(Am 13. September 1843 von 5 1/4 – 6 3/4 Uhr nachmittags.)
[2.74.1] Seht, da sind schon einige, die sich soeben an ihren Lehrer wenden und ihm die Bemerkung machen, dass sie nun im Ernst zu glauben genötigt seien, es gebe keinen Gott außer den Lehrern, die vor ihnen Wunderdinge leisten, indem sich Gott trotz der Heftigkeit ihrer Liebe, mit der sie Ihn in ihren Herzen erfasst haben, auch nicht einem unter ihnen zu einer allergeringsten Wahrnehmung gezeigt habe.
[2.74.2] Was tun aber die Lehrer auf diese Äußerung ihrer Schüler? Hört nur den an, an den solcher Bericht ergangen ist; er spricht also zu seinen Schülern:
[2.74.3] Meine geliebten Kinder! Es mag wohl sein, dass sich bei euch Gott noch nicht gemeldet habe; es kann aber auch sein, dass Er sich gemeldet hat, ihr aber wart zu unaufmerksam und habt eine solche Anmeldung nicht wahrgenommen.
[2.74.4] Sagt mir daher: Wo wart ihr, als ihr Gott in euren Herzen erfasst habt? Wart ihr draußen unter den Bäumen des Gartens oder auf den Galerien des Saales, oder wart ihr auf dem großen Söller des Saalgebäudes oder in irgendeiner Kammer, oder wart ihr in euren Wohnstuben, welche da außerhalb dieses großen Lehrgebäudes reichlich erbaut sind? Und sagt mir auch, was alles ihr hier und da mit gesehen, bemerkt und empfunden habt.
[2.74.5] Die Kinder sprechen: Wir waren draußen unter den Bäumen und betrachteten da die Herrlichkeiten der Schöpfungen Gottes, an den wir glauben sollen, und lobten Ihn darob, dass Er so herrliche Dinge gemacht hat, und stellten Ihn uns vor als einen recht lieben Vater, der gern zu Seinen Kindern kommt, und haben dadurch auch in unseren Herzen eine große Sehnsucht gefasst, Ihn zu erschauen und Ihm dann mit all unserer kindlichen Liebe entgegenzueilen, Ihn zu erfassen und nach all unserer möglichen Kraft zu liebkosen.
[2.74.6] Allein es kam von keiner Seite irgendein Vater zu uns. Wir fragten uns auch sorgfältig untereinander, ob einer oder der andere aus uns noch nichts merke vom Vater. Allein ein jeder aus uns bekannte offenherzig, dass er davon nicht von fernher auch nur etwas Allerleisestes merke.
[2.74.7] Wir verließen dann den Platz, eilten auf die Söller des Lehrsaalgebäudes und taten allda dasselbe. Allein der Erfolg war ganz derselbe wie unter den Bäumen. Wir gingen von da in unsere Wohnstuben, in der Meinung, da wird uns der Vater am ehesten besuchen, denn wir beteten da viel, und baten Ihn inbrünstigst, dass Er Sich uns zeigen möchte. Allein es war alles umsonst! Und da wir sonach deinen Rat vergeblich befolgt haben, so sehen wir uns nun genötigt, deiner Lehre beizupflichten, dass es nämlich eher keinen als einen Gott gebe; – und haben so unter uns beschlossen: Wenn es schon irgendeinen Gott gibt, so gibt es aber dennoch keinen ganzen, sondern einen geteilten in all den lebenden und freitätigen Wesen, wie ihr und wir da sind. Gott ist demnach nur ein Inbegriff der lebendigen Kraft, welche aber erst in den Wesen, wie ihr und wir es sind, freitätig sich und andere erkennend und dadurch auch mächtig wirkend auftritt.
[2.74.8] Seht hier die kleinen Philosophen, und erkennt aber auch zugleich den Grund oder das falsche Samenkorn, von dem alle die schlüpfrigen Vernunftsspekulationen die Frucht sind!
[2.74.9] Was spricht aber unser Lehrer zu diesen Philosophemen seiner Schüler? Hört, also lauten seine Worte: Meine lieben Kinderchen! Nun habe ich den Grund in euch recht klar erschaut, warum sich euch kein Gott gezeigt habe, weder unter den Bäumen, noch auf dem Söller, noch in den Wohnstuben; (d. h. so viel, als weder im Forschen in der Natur durch Erfahrungen und Zergliederungen derselben, noch auf dem Wege höherer Vernunft- und Verstandesspekulation, noch in eurem nicht viel besseren als einem Alltagsgemüt), weil ihr schon mit den Zweifeln hinausgegangen seid.
[2.74.10] Ihr habt Gott nicht bestimmt, sondern nur allenfalls möglicherweise erwartet. Gott aber, so einer ist, muss ja doch in Sich Selbst die höchste abgeschlossene Bestimmtheit sein. Wenn ihr aber mit der Unbestimmtheit eures Denkens, Glaubens und Wollens die höchste göttliche Bestimmtheit suchtet, wie möglich hätte sich da euch solche wohl offenbaren können? Merkt euch demnach wohl, was ich euch nun sagen werde:
[2.74.11] Wenn ihr Gott suchen wollt, wollt Ihn auch erschaulich finden, da müsst ihr ja mit der größten Bestimmtheit hinaustreten und Ihn auch so suchen. Ihr müsst ohne den allergeringsten Zweifel fort glauben, dass Er ist, und wenn ihr Ihn auch noch so lange nicht irgend zu Gesicht bekommen solltet, und müsst dann auch mit eurer Liebe Ihn ebenso bestimmt ergreifen, als wie bestimmt ihr an Ihn glaubt. Sodann wird es sich erst zeigen, ob ihr in eurem Denken, Glauben, Wollen und Lieben die größtmöglichste Bestimmtheit erlangt habt.
[2.74.12] Habt ihr dieselbe erlangt, so wird Sich auch Gott euch sicher zeigen, so Er einer ist. Habt ihr aber diese Bestimmtheit nicht erlangt, so werdet ihr ebenso unverrichteter Dinge wieder zu mir zurückkehren, wie es diesmal der Fall war.
[2.74.13] Seht, die Kinder überdenken die Lehre des Lehrers wohl, und eines, scheinbar das schwächste aus ihnen, tritt hin zum Lehrer und spricht: Höre mich an, du lieber weiser Lehrer! Meinst du denn nicht, wenn ich so ganz allein in mein Wohnstübchen ginge und möchte da Gott den Herrn als den allerliebevollsten Vater allein mit meiner Liebe recht bestimmt ergreifen, indem ich ohnehin noch nie so recht zweifeln habe können darüber, ob es einen oder keinen Gott gebe, sondern in mir – aller Gegenbeweise ungeachtet – fortwährend bei einem Gott stehengeblieben bin. Meinst du demnach nicht, Er würde Sich mir zeigen, wenn ich Ihn allein lieben möchte? Denn das viele Denken und Glauben danach kommt mir ohnehin etwas mühselig vor.
[2.74.14] Der Lehrer spricht zum Kind: Gehe hin, mein liebes Kindlein, und tue, was dir gut dünkt; wer weiß vorderhand, ob du nicht recht habest? Ich kann dir nun weder ein Ja noch ein Nein geben, sondern sage zu dir: Gehe hin und erfahre, was alles die Liebe vermag!
[2.74.15] Nun seht, das Kindlein läuft aus dem Saal in seine Wohnstube, und die anderen Schüler befragen den Lehrer noch einmal, ob er die Unternehmung des einen Kindes, das sich jetzt in seine Wohnstube entfernte, dem vorziehe, was sie nun nach seinem Rat zu tun gedenken, nämlich mit aller Bestimmtheit hinauszugehen und zu forschen nach Gott.
[2.74.16] Der Lehrer aber spricht: Ihr habt gehört, was ich zu dem einen eurer Mitschüler gesagt habe, nämlich weder ein Ja noch ein Nein; eben dasselbe sage ich auch zu euch. Geht hin oder hinaus; tut, was euch am besten dünkt, und die Erfahrung wird es zeigen, welcher Weg der bessere und der kürzere ist, oder ob der eine falsch oder der andere richtig, oder ob beide falsch oder beide richtig seien.
[2.74.17] Nun seht, ein Teil der Kinder erfasst die Bestimmtheit, ein anderer aber die Liebe allein. Die die Bestimmtheit Erfassenden gehen voll tiefen Denkens, Wollens und festen Glaubens hinaus in den Garten; ein Teil aber begibt sich in ihre Wohnstuben, um Gott zu suchen.
[2.74.18] Aber da seht hin, soeben kommt das zuerst mit der Liebe zu Gott hinausgeeilte Kind, geleitet von einem schlichten Mann, in den Saal herein und geht schnurgerade auf den Lehrer los. Was lauter wird es wohl hervorbringen?
[2.74.19] Hört, es spricht: Lieber, weiser Lehrer, da sieh einmal her! Als ich in meinem Wohnstübchen den lieben großen Himmelsvater so recht zu lieben anfing, da kam dieser einfache Mann zu mir und fragte mich, ob ich den Vater im Himmel wohl im Ernst so lieb hätte. Ich aber sprach zu ihm: O lieber Mann, das kannst du mir ja aus meinem Angesicht lesen. – Dann aber fragte mich der Mann, wie ich mir den großen Himmelsvater in meinem Gemüt vorstellte. Und ich sagte zu ihm: Ich stelle mir Ihn so wie einen Menschen vor; aber nur muss Er sehr groß und stark sein und auch sicher einen großen Glanz um sich haben, weil schon diese Welt und die Sonne, die ihr scheint, so überaus herrlich und glänzend ist.
[2.74.20] Hier hob mich der schlichte Mann auf, drückte mich an sein Herz und gab mir einen Kuss und sprach dann zu mir: Führe mich hinüber in den Lehrsaal zu deinem Lehrer; dort wollen wir das Weitere ausmachen und recht gründlich ersehen, wie der Himmelsvater aussieht, wenn Er einer ist, und wie Er alles aus Sich erschafft, leitet und regiert. Und nun siehe, lieber weiser Lehrer, da bin ich nun mit dem schlichten Mann. Was dünkt dir wohl, wer dieser Mann sein möchte, weil er gar so lieb mit mir umgegangen ist?
[2.74.21] Und der Lehrer spricht in sichtbar allerhöchster Liebe und Achtung: O überglückliches Kind, du hast schon den Rechten gefunden; siehe das ist Gott, unser allerliebevollster Vater! – Und der Herr beugt Sich nun nieder, nimmt das Kind auf Seinen Arm und fragt es: Bin Ich wohl Der, als den mich dein Lehrer dir angekündigt hat? – Und das Kind spricht in großer Aufregung: O ja, Du bist es, das erkenne ich ja an Deiner unendlichen Güte, denn wer sonst ist so gut wie Du, dass er mich auf seine Arme nähme und möchte mich also herzen und kosen wie Du?! Ich liebe Dich aber nun auch so unbegreiflich, dass ich mich ewig nimmer von Dir trennen kann; musst mich darum nicht mehr hier lassen, lieber heiliger Vater! Denn solche Güte und Liebe habe ich noch nie empfunden wie jetzt auf Deinen Armen! – Und der Herr spricht: Fürchte dich nicht, Mein Kindlein! Wer Mich einmal wie du gefunden hat, der verliert Mich ewig nimmer. Aber nun musst du ganz still sein von Mir; denn es kommen auch die anderen Kindlein, die Mich suchten, aber noch nicht gefunden haben. Diese wollen wir auf eine kleine Probe setzen, auf dass sie Mich auch finden sollen; daher sei nun ruhig, bis Ich dir winken werde!
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