Das Große Evangelium Johannes in 10 Bänden
Band 8
Bietet eine tiefgründige Fortsetzung der Lehren und Taten Jesu, eingebettet in persönliche Begegnungen, kosmische Offenbarungen und gesellschaftliche Reflexionen. Hier eine kompakte Zusammenfassung:
Jesus begegnet verkleideten Pharisäern bei Lazarus und führt intensive Gespräche über Glauben, Tod, Messias-Erwartung und göttliche Ordnung.
Der Engel Raphael tritt erneut auf und erklärt komplexe Themen wie Besessenheit, Naturgeister, die Geisterwelt, sowie die sieben Urgeister Gottes.
Es werden zentrale Fragen behandelt: Was ist das Wesen Gottes?, Wie funktioniert die Dreieinigkeit?, Was ist die Aufgabe des Menschen auf Erden?
Jesus spricht über die Zukunft seiner Lehre, die Entwicklung der Menschheit, das tausendjährige Reich, und warnt vor dem Antichristen.
Themen wie Sündenvergebung, Buße, Kindererziehung, Geisterspuk, und die geistige Bedeutung von Brot und Wein werden in praktischen Beispielen vertieft.
Die Beziehung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos, sowie die Sonderstellung der Erde im Universum, werden mystisch und philosophisch beleuchtet.
Inhalt lesen
- — Verkleidete Pharisäer kommen zu Lazarus
[8.1.1] Als Ich noch kaum die letzten Worte ausgesprochen hatte, da kam schon ein Diener des Lazarus in den Speisesaal, in dem wir noch gar wohlgemut beisammensaßen, und sagte zu ihm, daß mehrere Fremde angekommen seien und mit dem Herrn der Herberge zu sprechen wünschen.
[8.1.2] Da fragte mich alsbald Lazarus, was er nun machen solle.
[8.1.3] Sagte Ich: „Du bleibst gleich uns vorderhand hier! Nur Raphael und die sieben Ägypter werden hinausgehen und mit den verschmitzten Pharisäern und Schriftgelehrten eine kleine Abhandlung halten. Was sie zu tun und zu reden haben, das wissen sie!“
[8.1.4] Hierauf begaben sich Raphael und die sieben Oberägypter sogleich hinaus, und Raphael fragte sie mit ernsten Worten, was sie hier suchten und wollten.
[8.1.5] Da sprach ein höchst heuchlerischer Pharisäer: „Junger Mensch, der du von guter Abkunft zu sein scheinst, bist du ein Abgeordneter des Lazarus, den wir kennen, und mit dem allein nur wir reden wollen? Es ist das eine sonderbare Sitte nun hier geworden, daß der Gerufene an seiner Stelle denen, die nur den Herrn sprechen wollen, einen unbärtigen Knaben entgegensendet! Gehe du hin zu Lazarus, den wir sprechen wollen, und sage ihm, daß wir, die ihn sprechen wollen, wohl in Jerusalem und in allen Landen der Juden einen viel höheren Rang einnehmen als er!“
[8.1.6] Sagte Raphael: „Wenn ihr denn schon gar so große Herren seid, so wundert es mich wahrlich, daß ihr, verkleidet, im schon ziemlichen Dunkel des Abends euch hier herauf auf diesen von euch in den Bann gelegten Berg und Ort begeben habt! Heißt es nicht also in eurem Fluche: ,Wer von den Juden diesen Berg betritt zur Tages- oder Nachtzeit, der sei verflucht an Leib und Seele!‘? Wenn aber also, wie mochtet ihr selbst euch heraufbegeben, um mit dem Ketzer Lazarus zu sprechen?“
[8.1.7] Sagte der Pharisäer: „Was verstehst du unbärtiger Knabe von dem? So wir die Macht von Gott haben, einen Ort aus guten Gründen in den Bann zu tun, so haben wir auch die Macht, ihn zum wenigsten für uns aufzuheben, wann wir wollen; denn wir stehen nicht unter dem Gesetz, sondern über demselben, so wir das sind, was du meinst. – Hast du das verstanden?“
[8.1.8] Sagte Raphael: „Höret! Wenn ihr euch dünket, über dem Gesetze Gottes zu stehen, da seid ihr dann ja doch offenbar mehr als Gott Selbst! Denn Gott Selbst fügt Sich ewig in Seine ewigen Ordnungsgesetze und handelt niemals wider dieselben und hebt darum auch ewig nie ein Gesetz auf – etwa aus dem Grunde, um zeitweilig Selbst, so es Ihn gelüstete, wider das Gesetz zu handeln.
[8.1.9] So ihr euch aber dazu zur Genüge machthabig dünket, da steht ihr ja weit über Gott; denn Gott Selbst, als das Urgesetz, besteht und handelt stets in Seinem Gesetz und steht sonach in und unter Seinem Gesetz. Wenn aber Gott Selbst das ewig auf das allerstrengste beachtet, wer gab demnach euch das Recht, euch übers Gesetz zu stellen, euch zu verkleiden, damit man euch nicht erkennen möchte, wie und wann ihr selbst euer Gesetz übertretet? So ihr Herren über das Gesetz seid, wozu dann eure Furcht, vom Volke erkannt zu werden, so ihr wider eure Gesetze handelt?“
[8.1.10] Sagte ganz unwillig der Pharisäer: „Was verstehst du unbärtiger Knabe von diesen höheren Dingen, über die allein die Priester des Tempels zu urteilen von Gott das Recht haben?“
[8.1.11] Sagte Raphael: „So, – warum hatte denn Samuel schon als Knabe das Recht, mit Gott zu reden und über göttliche Dinge zu urteilen?“
[8.1.12] Sagte der Pharisäer: „Wie magst du dich erkühnen, dich mit Samuel zu vergleichen?“
[8.1.13] Sagte Raphael: „Wie erkühnet denn ihr euch, euch über Gott und Seine Gesetze zu stellen? Wer gab euch das Recht dazu! Wahrlich, ich habe ein tausendfach größeres Recht, mich mit Samuel zu vergleichen, als ihr, euch über Gott und Seine Gesetze zu stellen!
[8.1.14] Aber nun habe ich eure Dummheit satt! Gebet mir Antwort auf meine erste Frage, warum ihr nun hier herauf gekommen seid, und was ihr hier wollet, sonst sollet ihr mich bald näher kennenlernen und daraus ersehen, was mich berechtigt, mich aus gar guten und wahren Gründen mit Samuel zu vergleichen!“
[8.1.15] Sagte der Pharisäer: „Das ist ein Geheimnis, welches wir niemand anderem als nur dem Lazarus anvertrauen können; darum hole uns den Lazarus heraus, sonst sind wir genötigt, mit Gewalt ins Haus zu dringen! Dich aber geht unser Anliegen an den Lazarus gar nichts an, und wärest du auch ein zehnfacher Samuel!“
[8.1.16] Sagte Raphael: „Was? Ihr habt ein Geheimnis? Wie aber kann das ein Geheimnis sein, was die Sperlinge von den Dächern schon jedermann verkünden! Ich werde euch aber euer Geheimnis hier kundgeben, damit ihr daraus entnehmen könnet, daß euer vermeintes Geheimnis schon seit lange her kein Geheimnis mehr ist.
[8.1.17] Seht, ihr habt in eurem Rate beschlossen – weil die von euch gestern Ausgesandten euch keine Nachricht über den Aufenthalt des euch so sehr verhaßten Propheten aus Galiläa haben bringen können, und das aus dem höchst einfachen Grunde, weil sie selbst nicht wieder zurückgekehrt sind –, erstens euch hier auf eine schlaue Weise zu erkundigen, ob etwa Lazarus hier anwesend sei, und ob er nicht wüßte, wohin etwa der Prophet gezogen ist, und zweitens, wenn Lazarus etwa nicht mehr anwesend sein sollte, den Wirt oder einen anderen Diener zu bestechen, daß er euch möglicherweise eine erwünschte Auskunft gäbe! Erhieltet ihr diese, so würdet ihr dann sogleich alle eure euch noch treu gebliebenen Häscher aussenden, um den euch so sehr verhaßten Propheten fangen und auch alsogleich töten zu lassen.
[8.1.18] Sehet, das ist euer gar sehr löbliches Geheimnis, das uns, und besonders mir, der ich ein größter Freund des erhabensten Propheten bin, schon seit lange her nur zu gut bekannt ist! Und nun redet wahr und treu, ob sich die Sache irgend anders verhält!“
[8.1.19] Hierauf sah der Pharisäer den Raphael groß an und sagte nach einer Weile: „Wer gibt dir, du unbärtiger Junge, das Recht, uns also zu verdächtigen? Erstens weißt du noch nicht, ob wir wohl im Ernste dem Tempel angehören, und ob wir Juden sind, und zweitens sagen wir, daß wir von deinem großen Propheten kaum etwas wissen! Wir haben auf unserer Reise hierher wohl hie und da etwas vernommen, daß im Judenlande ein großer Magier sich bemerkbar mache durch seine Künste oder Zaubereien, ob er aber ein Freund oder Feind der Judenpriester ist, oder ob diese ihn verfolgen, das ist uns wahrlich sicher ganz gleichgültig! Wir sind Handelsleute und kümmern uns sicher um derlei Kleinigkeiten niemals! Wenn aber also, wie kannst du uns Dinge vorhalten, die uns noch nie gekümmert haben?“
[8.1.20] Sagte Raphael: „So, weil euch nun das Wasser zum Munde hineinzurinnen anfängt, so möchtet ihr nun sogar euren Stand verleugnen; aber es geht das vor mir und diesen meinen sieben Gefährten mit dem Verleugnen sogar eures Charakters und Standes durchaus nicht! Damit ihr aber das einsehet und noch besser begreifet, daß ihr euch vor uns unmöglich verstellen könnet, so werde ich mir nun die Freiheit nehmen und werde euch eurer griechischen Überröcke berauben, auf daß ihr dann in euren Tempelkleidern vor uns steht; dann werdet ihr sicher nicht mehr zu leugnen imstande sein, daß ihr das seid, als was ich euch bezeichnet habe!“
[8.1.21] Hier griffen die Pharisäer nach ihren Überröcken und hielten sie fest, – aber es nützte das nichts; denn Raphael gebot in seinem Willen, und die Templer standen sogleich in ihren nur zu wohlbekannten Priesterkleidern da und machten Miene, die Flucht zu ergreifen. Aber die sieben Oberägypter waren schnell bei der Hand, verstellten ihnen den Weg und bedeuteten ihnen, stehenzubleiben und keinen Schritt irgend zum Entfliehen zu versuchen; wenn sie dem Verlangen nicht gehorchten, würde es ihnen gar übel ergehen.
[8.1.22] Um diesem Mandate mehr Gewicht zu verschaffen, zeigten sie den nun schon sehr geängstigten Pharisäern drei große Löwen, die etwas tiefer unten am Wege lagerten und sich gar grimmig gebärdeten. Dieses Mittel wirkte, und die Pharisäer – zehn an der Zahl – fingen an, Raphael um Vergebung zu bitten, und gestanden nun auch gleich alles ein, warum sie auf den Ölberg gekommen seien, und sagten auch, daß er die Wahrheit geredet habe.
[8.1.23] Als sie nun also dastanden in großer Angst, da sagte Raphael zu ihnen: „Saget mir nun: Wer von allen Menschen ist wohl schlechter noch als ihr? Ihr wollt Diener Gottes sein, seid aber Diener der Hölle! Welcher Teufel hat euch wohl gezeugt? Der große Meister aus Nazareth hat euch durch Worte und Taten mehr als sonnenklar gezeigt und bewiesen, daß Er der verheißene Messias ist und als solcher auch der alleinige Herr Himmels und der Erde – wie das von Ihm auch geweissagt ist durch den Mund aller Propheten –, und ihr glaubet nicht nur nicht daran, sondern verfolget noch mit aller Wut und Gier den Herrn Himmels und der Erde! O ihr ohnmächtigen Toren! Was wollet ihr denn ausrichten gegen die Gewalt des Allmächtigen, der euch mit dem leisesten Gedanken vernichten oder eure argen Seelen in die Hölle werfen kann, die ihr schon lange verdient habt? Was wollet ihr Elenden nun tun?“
[8.1.24] Sagte ein anderer Pharisäer: „Höre, du junger weiser Redner, wir bitten dich nun um nichts Weiteres, als daß du uns wieder unversehrt hinab in die Stadt kommen lässest, und wir geben dir die vollste Versicherung, daß wir als nun Hierseiende uns nimmerdar an der Verfolgung des wundersamen Propheten aus Galiläa irgend im geringsten beteiligen werden! Ja, wir wollen und werden sogar den andern nach Möglichkeit davon abraten! Ob wir aber unsere Amtsgenossen gegen den Wundermann werden geneigter machen können, dafür können wir dir freilich nicht gutstehen; aber daß wir unser möglichstes aufbieten werden, um die Verfolgungswut unserer Genossen zu dämpfen, dafür stehen wir euch gut! Denn wir haben es jetzt erfahren und uns selbst überzeugt, daß unsere blinde Verfolgung des Galiläers eine der größten Torheiten ist, die zu gar nichts anderem als nur zu unserem Untergange führt. Und so wollen und werden wir auch das tun, was wir dir hier gelobt haben; aber nur laß du uns, wie wir dich schon gebeten haben, unversehrt die Stadt wieder erreichen!“
[8.1.25] Sagte darauf Raphael: „Wohl denn! – Ihr könnet wieder abziehen, und es soll euch kein Leides geschehen; aber wehe jedem von euch, der sein hier mir gegebenes Wort brechen wird! Denn das merket euch, daß Gottes Macht, Weisheit, Allwissenheit und Ernst unendlich ist und der schwache sterbliche Mensch gegen Gott und Seine Wege ewig nichts ausrichten kann und wird!
[8.1.26] So ihr aber alle leicht sehet und auch wohl begreifen könnet, daß Werke, die der Gesalbte Gottes vor den Menschen verrichtet, stets derart sind, daß sie nur Gott allein bewirken kann, so werdet ihr auch einsehen, daß eben Gott Selbst innigst vereint mit dem euch so verhaßten Propheten aus Galiläa waltet und wirkt, und daß es übertöricht ist, sich den Anordnungen Gottes zu widersetzen!
[8.1.27] Saget das auch euren argen und blinden Genossen! Sie können ihre Wut gegen Ihn auch so weit steigern, daß sie – durch Seine Zulassung – Hand legen an Seines Leibes Leben und es töten, so werden sie damit dennoch nichts anderes erreichen als die Beschleunigung des Gerichtes über sich und ganz Jerusalem. Er aber wird nicht getötet werden können, weil Er das Leben Selbst ist, sondern Er wird fortleben und richten alle Geschlechter der Erde. Wohl dem, der an Ihn glaubt und nur Sein Wohlgefallen und Seine Freundschaft sucht!
[8.1.28] Nun wisset ihr, was ihr zu tun habt, und könnet nun abziehen, so ihr wollet; wollet ihr aber zuvor jetzt noch mit Lazarus ein weises Wort reden, so soll euch das nun auch gestattet sein.“
[8.1.29] Sagte ein Pharisäer: „So er hier ist, möchte ich mit ihm wohl reden, doch von etwas ganz anderem, als was wir ihn eigentlich haben fragen wollen. Denn warum wir heraufgekommen sind, das hast du uns nur zu klar vorgehalten; von dem aber soll bei uns nun keine Rede mehr sein, sondern von etwas ganz anderem! Wenn wir demnach mit Lazarus ein Wort reden könnten, so wäre uns das wohl sehr lieb!“
[8.1.30] Hierauf sagte Ich zu Lazarus im Saale: „Nun erst kannst du hinausgehen und etliche gute Worte wechseln mit den sehr geängstigten Pharisäern; doch von Meinem Aufenthalte rede nichts!“
- — Die Bitte der Pharisäer um sicheres Geleit
[8.2.1] Hierauf ging Lazarus hinaus, begrüßte nach der Sitte die Templer und fragte sie dann, was ihr Anliegen an ihn sei.
[8.2.2] Sagte der eine Pharisäer: „Es hatte uns zwar anfangs ein böser Geist heraufgeführt, und so war auch das, um was wir dich so ganz eigentlich haben fragen wollen, durchaus nichts Gutes. Wir sind durch die Worte dieses überklugen und weisen Jünglings und durch die sonderbare Macht dieser sieben Männer, die uns noch umstehen, eines Besseren belehrt worden und haben bald eingesehen, wie eitel töricht unsere böse Mühe war, und so sind wir denn auch von ihrem losen Grunde ganz abgestanden.
[8.2.3] Nun aber bitten wir dich freundschaftlichst, daß du uns gestatten möchtest, dich als deine Freunde wieder in Bethanien besuchen zu dürfen, allwo wir über gar manches mit dir unter vier Augen sprechen möchten. Dann bitten wir dich nun aber auch, daß du uns ein sicheres Geleit über den Berg bis in die Stadt möchtest angedeihen lassen; denn da, etwas weiter unten am Wege, liegen drei Löwen, die sicher den sieben Männern angehören, weil sie sich auf ihren Ruf sogleich eingefunden haben. Diese bösen Tiere werden – was schon öfter der Fall gewesen sein soll – wahrscheinlich wohlgezähmt den sieben anstatt der Hunde zum Schutze auf ihren Reisen dienen, aber trotz ihrer Zahmheit ist ihnen dennoch nicht zu trauen! Ein noch so böser Hund kennt auch zur Nachtzeit seinen Hausherrn; aber einen Fremden packt er an und reißt ihn, und das wäre von den drei Löwen um so mehr zu erwarten! Darum bitten wir dich, daß du den sieben andeuten möchtest, daß sie die drei Bestien wieder zur Seite schaffen möchten.“
[8.2.4] Hierauf sagte Lazarus: „Wenn euer innerer Sinn gleichlautend ist euren Worten, und wenn ihr den Schaden, den ihr an gar vielen Armen, Witwen und Waisen verübt habt, nach Möglichkeit wieder gutmachen wollet, so könnet ihr ganz ruhig an diesen Löwen vorüberziehen, und es wird sich keiner nach euch umsehen; aber so ihr in eurem Herzen dennoch eines andern Sinnes seid, als wie gelautet haben eure Worte, da wäre es für euch eben nicht geheuer, sich den Löwen zu nahen! Darum prüfet selbst euer Herz, und saget es offen heraus, wie dessen Sinn lautet!
[8.2.5] Auch nach Bethanien, und zwar in mein Wohnhaus, werdet ihr so lange schwerlich einen Eingang finden, solange ihr im Herzen nicht eines andern Sinnes seid, als wie da lauten eure Worte; denn auch mein Haus bewachen ähnliche Hüter, wie diese drei da unten sind. Wer zu mir redlichen Sinnes kommt, der hat nichts zu befürchten; wer aber unredlichen und bösen Sinnes sich meinem Hause naht, dem ergeht es übel!“
[8.2.6] Sagte der redeführende Pharisäer: „Du kannst es mir glauben, daß wir alle nun auch also denken, wie ich rede, und wir werden auch, wo wir irgend jemanden bedrückt haben, den Schaden nach aller Möglichkeit gutzumachen auf das eifrigste bemüht sein; aber an den drei Bestien getrauen wir uns dennoch nicht allein vorüberzuziehen! Darum gib uns dennoch ein sicheres Geleit!“
[8.2.7] Sagte Lazarus: „Die sieben werden euch das sicherste Geleit geben, so ihr redlichen Sinnes seid. Aber nun noch eine Frage an euch! Saget es mir, aus welchem Grunde glaubet ihr denn an Jesus aus Nazareth nicht, daß Er allein der vollwahre Messias ist? Ihr habt doch gelesen die Schrift, habt auch vernommen Seine Lehre und gesehen die Zeichen, die Er wirkt! Wie möglich könnet ihr über alles das noch so verstockten Sinnes sein? Tausende von Juden und Heiden glauben an Ihn, und viele Heiden kommen von allen Enden der Erde, verneigen sich vor Ihm, nehmen Sein Wort an und glauben, daß Er der Herr ist; nur ihr, die ihr allem Volke mit einem besten Beispiele vorangehen sollet, sträubet euch dagegen, ärger denn die harten Berge den Stürmen.
[8.2.8] Der Herr kam im Fleische als Mensch auf diese Erde, wie Er es durch den Mund der Propheten Selbst geoffenbart hat, und tut nun auch die Werke, die ebenfalls die Seher schon vor Jahrhunderten besungen haben – was ihr als Schriftgelehrte am ehesten erkennen müßtet –, und dennoch glaubet ihr, wie gesagt, nicht an Ihn! Worin liegt denn davon wohl der Grund?“
[8.2.9] Sagte der Pharisäer: „Das, liebster Freund, wollen wir in Bethanien bei dir jüngst einmal ganz klar besprechen; hier aber kann ich dir nun so viel sagen, daß es nun im Tempel eine höchst schwere Sache ist, ein Mensch zu sein. Man ist zwar ein Priester, aber darum ein Mensch nicht. Ein jeder ist ein Feind des andern und sucht ihm zu schaden, um daraus für sich einen Nutzen zu ziehen, und so muß man darinnen und dort, wo man als Mensch lieber weinen möchte, mit den Wölfen heulen, damit man von ihnen nicht zerrissen wird. Aber laß nun das nur noch eine kurze Zeit gut sein, und dieses Tempelgetriebe wird einen großen Umsturz erleiden; denn für die Länge der Zeit gibt es darin kein Bleiben mehr!
[8.2.10] Nun kennst du auch unsere eigentliche innere Gesinnung; habe darum die Güte, den sieben zu sagen, daß sie uns wohlbehalten von diesem Berge hinab bis zur Stadt geleiten möchten!“
[8.2.11] Hierauf erst sagte nun wieder Raphael zu den Pharisäern: „Warum beeilt ihr euch denn nun so sehr, wieder in die Stadt zu kommen? Wenn ihr wahrhaft gut und ehrlichen Sinnes seid und auch schon saget, daß ihr an den Messias glauben wollt, so seid ihr ja auch hier bei uns sicherer als in der Stadt! Ihr seid doch mit dem Sinne heraufgekommen, um als des Messias Feinde hier auszukundschaften, wo Er Sich etwa aufhalte? So ihr aber nun gegen Ihn anders gesinnt worden seid, warum wollet ihr euch nun als Seine Freunde nicht nach Ihm erkundigen, wo Er Sich aufhält, damit ihr Ihn aufsucht und euch Ihm zeiget als solche, die an Ihn glauben?“
[8.2.12] Sagte der Pharisäer: „Lieber junger Weiser, so wir das täten, da könnte uns das übel angerechnet und etwa so gedeutet werden, als wollten wir, zum bösen Spiele eine gute Miene machend, nun dennoch aus euch herausbringen, wo sich nun der Messias aufhält. Es liegt uns aber nun wahrlich nichts mehr daran, wo er sich aufhalten mag! Denn seine Feinde sind wir fürwahr nicht mehr; sich ihm aber nun als bekehrte Freunde vorzustellen, fühlen wir uns noch viel zu schlecht und seiner unwürdig, und so ist es denn ja doch begreiflich, daß wir uns nun gar nicht nach seinem irgendwoigen Aufenthalt näher erkundigen können und wollen und darum auch schon in unseren Wohnungen sein möchten, um uns selbst treu zu beraten, was wir in der Folge zu tun haben werden, um uns in uns vollends ihm anzuschließen. Zudem müssen wir vor allem aber auch das Fruchtlose unseres Unternehmens dem Tempel anzeigen, auf daß er nicht, bevor er noch von uns eine Nachricht bekommt, schon andere Kundschafter aussende und so die ganze Stadt und die ganze Umgegend beunruhige. Wir glauben, euch nun alle unsere Gründe genügend dargetan zu haben, die uns nötigen, sobald als möglich wieder in den Tempel und in unsere Wohnungen zu kommen, und so gewähret uns den sicheren Abzug!“
[8.2.13] Sagte nun Raphael: „Ich kann euch aber versichern, daß der Tempel bis morgen auf eure Nachrichterstattung warten wird, und er wird darum keine neuen Kundschafter aussenden. Hier aber hat Lazarus auch der Gemächer zur Genüge, in denen ihr euch beraten könnet, und hat auch der Speisen und des besten Weines in Hülle und Fülle, damit ihr euch stärken könnt. Mein Rat an euch, weil ihr schon einmal da seid, wäre, daß ihr mindestens bis zur Mitte der Nacht hier verbliebet und euch dann erst unter sicherem Geleite in die Stadt hinabbegäbet. Aber so ihr nun schon durchaus hinab wollet, so sollet ihr von uns auch nicht mehr aufgehalten werden! Die Löwen – wie ihr das noch gut sehen könnet – sind bereits weg, und dort im nächsten Zelte liegen eure griechischen Mäntel! Tut nun, was ihr wollt!“
- — Die Glaubensansichten eines Pharisäers
[8.3.1] Auf diese Worte Raphaels wußten die Pharisäer nicht so recht, was sie nun tun sollten.
[8.3.2] Aber einer von ihnen sagte nach einer Weile: „Wißt ihr was? Der Junge wird recht und wahr gesprochen haben, und ich bin darum der Meinung, daß wir bis Mitte der Nacht gerade hier verbleiben sollten, wenn uns Lazarus ein Zimmer anweisen kann, in dem wir unbeirrt allein sein könnten, um die Sache des Messias unter uns genau und gut besprechen zu können und danebst noch so manches andere mit unserem Freunde Lazarus.“
[8.3.3] Damit waren alle einverstanden, und Lazarus führte sie durch ein anderes Tor ins Haus, wies ihnen da ein geräumiges Zimmer an und ließ auch sogleich den Tisch darin decken und Brot, Wein, wie auch andere Speisen in großer Menge auftragen und wohlleuchtende Lampen aufstellen, was alles den Pharisäern so ganz wohlgefiel, daß einer von ihnen sogleich die Bemerkung machte: „Ja, wenn also, da können wir es auch bis zum Morgen hier aushalten und lassen unsere Amtsgenossen im Tempel gute Männer sein! Die sollen auf eine Nachricht von uns nur ganz fein bis zum Morgen warten!“
[8.3.4] Damit waren alle einverstanden, und ein Ältester, der soviel wie ein Oberster war, wohl bewandert in allerlei Weltweisheit, sagte, als der Wein seine Zunge gelöst hatte: „Wo es dem Menschen wohl geht, da soll er auch bleiben, und so bleiben wir auch bis zum Morgen hier, und ich möchte mit euch, meine lieben Amtsgenossen, etliche freie Worte reden! Denn im Tempel geht das nicht; aber hier, wo wir ganz unbeirrt beisammensitzen und von niemandem behorcht werden, der uns schaden könnte, kann man schon auch ein freies Wort reden!
[8.3.5] Es ist doch ein sonderbares Ding um den Menschen! Was ist eigentlich der Mensch, der sterbliche Gott der Erde, der ihren Boden bebaut und große Werke mit seinem Verstand und mit der Kraft seiner Hände in ein harmonisches Dasein schafft? Ich sage es euch: Der Mensch ist nichts als ein elendestes Tier; denn er weiß es, daß er sterben muß und wird, während kein Tier davon eine Ahnung zu haben scheint, daher es bis zu dem Zeitpunkt seines Verendens ganz ruhigen Gemütes fortleben kann, ohne jemals einen Gedanken zu haben, daß es dereinst sterben werde. Es tut der Mensch darum wohl daran, wenn er sein elendes Leben manchmal ein wenig erheitert und den schwarzen Gedanken an den Tod auf Augenblicke verscheucht.
[8.3.6] Die Macht, die den Menschen ins Dasein rief, kann nach meinem Urteil nie eine weise und gute gewesen sein, gleichwie auch ein Mensch nie gut und weise genannt werden könnte, der die kunstvollsten Werke schaffte, um sie dann, wenn sie durch seine Sorge und Mühewaltung ihre höchste Vollendung erreicht haben, wieder zu zerstören und die abscheuvollen Trümmer und Reste gänzlich alles Daseins zu berauben und darauf gleich wieder dieselben Werke von neuem für den gleichen Zweck zu schaffen.
[8.3.7] Wer das so recht beim Lichte betrachtet, der kann sich in (unter) Gott als der alles erschaffenden Macht unmöglich etwas höchst Weises und Gutes vorstellen. Denn wäre sie ganz gut und weise, so müßte sie ja auch für den Fortbestand ihrer allerkunstvollsten Werke, wie wir Menschen es sind, gesorgt haben! Aber nichts von dem! Wenn ein Mensch erst in seinem rechten Alter eine größere Vollendung im Wissen, Denken und Handeln erreicht hat, dann fängt er aber auch schon zu sterben an; er wird schwächer und schwächer, seine Lebenskräfte nehmen von Tag zu Tag ab, und das so lange fort, bis er das Leben ausgehaucht hat. Was dann mit ihm geschieht, wißt ihr alle, und es ist nicht nötig, die Sache näher zu beschreiben.
[8.3.8] Freilich haben wir wohl in unserer Gotteslehre die Versicherung, daß es im materiellen Menschen noch einen geistigen gibt, der nach dem Abfalle des Leibes fortlebt, – aber was nützt dem Menschen eine Lehre und nach ihr der Glaube, so dafür niemandem ein unumstößlicher Beweis gegeben ist?!
[8.3.9] Welche erhabenen Väter, Weise und Propheten haben vor uns gelebt nach den besten und weisesten Gesetzen, glaubten ungezweifelt an einen Gott, beteten Ihn an und liebten und ehrten Ihn über alle Maßen und glaubten auch ungezweifelt fest an ein ewiges Leben nach dem Tode des Leibes! Aber endlich mußten diese großen und weisen Glaubenshelden denn doch sterben, und es ist von ihnen bis zu uns nichts übriggeblieben als ihre Namen und ihre in der Schrift aufgezeichneten Taten und Lehren! Wohin sind denn aber ihre Seelen gekommen?
[8.3.10] Wer von uns allen hat denn je im Ernste und der vollsten Wahrheit nach eine nach dem Tode irgendwo fortlebende Seele gesehen und gesprochen?! In einem Traume höchstens oder in einer bösen Fieberhitze! Es gibt wohl Menschen, die da behaupten, daß sie mit den Seelen verstorbener Menschen geredet haben; aber das sind Menschen, denen zumeist alle Wissenschaft und alle Beurteilungsfähigkeit mangelt, und sie gefallen sich oft und zumeist selbst darin, den anderen Menschen aus ihrer natürlichen Phantasie und lebhaften Einbildung übernatürliche Dinge zu erzählen, um sich dadurch ein gewisses mystisches Ansehen zu verschaffen, an dem ihnen oft mehr liegt als einem Magier an seinem baren Gewinne.
[8.3.11] Man muß auch das eingestehen, daß es mitunter Menschen gibt, die zur Bekräftigung ihrer Aussagen und Lehren gewisse wundervolle Taten verrichten und damit ihren Lehren das Wahrheitszeugnis aufprägen wollen, wie wir das nun an dem wirklich merkwürdigen Propheten aus Nazareth erleben. Er lehrt dabei das Volk auch ganz gut und verheißt allen, die an ihn glauben, das ewige Leben der Seele.
[8.3.12] Ja, das ist alles recht schön und sogar gut, weil das gar vielen Menschen eine gewisse Beruhigung verschafft und ihnen die Furcht vor dem Tode benimmt; aber das haben auch die alten Propheten getan, und Tausende von Menschen haben fest geglaubt und haben ihren Glauben sogar mit dem Martertode besiegelt. Die Zeit aber hat die großen Propheten samt ihren Gläubigen hinweggerafft, und es ist von ihnen bis auf uns, wie schon gesagt, nichts übriggeblieben als ihre in den Schriften verzeichneten Namen und Taten, die wir aber auch ohne alle weitere Überzeugung bloß nur glauben müssen!
[8.3.13] Warum kommt denn nicht einmal eine irgend jenseitig fortlebende Seele zu uns und sagt es uns: Ich bin zum Beispiel der jenseits glücklichst fortlebende Elias, Daniel, David oder Jesajas? Ich sage es euch: Wie die alten Propheten samt Moses vergangen sind, so werden wir samt dem nun so berühmten Propheten, der sogar Tote erwecken soll, vergehen, und die späteren Nachkommen werden von uns und ihm gerade das überkommen, was wir von den alten Propheten überkommen haben. Wenn sich auch der Glaube vielleicht viele Jahrhunderte mit manchen Zusätzen und Entstellungen erhalten wird, so wird die lebendig wahre Überzeugung aber doch auf ein Haar ganz dieselbe sein, die wir nun von dem Fortleben der Seele nach dem Tode des Leibes haben.
[8.3.14] Es wäre ein solches Fortleben der Seele nach dem Leibestode freilich etwas unschätzbar erhaben Großes, und ein Mensch würde gewiß alles tun, wodurch er sich eines solchen Lebens völlig versichern könnte, wenn er für dasselbe irgendwelche haltbaren Beweise hätte; aber diese haben allzeit gemangelt, und es ist darum nicht zu verwundern, daß der einst bei den Alten noch so kernfeste Glaube bei uns erkaltete.
[8.3.15] Wer von dem mehr gebildeten und erfahreneren Teil der Menschen besucht denn nun noch vollgläubig den Tempel? Die Hohen und Weisen gehen nur des gemeinen Volkes wegen in den Tempel und tun, als wäre ihr Glaube noch so kernfest, damit dann das Volk etwa doch bei sich denkt und sagt: ,Es muß denn doch etwas daran sein, weil die Hohen, Gelehrten und Weisen, die alles wissen können, so viel darauf halten!‘
[8.3.16] Ich bin darum wahrlich kein Feind des berühmten Galiläers, weil er die armen Menschen von neuem wieder für ein Leben der Seele nach dem Tode des Leibes begeistert und ihnen einen guten Trost gibt; aber es ist mir nur das nicht recht, daß er uns bei jeder Gelegenheit als die größten Volksbetrüger darstellt und als ein weise sein wollender Mann nicht bedenkt, daß er im Grunde doch dasselbe am Volke tut, dessen er uns beschuldigt. Er rede nur, wie ich nun, die Wahrheit, wie sie die alte Erfahrung lehrt, zum Volke, und er wird schwerlich so viele Anhänger haben, wie er sie nun hat.
[8.3.17] Das ist so mein wahrer Glaube und mein treues Bekenntnis vor euch, meine Amtsgenossen, das ich aber nur unter uns ausgesprochen habe, weil ich es wohl weiß, daß ihr alle in euch geradeso denkt wie ich; im Tempel vor dem Volke und vor unseren vielen und sehr blinden Amtsgenossen aber heißt es freilich wohl anders reden! Was saget ihr alle zu dieser meiner Ansicht?“
- — Ein Schriftgelehrter weist auf die Ordnung Gottes hin
[8.4.1] Sagte ein anderer Schriftgelehrter: „Ich kann dir nicht unrecht geben und bin vielfach auch deiner Ansicht; aber als eine völlig ausgemachte Wahrheit kann ich deine Meinung und Ansicht denn doch auch nicht annehmen! Denn ich kann denn doch nicht glauben, daß Gott als sicher ein allerweisester Schöpfer Himmels und der Erde, der doch Sonne, Mond, Sterne und diese Erde gleichfort erhält, uns Menschen als ganz sicher die vollendetsten Werke Seiner Weisheit und Macht pur zu Seinen vergänglichen Spielpuppen geschaffen hat!
[8.4.2] Daß der Mensch nur ein kurzes diesirdisches Leben hat, davon scheint der Grund denn doch mehr darin zu liegen, daß seine Seele sich in ihrem Leibe gewisserart ausbilde, eine gewisse und haltbare Gediegenheit erhalte, auf daß sie dann in einer andern, ihrem Wesen ähnlichen Welt, die unbegrenzt sein muß, fortbestehen kann.
[8.4.3] Denn wenn der Mensch mit Leib und Seele nur für diese materielle Welt bestimmt wäre, die sicher ihre Grenzen hat, wenn sie auch noch so groß ist, so würde infolge der täglichen Vermehrung der Menschen, so sie auch dem Leibe nach unsterblich wären, diese Erde, die dazu noch aus viel mehr Wasser als aus festem, bewohnbaren Boden besteht, eben für die Menschen bald zu klein und enge werden; es müßte Gott nach einer bestimmten Zeit die Menschen nur unfruchtbar machen und sie auch nimmer älter werden lassen, damit sie dann in einer gewissen normalen Kraft und Stärke gleich ewig fortleben und den Boden der Erde zu ihrem Unterhalte bearbeiten könnten.
[8.4.4] Daß die Menschen aber mit der Zeit eines solchen notwendig einförmigen Lebens auch satt würden, das können wir mit aller Bestimmtheit annehmen; denn es lehrt uns ja die tägliche Erfahrung, daß jeder in ein und demselben stets gleichen Lebensverhältnisse sich sehr zu langweilen und nach irgendeiner Veränderung zu sehnen anfängt, und so würde selbst der allererfinderischste Mensch nach vielen tausend Jahren mit den ihn ergötzenden Veränderungen zu Ende kommen und endlich in eine größte Langeweile geraten, die er mit nichts mehr verscheuchen könnte.
[8.4.5] Aus diesen sicher inhaltsschweren Betrachtungen aber ist es wohl ersichtlich, daß Gottes Weisheit die Menschen für ein anderes, höheres und freieres Leben erschaffen hat und nicht für eine in allem höchst beschränkte Welt, die wohl gut genug ist, um dem Menschen als eine erste Bildungsstufe zu dienen, aber nie dazu bestimmt sein kann, ihm einen seligen ewigen Unterhalt zu geben.
[8.4.6] Aus diesen und noch manchen andern Gründen aber glaube ich an die Unsterblichkeit unserer Seelen, weil ihre Sterblichkeit uns Gott, dessen Macht und höchste Weisheit aus allen Seinen Werken hervorleuchtet, so wie auch Seine Güte und Gerechtigkeit, entweder als ohnmächtig und unweise oder auch als gar nicht daseiend vorstellen würde.
[8.4.7] Das kann aber doch kein nur einigermaßen heller denkender Mensch behaupten, daß irgendeine blinde und stumme Kraft Werke, wie da wir Menschen es sind, in ein geordnetes Dasein rufen könnte. Denn was man selbst nicht hat, davon kann man auch unmöglich jemand anderem etwas geben. Oder stellt einen sehr dummen Menschen, der kaum seine Muttersprache lallen kann, als Lehrer einer fremden Sprache in eine Schule! Was wird der wirken? Nichts mehr als eine Bildsäule! Darum muß es ja einen höchst weisen und allmächtigen Gott geben, was ein jeder hellere Denker als höchst wahr bekennen muß.
[8.4.8] Ist aber der allmächtige Gott höchst weise, so ist Er auch höchst gut und gerecht und hat mit uns Menschen sicher höchst wahre und gute Absichten und hat durch den Mund der Propheten und anderer weiser Menschen auch allen anderen Menschen kundgetan, was Er mit uns Menschen für Absichten hat, und was aber auch die Menschen zu tun haben, um hier auf Erden schon ein gutes und recht seliges Vorleben zu genießen und sich durch dieses Vorleben für das nachfolgende ewige Leben so tüchtig und empfänglich wie möglich zu machen.
[8.4.9] Ein Gott aber, der das getan hat und noch gleichfort tut, hat uns Menschen, ja sicher nicht einmal eine Mücke, zu keinem leidigen Spielzeug Seiner Launen erschaffen! Oder kann man sich einen weisen und somit auch guten Menschen denken, der daran sein größtes Vergnügen hätte, seine armen Nebenmenschen in einem fort auf das grausamste quälen zu sehen? Soviel aber ich die Menschen in allen Verhältnissen und Richtungen betrachtet habe, habe ich auch stets bemerkt, daß Gott den Menschen durchaus kein Leid zufügt; sondern das tun sich die Menschen gegenseitig und auch ein jeder nur zu oft und am allermeisten sich selbst. Denn erstens treibt die Menschen ihre nie zu sättigende Selbstsucht und Habgier dazu an, daß sie sich nach aller Möglichkeit verfolgen und sich gegenseitig dadurch Übel und Qualen aller Art und Gattung bereiten und zuziehen; und weil sie dabei auf den geoffenbarten Willen Gottes nicht mehr achten, so gelangen sie durch die ungeordnetsten Lebensweisen auch in allerlei böse Leibeskrankheiten, die ihnen dieses Vorleben höchst verbittern.
[8.4.10] Frage: Ist da auch etwa Gottes Weisheit und Güte daran schuld? Wenn das der Fall wäre, so müßten jene hoch zu ehrenden Menschen, die stets streng nach den Gesetzen Gottes gelebt haben, vor ihrem Abscheiden von dieser Welt auch mit solchen bösen Krankheiten zu Tode gemartert werden wie diejenigen, die von ihrer Jugend an schon ein gottloses Leben geführt haben und dadurch die Natur ihres Wesens in die größte Unordnung brachten. O nein, ich selbst habe mich schon gar oft überzeugt, daß der nach der Ordnung Gottes lebende Mensch zumeist ein hohes Alter erreicht und am Ende eines sichtlich ganz sanften Todes stirbt.
[8.4.11] Es gibt hie und da freilich wohl auch Beispiele, daß recht fromme und gerechte Menschen am Ende auch mit irgendeiner eben nicht sehr sanften Todesart von dieser Welt scheiden; aber da können wir immer zwei Fälle annehmen, und diese können wohl darin bestehen, daß Gott so einem Menschen eine größere Geduldsprobe zukommen läßt, damit seine Seele fürs Jenseits eine desto größere Gediegenheit erlange. Warum? Das wird Gott sicher höchst klar wissen!
[8.4.12] Im zweiten Fall aber kann der im gesetzten Alter fromm und gerecht gewordene Mensch durch so manche Jugendsünden doch seines Leibes Natur leicht in irgendeine Unordnung gebracht haben, und diese kann ihm dann am Ende seines Lebens auch so manche bitteren Folgen zum Verkosten bringen, die ihm die letzten Stunden eben nicht zu den angenehmsten machen dürften. Aber das können wir als völlig sicher und gewiß annehmen, daß von der Wurzel an ganz nach der Ordnung Gottes lebende Menschen stets höchst sanft dahinsterben.
[8.4.13] Das ist nun so mein wahres Bekenntnis, bei dem ich für mich bis an den Rand dieses meines Erdenlebens treu verbleiben werde; von euch aber glaube und tue ein jeder, was er will!“
- — Die Pharisäer besprechen sich über den frühen Tod von Kindern und über den Messias
[8.5.1] Hierauf sagte der erste Redner: „Ja, da kann ich dir wahrlich nichts anderes einwenden, als daß du uns bei allen deinen überaus guten Ansichten nicht auch darüber einen Aufschluß gegeben hast, wie sich der frühe Tod der Kinder mit der Weisheit, Güte und Gerechtigkeit Gottes vereinen läßt.
[8.5.2] Der Mensch ist nach deiner Ansicht von Gott berufen, sich durch ein wohlgeordnetes Vorleben auf dieser Erde eine wahre und der Absicht Gottes gemäße Gediegenheit und Solidität seiner Seele zu verschaffen – denn daß das in der Absicht Gottes liege, davon zeige sich der Grund ja klar in aller Offenbarung durch den Mund der Urväter und Propheten –; aber was wird dann jenseits mit und aus den Kindern, die wegen ihres frühen Todes eigentlich weder ein ungeordnetes und noch weniger ein geordnetes Vorprobeleben aufzuweisen haben? Wenn des Menschen Seele nur durch ein wohlgeordnetes Vorprobeleben zum gediegenen, wahren, ewigen Leben gelangen kann, durch was gelangt dazu dann die Seele eines Kindes? Oder stirbt die Kindesseele mit dem Leibe?“
[8.5.3] Sagte darauf der zweite, gute Redner: „In der Urzeit der Menschen weiß kein Mensch etwas davon, daß damals auch Kinder gestorben wären; den frühen Tod der Kinder haben nur die Sünden der Eltern bewirkt, und sie sind darum wissentlich oder unwissentlich schuld am frühen Tode ihrer Kinder. Aber Gott wird in Seiner höchsten Weisheit auch für die unschuldigen Seelen der Kinder zu sorgen wissen; sie werden sicher im großen Jenseits das hier nicht durch ihre Schuld Versäumte nachzuholen bekommen!
[8.5.4] Ist denn diese Erde etwa die einzige Welt? Sehen wir den gestirnten Himmel an! Große Weise der Vorzeit und selbst Moses in seinen Beibüchern, die wir zwar noch haben, aber ihnen keinen Glauben schenken, haben gezeigt, daß Sonne, Mond und alle Sterne Welten seien, und oft um gar vieles größer, als die unsrige da ist; wenn aber so, da wird es für Gottes Weisheit und Macht wohl auch ein leichtes sein, für die Seelen der Kinder eine andere und vielleicht auch um manches bessere Vorlebensprobewelt zu bestimmen, auf der sie dann ihre Lebensvollendung erreichen werden.
[8.5.5] Daß Gott im ewig großen Schöpfungsraume noch andere Schulerden für Menschen haben wird, daran ist wahrlich nicht zu zweifeln, – haben ja doch auch wir kleinen und schwachen Menschen für unsere Kinder mehr als nur ein einziges Schulhaus! Was aber schon bei uns noch ohnmächtigen Menschen möglich ist, warum sollte das dem allmächtigen und höchst weisen Gott etwas Unmögliches sein?
[8.5.6] Die Urväter, die sicher mehr denn wir nun mit dem Himmel Gottes im Verbande standen, wußten gar wohl darum, daß es also ist; wir aber haben durch unseren materiellen Weltsinn alles, was des Geistes ist, verloren und wissen kaum mehr etwas Näheres davon. Ich bin zwar auch nur ein Materiemensch, aber ich habe viel gelernt und erfahren und rede darum nun also, wie ich rede. Freilich kann ich im Tempel vor allen nicht auch also reden!“
[8.5.7] Sagte der erste Redner: „Nun kann ich dir nichts mehr einwenden und bin recht froh, daß du mich auf eine andere Meinung gebracht hast. Aber es ist nun auch an der Zeit, auf unser Hauptthema, nämlich auf den sonderbaren Propheten aus Galiläa, zurückzukommen. Ich habe gleich anfangs dahin meine Bemerkung gemacht, daß es auf der Erde immer gewisse und sonderbare Menschen gibt, aus deren Worten und Taten sich unleugbar eine höhere, gottähnliche Begabung leicht erkennen läßt, wie das eben bei unserem Galiläer der Fall zu sein scheint.
[8.5.8] Aber auch bei andern Menschen fehlt es an ähnlichen Begabungen nicht. Nehmen wir nur heute das plötzliche Verschwinden unserer Mäntel und die Herbeizauberung der drei Löwen! Das ist ein offenbares Wunder, das ein gewöhnlicher Mensch nicht begreifen kann. Nun könnten aber diese auch sagen: ,Ich oder der da ist euer Messias, weil er Wunder zu wirken imstande ist!‘, – was wir denn doch nicht annehmen können! Denn würden wir das, so würde es bald vor lauter Messiassen wimmeln. Die Essäer wirken auch Wunder, aber darum sind sie noch lange keine Messiasse. Der Galiläer aber offeriert sich uns als ein solcher. Was sollen wir dazu sagen?“
[8.5.9] Sagte der zweite, gute Redner: „Meine Meinung wäre diese, die ich aber aus begreiflichen Gründen nicht habe aussprechen können: Seine Lehren und Taten sind mir wohlbekannt. Er ist ganz mit Leben und Tat der reinste Jude, ganz im Sinne Mosis. Wie es aber nun bei uns im Tempel mit dem lieben Moses aussieht, das wissen wir alle nur zu gut, und auch er scheint es ganz perfekt zu wissen, ansonst er uns heute vormittag nicht so derbste Brocken vorgeworfen hätte. Zudem aber hat er auch an dem Blindgeborenen ein wahres Gotteswunder bloß durch seinen Willen gewirkt, was vorher wohl niemandem möglich war, und so bin ich nun der Meinung, wir sollten als scharfe Beurteiler die Sache auf sich beruhen lassen. Kommt Zeit, kommt auch der Rat. Ist er am Ende denn doch das, als was er sich offen allen Menschen ankündet, so werden wir gegen ihn schon ewig nichts ausrichten; ist er aber am Ende dennoch nicht das, so wird er auch gegen uns nichts ausrichten – trotz allen seinen Wundern!
[8.5.10] Das beste ist, so wir im geheimen alle seine Lehren und Taten prüfen. Finden wir sie ganz rein und seine Taten ganz göttlicher Art, dann werden auch wir an ihn glauben; ist aber für uns von ihm aus diese Bedingung nicht erfüllt, dann bleiben wir, was wir sind, und überlassen alles andere Gott!“
[8.5.11] Mit dem waren nun alle einverstanden und aßen und tranken darauf wieder.
[8.5.12] Nach dieser Rede aber kam auf Mein Geheiß Lazarus wieder zu ihnen. Er wußte um alles, was sie geredet hatten, denn Ich hatte das allen gesagt.