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92. Die große Gefahr von weltlichem Reichtum und dem Verlangen danach

(Am 21. Oktober 1843 von 4 3/4 – 6 1/2 Uhr abends.)

[2.92.1] Aber man wird sagen: Diese Bestimmung klingt sonderbar; denn was kann der Erbe dafür, wenn er das Vermögen entweder seiner Eltern oder sonstiger reicher Anverwandten staatsgesetzlich rechtlich überkommen hat? Sollte er für sich bei solcher Überkommung den naturgerechten Anteil berechnen und von dem Erbe nur so viel nehmen, als dieser Anteil ausmacht, und sollte dann den anderen Teil an wen immer verschenken? Oder sollte er wohl zwar das ganze Vermögen übernehmen, davon aber nur den ihm gebührenden Naturteil als Eigentum annehmen, den großen Überschuss aber entweder zur Unterstützung dürftig gewordener Faulenzer selbst verwalten oder solchen Überschuss sogleich zum Behuf wohltätiger Anstalten an die Vorsteher eben dieser Anstalten abtreten?

[2.92.2] Diese Frage ist hier so gut wie eine, der man gewöhnlich entweder gar keine oder im höchsten Falle eine nur höchst einsilbige Antwort schuldig ist. Sind denn das göttliche Gesetz und das Staatsgesetz oder die göttliche Weisheit und Fürsorge und die weltlich staatliche Politik und sogenannte Diplomatik eines und dasselbe? Was spricht denn der Herr? Er spricht: „Alles, was vor der Welt groß ist, ist vor Gott ein Gräuel!“

[2.92.3] Was Größeres aber gibt es wohl auf der Welt, als, von göttlicher Seite abwärts betrachtet, eine usurpierte Staatsgewalt, welche nimmer nach dem göttlichen Rat, sondern nur nach ihrer weltlichen Staatsklugheit, welche in der Politik und Diplomatie besteht, die Völker unterjocht, und ihre Kräfte zur eigenen prasserisch fructitiven und konsumtiven Wohlfahrt benutzt?

[2.92.4] Wenn es aber schon gräuelhaft und schändlich ist, so irgendein Mensch nur einen, zwei oder drei seiner Brüder hintergeht, um wie viel gräuelhafter vor Gott muss es sein, wenn sich Menschen mit aller Gewalt zu krönen und zu salben wissen, um sodann unter solcher Krönung und Salbung ganze Völker zu ihrem eigenen schwelgerischen Vorteil auf alle erdenkliche Art und Weise zu hintergehen, entweder durch die sogenannte Staatsklugheit, oder, so sich’s mit dieser nicht tun sollte, mit grausamer offener Gewalt!

[2.92.5] Ich meine, aus diesem Sätzlein lässt sich ungefähr mit Händen greifen, wie sehr der meisten gegenwärtigen Staaten Rechte dem göttlichen schnurgerade entgegenlaufen. Ich meine auch ferner, wenn der Herr zum reichen Jüngling spricht: „Verkauf alle deine Güter und verteile sie unter die Armen, du aber folge Mir nach, so wirst du dir einen Schatz im Himmel bereiten“, so wird dieser Ausspruch doch hoffentlich hinreichend sein, um daraus zu ersehen, welche Verteilung der irdische reiche Mensch, wenn er das Reich Gottes ernten will, mit seinem Reichtum machen sollte. Tut er das nicht, so muss er sich selbst zuschreiben, wenn ihn das nämliche Urteil treffen wird, welches der Herr bei eben dieser Gelegenheit über den traurig gewordenen Jüngling ausgesprochen hat, dass nämlich ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr durchkäme denn ein solcher Reicher in das Himmelreich! Wobei freilich wohl sehr verdächtigermaßen der Umstand sehr zu berücksichtigen ist, dass der Herr hier ein so höchst bedauernswürdigstes Urteil über einen Jüngling, also sicher über einen Erben ausgesprochen hat.

[2.92.6] Man könnte hier füglich fragen: Warum musste denn hier gerade ein reicher Jüngling und warum nicht irgendein schon bejahrter Spekulant auftreten, an dem der Herr Sein ewiges Missfallen an allem irdischen Reichtum kundgegeben hätte? Die Antwort liegt ganz nahe; weil der Jüngling noch kein eingefleischter Reichtumsverwalter war, sondern er war noch auf dem Punkt, von welchem aus solche Jugend gewöhnlich noch den irdischen Reichtum nicht gehörig zu würdigen versteht, und konnte sich aus eben dem Grunde dem Herrn wenigstens auf eine kurze Zeit nähern, um von Ihm die rechte Weisung und den rechten Gebrauch seines Reichtums zu vernehmen. Erst bei der Erkennung des göttlichen Willens fällt er dann vom Herrn ab und kehrt zu seinen Reichtümern heim.

[2.92.7] Also hatte der Jüngling doch dieses Vorrecht, eben als Jüngling, der noch nicht zurechnungsfähig war, sich dem Herrn zu nahen. Aber der schon eingefleischte, mehr betagte reiche Wirt, Spekulant und Wucherer stehen als Kamele hinter dem Nähnadelöhr, durch das sie erst schlüpfen müssten, um gleich dem Jüngling zum Herrn zu gelangen. Also ist es einem solchen Reichen gar nicht mehr gegönnt und gegeben, gleich dem Jüngling sich beim Herrn einzufinden. Für diese aber hat der Herr leider ein anderes sehr zu beachtendes Beispiel aufgeführt in der Erzählung vom reichen Prasser. Mehr brauche ich euch nicht zu sagen.

[2.92.8] Wer von euch aber nur ein wenig denken kann, der wird aus allem dem mit der größten Leichtigkeit finden, dass dem Herrn Himmels und aller Welten kein menschliches Laster so gräuelhaft verächtlich war als eben der Reichtum und dessen gewöhnliche Folgen; denn für kein anderes Laster sehen wir den Herrn über Leben und Tod allerklarstermaßen den Abgrund der Hölle erschaulich auftun als gerade bei diesem.

[2.92.9] Sei es Totschlag, Ehebruch, Hurerei und dergleichen mehrerer, bei allem dem hat niemand vom Herrn auf der Erde erlebt, dass Er ihn darum zur Hölle verdammt hätte. Aber dieses Wucherlaster hat Er allenthalben sowohl beim Priesterstand als wie auch bei jedem anderen Privatstand auf das Allerdringlichste mit Wort und Tat gezüchtigt!

[2.92.10] Wer kann gegenüber allen anderen menschlichen Vergehungen dem Herrn nachweisen, dass Er über irgendeinen solchen Sünder Seine allmächtige Hand züchtigend aufgehoben hätte? Aber die Wechsler, Taubenkrämer und dergleichen noch mehreres Spekuliergesindel musste sich gefallen lassen, von der allmächtigen Hand des Herrn Selbst mit einem zusammengewundenen Strick allererbärmlichst aus dem Tempel hinausgeprügelt und gezüchtigt zu werden!

[2.92.11] Wisst ihr aber, was das sagen will? Dieses höchst wahre evangelische Begebnis will nicht mehr und nicht weniger sagen, als dass der Herr Himmels und aller Welten eben von diesem Laster der abgesagteste Feind ist. Bei jedem anderen spricht Seine göttliche Liebe von Geduld, Nachsicht und Erbarmen, aber über dieses Laster spricht Sein Zorn und Grimm!

[2.92.12] Denn hier verrammt Er den Zutritt zu Ihm durch das bekannte Nadelöhr, eröffnet ersichtlich den Abgrund der Hölle und zeigt in demselben einen wirklich Verdammten, spricht sich gegenüber den herrsch- und habsüchtigen Pharisäern also entsetzlich aus, dass Er ihnen deutlich zu erkennen gibt, wie da Hurer, Ehebrecher, Diebe und noch andere Sünder eher in das Reich Gottes eingehen werden denn sie.

[2.92.13] Endlich ergreift Er im Tempel sogar eine züchtigende Waffe und treibt schonungslos alle die wie immer gearteten Spekulanten hinaus und bezeichnet sie als Mörder des göttlichen Reiches, indem sie den Tempel, der eben das göttliche Reich vorstellt, schon sogar selbst zu einer Mördergrube gemacht haben.

[2.92.14] Wir könnten dergleichen Beispiele noch mehrere anführen, aus denen sich überall entnehmen ließe, wie ein überaus abgesagter Feind der Herr gegen dieses Laster ist. Aber wer nur einigermaßen zu denken vermag, dem wird dieses sicher genügen. Und bei eben dieser Gelegenheit können wir auch noch einen ganz kurzen Blick auf unser neuntes Gebot machen, und wir werden aus diesem Blick ersehen, dass der Herr eben bei keinem anderen menschlichen Verhältnis, bei keiner anderen selbst verbotenen Gelegenheit und Tätigkeit sogar das Verlangen beschränkt hat wie eben in dieser Ihm allermissfälligsten wucherischen Gelegenheit.

[2.92.15] Überall verbietet Er ausdrücklich nur die Tätigkeit, hier aber schon das Verlangen, weil die Gefahr, welche daraus für den Geist erwächst, zu groß ist, indem es den Geist völlig von Gott abzieht und gänzlich zur Hölle kehrt, was ihr auch daraus ersehen könnt, dass sicher ein jeder andere Sünder nach einer sündigen Tat eine Reue empfindet, während der reiche Spekulant über eine glücklich gelungene Spekulation hoch aufjubelt und triumphiert!

[2.92.16] Und das ist der rechte Triumph der Hölle, und der Fürst derselben sucht daher die Menschen auch vorzugsweise auf jede mögliche Art mit Liebe für den Weltreichtum zu erfüllen, weil er wohl weiß, dass sie mit dieser Liebe erfüllt vor dem Herrn am abscheulichsten sind und Er Sich ihrer darum am wenigsten erbarmt! Mehr brauche ich euch darüber nicht zu sagen.

[2.92.17] Wohl jedem, der diese Worte tief beherzigen wird, denn sie sind die ewige unumstößliche göttliche Wahrheit! Und ihr könnt es über alles für wahr halten und glauben, denn nicht eine Silbe darin ist zu viel, eher könnt ihr annehmen, dass hier noch bei weitem zu wenig gesagt ist. Solches aber merke sich ein jeder: Der Herr wird bei jeder anderen Gelegenheit eher alles Erdenkliche aufbieten, bevor er jemanden wird zugrunde gehen lassen, aber gegenüber diesem Laster wird Er nichts tun, außer den Abgrund der Hölle offen halten, wie Er es im Evangelium gezeigt hat. Dieses alles ist übergewiss und wahr, und wir haben dadurch den wahren Sinn dieses Gebotes kennengelernt. Und ich sage noch einmal: Beherzige ein jeder dies Gesagte wohl! Und nun nichts mehr weiter. Hier ist der zehnte Saal, und so treten wir in denselben ein!

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