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67. Das Reich der bald nach ihrer Geburt verstorbenen Kinder. Wie diese Kinder sich entwickeln und sprechen lernen

(Am 31. August 1843 von 5 – 6 3/4 Uhr nachmittags.)

[2.67.1] Hier vor uns ist schon die Pforte; also nur mutig hineingetreten! Wir sind in dem Garten. Seht nun hier, wie niedlich und in der schönsten Ordnung alles gestellt ist! Kleine Baumalleen durchkreuzen den großen Garten, und bei jeder Kreuzung entdecken wir ein kleines Baumrondeau, welches in der Mitte mit einem kleinen Tempel geziert ist. Die Wege sind mit dem schönsten Rasen überdeckt und geben auf diese Weise einen überaus sanft zu wandelnden Weg ab. Zwischen den Alleen entdecken wir freie Räume, auf denen eine Menge der schönsten Blümchen wachsen, ungefähr in der Art wie allenfalls in einem guten Frühjahr auf eurer Erde auf den Wiesen.

[2.67.2] Ihr sagt hier, wie es wohl kommt, dass diese Blumen nicht nach gärtnerischer Kunst geordnet sind, sondern nur ganz bunt durcheinandergemischt dem Boden entwachsen? Das kommt daher, weil hier schon eine vollkommene Welt ist, und somit alles Wachstum auf einer jeden Stelle vollkommen entsprechend ist mit den geistigen Begriffsfähigkeiten, welche die Bewohner einer solchen Stelle zu eigen haben.

[2.67.3] Hier wohnen aber eben gerade die jüngsten Kinderchen, welche auf der Erde bald nach ihrer Geburt dem Leib nach gestorben sind. Diese Kinderchen können doch unmöglich noch irgend geordnete Begriffe und Vorstellungen vom Herrn und Seinem Wort haben; daher seht ihr hier auch alles jung, klein und bunt durcheinander.

[2.67.4] Da seht einmal vorwärts! Dort in der Mitte dieses großen Gartens werdet ihr ein Gebäude entdecken, das da fast die Gestalt eines großen Treibhauses bei euch hat. Was ist es wohl? Nur hingegangen und sich überzeugt, und wir werden gleich sehen, was es ist.

[2.67.5] Seht, wir sind schon dabei; hineingetreten durch die Tür, die vor uns geöffnet ist, und es wird sich sogleich zeigen, was darin anzutreffen sein wird. Wir sind herein; seht, eine beinahe unabsehbar lange Kleinbettenreihe befindet sich fortlaufend wie auf einer Terrasse etwa drei Schuh über den Boden gestellt. Und seht weiter, hinter der vorderen Reihe lässt sich wie durch eine Gasse getrennt auch schon eine zweite, dann eine dritte, vierte, fünfte, usf. bis zehnte erschauen. Und seht, in einem jeden dieser kleinen Bettchen sehen wir ein Kindlein ruhen, und in einer jeden solchen Gasse gehen fortwährend mehrere hundert von Wärtern und Wärterinnen auf und ab und sehen sorgfältigst nach, ob einem oder dem anderen Kindlein nicht etwas vonnöten ist.

[2.67.6] Wie viel solcher Bettchen dürften wohl hier in diesem Raum vorhanden sein? Solches können wir leicht berechnen; auf einer Reihe befinden sich zehntausend solcher Bettlein, und zehn Reihen haben wir in dieser Abteilung gezählt, das wären sonach hunderttausend. Wie viel gibt es aber solche Abteilungen nur in diesem Gebäude? Es gibt deren zehn; und so werden im ganzen Gebäude eine Million solcher Bettchen vorhanden sein. Jede Abteilung aber steigt hier von Tag zu Tag nach eurer Rechnung; und die Kindlein, die heute in dieser Abteilung in diesen wunderbaren Lebensbettchen ausgereift werden, werden sobald übertragen in die nächste Abteilung.

[2.67.7] Wenn auf diese Weise die Kindlein hier durch die zehn Abteilungen dieses Gebäudes aus- und durchgereift werden, so kommen sie dann schon in ein anderes Gebäude, allwo sie nicht mehr in solchen Bettchen ruhen dürfen, sondern da sind für sie gewisse sanfte Geländerreihen errichtet, in denen sie stehen und gehen lernen. Auch dieses Gebäude hat ebenfalls zehn Abteilungen, in welchen das Gehen fortwährend ausgebildet wird. Sind die Kindlein des Gehens vollkommen kundig, da ist schon ein anderes Gebäude von wieder zehn Abteilungen; in diesem Gebäude wird für das Sprechen der Kindlein gesorgt, welche Sorge so klug eingeleitet ist, dass es sich fürwahr der Mühe lohnt, dahin zu gehen und diese Unterrichtsanstalt näher in den Augenschein zu nehmen.

[2.67.8] In diesem Gebäude haben wir ohnehin nicht mehr viel zu lernen; denn das lässt sich von selbst denken, dass diese ganz unzeitig von der Welt herübergebrachten Kindlein lediglich durch die Liebe des Herrn ausgereift werden, und dass die Aufseher darin solche Engelsgeister sind, welche auf der Erde ähnlichermaßen große Kinderfreunde waren. Und da wir nun dieses wissen, so begeben wir uns ins dritte Gebäude.

[2.67.9] Seht, dort mehr gegen Mittag steht es in schon einer ziemlich großgedehnten Form; gehen wir also nur hin und sogleich hinein! Seht, wir sind schon in der einen Abteilung, und zwar in der ersten; merkt ihr nicht, wie es da wimmelt von den kleinen Scholaren und unter ihnen von freundlichen und geduldigen Lehrern und Lehrerinnen? Und seht, wie diese Kinderchen mit einer allerverschiedenartigsten und buntesten Menge von allerlei Spielereien versehen sind. Wozu dienen ihnen denn diese? Fürs Erste zur stummen Begriffssammlung in ihrer Seele, welche hier eigentlich ihr Wesen ist. Hier hören wir noch nichts reden; aber gehen wir in eine zweite Abteilung.

[2.67.10] Seht, da sind die Kindlein nicht mehr so bunt durcheinander, sondern sitzen auf weichen langgedehnten niederen Bankreihen. Und vor je zehn Kinderchen sehen wir einen Lehrer, der einen Gegenstand in der Hand hält, ihn benennt und von den Kinderchen, so gut es nur immer geht, freiwillig nachsprechen lässt. Die Gegenstände sind allzeit so gewählt, dass sie die Aufmerksamkeit der Kindlein an sich ziehen.

[2.67.11] Zudem werdet ihr hier auch bemerken, dass die langen Bankreihen durch aufsteigende Querwände von zehn zu zehn Kinderchen abgeteilt sind. Das ist darum so gestellt, damit bei der Vorweisung eines Gegenstandes die nächste anstoßende Zehnkinderchenreihe bei der Aufweisung eines Gegenstandes in der Aufmerksamkeit nicht gestört wird.

[2.67.12] In dieser Abteilung lernen die Kinderchen bloß die einfachen Gegenstände benennen. In der nächsten Abteilung werden sie schon auf die Benennung zusammengesetzter Begriffe geleitet, wo nämlich ein Begriff zum Grund und der andere zur Bestimmung liegt. In der vierten Abteilung lernen sie schon von selbst die Begriffe verbinden und auch diejenigen Worte kennen, durch welche Handlungen und Tätigkeiten, wie auch Zustände, Beschaffenheiten und Eigenschaften ausgedrückt werden.

[2.67.13] In der fünften Abteilung geht schon ein förmliches Plaudern an. Solches wird so bewerkstelligt, dass die Lehrer mittels allerlei Gegenständen gewisse Tableaus und kleine Theater aufführen und lassen sich dann von den Kindlein erzählen, was sie jetzt gesehen haben und was da geschehen ist.

[2.67.14] In der sechsten Abteilung wird dieser Lehrzweig in einem schon etwas größeren und sinnumfassenderen Maßstab fortgesetzt. Da werden schon etwas größere Tableaus und Theater in der Art aufgeführt, dass sie auf den Herrn einen Bezug haben; nur wird den Kinderchen hier noch nicht Weiteres davon kundgegeben als bloß nur das äußere Bild, und sie müssen dann dasselbe wieder in der bestimmten Lehrzeit so nacherzählen, wie sie es gesehen haben.

[2.67.15] In der siebten Abteilung, wo die Kinder schon ganz förmlich reden können und ihre Auffassungsfähigkeit schon einen merklich höheren Grad erreicht hat, werden schon ganz bedeutend große, allgemeine, auf den Herrn Bezug habende geschichtliche Darstellungen, nicht nur allein in der Form der Tableaus, sondern schon dramatisch gegeben, und das gewöhnlich auf eine für die Kinder so anziehende Weise, dass sich diese förmlich vergaffen und verhören, und eben dadurch sich alles das Geschaute und Gehörte desto tiefer einprägen.

[2.67.16] In der achten Abteilung lassen die Lehrer schon von den Kinderchen selbst kleine Tableaus aufführen und sich dann wieder erzählen, was durch solch ein Tableau dargestellt ward.

[2.67.17] Dadurch werden die Kinderchen auf die zweckmäßigste Art zur Selbsttätigkeit und zum Selbstdenken angeleitet.

[2.67.18] In der neunten Abteilung müssen die Kinderchen schon selbst neue Darstellungen zu erfinden anfangen, natürlich unter der Leitung ihrer weisen Lehrer, und die erfundenen müssen sie dann auch darstellen, zuerst bloß stumm, dann aber auch redend.

[2.67.19] In der zehnten Abteilung werden wir schon eine Menge Schauspieler und Dramatiker erschauen, und ihre Sprache wird so wohl gebildet sein, dass ihr dazu werdet sagen müssen: Fürwahr, so kann mancher auf der Erde nicht reden, wenn er auch schon eine Universität durchlaufen hat. Man muss hier freilich wohl sagen:

[2.67.20] Im Geist lernt es sich schneller denn im materiellen Leib, welcher nicht selten mit großen Schwächen und Unbehilflichkeiten behaftet ist. Das ist allerdings wahr. Aber würde auf der Erde auch eine ähnliche Lehrmethode beobachtet sein, so würden die dort lebenden und wachsenden Kinder ebenfalls ums Unvergleichliche schneller zum geistig entwickelten Ziel gelangen als so, wo das Kind zuerst mit allerlei Unrat angestopft wird, welcher hernach bei der gründlicheren Bildung des Kindes erst mühsam hintan geschafft werden muss, bevor das Kind zu etwas Reinerem aufnahmsfähig wird.

[2.67.21] Um euch ein Bild des näheren Verständnisses wegen zu geben, will ich euch nur darauf aufmerksam machen, was ihr selbst schon öfter erfahren habt. Nehmt ihr an ein für die Musik talentiertes Kind; was könnte ein solches in der frühesten Zeit unter einer wahren und schulgerechten Leitung leisten? Wenn man aber solch einem Kind statt eines gründlichen Lehrers einen barsten Pfuscher gibt, der gewisserart selbst alles besser versteht als gerade das, worin er Unterricht erteilt, gibt dem Schüler dazu noch ein schlechtes Instrument, welches entweder wenig oder gar keinen Ton hat und dazu regelmäßig fortwährend verstimmt ist und das alles unter dem Vorwand: Für den ersten Anfang ist es gut genug! Wird aus solch einem talentierten Musikschüler wohl je etwas werden? Wir wollen sehen.

[2.67.22] Nach drei unnütz verschwendeten Jahren wird endlich unserem Schüler ein etwas besserer Meister gegeben. Dieser aber hat wenigstens drei Jahre zu tun, um all den eher angewohnten Unflat aus seinem Scholaren zu bringen. Nun sind sechs Jahre verstrichen, und unser Schüler kann noch nichts. Man will aber nun den ersten Fehler dadurch gut machen, dass man, um aus dem Kind etwas zu machen, demselben sogleich einen exzellentesten Meister gibt. Dieser Meister hat aber keine Geduld und der Schüler keine große Freude mehr. Also vergehen wieder drei Jahre, und unser talentvoller Schüler hat es kaum zu einem höchst mittelmäßigen Stümper gebracht, während er bei einer gerechten Grundleitung schon in den ersten drei Jahren hätte etwas Bedeutendes leisten können.

[2.67.23] Seht, so geht es mit allem Unterricht auf der Erde; darum auch die Fortschritte der Bildung so langsam vor sich gehen. Hier aber ist alles auf das Zweckmäßigste geordnet, darum geht auch jede Bildung mit Riesenschritten vorwärts. Die Fortsetzung wird uns noch glänzendere Resultate zeigen.

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