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30. Auf dem Fußsteig der Demut zur Höhe. Horeds törichte Lamentation

Am 16. Februar 1842

[2.30.1] Und alsbald zog diese kleine Gesellschaft einen schmalen Fußsteig unter der Grotte fort, welchen sonst die Kinder des Morgens benützten, um auf die Höhe zu den Hauptstammvätern zu gelangen und die Grotte aus Ehrfurcht vor dem Adam zu vermeiden und sie gewisserart nicht durch den täglichen Gebrauch zu verunheiligen, da sie dieselbe als etwas Heiliges ansahen.

[2.30.2] Dieser Fußsteig war demnach ein Weg der Demut, darum ihn auch der hohe Abedam dazu ausersehen hatte, um fürs Erste den zwei Neuangekommenen zu zeigen, welchen Weg sie einzuschlagen haben, um auf die Höhe des Lebens zu gelangen, und fürs Zweite ihnen auch schon im Voraus gewisserart durch dieses Zeichen zu sagen, auf welchem Weg allein sie Ihn lebendig erkennen können.

[2.30.3] Und also wandelten sie diesen beschwerlicheren zwar, aber sonst viel näheren Weg fort. Die Naëme blieb öfter hängen mit ihrem schönen königlichen Gewand an den häufigen Dornhecken und hatte daher stets vollauf zu tun, um sich überall loszuwinden.

[2.30.4] Da aber gegen die Vollhöhe der Weg immer gestrüppiger wurde, so fing’s da auch an, der Naëme stets schlechter und schlechter mit dem Sichlosmachen zu gehen, so zwar, dass sie am Ende gar nicht mehr weiter konnte und fing darum an, zu weinen und um Hilfe zu rufen.

[2.30.5] Allein, da sie vermöge ihrer steten Bandlerei ziemlich zurückblieb und die vier Männer somit schon eine ziemliche Strecke voraus waren, so vernahm man ihr Geschrei, wenigstens natürlich möglich, scheinbarerweise nicht und setzte fröhlich den Weg fort.

[2.30.6] Als sie, die Männer, aber nun auf die freie Höhe gelangten, da blieb der Abedam stehen und wandte Sich zurück zu den Ihm schnell Folgenden und tat, als wollte Er sehen, ob mit Ihm alle wohlbehalten auf der Höhe angelangt sind, und fragte sie dann nach einer kurzen Rast dem Äußeren nach auch wirklich: „Also, Kinder Gottes, sind wir alle beisammen?“

[2.30.7] Und Hored, erst jetzt sich von seinem Erstaunen über die Erscheinungen am weißen Felsen erholend, gewahrte bald, dass da sein geliebtes Weib abgeht, und erschrak darüber sehr. Da aber der Abedam dessen große Verlegenheit merkte, so berief Er ihn zu Sich und sagte zu ihm:

[2.30.8] „Was sorgst du dich denn umsonst jetzt erst, und mochtest dich eher nicht umsehen nach deinem Weib, da sie sich verhängt hatte mit ihren königlichen Kleidern an den Dörnern dieses schmalen Pfades und rief dabei um Hilfe dich, du aber warst taub für ihre Stimme?!

[2.30.9] Kehre statt deiner törichten Sorge lieber um, und helfe ihr aus ihrer Not; denn es ist nicht weit dahin, da sie sich verhängt hatte an einer starken Dornenhecke!

[2.30.10] Darum gehe und helfe ihr, und bringe sie alsbald wohlbehalten hierher; wir alle wollen dich erwarten! Amen.“

[2.30.11] Der Hored aber wurde nun noch trauriger, fiel zur Erde nieder und fing an, also zu flehen: „Hört mich, o Brüder in Gott, hört mich, oder so jemand ist ein Vater zu mir, der erhöre mich!

[2.30.12] Gott, unser aller überheiliger Vater, soll nach der Verkündung meines Bruders Lamel nun wesenhaft sichtbar unter den Vätern der Höhe Sich liebevollst und barmherzigst befinden!

[2.30.13] Wenn solches der Fall ist, dann ist mir ja alles klar!

[2.30.14] Seine endlose Heiligkeit kann es ja nimmer zugeben, dass sich mein sicher unreines Weib nähern dürfte dieser so heiligen Höhe.

[2.30.15] Was wird da wohl nützen mein Umkehren, so nicht einer aus euch mitgeht und mir hilft, mein Weib aus all den tausend Dörnerklauen loszumachen?

[2.30.16] O Henoch, oder du, Bruder Lamel, oder du, fremder, sicher auch mächtiger Freund, verlasst mich nicht, und lasst nicht verschmachten mein armes Weib!

[2.30.17] O ich sehe jetzt schon, dass ich euch bis hierher nicht hätte folgen sollen, darum ich ein großer Sünder geworden bin vor Gott, und auch vor euch, ihr Männer und Kinder nach dem Herzen Gottes!

[2.30.18] Ja, ja, hier habe ich groß gefehlt! Ich will, ja ich muss zurück; aber nur einer kehre wieder mit mir zurück und helfe mir, mein armes Weib befreien!

[2.30.19] Dann aber zeige er mir irgend nahe dort am weißen Felsen einen Ort an; da will ich meine große Schuld mit meinem Weib beweinen mein Leben lang! Aber nur diesmal erhört mich, amen; euer Wille, amen!“

[2.30.20] Während der Zeit aber, als der Hored seine Trauerbitte, auf der Erde liegend, hervorgebracht hatte, beschickte der Abedam alsbald den Lamel, die Naëme nachzubringen, und das ganz geordneterweise vollkommen unverletzt.

[2.30.21] Es war aber der Hored noch nicht zu Ende mit seinem Jammerlied, als die Naëme schon ganz wohlbehalten sich unter ihnen befand.

[2.30.22] Als er aber dann, wie oben kundgegeben wurde, mit seiner Lamentation fertig ward, so fragte ihn der Abedam:

[2.30.23] „Hored, dieweil du dahier klagst, möchte die Naëme ja wohl zugrunde gehen! Was würde es dann ihr nützen, so wir sie nicht mehr treffen, da sie zurückgeblieben ist?

[2.30.24] Und da du bemerktest, sie und du werdet euch der Heiligkeit des nun auf der Höhe Adams sichtbar gegenwärtigen Jehova nicht nahen dürfen, sage Mir darauf, wer da den Lamel bemächtigt hatte, dich samt deinem Weib zu retten vom Untergang in der Tiefe deiner törichten wollüstigen Verborgenheit?

[2.30.25] Siehe, da solches derselbe heilige Jehova tat, was sollte Ihn denn nun hindern, euch vor Sich kommen zu lassen und euch auch zu segnen, so ihr des Segens würdig seid?

[2.30.26] Stehe nun auf, du Tor, und lerne den heiligen Jehova besser kennen! Amen.“

[2.30.27] Und der Hored sagte darauf zum Abedam: „Mächtiger Freund, oder Bruder, oder Vater! Solange von euch mir hier einer die erbetene Hilfe für mein armes Weib und mich nicht zusagt, stehe ich von dieser Stelle nicht auf, und möchtet ihr mich darob mit Schlangen züchtigen! Wenn mein Weib meiner Torheit wegen zugrunde gehen musste, so will auch ich ihr zuliebe hier meine fahrlässige Torheit büßen vor Gott und all den Vätern!“

[2.30.28] Da rief der Abedam alsbald die Naëme herbei und winkte ihr, den törichten Hored aufzurichten.

[2.30.29] Und die Naëme eilte sogleich herbei und ergriff des Hored Hand, zu ihm folgende Worte sprechend:

[2.30.30] „Aber Hored, warum klagst du hier meinetwegen? Siehe, ich bin ja schon lange wohlbehalten hier auf dieser himmlischen Höhe, gerettet auf dieses herrlichen fremden Freundes Wort durch deinen Bruder!

[2.30.31] Darum erhebe dich doch nach dem Willen dieses edelsten Freundes!“

[2.30.32] Und alsbald sprang der Hored auf vor Freuden und dankte mit tränenden Augen dem Fremden für die so schnelle und von ihm so ganz unvermutete Rettung seines Weibes.

[2.30.33] Der Abedam aber sagte darauf zu ihm: „Hored, Hored, du bist noch sehr dumm; sage Mir, wie stellst du dir denn den Jehova vor?

[2.30.34] Etwa als einen starken Wind, oder als eine hell lodernde Flamme, oder als eine Sonne, oder als einen großen zackenden Blitz?

[2.30.35] Sage Mir, wie Er dir vorkommt! Amen.“

[2.30.36] Der Hored erwiderte bald darauf: „O Freund, um solches frage mich ja nicht; denn wer dürfte sich da je getrauen, Gott in eine immerhin endlich plumpe Form zu schieben?!

[2.30.37] Gott ist ja ewig und unendlich! Für welche Form möchte Er da wohl taugen, Er, der unendliche Gott?!“

[2.30.38] Und der Abedam entgegnete ihm: „Ja wahrlich, für deine noch sehr dumme Form sicher nicht!

[2.30.39] Aber die Naëme, das Kind der Welt, soll Mir sagen, wie sie sich den heiligen Jehova vorstellt!“

[2.30.40] Die Naëme aber lächelte hier und sagte endlich: „Du himmlisch guter, herrlicher Freund, vergebe mir, so ich mir darob auch keine rechte Vorstellung machen kann, die da Seiner würdig wäre; aber dabei kann ich dir doch nicht verhehlen, dass Er mir am allerliebsten in Deiner Form wäre!

[2.30.41] Vergebe mir, so ich nun etwas auch noch recht Dummes gesagt habe!“

[2.30.42] Der Abedam aber sagte zu ihr: „Sei getröstet, du schönes Weib; wahrlich sage Ich dir, in dieser Meiner Form wirst du gar bald den Jehova, den ewigen, unendlich mächtigen Gott, und in Ihm den heiligen, liebevollsten Vater erkennen! Amen.“

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