(Am 22. August 1843 von 5 1/4 – 6 3/4 Uhr nachmittags.)
[2.63.1] Hört! unser Ältester spricht: Hoher Gesandter des großen Gottes! Jetzt bin ich ganz im Klaren, und die ganze Sache der Kindschaft Gottes bekommt jetzt ein ganz anderes Gesicht. Da sich aber die Sache sicher so und nicht anders verhält, da musst du mir vergeben, dass es, von meiner Seite betrachtet, nicht nur gewisserart wider die göttliche Ordnung wäre, nach der sogenannten ganz eigentlichen Kindschaft Gottes zu trachten, an der nach deiner gegenwärtigen Aussage fürwahr wenig, wo nicht gar nichts gelegen ist. Es wäre sogar eine offenbare Torheit, für nichts das Gute und Reichliche, das man besitzt, fahrenzulassen. Da sage ich: Gott und Vater hin und her, und ich als das Kind Gottes hin oder her, wenn ich dabei gänzlich gewinnlos mich verhalten müsste.
[2.63.2] Es ist einerseits nicht zu leugnen, dass der Gedanke, Gott zum Vater zu haben, und das durch die allerintimste gegenseitige Liebe, jeden anderen Gedanken rein zugrunde richtet; denn ein größeres Verhältnis kann sich kein geschaffenes Wesen denken. Aber wenn man auf der anderen Seite betrachtet, dass man in Rücksicht dieses großen Gedankens und großen Namens an und für sich dennoch gar nichts ist und sein darf, ja, dass man sogar zum letzten Dienst für alle Geschöpfe stets bereit dastehen muss, so ficht einen, wie wir da sind auf dieser Welt, dieser Gedanke und dieser große Name gar nicht mehr an.
[2.63.3] Wenn wir hier alles haben können, was unser Herz verlangt, zeitlich und ganz besonders im Geist ewig, als Kinder aber uns nicht einmal nach eigenem Willen über die Schwelle rühren dürften, höre, da bleiben wir doch sicher, was wir sind; denn um nichts zu werden, bedürfte es nie eines Daseins! Ist ein Wesen aber einmal da, so setzt dieses sein Dasein schon eine fortwährend höhere Entwicklung seiner Kräfte voraus; nicht aber – (wenn man bedenkt, dass man hier fortwährend in den Erkenntnissen und Kräften zunimmt) – dass man hernach, wo man die höchste Vollendung erwartet, nichts als eine völlige Nichtung aller Kräfte und Erkenntnisse, die man sich hier zu dem Behuf eigen gemacht hat, erwarten solle.
[2.63.4] Ich meine, du wirst mich gründlich verstanden haben, denn ich habe hier so geredet, wie da ein jedes nur einigermaßen weise denkende Wesen notwendig hätte reden müssen, so es die Verhältnisse der Kindschaft Gottes von dir auf die obige Weise erörtert vernommen hätte.
[2.63.5] Meinesteils aber bin ich über die Kindschaft Gottes einer ganz anderen Meinung und behaupte ganz festweg, dass hinter der Kindschaft Gottes ganz außerordentlich mehr verborgen ist, als du es mir kundgegeben hast. Es mag schon immerhin sein, dass man als Kind sicher aus der höchsten Liebe zum Vater freiwillig alles hintan gibt. Solches ist ganz eigentümlich im Charakter der Liebe; – dass man aber andererseits für solch ein geringes Opfer etwas Unaussprechliches zu erwarten hat, das kann mir die ganze Ewigkeit nicht absprechen!
[2.63.6] Wir haben hier zwar nach unserer geistigen Lehre die große Fähigkeit zugute, als Geister alle Tiefen der Schöpfungen Gottes zu bereisen und sich unaussprechlich zu erlustigen an Seinen ewig zahllosen allermannigfaltigsten Wunderwerken; aber wie es mir so tief ahnend vorkommt, so können die Kinder Gottes das mit einem Blick übersehen, wozu wir Ewigkeiten brauchen. Wir haben wohl Macht, als Geister die Dinge unserer Welt und wie ausfließend auch noch anderer von dieser abhängenden Welten zu ordnen; aber die Kinder Gottes, als mit Gott allernächst und intimst vereint, sind sicher Mitschöpfer. Und während wir doch immer nur Materielles zu ordnen haben, so haben aber die Kinder aus Gott, ihrem Vater, die Macht nicht nur über die gesamte endlose materielle Schöpfung, sondern auch über alle geistige Kreatur.
[2.63.7] Siehe, das ist meine Meinung, für deren Wahrheit ich alles zum Pfand biete, was immer ich nur auf dieser Welt mein nennen darf. Du hast freilich wohl gesagt, dass ein Kind ohne den Willen des Vaters sich nicht über die Schwelle bewegen darf, darf sich selbst keine Speisen nehmen und muss wohnen in einfachen Hütten. Das lasse ich alles recht gerne zu. Aber wenn man als Kind Gottes mit einem Blick alle endlosen Herrlichkeiten Gottes überschauen kann, da möchte ich doch wohl wissen, wozu man seine Füße über die Schwelle setzen sollte? Wenn man ferner in der vollkommenen schöpferischen Fähigkeit mit Gott Selbst im ewigen Zentrum steht, von wo aus alle zahllosen Geschöpfe ernährt werden, da möchte ich auch den Grund wissen, der einen nötigen würde, sich selbst eine Kost zu nehmen, so man im Zentrum alles Lebens steht. Und eben also, denke ich, steht es mit der Einfachheit der Wohnung der Kinder Gottes. Ob jetzt eine Hütte oder ein Palast, das wird doch etwa alles eins sein, so man in sich selbst alle Herrlichkeiten Gottes anschaulich vereinigt.
[2.63.8] Wenn man in der Herrlichkeit über alle Unendlichkeit und Ewigkeit sich befindet, welche einem alle Geschöpfe in der Unendlichkeit nicht im Geringsten zu schmälern vermögen, da kann man gleichwohl ein allergeringster Diener sein und ein Knecht aller Knechte; denn was verliert ein solcher dadurch? Muss ihm darum nicht, wenn es sein muss, dennoch die ganze Schöpfung auf einen allerleisesten Wink den pünktlichsten Gehorsam leisten?
[2.63.9] Es ist wahr, unsere Geister haben auch Kraft und Gewalt, zu beherrschen die eigene Welt, aber sind sie darum Herren derselben? O nein! Sie tun zwar, was sie wollen, aber sie können nicht wollen, was sie wollen. Unser Wille liegt in eurem Grund, ihr aber seid frei in dem Wollen Dessen, der euer Vater ist!
[2.63.10] Hoher Gesandter des Herrn! Ich glaube, dass ich die Sache richtig bemessen habe; dessen ungeachtet aber bitte ich dich, du möchtest mir darüber noch einige Wörtlein schenken, damit ich aus denselben erkennen möchte, inwieweit mein Urteil mit der allerhöchsten Wahrheit verwandt ist.
[2.63.11] Nun spreche ich und sage: Höre, mein achtbarer Ältester dieses Ortes! Ich wusste es ja, dass du in dir das rechte Licht finden wirst, so ich dir dazu nur den rechten Weg gezeigt habe. Dein Urteil ist richtig; du hast diesmal das Wesen der Kindschaft Gottes genau erkannt. Wie du die Sache bezeichnet hast, also ist es auch; aber mit der Demut und mit der Liebe bist du dadurch denn doch wieder genötigt, das dir von dir früher so gerühmte „Weniger“ zu erlangen.
[2.63.12] Was aber wird sich da machen lassen? Denn siehe, du bist weder mit dem einen noch mit dem anderen zufrieden. Beim Mehrerlangen ist dir die Demut und die Liebe ein schlechtes Mittel, also keine Tugend; das Wenigererlangen für solche Tugend kommt dir als eine Torheit vor. Wie soll die Sache demnach bestellt sein, dass du zufriedengestellt werden möchtest? Ich will dir dieses Rätsel lösen.
[2.63.13] Siehe, du bist noch in dem Begriff, dass man nur dann mehr bekommen müsse, wenn man mehr verlangt, und weniger, wenn man wenig verlangt. Ich aber sage dir: Das ist ein geschöpflicher Maßstab; aber beim Schöpfer ist da ein ganz umgekehrter Fall. Der viel verlangt, wird wenig empfangen; der wenig verlangt, wird viel empfangen; und wer nichts verlangt, dem wird alles zuteilwerden!
[2.63.14] Diese Sache möchtest du wohl ein wenig unnatürlich finden; aber siehe, es gibt ja auch bei dir ähnliche Verhältnisse, und du handelst in dieser Hinsicht durchgehends nicht anders, als da handelt der Herr. Wenn dir z. B. jemand einen geringen Dienst erweist, verlangt dafür aber einen großen Lohn, wie wird er in deinem Herzen empfangen sein? Du sagst: Da wird er gering empfangen sein. – Wenn er dir aber einen großen Dienst erwiesen hat, und verlangt wenig dafür, wie wird der in deinem Herzen empfangen sein? Du sprichst: Der wird groß empfangen sein. – Wenn dir aber jemand alles getan hat, was du nur immer wünschst, und verlangt am Ende nichts von dir, denn er tat alles ja nur aus Liebe zu dir, sage, wie wird der in deinem Herzen empfangen sein? Du sprichst: Diesen werde ich zu meiner Rechten setzen, und er soll in allem mit mir in gleichem Besitz stehen; denn solcher hat sich mein Herz in der Fülle zinspflichtig gemacht!
[2.63.15] Siehe, mein achtbarer Ältester, das ist auf ein Haar das Verhältnis Gottes zu Seinen Geschöpfen; und tust du das Letzte, so bist du ein Kind Gottes und wirst ebenfalls von Ihm zu Seiner Rechten gestellt werden. Solches bewirkt die Liebe, denn Gott sieht nicht auf das alleinige Werk, sondern allein auf die Liebe. Geht das Werk aus der Liebe hervor, dann hat es vor Gott einen Wert; geht es aber nur aus der alleinigen Weisheit hervor, dann hat es entweder keinen Wert, oder nur insoweit einen, inwieweit die Liebe damit im Spiel war. Nun weißt du alles, und ich habe dir nichts mehr zu sagen. Willst du den dir klarst bezeichneten Weg wandeln, so weißt du nun recht wohl, welch ein Ziel du erlangen kannst; bleibst du aber, wie du bist, so wirst du ebenfalls dein gutes Ziel erreichen, aber nur das der so ganz eigentlichen Kindschaft Gottes nicht.
[2.63.16] Nun seht, unser Ältester wird ganz demütig und überdenkt wohl meine Worte. Er wird sobald eine Anrede an seine Kinder zu machen anfangen; diese wollen wir noch anhören, sodann dieses Volk segnen und uns sogleich von dannen begeben.
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