Die drei Tage im Tempel

Gespräche des zwölfjährigen Jesus mit den Pharisäern

Die drei Tage im Tempel

Gespräche des zwölfjährigen Jesus

„Die drei Tage im Tempel“ beschreibt eine Episode aus der Jugend Jesu, basierend auf den Schriften des österreichischen Mystikers und „Schreibknechts Gottes“ Jakob Lorber (1800-1864).

Im Alter von zwölf Jahren begleitet Jesus seine Eltern nach Jerusalem zum Passahfest. Nach den Feierlichkeiten bemerken Maria und Josef auf dem Heimweg, dass Jesus fehlt. Sie kehren nach Jerusalem zurück und finden ihn nach drei Tagen im Tempel. Dort sitzt er inmitten der Schriftgelehrten, hört ihnen zu, stellt Fragen und verblüfft sie mit seiner Weisheit und seinen Antworten. Seine Eltern sind bestürzt, ihn dort zu finden, doch Jesus erwidert, dass er im Haus seines Vaters sein müsse.

In Lorbers Werk wird diese Begebenheit detailliert aus einer spirituellen Perspektive beleuchtet und interpretiert.

Inhalt lesen

[1.1] Es war Sitte und vorgeschriebener Gebrauch im ganzen Reich der Juden, dass sie ihre Kinder, wann sie einmal das zwölfte Jahr zurückgelegt hatten, nach Jerusalem bringen mussten, allwo sie im Tempel von den Ältesten, Pharisäern und Schriftgelehrten ausgefragt wurden über alles, was sie bis zu diesem Alter besonders in der Lehre von Gott und den Propheten [sich zu] eigen gemacht hatten.

[1.2] Für solche Prüfung war natürlich auch eine kleine Taxe zu entrichten, nach der die Geprüften auch, so sie es wünschten, gegen eine abermalige kleine Taxe ein Fähigkeitszeugnis erhielten. Hatten sich die Kinder in jeder Hinsicht ausgezeichnet, so konnten sie dann auch in die Schulen des Tempels aufgenommen werden und hatten Aussicht, einst Diener des Tempels zu werden.

[1.3] Konnten die Eltern nachweisen, dass sie dem Stamm Levi entstammten, so ging es mit der Aufnahme in des Tempels Schulen leicht. Konnten die Eltern aber das nicht nachweisen, so ging es damit schlechter, und sie mussten sich in den Stamm Levi förmlich einkaufen und dem Tempel irgendein bedeutendes Opfer bringen.

[1.4] Die Töchter waren von dieser Prüfung ausgenommen – außer sie wollten auf Antrieb ihrer Eltern sich auch prüfen lassen, der größeren Gottwohlgefälligkeit wegen, so wurden sie von den Altmüttern des Tempels in einer besonderen Behausung fein geprüft und bekamen auch ein Zeugnis von allen sich bis dahin erworbenen Kenntnissen und Fertigkeiten. Solche Mädchen konnten dann Weiber der Priester und Leviten werden.

[1.5] Die Prüfungen mit den Knaben und noch mehr mit den Mädchen dauerten nur kurz. Es waren einige Hauptfragen schon für immer bestimmt, die schon ein jeder Jude seit lange her auswendig wusste.

[1.6] Die Antworten auf die genannten Fragen wurden den Kindern ganz geläufig eingebläut, und es hatte der Prüfer die Frage kaum zu Ende gebracht, so war der geprüfte Knabe auch schon mit der Antwort fertig.

[1.7] Mehr als zehn Fragen hatte kein Prüfling bekommen, und es ist darum leicht begreiflich, dass eine Prüfung mit einem Knaben kaum über eine Minute Zeit gedauert [hat], besonders so er die ersten Fragen ganz gut und sehr fertig beantwortet hatte, da wurden ihm dann die anderen meistens erlassen.

[1.8] Nach vollbrachter kurzer Prüfung bekam der Knabe ein kleines Zettelchen, mit welchem er sich dann mit seinen Eltern an derselben Taxkasse zu melden hatte, bei der er ehedem die Prüfungstaxe entrichtete, allwo er gegen Vorweisung des Prüfungszettelchens wieder eine kleine Taxe zu entrichten hatte, so er auf das Zettelchen ein Tempelzeugnis haben wollte. Kinder ganz armer Eltern mussten ein Signum paupertatis [Armutszeugnis] mitbringen, ansonst sie zu der Prüfung nicht zugelassen wurden.

[1.9] Die Zeit der Prüfung war entweder zu Ostern oder zur Zeit des Laubhüttenfestes und dauerte gewöhnlich fünf bis sechs Tage. Bevor aber die Prüfungen in dem Tempel ihren Anfang nahmen, wurden schon ein paar Tage früher Tempeldiener in die Herbergen geschickt, um sich zu erkundigen, wie viele Prüfungskandidaten etwa anwesend seien.

[1.10] Wer sich da wollte besonders vormerken lassen gegen eine kleine Taxe, der konnte es tun, weil er dadurch früher zur Prüfung kam, aber die Taxlosen mussten dann gewöhnlich die letzten sein, und mit ihrer Prüfung nahm man sich schon durchaus nicht viel Mühe, und die Zeugnisse blieben gewöhnlich aus. Man versprach ihnen wohl, solche einmal nachzutragen, woraus aber gewöhnlich nie was geworden ist.

[1.11] Manchmal aber geschah es auch, dass Knaben von sehr viel Geist und Talent den Prüfern auch Gegenfragen stellten und Aufklärungen über dies und jenes aus den Propheten verlangten. Bei solcher Gelegenheit gab es unter den Prüfern dann gewöhnlich verdrießliche und ärgerliche Gesichter; denn die Prüfer waren selten in der Schrift und in den Propheten irgend mehr bewandert als heutzutage die sehr mager gestellten Abc-Lehrer. Sie wussten nur so viel, um wie viel sie zu fragen hatten. Darüber hinaus sah es gewöhnlich sehr finster aus.

[1.12] Es saßen aber bei den Prüfungen, gewisserart als Prüfungskommissare, wohl auch einige Älteste und Schriftgelehrte. Sie prüften aber nicht, sondern horchten bloß nur zu, was da geprüft ward. Nur im vorerwähnten besonderen Falle, so es sich der Mühe lohnte sowieso, fingen sie an sich zu rühren und verwiesen zuerst so einem fragestellenden Knaben seine unkluge Vermessenheit, der es gewagt hatte, seine Prüfer in eine unangenehme, zeitzersplitternde Lage zu versetzen.

[1.13] So ein Knabe wurde, so er sich nicht zu leicht einschüchtern ließ und bei seinem Vorhaben und Begehren verharrte, mehr des Scheines vor dem Volk als irgend der tieferen Wahrheit wegen, ad interim auf die Wartseite gestellt und musste auf die für dergleichen kritische Fragen gegebene erklärende Antwort bis zu einer gewissen Stunde am Abend warten, allwann er dann erst eigens vorgenommen wurde.

[1.14] Kam dann die anberaumte Stunde, so wurden stets mit einigem Unwillen solche Knaben aus ihrem Versteck hervorgeholt, mussten ihre schon früher gestellten Fragen wiederholen, und einer der Ältesten und Schriftgelehrten gab dem Fragesteller gewöhnlich eine sehr mystische und so viel als möglich verworrene Antwort, aus welcher der Knabe offenbar nicht klüger wurde – und das Volk schlug sich dabei auf die Brust und bewunderte tief, dumm, stumm, taub und blind die unerforschliche Tiefe des Geistes Gottes durch den Mund eines Ältesten und Schriftgelehrten und verwies am Ende eines solchen Knaben unbesonnene Keckheit.

[2.1] Aber so ein recht geistreicher Knabe ließ darauf den Kopf noch nicht hängen und sagte: „Alles Wirken in der großen Gotteswelt ist am Tage vom hellsten Sonnenlicht erleuchtet, und selbst die Nacht ist nie so finster, dass man gar nichts sehen sollte; warum muss denn gerade jene wichtigste Lehre, die dem Menschen den Weg zum wahren Heil klarst und hell zeigen soll, so verworren und keiner Seele verständlich gegeben sein?“

[2.2] Und der Knabe, der den Ältesten eben dieses eingewendet hatte, war Ich selbst und brachte sie dadurch in eine große Verlegenheit, zumal Mir alles anwesende Volk sehr recht zu geben anfing und sagte: „Beim Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs – dieser Knabe ist zum Verwundern gescheit, der muss noch mehreres mit den Ältesten und Schriftgelehrten verhandeln! Wir wollen für ihn ihnen ein bedeutendes Opfer in den Gotteskasten legen.“

[2.3] Ein sehr reicher Israelite aus Bethania (es war dies der damals noch lebende Vater des Lazarus, der Martha und Maria) trat hervor und erlegte für Mich ein Opfer von 30 Pfund Silber und etwas Gold bloß zum Behufe dessen, dass Ich länger mit den Ältesten und Schriftgelehrten verhandeln dürfte.

[2.4] Die Ältesten und Schriftgelehrten nahmen natürlich das große Opfer nur gar zu gerne an, und Ich bekam dadurch ordentlich Luft, mit den Ältesten in ganz außerordentliche und vorher aus sicheren Gründen nie dagewesene Besprechungen kommen zu dürfen.

[2.5] Aus dem Jesajas aber war schon die erste und schon vorerwähnte Vorfrage, deren äußerst mystisch-dunkle Beantwortung dann eben den Grund zur folgenden gedehnten Verhandlung bildete, die wir nun alsbald werden folgen lassen. Wer sie mit gutem und liebereinem Herzen lesen wird, der auch wird vieles aus ihr für seine Seele und seinen Geist gewinnen.

[2.6] Bevor wir aber zu der größeren Verhandlung kommen, und weil Ich die gut bezahlte Freiheit, zu reden, hatte, kehrte Ich zur Vorfrage zurück und fing die Ältesten und Schriftgelehrten über die einzelnen Punkte derselben an zu befragen.

[2.7] Die Vorfrage aber war genommen aus Jesajas 7,14 und Vers 15 und 16 dazu, und die Verse lauten: „So wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie Emanuel heißen. Butter und Honig wird er essen, dass er wisse Böses zu verwerfen und Gutes zu erwählen. Aber ehe der Knabe lernt Böses verwerfen und Gutes erwählen, wird das Land, davor dir graut, verlassen sein von seinen zwei Königen.“

[2.8] Der erstere Teil der Vorfrage bestand offenbar sogar von selbst verständlich darin: wer die Jungfrau und wer ihr Sohn Emanuel sei, wann dies geschehen werde, dass solch ein Sohn in die Welt geboren werde. Die Zeit müsste schon da sein, indem das Land Jakobs bereits schon seit mehreren Jahren seiner beiden Könige entsetzt ist und nun die Heiden zum Herrn hat. Ob etwa nicht jener vor zwölf Jahren zu Bethlehem von der Jungfrau Maria, die dem Zimmermann Joseph angetraut war – noch nicht als Weib, sondern als Pflegebefohlene nach dem alten Gebrauch des Tempels – in einem Schafstall geborene Knabe, dessentwegen die Weisen vom Morgenland herbeikamen, um ihn als den verheißenen großen König der Juden zu begrüßen, dem Anna und Simeon im Tempel bei der Beschneidung ein großes Zeugnis gegeben haben, eben jener Emanuel sei, von dem Jesajas geweissagt hatte.

[2.9] Nun, auf diese eben nicht unbedeutende Vorfrage fing ein Ältester, so ein recht herrschsüchtiger Knauser an, ein verworrenstes Zeug zusammenzuschwätzen, das Ich gar nicht wieder bekanntgeben will, weil er Mich danebst auch einen schlecht erzogenen Knaben nannte, da Ich schon von einem Aus-einem-Weib-Geboren-werden was wüsste.

[2.10] Nur ein jüngerer, ein wenig menschlicher aussehender Schriftgelehrter erhob sich dagegen und sagte, dass solches noch keineswegs auf irgendeine schlechte Erziehung hindeute, da besonders in Galiläa die Knaben eher reifer würden als in dem verkümmerten Jerusalem, wo nichts als Luxus und eine große Verzogenheit der Kinder daheim sei. Man könnte Mir schon eine bessere Antwort auf sein Gutstehen für Mich geben, denn er meine, dass Ich schon mit allen Verhältnissen des menschlichen Lebens bestens vertraut sei. Man solle nur die anderen Knaben entfernen und mit Mir dann ganz männlich reden.

[2.11] Aber der Älteste brummte etwas in seinen Bart hinein, und Ich fragte hernach den menschlicher aussehenden Schriftgelehrten bezüglich der Geburtsgeschichte in Bethlehem. Aber auch dieser sagte so ganz weitwendig:

[2.12] „Ja, du mein lieber, recht holder Knabe, mit jener glücklicherweise total verrauchten Geschichte, die in jener Zeit vieles von sich reden machte, ist nun und besonders in Bezug auf die dunkle Weissagung des Propheten Jesajas, der nur für seine Zeit in stets dunklen Bildern weissagte, so viel als nichts. Denn die Alten haben sich, glaube ich, wie ich es vernommen habe, nach dem bekannten Herodischen Kindermord von Bethlehem – bei welcher Gelegenheit sicher auch ihr aus dem Morgenland begrüßter König der Juden geschlachtet ward – gar aus ganz Judäa irgendwohin geflüchtet und leben vielleicht gar nicht mehr. Denn man habe nachher nichts mehr von ihrem Dasein vernommen.

[2.13] Es mag immer etwas an der Sache gewesen sein, denn sie habe damals viel Aufsehen gemacht. Aber merkwürdigerweise sei in wenig Jahren darauf derart alles in das Meer der gänzlichen Vergessenheit gesunken, dass nun wohl kein Mensch mehr nur mit einer Silbe irgendeine Erwähnung davon mache und es sich auch nicht der Mühe lohne darüber ein Wort zu verlieren. Simeon und Anna aber wären zwei bekannte alte Tempelschwärmer gewesen, die bei gar manchen Knaben ihre messianischen Bemerkungen in einem mystischen Ton gemacht haben und dadurch recht viele schwache Eltern ganz ordentlich verrückten.

[2.14] Als Gott Moses auf Sinai die Gesetze gab, da bebte nahe der ganze Erdkreis, und die Geschichte in der Wüste hatte bei vierzig volle Jahre gedauert, und es musste da schon nahe alle Welt die Allgewalt Jehovas anerkennen. Umso mehr wird sich der in diese Welt kommende Messias, von dem David sang: ‚Macht die Tore weit und die Türen der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe! Wer ist derselbe König der Ehren? Es ist der Herr stark und mächtig, der Herr mächtig im Streit! Macht die Tore weit und die Türen der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe! Wer ist der König der Ehren? Es ist der Herr Zebaoth, Er ist der König der Ehren!‘, sicher noch mehr die ganze Welt erbeben machend zeigen!

[2.15] Und du, mein holder Knabe, wirst sonach wohl einsehen, dass es da mit der Geburt in Bethlehem, die bereits ganz verschollen ist, bezüglich des anzuhoffenden Messias wohl seine sehr geweisten Wege haben werde. Bedenke nur, wie Ihn David angekündigt hatte, und was man zuvor tun solle, so der große König der Ehren aus den Himmeln zu den Juden kommen werde, und bedenke auch, dass da alle Juden zuvor sicher mehrere Jahre werden von großen Propheten, als wie vom Elias, der in jener Zeit dem Herrn der Ehren vorangehen werde, aufgefordert werden, das ins Werk zu setzen, was der große König David anbefohlen hatte, um sich auf solch eine ungeheure Ankunft des allerhöchsten Gottes wohl vorzubereiten!

[2.16] Denke du, holder Junge, darüber nur nach, und es wird dir dann schon einleuchtend werden, dass ein Jehova Zebaoth nicht gar so leichten Kaufes in die Welt kommen werde. Und darum gehe nun und frage um dergleichen nicht wieder!“

[2.17] Darauf erst machte Ich dann die schon früher bekanntgegebene Bemerkung, die den reichen Mann aus Bethanien bewog, für Mich die große Besprechungstaxe zu zahlen, um Mich zu vermögen, über die von Mir gegebene Vorfrage weitere Einreden zu machen und Mich darüber auch noch weiter über die auf den Messias lautenden Texte im Jesajas auszusprechen, denn er war einer der wenigen, der nun den König der Ehren nach Elias nicht mehr im Sturm oder Feuer, sondern im sanften Windessäuseln erwartete.

[3.1] Als Ich auf diese Weise Sprachluft bekam, sagte Ich gleich zu den Ältesten und Schriftgelehrten, die Mir bedeuteten, dass Ich nun reden solle und fragen, um was ich wolle, und sie würden mir nun pflichtgemäß antworten. So begann Ich wieder mit der Vorfrage und sagte: „Eure noch so sicher scheinend gestellten Worte können das Meer nicht ruhen machen und den rauschenden Winden nicht das Stillschweigen gebieten! Nur ein Blinder merkt von den Zeichen dieser Zeit nichts, und als Stocktauber kann er auch nicht vernehmen den mächtigst dröhnenden Geschichtsdonner eben dieser allerdenkwürdigsten Zeit der ganzen Erde. Während schon Karmel und Sion vor dem angekommenen König der Ehren ihr Haupt geneigt haben und Horeb aus seinen hohen Zinken Milch und Honig fließen lässt, wisst ihr, die ihr am ehesten davon wissen und das harrende Volk davon benachrichtigen sollt, nicht eine Silbe!“

[3.2] Hier machten alle große Augen und sahen bald Mich und bald wieder sich untereinander an und wussten nicht, was sie Mir erwidern sollten.

[3.3] Nach einer Weile sagte einer: „Nun so rede du weiter von dem, was du davon wissest!“

[3.4] Sagte Ich: „Sicher weiß Ich, was Ich weiß; aber darum stellte Ich keine Frage an euch, um Mir das von euch erläutern zu lassen, was Ich ohnehin weiß, sondern nur, dass ihr es Mir zeigtet, wer des Propheten Jesajas schwangere Jungfrau sei, von der eben der Sohn des Allerhöchsten soll geboren werden! Warum wird sie Ihm den Namen ‚Emanuel‘ (Gott mit uns) geben? Warum wird Er Milch und Honig essen, um zu verwerfen das Böse und erwählen das Gute? Dieses müsst ihr als Schriftgelehrte denn doch verstehen, was der Prophet unter der schwanger gewordenen Jungfrau, die den bezeichneten Sohn gebären werde, verstanden hatte?

[3.5] Ich bin denn doch der Meinung, dass an jener bethlehemitischen Geburtsgeschichte etwas mehr daran sei, als ihr es meint, und dass jenes Elternpaar, der bekannte Zimmermann Joseph aus Nazareth und dessen später zum Weib angetraute Jungfrau, samt dem zu Bethlehem geborenen Sohn noch ganz gut leben; denn sie sind durch eine recht weise Vermittlung des damaligen römischen Hauptmannes Cornelius der späteren Grausamkeit des alten Herodes entronnen und lebten nun ganz wohlbehalten zu Nazareth in Galiläa.

[3.6] Solches weiß Ich als ein Knabe von zwölf Jahren, und euch, die ihr doch um alles wisst, sollte das unbekannt sein – zumal Joseph als einer der tüchtigsten Zimmermeister noch alle Jahre für Jerusalem was zu machen bekommen hat und ihr ihn gar wohl kennt, sowie dessen Weib, das eine Jerusalemerin ist und bis zu ihrem vierzehnten Jahr im Tempel erzogen wurde? Ist sie nicht eine Tochter der Anna und des Joachim, die nach euren chronischen Aufzeichnungen wunderbarerweise zur Welt kam? Anna war schon hohen Alters, und ohne ein Wunder wäre da an eine Befruchtung wohl nie zu gedenken gewesen!

[3.7] Nun, dieses Elternpaar samt dem neugeborenen Knaben verlebten bei drei Jahre lang, gleich nach der Flucht aus Bethlehem, wohl in Ägypten, und zwar in der Nähe des Städtchens Ostracine, nach altägyptischer Sprache Austrazhina, das so viel sagt als ,ein Schreckenswerk‘, also eine Feste, die allen Feinden zu den Zeiten der Pharaonen den Tod brachte. Später haben die mächtigeren Feinde des alten Ägypten diesen Schreckensort wie vieles andere erobert, und es ist zu unseren Zeiten dem einstigen Schreckensort und -werk nichts geblieben als der alte, verkümmerte Name, dem die Römer freilich eine andere Analyse [Deutung] gegeben haben als die alten Ägypter.

[3.8] Allein daran liegt nichts, sondern Ich führte dies Mir Bekannte nur darum an, um euch den dreijährigen Aufenthaltsort des in Rede stehenden Elternpaares näher zu bezeichnen. Von dort sollen sie nach einer geheimen höheren Weisung wieder nach Nazareth heimgewandert sein, allwo sie nun vollkommen gottergeben in möglichster Zurückgezogenheit leben, obschon man sich dort von dem Knaben, den sehr wohl zu kennen auch Ich die Ehre habe, eine Menge Wunderdinge erzählt. Denn es gehorchen Ihm die Elemente sogar, und die wildesten Tiere der Wälder und Wüsten fliehen vor Seinem Blick ärger denn vor tausend Jägern. Denn in dieser Hinsicht sei Er ein tausendfacher Nimrod! Und davon solltet ihr im Ernst nichts wissen? Sagt es Mir aber ganz aufrichtig und wahr, ob ihr denn wohl im Ernst von alledem nichts vernommen habt?!“

[3.9] Sagte ein anderer Ältester, der von einem etwas besseren Sinne beseelt war: „Ja, davon eben haben wir wohl schon etwas reden gehört, wie auch, dass der uns wohlbekannte Zimmermann mit seinem jungen Weib Maria sich in Nazareth für beständig aufhalte. Ob aber der Wunderknabe wohl derselbe ist, der vor zwölf Jahren zu Bethlehem in einem Stall geboren ward, dies wissen wir nicht und zweifeln auch sehr daran, dass dies derselbe ist! Und wie solle jener Knabe etwa gar der Emanuel des Propheten sein?“

[3.10] Sagte Ich: „Ganz gut, so Er es aber nicht ist, woher rührt dann die Macht, die Er über alle Elemente ausübt? Und wer ist des Propheten ‚Jungfrau‘ und wer der ‚Emanuel‘?“

[3.11] Sagte der Reiche aus Bethanien: „Hört, dieser Knabe hat ja einen Riesenverstand! Mir kommt es im Geiste vor, als ob er etwa gar ein junger Elias wäre, den jener Wunderknabe aus Nazareth vor Ihm her sendet, um uns alle auf den also da seienden Emanuel des Propheten vorzubereiten! Denn wann hat denn je aus uns einer erlebt, dass außer Samuel ein Knabe von zwölf Jahren so enorm weise geredet hätte?!

[3.12] Daher müsst ihr mit diesem Knaben schon eine bündigere und salbungsvollere Rede zu führen anfangen, sonst werden wir des Knaben nicht los! Den Propheten werdet ihr ihm schon müssen auf eine hellere Weise zu erläutern anfangen und auch prüfen, wie es denn mit der Jungfrau Maria, der wunderlichen [wundersamen] Tochter des Joachim und der Anna, steht, die am Ende alle ihre bedeutenden Güter dem Tempel vermachten, als sie starben, oder eigentlich nahm der Tempel dieselben als Lohn für die Erziehung der Tochter Maria mit Gewalt als ein herrenloses Besitztum in den eigentümlichen Beschlag.

[3.13] Was haltet ihr so ganz treu und wahr von jener Jungfrau? Wenn von einem Propheten etwas zu halten ist, so wäre die von ihm genau bezeichnete Zeit nun wohl da, und das Wundersame von der in der Rede stehenden Jungfrau kann nun nicht mehr geleugnet werden! So denn daran doch was wäre, da wäre es denn doch auch ganz verzweifelt frevelhaft von uns allen, so wir uns darum nicht tiefer und näher erkundigen würden!“

[3.14] Sagte der ärgerliche Älteste: „Das verstehst du nicht und redest, dem Knaben Vorschub leistend, davon wie ein vollkommen Blinder von der großen Pracht der schönen Farben!“

[3.15] Sagte Ich inzwischen: „Es ist aber das wirklich eine sonderbare Sache, dass ein Hungriger wähnt, dass da alles hungrig sei, was ihm nur unterkommt! Ein dummer Mensch hält stets die anderen Menschen für noch dümmer, als er selbst es ist. Für den Blinden ist jeder auch noch so scharf Sehende blind, und für den Tauben ist ein jeder andere Mensch taub!

[3.16] Glaubst du alter Zornkopf, dass außer dir kein Mensch irgend mehr was wissen kann? Oh, da irrst du dich sehr! Sieh, Ich bin nur ein Knabe und könnte dir Dinge, die vollkommen wahr und richtig sind, erzählen und kundtun, von denen deiner griesgrämigen Weisheit wohl noch nie was geträumt hatte!

[3.17] Warum soll Mein reicher Simon aus Bethanien, der Indien, Persien, Arabien, Ägypten, Spanien und Rom und Athen bereist hat, nicht auch etwas wissen, wovon dir noch nie etwas im Traum gekommen ist?! Wenn aber also, mit welchem Recht magst du ihn der Unwissenheit zeihen?! Ich aber sage es dir, dass er ganz recht urteilt, und ihr sollt darum das tun, das er um sein vieles Geld von euch verlangt!

[3.18] So jemand einen Knecht dingt für eine Arbeit, so muss der Knecht das tun, wofür ihn der Herr gedungen hat. Will der Knecht das nicht, oder kann er es nicht, so wird des Knechtes Herr etwa wohl das Recht haben, den bedungenen Lohn von dem faulen oder ungeschickten Knecht zurückzuverlangen. Ihr habt euch gut zahlen lassen – und wollt nun aber dafür nichts tun, oder könnt es nicht! Hat Simon nun nicht das Recht, seinen euch gegebenen Lohn von euch zurückzufordern?“

[3.19] Sagte ein anwesender römischer, alles Rechtes kundiger Kommissar und Richter: „Da seht einmal den Knaben an! Der ist ja ein vollendeter Jurist und könnte sogleich ein Richter in allen streitigen Sachen sein! Seine Rechtsaussage ist vollkommen in unseren Rechten begründet, und so Simon aus Bethania das von mir verlangt, muss ich ihm offenbar das Exequatur geben!“

[3.20] Darauf trat er zu Mir hin, koste und herzte Mich und sagte zu Mir: „Höre du, mein holdester, reichlockiger Knabe, ich bin ganz verliebt in dich! Für dich möchte ich sorgen mit allen meinen Gütern und dich zu was Großem erziehen!“

[3.21] Sagte Ich: „Dass du Mich lieb hast, weiß Ich recht wohl – denn in dir schlägt ein treues, gutes Herz. Du kannst aber auch versichert sein, dass auch Ich dich sehr liebe! Aber für Mein Fortkommen brauchst du dich nicht zu sorgen, denn da ist schon Einer, der sich darum kümmert!“

[3.22] Es trat aber nun auch Simon von Bethanien zu Mir und fragte Mich ganz erstaunt: „Sage mir, du mein schönster, liebster und holdester Knabe, woher du es erfahren hast, wie ich heiße, und wo ich schon überall gewesen bin?“

[3.23] Sagte Ich: „Oh, es wundere dich dessen ja nicht, denn so Ich irgendwas wissen will, so liegt das schon so in Meiner Natur, dass Ich es weiß! Das Wie würdest du jetzt wohl noch nicht fassen! Aber nun wieder zur Sache und zu unserer Jungfrau! Wollt ihr Priester und Schriftgelehrten dies näher beleuchten oder nicht?“

[3.24] Sagte einer der helleren Köpfe aus der bedeutenden Anzahl der Ältesten: „Ja, ja, es wird sich das schon nicht anders machen, als dass wir dem Knaben einen ganz reinen Wein einzuschenken anfangen, und so erklärt ihm denn seinen Jesajas nach der Entsprechungslehre der Kabbala, und er wird dann keinen weiteren Ausweg zu einer weiteren Frage mehr haben!“

[3.25] Darauf trat dann ein weisest seiender Schriftgelehrter auf und sagte: „Nun, du wissbegierigster Junge, nehme deine Sinne denn zusammen und höre und fasse: Unter der Jungfrau verstand der Prophet ja etwa keine Jungfrau aus Fleisch und Blut, sondern die Lehre nur, die Gott durch Moses den Kindern dieser Welt gab. Im engsten Sinne stellen wir Priester nun diese Lehre und das Gesetz lebendig vor.

[3.26] Wir aber, als das Wort Gottes lebendig, sind nun voll der besten Hoffnung, dass diese Lehre nun in die ganze Welt von uns hinausgeboren wird und wird erquicken die Heiden. Und diese lebendige und wahrhaftige Hoffnung in uns ist die vom Propheten gemeinte Schwangerschaft der Jungfrau; der Sohn aber, den sie gebären soll und wird, sind eben die Heiden alle, die unsere Lehre annehmen werden, und diese werden dann sagen und also benannt werden: ,Emanuel‘, d. i. ,Gott ist nun auch mit uns!‘ Und solches geschah schon vor uns und geschieht nun umso lebendiger und eifriger.

[3.27] Aber dieser Sohn werde Honig und Milch essen und dadurch verwerfen das Böse und erwählen das Gute. Unter Honig verstand der Prophet die reine Liebe und das wahre Gute aus ihr, und unter der Milch verstand er die Weisheit aus Gott, die den Menschen zuteilwird durch die Befolgung der Lehre und des Gesetzes; und hat man dann die Liebe und die Weisheit aus Gott sich lebendig eigen gemacht, so verabscheut man dann auch frei aus sich alles Böse und will und erwählt das Gute!

[3.28] Siehe, du mein lieber Junge, so verhielt es sich der innersten Weisheit und Wahrheit zufolge mit der Propheten geistigen Worten und Sprüchen und Reden! Sie haben alle nur einen inneren, geistigen Sinn, der aber nur für den wahrhaft Schriftgelehrten aus den materiellen Symbolen und Bildern durch die treue und wahre Lehre der Entsprechungen herauszufinden ist. Ein Laie kann das nicht – und könnte er es, so wären alle hohen Schulen ganz überflüssig und Moses hätte da keine Not gehabt, für die Verwaltung der Lehren und der Gesetze Gottes eigene Priester und Gelehrte aufzustellen! Verstehst du nun diese allein wahre und richtige Auslegung deines von dir nicht verstandenen Propheten?“

[4.1] Sagte Ich: „O ja, das, was du nun ganz gut dargestellt hast, habe Ich schon lange gewusst, und du hättest dir füglichermaßen können die ernste Mühe ersparen, Mir solches kundzutun. Ich bleibe nun einmal dabei stehen und lasse die Jungfrau Maria nicht aus den Augen!

[4.2] Warum sagte denn der Prophet [Jes. 9,5-6]: ,Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, dessen Herrschaft auf seinen Schultern ist, und Er heißt: Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig, Vater, Friede, Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und seinem Königreich, dass Er es zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit! Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.‘

[4.3] Was ist das für ein Kind, und was ist das für ein Sohn, der uns gegeben ist? Sollte das nicht etwa doch jener zu Bethlehem in einem Stall geborene Knabe sein? Denn es heißt auch: ‚Zu Bethlehem in einem Stall wird den Juden ein König geboren werden; der wird ein neues Reich gründen, dessen ewig kein Ende sein wird!‘ Wie verstehst du Kabbalist dies alles?“

[4.4] Wir samt sahen alle einander an und sie sagten: „Aber von wo hat denn der Knabe sich die Schrift so zu eigen gemacht? Es bestehen im Ganzen nur höchst wenige Abschriften und vollkommene nur kaum zehn, und für diese wissen wir, wo sie sind, und es kommt kein Laie in ihre Nähe. Die Samaritaner besitzen wohl zwar noch eine elfte, die aber ganz falsch ist und eine Menge Zusätze enthält, die eine reine morgenländische Dichtung sind.“

[4.5] Hierauf fragte Mich ein Scharfbissiger: „Nun sage du dieses mir, was ich dich fragen werde: Von woher und seit wann hast du dir die so vollendete Kenntnis der Schrift und namentlich der Propheten zu eigen gemacht?“

[4.6] Sagte Ich: „Darüber Mich zu befragen, hast du ebenso wenig ein Recht, als Ich dich zu fragen, woher es komme, dass du als Priester dir die Schrift gar noch nicht zu eigen gemacht hast – weder im Wort und noch um vieles weniger in der Tat! Gebe Mir Antwort auf das, was Ich frage, und wofür dir gezahlt worden ist! Um alles andere hast du dich wenig oder gar nicht zu kümmern, denn dich hat es nichts gekostet, weder eine Mühe, eine Zeit, noch irgendeine allergeringste Sorge oder irgendein anderes Opfer.

[4.7] Übrigens gereicht es eurem Lehramt durchaus zu keiner besonderen Ehre hier in Jerusalem, wenn euch die sichtliche Bildung eines Knaben aus Galiläa eine so große Bewunderung abnötigt, denn dadurch zeigt ihr ja an, dass eure Knaben hier in der Bildung kaum ein wenig über dem Tierreich stehen!“

[4.8] Auf diese Meine ein wenig stark aufgetragene Bemerkung fängt der römische Kommissar laut zu lachen an, auch Simon kann sich des Lachens nicht völlig erwehren. Der scharfbissige Bemerker aber tritt ab und lässt sich im Hintergrund auf eine Bank ganz verdrießlich nieder.

[4.9] Darauf sagte ein Oberster einer Synagoge aus Bethlehem, der da auch nun im Tempel bei der Knabenprüfung zugegen war: „Ich sehe schon, dass ich da werde Rat zu schaffen anfangen müssen, sonst werden wir mit diesem Knaben nicht fertig. Er hat nun ein erkauftes Recht, uns eine Woche lang zu fragen; wir müssen ihm zur Rede stehen, wollen oder wollen wir nicht! Macht er uns schon mit seiner Vorfrage so viel zu schaffen, so dürfen wir uns erst auf seine Nach- und Hauptfragen gefasst machen!

[4.10] Verstand hat er genug und natürlichen Witz auch in Menge, und wir werden mit ihm nicht aufkommen, so wir nicht das wollen, was er will. Er will einmal einen wahren Sachverhalt über die eben vor zwölf Jahren erfolgte Geburt eines Knäbleins in einem Schafstall bei Bethlehem haben, und diese kann ich ihm verschaffen, weil ich damals sowie noch heutzutage schon der Oberste der dortigen Synagoge war.“

[5.1] Hierauf wandte sich der Oberste an Mich und fragte: „Nicht wahr, du willst alle die Data und Erscheinungen jener denkwürdigen Geburt zu Bethlehem von uns genauest erfahren?“

[5.2] Sagte Ich: „Oh, damit kannst du dir auch gar fein die Mühe und Arbeit ersparen. Denn alles das ist Mir so getreu und wahr bekannt wie keinem aus euch! Ich will von euch nur nach allem dem, was sich damals in Bethlehem zugetragen hatte, erfahren, ob und in welchem Zusammenhang ihr das mit den Aussagen aller Propheten findet, namentlich mit den Aussagen des Jesajas. Um das handelt es sich und um sonst gar nichts, Meine Ältesten!“

[5.3] Spricht der Oberste aus Bethlehem: „Ja, du mein lieber, holder Junge, siehe, du verlangst da Dinge von uns, die wir dir sehr schwer oder auch gar nicht zu geben imstande sind!

[5.4] Es ist schon wahr, dass zwischen den Aussagen des Propheten Jesajas und jener vor zwölf Jahren zu Bethlehem erfolgten Geburt in einem Stall – eines auch von einem Propheten bezeichneten Ortes – eine Art Zusammenhang unfehlbar zu suchen und auch eben nicht unleicht zu finden ist; aber, mein Lieber, wie viel derart Ähnliches mag schon seit den Zeiten des Propheten Jesajas dagewesen sein, und noch ist von einem Emanuel leibhaftig keine Spur!

[5.5] Judäa war sozusagen schon mehrmals königlos, und so manche Jungfrau gebar bei Bethlehem irgend in einem Stall ein Knäblein, und manchmal sogar unter – obschon nur zufällig – großer Zeremonie, die aber nur als ein Naturereignis für sich dastand.

[5.6] Schwache und abergläubische Menschen unter Zutritt gewinnsüchtiger Magier aus Indien und Persien, und Sterndeuter, an denen es bei uns noch nie einen Mangel gab, haben sie was zu benützen gewusst; mit den Sagen der Propheten vertraut, benutzten sie stets solche besonderen Gelegenheiten und verkündeten den blinden Juden mit ernsten Prophetenmienen, wie nun ihr angehoffter Messias unfehlbar zur Welt geboren worden sei.

[5.7] Aber die Zeit, die unerbittliche Zerstörerin aller menschlichen Werke und Sagen und Dichtungen, hat die Nachkommen stets wieder eines anderen und Besseren belehrt. Alles versank in die bodenlose Tiefe der stets größeren Vergessenheit, und auf uns kam nichts Weiteres als eine eitle Sage in irgendeiner möglichst größten Verwirrtheit. Die Aussagen der Propheten sind mystische Bilder, an denen die Menschen noch Hunderte von Jahren nagen werden; aber schwerlich je wird ein Volk zu einer Lösung auf Erden gelangen.

[5.8] Und siehe, du mein holder Knabe, ebenso steht es auch mit der vor zwölf Jahren erfolgten wunderbaren Geburt zu Bethlehem als dem mir nur zu wohlbekannten Ort, der eben darum, weil ihn die Propheten so ausgeschrien haben, stets von allerlei Magiern, Sehern und Sterndeutern umschwärmt wird, ob sich dort nicht etwa irgendwas ereignen würde, das sie zu ihrem Nutz ausbeuten könnten. Die Geburt vor zwölf Jahren war ein Hauptwasser auf ihre trockenen Felder.

[5.9] Die drei Magier aus Persien haben um ihre der Jungfrau dargebrachten Geschenke mir wohlbewusstermaßen eine Menge Schafe, Kälber, Kühe und Ochsen zum Gegengeschenk von den Hirten bekommen und haben ihre Reise sicher nicht umsonst gemacht. Doch nun sind erst zwölf Jahre seither, und schon gedenkt kein Mensch mehr jener Geschichte.

[5.10] Dass du uns aus dem Schwärmerland Galiläa diese Geschichte wieder vorbrachtest, wundert mich nicht im Geringsten, denn Galiläa war ja stets das Land der Schwärmerei, aus welchem Grund es auch schon von den Alten als ein Land bezeichnet wurde, aus dem nimmer irgend ein wahrer Prophet kommen kann.

[5.11] Damit, mein holder Junge, glaube ich auch deine sogenannte Vorfrage ganz beantwortet zu haben. Es kann wohl sein, dass einstens einmal Jehova den jetzt sehr bedrängten Juden irgendeinen Helden erweckt, der sie wieder zu einem freien Volk erheben wird; aber dazu ist eben jetzt nach der ganz natürlichen Lage der Dinge die allergeringste Aussicht vorhanden.

[5.12] Wie müsste ein Held etwa aussehen, und von woher müsste er gekommen sein, der es mit der ungeheuersten Macht der Römer aufnehmen könnte? Das kann vielleicht in tausend Jahren einmal geschehen, wann zufällig allen anderen Weltgroßmächten gleich auch Rom locker und schwach wird, aber jetzt ist dazu wohl noch lange keine Aussicht vorhanden, und deine berühmte Vorfrage geht da offenbar ins Blaue der Luft über. Bist du nun endlich im Klaren mit der Vorfrage?“

[5.13] Sagte Ich: „Ja, ja, so du alles nach dem diesweltlichen Maße nimmst, da magst du recht haben. Aber hier ist nur ein rein geistiges Maß anzunehmen, von dem du aber eigentlich gar keinen Begriff zu haben scheinst, und so hast du Mir mit deiner ganzen, erfahrungsreich sein sollenden Rede am Ende in Bezug auf Meine Vorfrage dennoch ebenso viel als gar nichts gesagt!

[5.14] Denn so der Messias kommen wird, wird er kein materielles, sondern ein geistiges Reich auf Erden gründen, und dieses Reiches wird kein Ende sein in Ewigkeit, wie solches auch der Prophet Jesajas von dem kommenden Messias geweissagt hat.

[5.15] Was ist aber ein geistiges Reich auf Erden? Das ist kein Reich mit einem äußerlichen Schaugepränge, sondern das muss inwendig im Menschen sich offenbaren, und ein Mensch, der in dieses wahre Gottesreich auf Erden unter die Menschen gelangen wird, der wird sein ein wahrhaft lebendiger und wird den Tod nicht sehen noch fühlen und schmecken in Ewigkeit, wie solches David, Daniel und Jesajas geweissagt haben.

[5.16] Wenn es sich aber mit dem verheißenen Messias nur so und niemals anders verhalten kann, wie und aus welchem Grund sollte denn jene stark wunderbare Geburt zu Bethlehem ganz so bedeutungslos dastehen?

[5.17] Gott hat jenes Kind wunderbar vor der mörderischen Hand des Herodes beschützt, und es lebt heutzutage, freilich höchst zurückgezogen, und steht, wo es sein muss, in einer allen Elementen gebietenden Kraft da, wie solche nur einem Gott möglich sein kann. Niemand kann sich vor Ihm verbergen; verbirgt es sich aber vor den anderen Menschen, so ist es aber dann niemandem möglich, es eher irgend zu finden, als bis es sich ganz freiwillig finden lässt.

[5.18] Es hatte nie Lesen und Schreiben gelernt, und dennoch gibt es keine Schrift in der Welt, die es nicht lesen könnte, und schreibt in allen Zungen und ist bewandert in allen Künsten, die nur irgend in der Welt vorhanden sein können, und hat eine Kraft, vor der Berge zittern und die mächtigsten Zedern ihre Häupter bis zur Erde herab beugen, und selbst Sonne, Mond und Sterne scheinen zu gehorchen seinem Willen! Was Ich hier sage, ist keine Übertreibung, sondern ganz reine buchstäbliche Wahrheit!

[5.19] Wenn aber genau so und nicht anders, da meine Ich denn doch, dass es von eurer Seite der Mühe wert wäre, euch näher darum zu erkundigen und darüber nachzusehen in den Propheten, ob die Weissagung Jesajas nicht übereinstimme mit den bewussten Eltern des Kindes, mit dem Kind selbst, mit seiner Geburt, mit dem Geburtsort, mit der Zeit, mit seinem jetzigen Aufenthalt und mit so manchen Zeichen, die es schon bis jetzt von sich gegeben hatte!

[5.20] Diese an sich gewiss nicht unwichtige Sache sollte von euch Priestern, Weisen, Schriftgelehrten und Ältesten des Volkes doch nicht ganz so unbeachtet bleiben, da ihr doch eben jene Stellen im Volk bekleidet, von denen das Volk die offene Kundgabe der Ankunft des ihm verheißenen Messias allein und mit allem Recht zu erwarten hat. Ich rede um Mein teuer erkauftes Recht, und es steht niemandem zu, Mich schweigen zu heißen! Da steht der römische Richter, dem allein ein solches Recht zusteht!“

[5.21] Ich würde diese Berufung an den Richter nicht gemacht haben, so Mich im Flusse Meiner Rede nicht ein alter, gar stolzer Pharisäer zu schweigen ermahnt hätte, da dies Dinge wären, über die ein naseweiser Sauhirte aus Galiläa durchaus nicht zu urteilen habe.

[5.22] Aber der Richter, der ganz auf Meiner Seite war, verwies sehr ernstlich dem Pharisäer seine Gerechtigkeit und gebot ihm, mit solch einer gemeinen Herrschsprache in seiner Gegenwart nicht mehr zum Vorschein zu kommen. Denn Meine Kundgabe über den irgend bei Nazareth wohnenden Wunderknaben sei wichtiger auch für die Römer als ihr ganzer abgenützter schon sehr fadensichtig gewordener Judenkram. Er sagte den Pharisäern trocken ins Gesicht:

[5.23] „Eure Lehre, wie keine auf der weiten Erde, bedarf einer gänzlichen Reformation, sonst hält sie sich wahrlich keine zwanzig Jahre mehr! Denn wie eure Gotteslehre und euer Gottesdienst nun bestellt sind, da sind Roms Bacchanalien eine wahre Sonne dagegen, obwohl sie als eine Verehrung eines höheren Gottwesens als eine wahre Missgeburt des Menschenverstandes dastehen!

[5.24] Du, holder Knabe, aber rede nur ganz beherzt weiter! Es darf dir ja kein Leid zugefügt werden! Denn in dir scheint mehr Verstand zu sein als in diesem ganzen Tempel! Daher nur fortgeredet, mein holder Knabe!“