henoch vernommen hatte, erwiderte sie ihm ohne Furcht: „Vater Henoch, du bist freilich wohl ein Weiser, und dazu noch der alleinige vom Herrn Selbst fest bestellte Hohepriester; aber ich meine da gerade nicht gefehlt zu haben, denn man muss ja doch die Rechte Gottes mehr achten als die Rechte der Menschen, so diese nicht mit den göttlichen übereinstimmen!
[3.4.8] Die Mütter und die Schwestern aber haben sich in einem blinden Eifer vergessen, wie es bei den Weibern schon öfter so der Fall ist, und haben dem göttlichen Recht entgegen unter sich falsche Behauptungen aufgestellt; und da mir das doch notwendig zuwider sein musste und ich es zufolge meines inneren Rechtsgefühls nicht länger habe ertragen können, dass der allerheiligste, beste Vater noch länger solle also geschmäht werden in Seinen männlichen vollkommensten Ebenmaßen, so trat ich denn auch auf und sagte ihnen bloß nur meine Meinung. Für das aber, dass meine wenigen Worte die Mütter und Schwestern gar so betrüben sollten, kann ich ja nicht dafür und darum!
[3.4.9] Daher musst du, lieber Vater Henoch, mir nicht gram werden; denn ich habe es ja nur zu gut, aber nicht im Geringsten böse gemeint!
[3.4.10] Siehe, dass ich den Müttern und Schwestern gewiss von ganzem Herzen gut bin, kannst du daraus ja schon ersehen, dass ich – trotz dem, dass auch mir der herrliche Mann gewinkt hatte, gleich den anderen vieren mich zu ihm zu begeben, und ich auch sogleich einen nahe unwiderstehlichen Drang, solches zu tun, in mir empfand, dennoch aus Furcht und Achtung bei den Müttern und Schwestern verblieb.
[3.4.11] Doch aber sage ich dir, lieber Vater Henoch, jetzt auch ganz bestimmt: Wenn jener Mann noch einmal mir winkte, zu ihm zu kommen, so ließe ich nicht nur alle Mütter und Schwestern augenblicklich sitzen, sondern die ganze Welt, und eilte schnurgerade zu ihm hin; denn hinter dem Mann ist mehr als nur ein alleiniger Mann! Das weiß ich ganz bestimmt!“
[3.4.12] Hier sagte der Henoch zur Mira: „Höre, du bist ja ganz entsetzlich gescheit, wie nicht leichtlich eine deines Geschlechts! Daher sollte es dir, so du die Mütter und Schwestern so recht vom ganzen Herzen liebhast, ja auch gar nicht schwer werden, ihnen mit deiner Gescheitheit zu helfen?!“
[3.4.13] Und die Mira erwiderte dem Henoch: „Ja, lieber Vater Henoch, nach deiner stets ausweichenden Rede zu urteilen, so wird mir am Ende ohnehin sonst nichts übrigbleiben. Hab mir’s auch schon unterwegs gedacht, dass bei Euch eben der Erbarmung höchste Stufe nicht zu treffen sein dürfte. Wenn ich nur zu jenem Mann kommen könnte; der würde mich sicher eher erhören als Ihr!“
[3.4.14] Und der Henoch entgegnete ihr: „Nun gut; siehe, der Mann ist in der Hütte, und die Tür ist offen! Ich will es dir nicht vorenthalten, bei Ihm Hilfe zu suchen; du magst daher schon zu Ihm gehen, so du glaubst, dass Er dich eher erhören wird denn ich!“
[3.4.15] Und die Mira sagte: „O wenn ich das nur darf, da ist es mir nicht im Geringsten bange!
[3.4.16] Freut euch, ihr armen Mütter und Schwestern, es soll euch ohne Henoch geholfen werden!
[3.4.17] Daher nur Mut; der herrliche Mann hat sicher ein besseres Herz als Ihr, lieber Vater Henoch, und wird mich nicht so ausfehnen, so ich ihm meine Not klagen werde, sondern helfen!“
[3.4.18] Hier ging sie ernstlich in die Hütte.
Am 31. März 1843
[3.5.1] Als die Mira aber ganz wohlbehalten in der Hütte beim ihr noch nicht so ganz und gar bekannten Herrn anlangte, da stand Er sobald auf und sagte zu ihr in einem etwas ernsten Ton: „Wie kommst du, Mira, jetzt daher, da Ich dir nicht gewunken habe, da du doch ehedem nicht kommen mochtest, da Ich dir gewunken habe? Zudem habe Ich auch dem Henoch ein Gebot gegeben, demzufolge kein Weib über die Schwelle der Hütte treten solle, und dennoch kamst du herein! Wie ging solches zu?!“
[3.5.2] Die Anrede und dieser sehr scharf fragende Ton brachte unsere Mira anfangs ein wenig aus der mutigen Fassung; aber sie sammelte sich dennoch bald wieder, indem sie bei sich bedachte: „Ist es der Herr, so wird Er es damit ja doch nicht gar so entsetzlich ernstlich meinen und wird sich durch mein recht herzlichstes Flehen sicher erweichen lassen, und ist er bloß so ein recht pikfester Weiser nur, so gehe ich im schlimmsten Falle denn wieder, wie ich gekommen bin!“
[3.5.3] Nach solchem Bedenken erst öffnete sie den Mund und sagte, so etwas schüchtern beherzt: „Es ist wahr, dass ich im Ganzen genommen gefehlt habe, aber so ich wieder bedenke, dass mich die Not meines Herzens dazu nötigte, und dass mir der Henoch von dem Gebot, hierher nicht treten zu dürfen, nichts gesagt hatte, so habe ich doch wieder nicht gefehlt!
[3.5.4] Denn wer sollte, wer möchte da einem Leidenden wohl verargen, so er in einer großen Not um Hilfe ruft oder als Leidender Hilfe sucht, und das noch ganz besonders, so da ein schwaches weibliches Wesen um Hilfe ruft und Hilfe sucht, wie da eben ich ein armes Wesen bin?!
[3.5.5] Und was Arges habe ich denn so ganz eigentlich angestellt? Ist es denn nicht recht, so auch ein weiblich Wesen Gott mehr liebt und achtet als alle die Menschen, die zusammengenommen gegen Gott dennoch pur und lauter nichts sind?!
[3.5.6] Also habe ich auch den Müttern und Schwestern meine Meinung gesagt, da ich doch nicht wissen konnte, solches werde eine gar so betrübende Wirkung bei ihnen hervorbringen! Hätte ich darum gewusst, da hätte ich freilich wohl schweigen können, aber geschehen ist geschehen! Ich aber möchte nun meinen Fehler ja tausendfach wieder gutmachen; und das kann denn doch unmöglich gefehlt sein!
[3.5.7] Solches habe ich auch dem Vater Henoch gesagt, aber der hatte kein Herz für mich und meine große Not. Darum eilte ich denn zu dir, weil ich glaubte, du werdest doch barmherziger sein als der Henoch; aber nach deinem ersten Empfang scheint aus dir eben nicht mehr Barmherzigkeit herauszuschauen als aus dem Henoch!
[3.5.8] Ich muss dir auch überhaupt bekennen und offenmütig gestehen, dass mir seit der Zeit, da der Herr auf der Höhe doch mehrere Tage nichts als die Liebe gelehrt hatte, die Menschen viel unbarmherziger vorkommen und auch wirklich sind, als sie ehedem waren; und das ist in meinen Augen kein gutes Zeichen.
[3.5.9] Wenn es aber auf mich ankäme, so möchte ich auf der Stelle ja doch aller Welt helfen, geschweige erst einem schwachen weiblichen Wesen, welches ohnehin sowohl von Gott, wie von der Natur aus ums Unbegreifliche in allem nachteiliger und leidender gestellt ist als ein jeglicher Mann!
[3.5.10] Siehe, ich habe jetzt ausgeredet und redete, wie es mir ums Herz war! Wenn es dir nicht recht ist und ich dich etwa, ohne zu wollen, beleidigt habe, so bist du ja mächtig genug, mich entweder hinauszuschaffen, oder mit mir zu machen, wie du ehedem draußen mit dem Sehel es gemacht hast; denn es ist ja besser, nicht zu sein, als zu sein in der Welt, da die Menschen steinerne Herzen haben, darinnen keine Erbarmung ist!“
[3.5.11] Nach dem sagte der Herr zur Mira: „Aber höre du, Mira! Das war doch eine lange Antwort auf Meine kurze Frage! Die eine Hälfte hättest du wohl bei dir behalten können, und die andere verschweigen, denn Ich weiß besser als du, wo dich so ganz eigentlich der Schuh drückt!
[3.5.12] Damit du aber ersehen mögest, dass Ich recht habe, so will Ich dir deine so ganz eigentliche Not kundgeben, und so höre es denn:
[3.5.13] Siehe, deine Mütter und Schwestern sind eifersüchtig, und du bist es auch! Deine Mütter schmähten aus Eifersucht über Mich und Mein Benehmen, und du hast sie dann aus lauter Eifersucht darüber zurechtgewiesen, da du zufolge Meines Winkes ein größeres Recht auf Mich dir heimlich zugestandest, als es den anderen zustände, denen Ich nicht gewunken habe.
[3.5.14] Zufolge Meines Winkes an dich erbranntest du alsbald in der heftigsten Liebe zu Mir; als du aber hernach die Mütter und Schwestern schmähen hörtest über Mich, so ward dadurch in dir deine Liebe beleidigt, und du rächtest dich durch Entäußern deiner guten Meinung an den Müttern und Schwestern!
[3.5.15] Da aber deine Rache etwas wirksamer ausgefallen ist, als du sie so ganz eigentlich haben wolltest, so drückt dich jetzt solches, und du möchtest den Leidenden gerne helfen; aber da es dir nicht möglich ist, so suchst du wohl Hilfe.
[3.5.16] Ich sage dir aber, die Hilfe wird schon kommen, und das eher, als du sie dir erwartet hättest; aber du gehe unterdessen hinaus, und überdenke deinen Fehltritt, und komme dann erst, in dir geläutert, zu Mir, und Ich will dich dann aufnehmen und dich segnen gleich diesen vieren!“
[3.5.17] Hier ward die Mira schamrot und sagte: „Wärest Du nicht der Herr, so wäre Dir mein Herz nicht so offen; Du aber bist der Herr, darum ist auch nichts verborgen vor Dir, und ich gehe nun getrost aus der Hütte, deren ich nicht wert bin, da ich Dich gesehen und völlig erkannt habe.
[3.5.18] Vergebe mir aber meine Schuld, wie ich ja allen von Herzen alles vergebe, was mich je von jemandem irgend gekränkt hatte!“
[3.5.19] Der Herr aber sprach: „Ja, dir würde Ich endlos viel vergeben, so du eine Sünderin wärest, weil du Mich so mächtig liebst! Du aber bist rein; so bleibe denn auch hier bei Mir nach deinem Herzen, und der Henoch wird alles andere zurechtbringen! Amen.“