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Jesus wirkt zahlreiche Wunder

Das Große Evangelium Johannes in 10 Bänden

Band 5

Entfaltet eine vielschichtige spirituelle Erzählung, die sich auf Wunder, göttliche Weisheit und tiefgreifende philosophische Auseinandersetzungen konzentriert. Hier eine kompakte Zusammenfassung:
Jesus wirkt zahlreiche Wunder, darunter ein besonderes Mahl und Heilungen, die durch geistige Prinzipien erklärt werden.
Es werden Themen wie Vorsehung, Willensfreiheit, wahre Gottesverehrung und die Unterscheidung zwischen weltlicher und geistiger Macht behandelt.
Der römische Oberpriester und andere Persönlichkeiten wie Cyrenius und Roklus treten auf und führen intensive Dialoge mit Jesus über Religion, Philosophie und Gesellschaft.
Besonders hervorzuheben ist die Konfrontation mit dem Atheisten Roklus, dessen Weltanschauung von Jesus und dem Engel Raphael tiefgründig widerlegt wird.
Der Band enthält auch kritische Betrachtungen über das Heidentum, das Priestertum in Rom und Indien, sowie über Trugwunder und falsche Religionslehren.

Inhalt lesen

  1. — Das wunderbare Mahl

[5.1.1] Sage Ich: „Es ist aber nun auch schon eine Stunde über den Mittag, darum sorge du, Markus, für ein Mahl; Mein Raphael helfe dir! Nach dem Mahle wollen wir dann sehen, was uns der Tag noch alles bringen wird. Ordnet euch alle an die Tische, und du, Raphael, aber schaffe die beiden Gehirnhaufen von unserem Tische, dann erst hilf dem Markus!“

[5.1.2] Raphael tat das in einem Augenblick und sagte dann zum Markus: „Soll ich dir nach eurer Menschenart behilflich sein oder nach meiner Art? Sage, wie es dir lieber ist! Weniger Aufsehen würde es offenbar machen, wenn ich dir nach menschlicher Weise helfe; aber nach meiner Art ersparten wir viel Zeit, und diese ist denn doch etwas sehr Kostbares! Was du demnach willst, das werde ich tun, und du wirst nirgends etwas auszustellen haben, als wäre irgend etwas versäumt worden.“

[5.1.3] Sagt Markus: „Ja, Freund aus den Himmeln, deine Art, die Speisen schnellst auf die Tische zu bringen, wäre freilich sehr vorteilhaft – denn trotz der Hilfe der Dienerschaft des Cyrenius geht es doch so hübsch lange her, bis die Speisen für so viele Menschen auf die Tische gebracht werden; aber es hat hier einen andern Haken! Die Speisen sind in genügender Vielheit noch gar nicht völlig bereitet! Wenn da deine überirdische Gewandtheit etwas vermag, da wäre sie wohl vorderhand am allerrechtesten Platze; sonst wird es wohl noch einer guten halben Stunde benötigen, bis alles zum Auftragen bereitet sein wird!“

[5.1.4] Sagt Raphael ganz gemütlich zum Markus: „Das meine ich ja auch: schnellst bereiten und ebenso schnell die Tische mit den geziemenden Speisen und Getränken versehen! Ich sage dir, man muß nur wollen, und es geht dann alles! Wenn du willst, so kostet es mich nur einen allerkürzesten Augenblick, und alle Speisen stehen allerbest bereitet auch schon auf den Tischen vor den Gästen!“

[5.1.5] Sagt Markus: „Wäre schon alles recht; aber dann werden die Menschen das für eine himmlische Zauberei halten und vielleicht eine ganz erklärliche Furcht vor den Speisen bekommen und werden sich kaum getrauen, dieselben zu genießen, – besonders die Schwarzen, die hier ohnehin auf alles so aufmerken, daß ihnen sicher gar nichts entgeht!“

[5.1.6] Sagt Raphael: „Oh, denen macht es gerade am wenigsten; denn diese sind ans Wunderbare schon gewöhnt! Spät ist es auch schon, und der Herr wird etwa nach dem Mahle etwas von großer Wichtigkeit vorhaben, was nur Er allein wissen kann, und so ist es offenbar besser, wir machen es mit meiner geistigen Schnelligkeit, und es wird sich daran niemand stoßen! Zugleich ist dies das letzte Mittagsmahl, das der Herr hier einnimmt, und es schadet darum nichts, wenn es so ein wenig wunderbar aussieht! – Bist du da nicht auch meiner Ansicht?“

[5.1.7] Sagt Markus: „Ganz vollkommen; denn du als ein erster Geist aus den Himmeln wirst es wohl besser wissen und verstehen als ich, was hier schicksamer und vorteilhafter ist! Daher tue du nun nur ganz vollkommen nach deinem Gutdünken!“

[5.1.8] Als Markus solches dem Raphael kundgab, begaben sich beide in die Küche, in der wie gewöhnlich des Markus Weib, seine Töchter und Söhne und noch etliche Diener des Cyrenius alle Hände voll zu tun hatten, und dennoch war das Mahl für so viele nur kaum erst bis zur Hälfte fertig.

[5.1.9] Da sagte Markus: „Oh, da wird’s noch eine Stunde hergehen, bis da alles fertig wird!“

[5.1.10] Sagt dessen Weib: „Ja, mein lieber Gemahl, wir beide können keine Wunder wirken, und es läßt sich da nichts übers Knie brechen. Da heißt’s geduldig ausharren, bis man alles herrichten kann!“

[5.1.11] Sagt Markus: „Weißt du was, laß du nun samt den Töchtern das Kochen, Sieden und Braten stehen; der Raphael als ein wahrer Schnellkoch wird damit bald zu Ende sein!“

[5.1.12] Sagt das Weib: „Das wäre wohl gut; denn es sind alle schon recht müde von der vielen Arbeit!“

[5.1.13] Mit dem traten alle Köche und Köchinnen zurück, und Raphael sagte darauf: „Nun könnet auch ihr an euren Tisch gehen! Alles ist bereits auf den Tischen, und alle Gäste nehmen bereits das Mahl ein. Komm, alter Markus, und setze dich als mein Mitarbeiter zum Tische und iß nun einmal von meiner Küche, und beurteile, ob ich wohl auch zu kochen verstehe! Dein Weib und deine Kinder und die Köche des Cyrenius aber haben ohnehin einen eigenen Tisch vor dem Hause, der mit denselben Speisen und Getränken bestens bestellt ist.“

[5.1.14] Sie gehen nun alle aus der Küche, und als sie die Hunderte von Gästen an den Tischen essend und trinkend ersehen, da sagt Markus, höchst erstaunt über diese Erscheinung: „Ja, wie ist denn das möglich? Du hast mich ja doch nicht einen Augenblick verlassen, und alle Tische sind voll, und das, wie man’s sieht, in großem Überfluß! Du hast auch nicht eine Speise bereiten und noch weniger auf die Tische stellen können! Ich bitte dich, sage mir doch nur ein bißchen was, wie du das zustande gebracht hast; denn wahrlich, alles begreife ich eher als deine ganz verzweifelt unbegreifliche Schnelligkeit, besonders in Handlungen, die doch an eine gewisse zeiträumliche Ordnung für diese Erde notwendig gebunden sind! Ich bitte dich nochmals, mir darüber nur so einen kleinen Wink zu geben, wie du die Speisen bereitet hast und woher sie genommen! Denn von den in meiner Küche halbbereiteten ist nichts auf diese vielen Tische gekommen, weil ich sie soeben noch ganz wohlbehalten darin ruhend und ihrer Bestimmung harrend gesehen habe!“

[5.1.15] Sagt Raphael: „Da hast du nicht gut genug geschaut; denn dein ganzer Vorrat ist erschöpft! Sieh nur nach, ob es nicht also ist!“

[5.1.16] Markus macht schnell einen Nachblick und findet Küche und Speisekammer rein ausgeräumt. Nun kommt er mit noch größerem Staunen heraus und sagt: „Ah, Freund, da ist es aber mit dir rein nicht mehr auszuhalten! Wahrlich, ich mag keinen Bissen drei Tage lang über meine Lippen kommen lassen, so du mir nicht irgendeinen Wink gibst, wie du das angestellt hast!“

[5.1.17] Sagt Raphael: „Gehen wir nun auch an den Tisch; dort wollen wir davon einige Worte miteinander tauschen!“

[5.1.18] Auf das begibt sich Markus mit dem Raphael zu unserem Tische, an dem es schon recht lebhaft herging. Raphael greift gleich zu, legt auch dem Markus einen schönen Fisch vor und nötigt ihn zu essen. Markus mahnt ihn zwar zur Erklärung der Schnellkocherei und der ebenso schnellen Bedienerei; aber Raphael sagt ganz freundlich: „Jetzt, lieber Freund, iß und trink! Wenn wir beide für den Leib wieder die erforderliche Stärkung durch die gesegnete Speise und den gesegneten Trank bekommen haben werden, dann wollen wir auch ein paar Wörtchen über meine Schnellkocherei und Schnellbedienerei miteinander verplaudern!“

[5.1.19] Markus folgt nun dennoch dem Raphael und ißt und trinkt recht wacker.

  1. — Wie Wunder bewirkt werden

[5.2.1] Als das Mahl etwa nach einer Stunde vollends verzehrt ist, sagt Markus wegen der Erklärung abermals zum Raphael: „Nun, Himmelsfreund, wirst mir doch etwas sagen?!“

[5.2.2] Sagt Raphael: „Ja sieh, Freund, ich möchte es dir wohl erklären; aber es wird vorderhand trotz alles Erklärens die Sache dennoch eine sehr wunderbare bleiben, solange du nicht auch mit dem Heiligen Geiste aus den Himmeln wirst getauft sein! Wird des Herrn Geist einmal in deiner Seele ganz erstanden sein und eins sein mit ihr, dann wirst du alles das auch ohne eine Erklärung sonnenhell einsehen; jetzt aber wird dir selbst die triftigste Erklärung ganz entsetzlich wenig Licht geben können! Denn selbst die vollkommenste Seele für sich begreift das nimmer, was da rein geistig ist; nur der Geist in ihr kann das begreifen und die Seele endlich durch ihren Geist! Weil du aber denn doch so einen Wink haben willst, so sieh dich ein wenig um und sage mir, was du gesehen!“

[5.2.3] Markus sieht sich ganz verwundert nach allen Seiten um und ersieht bei jedem Tische eine Menge dem Raphael ganz ähnliche Jungen, die da die vielen Gäste bedienen und stets mit allem versehen, und mehrere holen sogar ganz frische Fische aus dem Meere, eilen damit in die Küche und gleich wieder mit schon zubereiteten zu den Tischen; denn die Mohren haben viel Hunger, und zudem reizte sie auch noch der Speisen Wohlgeschmack.

[5.2.4] Nun fragte Raphael den Markus: „Begreifst du nun, wie so manches mir schnellst zu bewerkstelligen möglich und gar leicht ist, zumal wenn du bedenkst, daß ein Geist, als das alles Innerste der Wesen und Dinge durchdringende Prinzip, mit aller Materie auch am wirksamsten und allzeit am gelungensten schalten und walten kann, wie er will und mag, und nichts kann ihm ein Hindernis legen?! Zudem habe ich als ein Erzengel äonen Mitdiener, die alle von meinem Willen in jedem Augenblicke abhängen. So ich aus dem Herrn heraus zunächst etwas will, so erfüllt dieser Wille auch schon zahllose mir unterstehende Diener, die sogleich in die vollste Tätigkeit treten und eine verlangte Tat denn auch leicht möglich in einen dir kaum denkbar schnellsten Vollzug setzen! Ich selbst gleichsam persönlich tue freilich nichts; aber durch meinen Erzwillen werden Äonen zur Tätigkeit vom innersten Seinsgrunde heraus bestimmt, und eine verlangte Tat wird denn auch auf diese Weise leicht schnellst in Vollzug gebracht, und das um so sicherer, weil vom Herrn und dann von uns aus schon lange alles zu irgendeiner Tat vorgesehen und vorbereitet ist, was dann für euch im Notfalle als schon lange vollendet schnellst in die äußerlich ersichtliche Tat übertragen werden kann.

[5.2.5] Hast du doch gesehen, wie oben auf dem Berge eine Eselin entstanden ist; und siehe, so entsteht alles, wenn unser Wille die aus unseren Gedanken hervorgehenden Urnaturgeister zu einer bestimmten so oder so geordneten Tätigkeit innerlichst anregt und zur Tätigkeit nötigt! Und das allein, Freund, diene dir zur Erklärung, die du von mir gewünscht hast! Mehr kann ich dir mit den höchst beschränkten Welt- und Zungenworten nicht sagen! Frage auch nicht weiter; denn bis du in deiner Seele nicht selbst Geist wirst, wirst du von all dem nie mehr verstehen, als du nun verstehst! Denn in des reinen Geistes Wissen und Erkennen kann keine Kreatur je für sich dringen! – Verstehst du nun etwas mehr?“

[5.2.6] Markus aber war mit dieser Erklärung ganz zufrieden und sagte: „Ich danke dir für diese ganz gute Erklärung; denn nun verstehe ich denn doch, wenn ich so alles zusammennehme, was ich gesehen und gehört habe, so ganz zu meiner vollen Zufriedenheit, wie du, liebster himmlischer Freund, deine Wunder verrichtest, und besonders den schnellsten Vollzug der von dir verlangten Taten. Und ich kann nun ganz offen die Behauptung aufstellen, daß bei einem jeden Wunder es dennoch so ein bißchen natürlich zugeht und es immer auf einen Verein von Kräften ankommt, so irgendwo eine Tat entweder sehr schnell oder mit periodenmäßiger Einteilung in den Vollzug gesetzt werden soll. Ja, ich finde nun zwischen euren geistigen Wundertaten und zwischen den Zaubereien der irdischen Magier eine gewisse leise Ähnlichkeit, und diese besteht in dem, was du als Vorsehung und Vorbereitung benanntest!

[5.2.7] Weißt du, mein himmlischer Freund, ich rede nun schon einmal so ganz geradeheraus, wie ich mir’s denke! So ganz plötzlich ohne alle Vorbereitung und Vorsehung dürfte es euch vielleicht ebenso schwer werden, eine so recht exsekrable [im Sinne von: schwierige] Wundertat zustande zu bringen, wie einem Magier ohne irgendeine Vorbereitung und ohne vorangegangene Einverständnisse mit andern Menschen, die den Magier zu unterstützen haben. Freilich dürfen davon alle andern Menschen nichts wissen, sonst sähe es mit der Zauberei etwas schlecht aus! Ich ziehe für mich diesen sicher schwer zu widerlegenden Schluß heraus: Dem Herrn und euch durch Ihn sind alle Dinge möglich, aber nie unvorhergesehen, sondern vielleicht ewigkeitenlang vorbereitet und geistig also schon lange in einen periodenweisen Vollzug gesetzt! Was demnach als äußere Tat hier nun in Vollzug kommt, das ward schon lange geistig vorgesehen und vorbereitet!

[5.2.8] Darum kann eine Erde, wie diese unsrige da ist, nicht mit einem puren allmächtigen ,FIAT‘! [FIAT = „Es geschehe!“] in ein solch vollendetes Dasein treten, sondern mit der Zeit erst nach langen vorangegangenen Vorbereitungen, auf welche diese gegenwärtige Erde, wie sie nun ist und besteht, als eine notwendige Folge ins Dasein treten mußte. Aus demselben Grunde kann dann auch so gut wie ganz unmöglich irgend etwas plötzlich in ein vollendetes und haltbares Dasein treten. Was denn immer irgend schnell entsteht, das vergeht auch ebenso schnell. Der Blitz zum Beispiel entsteht schnell, vergeht aber auch ebenso schnell. Eine andere Gegenfolge ist aber dann auch das, daß etwas einmal in einem haltbaren Dasein Befindliches auch so gut als unmöglich mehr irgend plötzlich vergehen kann, sondern nur periodenweise, wie es entstanden ist. Etwas, das noch nie vorgesehen und vorbereitet ward, kann sonach nie durch irgendeinen, selbst mit dem festesten Willen unterstützten Machtspruch ins Werk gesetzt werden, weder im Falle der Entstehung noch im Falle der Auflösung und Vergehung. Es ist demnach alles nur als ein zeitweiliges Wunderwerk anzusehen, und jedes Geschehen ist eine notwendige Folge von vielen, periodenweise weiligen Vorgängen!

[5.2.9] Siehe, du mein Freund aus den Himmeln, dem Herrn allein alles Lob; aber wie es mir vorkommt, so habe ich deine mir gemachte Erklärung vielleicht tiefer aufgefaßt, als du es dir anfänglich magst vorgestellt haben! Ja, mein liebster Raphael, siehe, ganz so auf den Kopf gefallen sind die alten Römer nicht, als wie sich’s so manche vorstellen! Na, was meinst du, Freund, nun? Habe ich dich verstanden oder nicht?“

  1. — Die Vorsehung Gottes und des Menschen Willensfreiheit

[5.3.1] Sagt Raphael lächelnd: „So einen kleinen Dunst hast du wohl bekommen; aber mit deinen ,notwendigen Folgen‘ und mit unseren ,notwendigen Vorsehungen‘ und ,langwierigen Vorbereitungen‘ bist du sehr auf dem Holzwege, – wovon dich sogleich ein paar recht handgreifliche Beispiele vollkommen überzeugen sollen! Da sieh irgend hin, bestimme mir einen Platz und verlange von mir ganz nach deiner freiesten Willkür, wo du einen und was für einen oder auch mehrere vollkommen ausgebildete und reichlichst mit vollreifen Früchten bestbestellte Bäume haben willst! Oder willst du verschiedene Gattungen? Kurz, sprich es aus, und sie werden auch unvorgesehen und unvorbereitet für bleibend dasein, und ein Jahrtausend soll ihre Daseinsspuren nicht völlig zu vertilgen imstande sein! Also sprich du aus, was du willst, und du sollst alsbald ein wahres Wunder sehen, das noch nie irgend vorbereitet und vorgesehen worden ist!“

[5.3.2] Sagt Markus: „Ja ja, das wäre, du mein Freundchen, schon alles recht, so du mir darin eine volle Überzeugung verschaffen kannst, daß nun mein Wollen und Begehren ganz in meiner freiesten Gewalt steht! Das aber dürfte dir selbst denn doch am Ende vielleicht noch um vieles schwerer fallen als die von mir verlangten verschiedenartigen Fruchtbäume auf einer beliebigen Stelle! Du hast mir einen starken Zweifelswurm in den Kopf gesetzt bezüglich dessen, daß selbst ihr allermächtigsten Geister ohne Vorsehung und Vorbereitung, gewisserart aus nichts, ein blankes Wunderwerk zustande zu bringen fähig seid! In eine volle Abrede will ich die Sache gerade nicht stellen; aber nach all dem zu urteilen, was auf dieser Erde je war, ist und auch sein wird, ist das wohl sehr schwer anzunehmen, weil dagegen schon die göttliche Allwissenheit ein starkes bißchen zu laut ihre Stimme erhebt und man dagegen mit der etwaigen leeren Behauptung, als hätte Gott geflissentlich für etwas nicht wollend und nicht wissentlich Seine Allerkenntnis angestrengt, wohl nicht kommen kann. Hat sich aber Gott nicht auch in diesem Punkte von Ewigkeiten her völlig unwissend erhalten können, daß in einer Zeit Sein Engel Raphael hier nach dem Wunsche eines Menschen Bäume herwundern wird, so wird es auch ebenso schwer zu erweisen sein, daß dieses Wunder nicht auch schon von Ewigkeiten her vorgesehen und vorbereitet war! Ganz geistig vorgesehen war es sicher ganz gewiß!“

[5.3.3] Sagt Raphael: „Das macht aber ja auch nichts, wenn es nur bis zum materiellen Sich-Ergreifen nicht vorbereitet ist! Zudem ist ja aber doch der Wille des Menschen derart frei, daß weder der Herr noch wir je denselben durch ein Vorsehen und noch weniger durch ein Vorbereiten im allergeringsten zu stören uns in eine Tätigkeit versetzen. Du kannst sonach vollkommen versichert sein, daß dein freiester Wille in seiner Art weder vorgesehen und noch weniger irgend vorbereitet ist. Darum verlange, und du wirst es sehen, daß der Herr entweder ganz für Sich allein oder durch mich als Seinen Altknecht sicher ohne alle Vorbereitung dir die von dir frei verlangten Fruchtbäume für bleibend hinwundern wird!“

[5.3.4] Markus denkt hier ein wenig nach und sagt nach einer Weile: „Freundchen, müssen es denn gerade lauter Fruchtbäume sein? Ich könnte zufälligerweise ja auch etwas anderes wollen?! Könnte auch das hergewundert werden?“

[5.3.5] Sagt Raphael: „O allerdings, uns macht eins wie’s andere eine ganz gleiche Mühe! Verlange, was du willst, und es wird dasein!“

[5.3.6] Auf diese Versicherung denkt Markus noch eine Weile hin und her, ob ihm nicht etwas beifiele, womit er den Engel so ein wenig in die Enge treiben könnte. Da ihm aber gerade kein Einwurf mehr einfällt, so sagt er zum Raphael: „So stelle mir ein besser bewohnbares und festeres Haus her, das ist eine ganz förmliche Herberge für Fremde und Einheimische, einen gut umzäunten Garten, bestellt mit allerlei wohlgenießbaren Obstbäumen, und solle nicht fehlen die Dattel, und im Garten fließe eine frische Brunnquelle!“

[5.3.7] Sagt der Engel: „Aber Freund, wird das nicht ein wenig zu viel sein auf einmal?“

[5.3.8] Sagt Markus: „Aha, gelt, mein Freundchen, da hat’s dich schon ein wenig? Ja, ja, ohne Vorsehung und Vorbereitung wird sich’s etwa doch nicht recht tun lassen! Ich will dich aber dennoch zu nichts zwingen; was du nun hervorwundern kannst, das wundere her, das andere von mir Verlangte lasse hinweg!“

[5.3.9] Sagt der Engel: „Das wird ganz, wie du’s verlangt hast, hergestellt. Und im Namen des Herrn sei alles da, was du von mir verlangt hast! Gehe hin und besieh dir alles, was da ist, und sage mir danach, ob dir alles also recht ist! Hast du irgend etwas auszustellen, so tue das; denn sieh, jetzt kann daran noch so manches abgeändert werden! Morgen würde es zu spät sein, weil wir sicher nicht mehr dasein werden. Gehe also hin und besieh dir alles wohl!“

  1. — Das neue Anwesen des Markus, ein Wunderwerk Raphaels

[5.4.1] Markus sah sich um und ward ganz betroffen von dem Anblicke dessen, was da alles in einem Nu entstanden war. Es stand ganz vollendet ein schönes aus Backsteinen gemauertes Haus rechts gen Nordost vom alten Fischerhaus und reichte mit der südöstlichen Front nahe ganz ans Meer hinaus. Es hatte ein Stockwerk mit einem bequemen Gang ums ganze Haus herum, und zu ebener Erde bestand es aus einer geräumigen Küche, aus einer großen Speisekammer und noch aus achtzehn Räumen, darunter fünf Wohnzimmern und dann dreizehn großen Gemächern zu allerlei landwirtschaftlichen Zwecken, als allerlei Getreidekammern, Fleischkammern, Kammern für Obst, Gemüse, für Hülsen- und Wurzelfrüchte. Eine große Kammer stellte einen mit weißem Marmor ausgemauerten Wasserbehälter dar, der gut seine zwanzig Quadratklafter maß und im ganzen durchgängig eine Wassertiefe von sechs Fuß hatte; das Wasser stand aber nur viereinhalb Fuß hoch, was zur Behaltung von Edelfischen tief genug war.

[5.4.2] Dieser innere Fischbehälter bekam sein reinstes Wasser aus einer ganz neuen reichlichen Quelle; es drang von unten durch kleine, aber viele Öffnungen einer Steinplatte in den Behälter bis zur bestimmten Höhe. Von da lief eine Abzugsröhre hinaus ins Meer, konnte aber, so man etwa den Behälter voll Wasser haben wollte, von außen zugestopft werden. Um den Wasserbehälter ging ein sehr schönes, durchbrochenes, zweieinhalb Schuh hohes Geländer, ebenfalls aus weißem Marmor angefertigt, und auf einer Seite war, für den Fall, daß der Wasserbehälter mit Wasser voll angelassen würde, ein sehr zierlicher Abzugskanal angefertigt, der natürlich durch die Mauer des Hauses ging und ebenfalls unfern der tieferen Abzugsröhre ins Meer mündete. Die Wände und der Fußboden waren ebenfalls mit weißem Marmor verkleidet, des Gemaches Decke aber bestand aus Zedernholz reinster und festester Art ohne Ast und Splint. Dies Gemach ward durch fünf Fenster erhellt, die alle eine marmorne Einrahmung hatten, und jedes maß eine Höhe von fünf und eine Breite von drei Schuh. Die Fenster waren mit höchst reinen Kristalltafeln versehen und zum Auf- und Zumachen eingerichtet, wie im gleichen auch alle andern Fenster des Hauses.

[5.4.3] Das Haupttor war aus goldähnlich schimmerndem Erz, alle Zimmertüren aber aus bestem Zedernholz gar zierlich und nett gearbeitet und mit guten Riegeln und Schlössern zweckmäßigst versehen. Der erste Stock aber war durchgängig mit Zedernholz höchst zierlich ausgetäfelt, und jedes Gemach gewährte einen wundervollsten Anblick. Zugleich aber waren zu ebener Erde wie im ersten Stockwerk alle Gemächer mit allem möglichen, was eine beste Herberge erfordert, auf das reichhaltigste eingerichtet und versehen, und die Getreidekammer war voll Getreide, die Speisekammer voll von allem möglichen, was man in einer Küche braucht. Kurz, es war nicht nur das verlangte Haus ganz nach der schon lange innegehabten luftschlösserbaulichen Idee des Markus auf das solideste hergestellt, sondern mit allen Mund- und andern Vorräten auf das reichlichste für Jahre ausgestattet.

[5.4.4] Hinter dem Hause waren noch Stallungen für allerlei Vieh, und mehrere Fischergerätehütten waren aufs geschmackvollste und zugleich zweckmäßigste erbaut und mit allem Erforderlichen eingerichtet und reichlichst versehen, und um alle die neuen Gebäude zog sich ein bei zwanzig Joch großer, ganz dicht eingezäunter Garten, vormals eine herrenlose Sandsteppe, nun der fruchtbarste Boden, bestellt mit allerlei von den besten Fruchtbäumen. Ein paar Joch aber waren ganz mit den besten Weinreben bestellt, die alle von den schönsten und saftreichsten und schon vollreifen Trauben strotzten. Auch an Gemüse hatte es keinen Mangel.

[5.4.5] In der Mitte des Gartens war noch ein bestes Gesundheitsbad mit einem Tempel aus Marmor errichtet. Es hatte zwei gesonderte Becken: das eine zur Heilung der Gichtbrüchigen mit sehr warmem Quellwasser und das zweite zur Heilung der Aussätzigen mit lauen Schwefel- und Natronquellen versehen, die durch Raphaels Macht nach Meinem Willen erst aus dem Innersten der Erde dahin geleitet wurden. Zugleich ersah er auch einen mit lauter Geviertsteinen eingefaßten Seehafen und fünf große, bestkonstruierte Schiffe mit Segeln und Rudern im sehr geräumigen Hafen, dessen Eingang, obwohl sechs Klafter breit, zur Nachtzeit mit einer ehernen Kette ganz abzusperren war. Es war dieser Hafen genau nach der oft gehabten Idee des alten Markus, der bei der Besichtigung alles dessen, was da wunderbar entstanden war, sich immer die Augen ausrieb, da er gleichfort der Meinung war, daß er schlafe und diese Dinge also im Traume sähe.

[5.4.6] Als er mit der Besichtigung, die nahe eine Stunde andauerte, fertig war, kam er (Markus) nahe ganz schwindlig zurück und sagte voll Staunens: „Ja, ist denn das wohl alles Wirklichkeit oder sehe ich das alles nur in einer Art beseligender Träumerei? Nein, nein, das kann keine Wirklichkeit sein! Denn so habe ich schon mehrmals mir in meiner müßigen Phantasie eine Herberge ausgemalt und auch schon etliche Male in Morgenträumen geschaut, – und du, Freund aus den Himmeln, hast mich in einen künstlichen Schlaf versetzt, und ich habe meine eigenen Ideen nun einmal wieder im Traume beschaut!“

[5.4.7] Sagt Raphael: „Du kleingläubiger Römer du! Wenn das alles ein Traumgesicht wäre, so würde es nun nicht mehr zu sehen sein, und das wirst du denn doch nicht mehr behaupten wollen, daß du noch schläfst und gleichweg träumst? Sende nun dein Weib und deine Kinder hin, daß sie auch nachsehen, was alles da ist, und sie werden dann kommen und dir aus dem Traume helfen!“

[5.4.8] Sagt Markus, sich noch einmal nach dem neuen Hause umsehend: „Oh, es ist kein Traum, es ist lautsprechende Wirklichkeit! – Wird sie aber wohl bleiben?“

  1. — Die Kinder der Welt und die Kinder des Herrn

[5.5.1] Spricht Raphael: „Sagte ich dir’s denn nicht, daß dies alles, das heißt, was da fest gebaut ist, ein Jahrtausend nicht völlig verwischen wird? Nur die verschiedenen Obstbäume, Edelgesträuche und die Pflanzen, wie auch die fünf Schiffe werden nicht solange anhalten; aber das Mauerwerk wird bestehen gar lange und sehr lange! Auch sogar nach zweitausend Jahren werden davon noch Spuren zu entdecken sein; aber freilich wird da niemand mehr an überirdische Erbauer dieser Mauern halten. Sogar in der Jetztzeit werden die nächsten Nachbarn, so sie alles dessen ansichtig werden, sagen, daß solches alles die anwesenden Römer aufgebaut hätten, da viele und kräftige Hände auch Wunder zuwege brächten! Du aber laß es den Weltmenschen gelten; denn so in einem Lande zehn mal zehn mal hunderttausend Menschen leben in der jetzigen Art, so wirst du in allem kaum fünftausend Menschen antreffen, die dir nach vielen Besprechungen das vernunftgemäß glauben würden. Einen blinden Glauben aber könntest weder du und noch weniger wir Himmelsgeister brauchen. Es liegt auch gar nichts daran, ob da viele oder wenige glauben; denn der Herr kam nur Seiner wenigen Kinder wegen in die Welt und nicht der Weltmenschen wegen. Und es wird also bleiben bis ans Ende dieser Welt und ihrer Zeiten!

[5.5.2] Wann immer der Herr Sich auf dieser Erde wieder offenbaren wird, entweder durchs Wort allein oder zuweilen auch persönlich auf Momente, so wird Er das allzeit nur Seinen wahren Kindern, die von oben her sind, tun! Die Welt und ihre Kinder werden von Ihm wenig oder auch nichts zum Genusse bekommen! Für die ist die Ewigkeit lang genug, um sie zu irgendeinem höchst untergeordneten Lichte zu bringen.

[5.5.3] Glaube du ja nicht, daß dies höchste Licht aus den Himmeln je alle Menschen der Erde durchdringen wird! Nur die wahren Kinder, allzeit in geringer Anzahl, werden damit rein und reichlichst versehen werden, und der Welt Kinder werden sich nur aus ihrem Unflate Tempel und Götzenhäuser erbauen und sie mit ehernen Gesetzen und blind-dummen Regeln umzäunen, aber darum den wenigen wahren Kindern doch nie etwas anhaben können, wofür der Herr allzeit auf das getreueste Sorge tragen wird. Es soll darum unter den Weltmenschen kein Jeremias mehr seine Klagelieder anstimmen! – Gehe aber nun hin zum Herrn und bedanke dich für solch ein Großgeschenk!“

[5.5.4] Hier kommt Markus zu Mir und will Mir mit einem Pomp von den allerausgesuchtesten Worten zu danken anfangen.

[5.5.5] Ich aber sage zu ihm: „Erspare deiner Zunge die Mühe; denn Ich habe den Dank deines Herzens schon vernommen und brauche darum den der Zunge nicht! Ist denn nicht ein jeder ehrliche Gastwirt seines Lohnes wert? Du bist auch ein ehrlicher Gastwirt und hast uns unverdrossen nahezu acht Tage lang auf das beste bewirtet; das können wir von dir ja doch nicht umsonst verlangen! Diese Herberge wird dir und deinen späteren Nachkommen eine beste Versorgung bereiten! Aber du sorge dafür, daß Mein Name an diesem Orte, das heißt bei deinen Nachkommen, fest stehenbleibt; denn mit dem Verluste Meines Namens aus ihren Herzen würden sie dann auch bald alles andere verlieren! Wer zwar alles verlöre in der Welt, behielte aber dessenungeachtet Meinen Namen, der hätte immerhin noch gar nichts verloren, sondern nur alles gewonnen; aber wer da verlöre Meinen Namen aus seinem Herzen, der hätte alles verloren – und besäße er auch alle Güter auf der Erde!“