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115. Folgen des Hochmutes

(Am 28. November 1843 von 4 1/4 – 5 1/4 Uhr abends.)

[2.115.1] Gehen wir auf unsere züchtige Jungfrau wieder zurück und verfolgen sie abermals in eine Gesellschaft, wo sie zufolge ihrer weiblichen Reize die Königin spielt. Ihr Geliebter findet sich auch in dieser Gesellschaft ein. Was tut aber nun seine Favoritin? Gibt sie sich etwa mit ihm ab? O nein, sondern mit einer Menge anderer Gesellschaftsbesucher, und lässt sich von denen über Hals und Kopf den sogenannten Hof machen. Aus welchem Grunde denn aber eigentlich?

[2.115.2] Ich sage, weil ich die Welt sehr genau kenne: Sie tut das nicht etwa, um ihrem gewählten Liebhaber untreu zu werden, sondern ihm bloß nur zu zeigen, welch einen enormen Wert sie hat, und sagt ihm dadurch gewisserart indirekt: Erkenne aus dieser Erscheinung, welch einen Millionenschatz du an mir hast!

[2.115.3] Der Liebhaber aber, weil er nicht im Besitz der Allwissenheit ist, fasst die Sache von einem anderen Gesichtspunkt auf, wird bald düster und augenabwendig von derjenigen Stelle, wo sich seine Geliebte den Hof machen lässt. Und wirft er auch schon noch verstohlene Blicke auf den verhängnisvollen Punkt hin, so sind diese schon allzeit von einer solchen Ausstrahlung, der es jedermann auf den ersten Blick ankennen kann, wessen Geistes Kind sie ist, nämlich der brennenden Eifersucht.

[2.115.4] Unsere Jungfrau merkt dieses auch, bessert sich aber dadurch nicht im Geringsten. Wohl aber fängt sie an, ihr Spiel noch ärger zu treiben, um sich an ihrem Liebhaber zu rächen, der gerade da ihren hohen Wert zu verkennen anfing, wo sie ihn am meisten vor ihm entfalten wollte. Bei dieser Gelegenheit sucht der Liebhaber so früh als möglich sich von der Gesellschaft zurückzuziehen, mit dem Wahlspruch in seinem Herzen: Warte Kanaille! Wenn wir, versteht sich, nur einmal noch unter vier Augen zusammenkommen, da werde ich dir meine Meinung auf eine Art bekanntgeben, an die du denken sollst! Denn nun verlange ich nichts mehr, als mich nach Gebühr zu rächen an dir für deine Untreue.

[2.115.5] Sie kommen zusammen, und die Frucht dieser Zusammenkunft sind die brennendsten Vorwürfe aller Art. Eine Liebescheidung ist nicht selten die Folge, nur selten eine Wiedervereinigung, welche aber ebenso wenig mehr Stich hält wie die erste Liebe. Nichtwiedervereinigung und Vereinigung gehen aber immer auf dasselbe hinaus; denn vereinigen sie sich wieder, so dient gewöhnlich diese Wiedervereinigung dazu, sich beiderseitig den Wert so viel möglich noch fühlbarer zu machen, und so ist eine solche Wiederliebe meistens nichts anderes als eine verkappte Rache. Und vereinigen sie sich nicht, so werden sie auch gegenseitig jede Gelegenheit aufsuchen, wo eins dem anderen im übertreffenden Zustand seine Verachtung auf das Unbarmherzigste fühlen lässt.

[2.115.6] Die Jungfrau setzt sich bald aus lauter Rache über alle Schranken des Schamgefühls hinaus, wird eine förmliche Kokette. Und kriecht da der alte Liebhaber nicht zu Kreuze, was sie eigentlich wünscht, so wird sie auch mit demselben heroischen Rachegefühl eine förmliche Hure, im Gegenteil dann gewöhnlich der Liebhaber den letzten Rest seines alten Gefühls aus seinem Herzen verbannt. Und hat unsere eheschon schamhafte Jungfrau den süßen Stachel der Wollust verkostet, so bringt sie, wie ihr zu sagen pflegt, kein Gott mehr auf die Bahn der Tugend zurück. Wird sie dadurch unglücklich, so wälzt sie im vollsten Grimm ihres Herzens zumeist alle Schuld auf denjenigen ersten Liebhaber, der ihre Absicht und ihre erste Tugend so schändlich verkannt habe.

[2.115.7] Was ist aber das hernach? Es ist nichts anderes als die schon völlig entwickelte Frucht des ersten so hoch gepriesenen weiblichen Schamgefühls. Und der Name der Frucht lautet: Unterste vollkommene Hölle! oder auch: Vollkommen reife Hölle, wenn die äußere Schale hinwegfällt! – Denn was würde so eine unglückliche Jungfrau demjenigen alles antun, den sie, wenn schon irrwähnig, als den Grund ihres Unglückes anschaut?

[2.115.8] Wenn es ihr möglich wäre, im Augenblick ihrer freien Wut ihn von tausend glühenden Schlangen in Stücke zernagt zu sehen, so würde diese Rache kaum noch ein kühlender Tautropfen auf ihr wutentflammtes Herz sein.

[2.115.9] Wer das nicht glauben möchte, der besuche eine solche unglückliche Jungfrau und lasse sich mit ihr in ein Gespräch über den bewussten Gegenstand ihres Unglückes ein, und er wird im besten Falle aus einem weiblichen Munde sobald alle Vulkane der Erde sprühen sehen. Im schlimmeren Falle aber wird es heißen: Ich bitte, mich damit zu verschonen! – Wenn ihr solches vernommen habt, so könnt ihr schon denken, um welche Zeit es ist. Wir hätten nun so weit die Früchte beleuchtet, wie sie für die Hölle reifen; nächstens aber werden wir die Sache spezieller beleuchten.

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