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107. Über Gehorsam und Todesfurcht. Die zweite Hölle

(Am 15. November 1843 von 4 1/4 – 5 3/4 Uhr abends.)

[2.107.1] Wisst ihr, warum die Menschen auf der Erde den Gehorsam leisten? Die Antwort ist sehr leicht. Etwa aus großer Achtung vor der Person des Herrschers? O nein! Denn was man hochachtet, über das schimpft man im Geheimen nicht, noch weniger verflucht und verwünscht man es. Desgleichen aber geschieht von Seiten der Untertanen nicht selten gegenüber ihrem Monarchen. Dem man aber nicht aus Achtung gehorcht, dem gehorcht man noch weniger aus Liebe. Also können wir hier keinen anderen Grund des Gehorsams auffinden als die Furcht.

[2.107.2] Worauf gründet sich die Furcht? Diese gründet sich erstens auf die eigene Ohnmacht, zweitens auf die Übermacht des Herrschers und drittens auch darauf, weil man weiß, dass ein Monarch mit dem Leben seiner Untertanen bei Gelegenheiten niemals schonend umgeht. Denn einem Menschen, der mit nicht selten mehr als einer Million Mordwerkzeugen versehen ist und für die Tötung eines wie vieler Menschen niemandem eine Rechenschaft schuldig ist, ist in keinem Fall übers Maß zu trauen; denn der Zorn eines Herrschers kann der Tod von vielen Tausenden sein.

[2.107.3] Wenn wir die Sache betrachten, wie sie ist, so streicht sich das immer mehr heraus, dass die Todesfurcht das Hauptmotiv des Gehorsams ist.

[2.107.4] Nehmen wir aber an, in einem Staat wären lauter vollkommen wiedergeborene geistesgeweckte Menschen, so hätte es mit der Furcht vor der Todesstrafe seine geweisten Wege, und der Herrscher müsste da ganz andere Maßregeln ergreifen, wenn er noch ein Volksleiter verbleiben wollte.

[2.107.5] Worauf gründet sich aber die Todesfurcht bei den Menschen? Ich sage euch: Auf lediglich nichts anderes, als auf die Ungewissheit, ob nach dem Verlust dieses Lebens es noch ein anderes gibt. Wer von euch fürchtet sich wohl vor dem Schlafengehen, obschon der Schlaf nichts anderes als ein periodischer Tod des Leibes ist? Warum fürchtet man sich vor dem Schlaf nicht? Weil man die erfahrungsmäßige Sicherheit hat, dass man nach dem Schlaf wieder zu ebendemselben, wenn schon gewisserart neuen Leben erwacht. Könnte man diese Erfahrung hinwegnehmen, so würde sich ein jeder Mensch vor dem Schlaf ebenso fürchten wie vor dem Leibestod, wie es auch wirklich ähnliche Menschen auf der Erde gibt, die da glauben, sie haben ein ephemeres Leben, welches alle Tage vergeht, und am nächsten Tag stecke ganz jemand anderer in ihrer Haut als am vorhergehenden.

[2.107.6] Dieser Glaube ist so ein Zweig einer außerordentlich an die Seelenwanderung glaubenden Volksklasse in einem Teil Asiens, die da der Meinung ist, ihre Seele fahre von Tag zu Tag von einem Tier zum anderen und wohne höchstens nur einen Tag in dem Leib eines Menschen. Wenn sich des anderen Tages eine andere Seele in demselben Menschen der Vergangenheit erinnert, so rühre das von der Einrichtung des Leibes her, durch die eine jede nachkommende Seele notwendig in dasjenige Bewusstsein versetzt werden müsse, wie solches von der Einrichtung des Leibes bewirkt werde. Das ist also ihre Philosophie, derzufolge sich dann ein jeder Mensch ganz entsetzlich vor dem Schlaf fürchtet, indem er diesen für nichts anderes ansieht, als für das Mittel nur, durch das die alte Seele aus dem Leib hinausgeschafft wird, um einer anderen Platz machen zu müssen. Aus dem Grunde suchen sich diese Menschen auch so viel als möglich den Schlaf durch allerlei Mittel zu vertreiben; und dieses hat sehr viel Ähnlichkeit mit dem sich Fürchten vor dem Leibestod bei den gewöhnlichen Erdmenschen.

[2.107.7] Würde der Mensch eines geweckten Geistes gewärtig sein, dem von einem Tod nie etwas träumen kann, so würde er sich um den Abfall des Leibes ebenso wenig kümmern und denselben fürchten, als sich ein gewöhnlicher Mensch um den Schlaf kümmert und denselben fürchtet. Denn des Geistes Erfahrung ist das ewige Leben, welches unmöglich zerstörbar ist, so wie der Seele Erfahrung es ist, dass der eingeschlafene Leib des anderen Tages sicher wieder erwacht, darum sie denn auch vor dem Schlaf keine Furcht hat.

[2.107.8] Die Furcht vor dem Tod als vor einer möglichen Vernichtung des Daseins liegt demnach in der Seele so lange, als der Geist in ihr nicht erwacht und in ihr sonach auch ein ganz anderes Bewusstsein erzeugt.

[2.107.9] Also gehen wir nun mit dieser Vorkenntnis wieder in unsere erste Hölle. In der ist die Seele nichts als ein Genuss- oder Fresspolyp, und das aus lauter stummer Selbstsucht und Selbstliebe, aus dem Grunde, weil sie in der Nichtrealisierung ihrer Genusssucht die Vernichtungsmöglichkeit fortwährend vor Augen hat.

[2.107.10] In der zweiten Hölle ist durch die starke Fastenbehandlung, wie uns bekannt, die begierliche Seele mehr und mehr eingeschrumpft, und dem mit ihr amalgamierten Geist ist dadurch mehr Freiheit durch diese Absonderungsmethode geworden. In selten besserem Falle kehrt so mancher Geist hier um, kräftigt sich und erhebt dann seine Seele stets mehr und mehr. Im gewöhnlich schlimmen Falle erwacht der Geist zwar auch; da er aber in diesem Erwachen in solcher Vernachlässigung seiner Seele sich überaus gekränkt und beleidigt und auch mit vernachlässigt zu fühlen anfängt, so wird er zornig und lässt in diesem seinem Zorn stets mehr und mehr die Idee in sich aufkeimen, derzufolge ihm für solche Unbill von Seiten der Gottheit eine kaum zu berechnende große Genugtuung zugutekommen sollte.

[2.107.11] Allein, je mehr der Geist mit dieser Idee großwächst, desto stärker setzt er seine Rechnung an und auch desto unzufriedener wird er mit jeder ihm vorgeschlagenen Maßgabe der ewigen Genugtuung.

[2.107.12] Aus dieser immer größeren Forderung, welche in der stets größeren Unzufriedenheit ihren Grund hat, geht dann der also stets mehr und mehr wach werdende Geist in ein sich rächenwollendes Selbstgenugtuungsgefühl über. In diesem Gefühl wird er stets mehr zum vollkommeneren Verächter Gottes. Er ersieht auch zugleich stets mehr und mehr seine Unzerstörbarkeit und stärkt sich mit der Idee, dass der Geist sich durch die Erhöhung seiner Begriffe und Forderungen ins Unendliche stärken kann. Und aus diesem Gefühl erwächst dann auch sogar diese Idee, dass die Gottheit sich fürchte vor der stets wachsenden Macht solcher Geister, Sich darum verberge, und diese Ihre mächtigen Feinde durch gewisse furchtsame und schwache Spitzelgeister heimlich beobachten lasse, was die mächtigen Geister tun. Sieht es bedenklich aus, so retiriert Sich die Gottheit dann wieder tiefer und sucht Sich auf alle mögliche Weise vor einem zu mächtigen Angriff solcher Kraftgeister zu verwahren.

[2.107.13] Durch diese Idee wird das übermächtige Selbstgefühl des Geistes immer stärker, das Rachegefühl gegen eine vermeintliche Verschmitztheit der Gottheit stets größer. Die Gottheit wird dann natürlich stets ohnmächtiger; der Geist geht dann in den allerförmlichsten Abscheu vor der Gottheit über, fängt Sie allerbitterst an zu verachten und zu hassen, und dabei aber sich selbst als ein Numen supremum [höheres Wesen] anzusehen!

[2.107.14] Tritt dieser Fall ein, dann ist die dritte Hölle auch schon fertig. Wie diese so sich hervorbildet, müssen unsere Schüler alles auf dem Wege der göttlichen schützenden Vorsehung ganz geheim mitbeobachten, und dann in der untersten Hölle bis zum eigentlichen Grund des Lasters alles auf dem Wege der Erfahrung erkennen lernen. Wie sich aber am Ende in dieser untersten und bösesten aller Höllen des eigentlichen Lasters Grund beurkundet, wird die Folge zeigen.

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