Am 23. April 1842
[2.73.1] Als damit der Oalim seine Gesichtserzählung beendet hatte, da fingen alle die Väter an, sich hoch zu erstaunen, und einer sagte zum anderen: „Nein, man kann es beinahe kaum mehr ertragen! Das hohe, geistig Wunderbare übersteigt hier alle unsere denkbaren Begriffe!
[2.73.2] Man sollte es glauben, dass da jeder Mensch in sich doch notwendig eines und dasselbe finden sollte; aber welche endlose Verschiedenheit in der Erscheinung!“
[2.73.3] Abedam, der andere, aber schlich sich heimlich zum Henoch hin und sagte zu ihm, ihn gleichsam fragend:
[2.73.4] „Höre du, mein lieber Bruder Henoch, mir wird nun schon trotz aller meiner Geweckt- und Berufenheit ganz finster vor allen meinen Sinnen!
[2.73.5] Sage mir doch, ob du dich dabei auskennest! Ich möchte gerade in die Erde sinken, jetzt haben sechs von diesen Kundschaftern, die da alle vom Seth abstammen, ihre inneren Gesichte kundgegeben; aber was ganz anderes hat ein jeder in sich gefunden!
[2.73.6] Wie ist’s demnach mit dem geistigen Leben in der geistigen Welt?
[2.73.7] Werden denn da die Geistermenschen nimmer also gemeinschaftlich mit- und untereinander leben wie wir hier auf der Erde?
[2.73.8] Denn so ein jeder in sich seine eigene und ganz eigentümliche Welt trägt und birgt, so fragt sich da: ‚Werden auf dieser jedes Menschen eigenen Welt auch zum Beispiel seine Brüder Platz haben, oder werden sie sich mit ihrer endlosen Welt wohl einander nahen können?
[2.73.9] Oder werden sie diese ihre nur für sich selbst bewohnbare eigene Welt allzeit, wenn sie sich werden jemandem nahen wollen, also in sich einziehen, wie ungefähr die Schnecke ihre Hörner einzieht, so sie von irgendeinem fremden Gegenstand berührt werden?‘
[2.73.10] Siehe, lieber Bruder Henoch, das sind Dinge und Verhältnisse, die in mir sich noch viel weniger ordnen wollen als ein Brennberg in vollen Flammen, Blitzen, Krachen, und ein Gefäß voll sauer gewordener Kuhmilch!
[2.73.11] Ich muss dir gestehen, je mehr ich nun darüber nachdenke, desto verwirrter werde ich und, wie bei mir schon von alters her gewöhnlich, auch desto dümmer!
[2.73.12] Wenn du irgendein Licht hast in solchen rein geistigen Dingen, da lasse mir auch nur ein Fünklein zukommen; denn zu Ihm getraue ich mich jetzt nicht hinzugehen, darum Er also eifrigst Sich mit den zwölfen beschäftigt.
[2.73.13] Es zieht mich zwar sehr zu Ihm hin; aber weißt du, es ist denn doch so eine etwas gewagte Sache! Ohne einen tüchtigen Putzer dürfte es bei meiner noch sehr stark vorwaltenden Dummheit nicht ablaufen; und glaube es mir, es wird einem denn doch allzeit ganz sonderbar zumute, wenn man so von Ihm geputzt wird!
[2.73.14] Daher sage mir wenigstens nur drei Worte, damit ich nicht gar so dumm dastehe und blind anhöre, was alles da verkündet wird; doch, wie du es willst! Amen!“
[2.73.15] Als aber der bekannte Abedam noch kaum das letzte Wort ausgesprochen hatte, da war auch schon der hohe Abedam in der Mitte zwischen Abedam, dem bekannten, und dem Henoch und fragte den Henoch:
[2.73.16] „Geliebter Henoch, was willst du auf dieses Unkraut von einer Frage von Seiten Meines Namensgefährten für eine Antwort geben?“
[2.73.17] Und der Henoch erwiderte: „Heiliger Vater, ich glaube, wo kein Baum steht, wird der Wind auch wenig zu entwurzeln haben!
[2.73.18] Abedams Fragen sind meines Erachtens zu sehr luftig und also gestaltet, dass außer Dir, Du heiliger, lieber Vater, wohl schwerlich jemand je eine Antwort darauf finden wird!“
[2.73.19] Der bekannte Abedam aber fiel alsbald vor dem hohen Abedam nieder und sagte flehentlich:
[2.73.20] „O Du, unser aller lieber, heiliger Vater! Vergebe mir armem, dummem Tropf nicht nur vor Dir, sondern vor allen Vätern, Müttern, Brüdern und Kindern beiderlei Geschlechtes; denn sicher habe ich nun durch diese meine extra ungewöhnlich unzeitigen Fragen eine unermesslich große Dummheit begangen!
[2.73.21] Aber was kann ich denn anderes tun bei solch unbegreiflich, unerhört wunderbaren Erscheinungen durch Deine unendliche Güte, Liebe und Gnade?!“
[2.73.22] Der hohe Abedam aber sagte zu ihm, ihn beruhigend: „Abedam, stehe auf, und sei ruhig! Deine Fragen sind zwar ein bares Unkraut der materiellen Welt; aber auch die Dornen und die Disteln sind von Mir erschaffen worden, damit sie euch durch ihre Stacheln wecken sollen, wenn ihr so irgendwann in den Tag hinein blind über den Erdboden dahinrennt und nicht wisst, wohin ihr geht, warum ihr geht, und was ihr wollt.
[2.73.23] Siehe, also sind auch deine Fragen! Glaube ja nicht, dass sie eigentlich auf deinem Grund und Boden gewachsen sind, sondern Ich Selbst habe sie in dir darum aufschießen lassen, damit du dadurch geweckt werden sollst aus deinem alten, stets wiederkehrenden Schlaf und wenigstens ein Bedürfnis in dir selbst gewahren, dass dein innerer Mensch erwache und mit seinem Urlicht endlich einmal gefangen nehme dich samt deiner Nacht.
[2.73.24] Damit du aber die große Dummheit deiner Frage vollends ersiehst, und zwar mit einem Schlag, so sage Mir aus dir selbst: Was sind denn all die geschaffenen Dinge vom Grunde aus?“
[2.73.25] Hier stutzte der bekannte Abedam und sagte endlich: „Ja, soviel ich es durch Dich weiß, Du lieber, heiliger Vater, da sind sie ja lediglich nichts anderes als nur allein festgehaltene Gedanken aus Dir!“
[2.73.26] Und der hohe Abedam erwiderte darauf: „Du hast gut geantwortet; sage Mir aber darum auch noch hinzu, ob Ich selbe, gleich wie die Schnecke ihre Hörner, einziehen muss, so Ich Mich euch Kindern wie jetzt nahen und euch allen vors Gesicht treten will!“
[2.73.27] Hier stutzte der bekannte Abedam noch ärger – und blieb still.
[2.73.28] Der hohe Abedam fragte ihn noch einmal: „Und so du Gedanken hast oben und unten und allerlei Begierden aus diesen deinen Gedanken, sage Mir, wann waren diese dir noch ein Hindernis, dass du dich denen zufolge niemandem nahen konntest?! Und doch sind eben diese deine inneren Gedanken deine innere Geistwelt selbst; und wenn du jemandes gedenkst, so ist der schon im Geiste bei dir!“
[2.73.29] Und der Abedam, der bekannte, erwiderte flehentlich: „O heiliger Vater, vergebe, vergebe mir armem Tropf; denn meine Dummheit ist wahrlich groß!
[2.73.30] Jetzt wird mir schon alles klar!“ – Der hohe Abedam aber sagte darauf zu ihm:
[2.73.31] „So gehe denn auf deinen früheren Platz, und habe Acht auf das, was da noch kommen wird, so wird hinfort kein Unkraut von den allertörichsten Fragen in dir aufkeimen!
[2.73.32] Denn darum lasse Ich ja eben die zwölf ihre Gesichte kundgeben, damit ihr in alle Zukunft vor jeglichem Zweifel verwahrt sein und bleiben sollt, jetzt wie ewig! Amen.
[2.73.33] Verstehe dieses wohl! Amen.“
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