Hier ist Dein Kapitel

36. Das dritte Stockwerk und dessen Entsprechung. Die geistige Entwicklung eines Menschen

(Am 4. Juli 1843 von 4 1/4 – 6 Uhr nachmittags.)

[2.36.1] Wir hätten auch diese vierte Galerie oder das dritte Stockwerk erreicht. Dass hier nun alles noch ums Vielfache herrlicher und verklärter ist als in den vorigen Stockwerken, braucht kaum besonders erwähnt zu werden.

[2.36.2] Ein Blick in diese in tausend allerglänzendsten Farben flammend strahlenden Galerien zeigt uns mit mehr als sprechender Klarheit, von welch unaussprechlicher Schönheit diese vierte Galerie ist; aber das sonderbare Gefäß im Säulenrondeau verdient eine nähere Beachtung. Beschaut es genau, und das von allen Seiten, und ihr werdet am Ende sagen müssen: Fürwahr, das sieht eher einem Schiff als irgendeinem Gartengefäß ähnlich. Und dennoch ist dieses schiffartige Gefäß gefüllt mit rötlich-blau schimmernder Erde, aus welcher in der Mitte des Gefäßes ein ganz tüchtiger Baum emporgewachsen ist, dessen Stamm von blendend weißer Farbe und glatt ist wie poliertes Silber. Die Äste und Blätter auf demselben aber gleichen so ziemlich den Ästen und Blättern eines Feigenbaumes auf der Erde, nur sind die Äste glänzend rot wie Korallen im Grund des Meeres, und die Blätter sind blau-grün, an den Rändern mit kleinen wie Gold glänzenden Streifchen verbrämt, und über den Blättern zeigen sich im Ernst schon Knospen, darunter einige völlig zum Aufbruch zeitig sind.

[2.36.3] Das schiffartige Gefäß aber scheint aus hellrotem Gold zu sein und ist am Rand herum gar überaus zierlich mit einem verhältnismäßig festen, von durchsichtigem Gold angefertigten Geländer umfasst, aus welchem Geländer kleine nach innen zu gebogene Röhren auslaufen und, wie es sich zeigt, fortwährend das Erdreich im Gefäß mit Wasser tropfenweise befruchten. Und das Wasser hat einen Wohlgeruch wie das allerfeinste Nardusöl. Und der Boden des Säulenrondeaus scheint aus einer ähnlichen Masse verfertigt zu sein wie der große Hofraum zwischen der dreifachen Ringgalerie und diesem Hauptzentralgebäude; denn man kann hinsehen, wie man mag und will, so wellt und wogt es immer auf seiner Oberfläche, und dennoch wissen wir, dass er sicher fest ist.

[2.36.4] Merkwürdig sind dazu noch die einzelnen Säulen dieses Rondeaus. Ihre Farbe ist lichtgrau, aber durchsichtig, und in der Mitte einer jeden Säule scheint es lichtrot in gewundenen Röhren auf- und abzusteigen, wie eine rote durchsichtige Flüssigkeit, welches der ganzen Säule ein sonderbar merkwürdig erhabenes Ansehen gibt. Und merkwürdig ist dabei, dass all die anderen Säulenrondeaus und ihre Säulen auf eine ganz haargleiche Weise in allem gestellt sind. In ihrer Mitte ist überall ein solches Schiffgefäß mit einem Baum, und überall entdecken wir in der Mitte der Säulen gewundene Röhren, in welchen gleichmäßige rote Flüssigkeit auf- und absteigt. Also sind auch die Rundtreppen innerhalb eines solchen Säulenrondeaus hier scheinbar etwas steiler gehalten als wie in den früheren und scheinen aus einer Masse zu sein, welche unserem dunkelgrünen Glas gleicht, nur dass das Glas der Erde kein Eigenlicht hat und somit auch nicht mit einer so lebendigen Farbe förmlich in sich selbst zu glühen vermag.

[2.36.5] Also ist es richtig, meine lieben Freunde und Brüder; aber was mag dieses alles wohl besagen? Wir wollen nicht lange herumgreifen und herumstehen, sondern die Sache gleich beim rechten Ort anpacken.

[2.36.6] Was den in diesem schiffartigen Gefäß vorkommenden Baum betrifft, so haben wir bereits in der vorigen Galerie erfahren, dass er aus der dortigen Vase hierher überpflanzt wird, so er dort die gehörige Größe erhalten hat. Was geschieht denn aber hier mit ihm, so er auch da für dieses Gefäß zu mächtig wird? Wir haben ähnliche Alleen schon passiert. Wenn er hier die Früchte getragen hat, dann werden die Früchte abgesammelt und der Baum wird mit leichter Mühe hinaus versetzt in die Alleen und anderen Baumgruppen, allda er dann fortwährend blühen und Früchte tragen kann in die große Menge. Und hat er dort einmal ausgedient, so wird sein Holz genommen und seine Äste und sein Laubwerk und wird alles dieses auf den Altar gelegt, den ihr zuerst gesehen habt in der Allee, dann auf diesem Altar angezündet und somit Gott geopfert. Das wäre sonach das Schicksal des Baumes; – aber wir haben noch das Gefäß vor uns.

[2.36.7] Warum hat denn dieses solch eine schiffähnliche Gestalt? Weil das Schiff auch hier auf diesem Weltkörper ein tragbares Fahrzeug über der Oberfläche des Gewässers ist. Um aber anzuzeigen, dass für den Baum hier noch keines Bleibens ist, wird ihm ein solches Gefäß gegeben. Der wogende Boden stellt scheinbar einen noch untüchtigen Grund vor, auf dem man kein Standquartier machen kann. Die graue Farbe der Säulen bezeichnet die Wehmut über das noch nicht beständige Leben des Baumes, und der rote rollende Saft in den gewundenen Röhren zeigt an, dass das wahre Leben in der Mitte aller äußeren Festigkeit wallen muss, wenn das äußere Leben fest und bleibend werden sollte zur beständigen Tragung und freien Bewegung des inneren Lebens. Das bedeuten sonach die Form und Beschaffenheit der Säulen eines solchen Säulenrondeaus.

[2.36.8] Die etwas steiler empor gehende Treppe bezeigt, dass der Fortschritt auf einem nicht festen Grund schwieriger und manchmal aufhaltender ist, als wenn man seine Schritte über das feste Land tun kann. Noch verständlicher gesprochen bezeigt die etwas steiler aufwärts gehende Treppe, dass der Mensch, wenn er einmal zu einer selbständig moralischen Wesenheit geworden ist, durch die alleinigen Tropfen der Erkenntnis schwerer vorwärts und aufwärts kommt, als wie ihm da anzeigt der rote in der Mitte der Säule leicht auf- und absteigende Saft, durch welchen dem freien moralisch gewordenen Menschen noch etwas verhüllt, aber doch fasslich klar genug gezeigt wird, der welche Weg zur Erreichung der wahren Höhe des Lebens der tauglichste und am wenigsten beschwerlichste ist.

[2.36.9] Durch die Röhrchen, welche vom Geländer des schiffartigen Gefäßes sich einwärts bogen, sehen wir zur Befeuchtung des Erdreiches Tropfen fallen; aber in der Mitte der Säulen steigt fortwährend eine ununterbrochene Masse Saftes auf und ab. Was bezeigt denn solches? Die Tropfen aus den Röhrchen sind die Erkenntnis von außen her und sind gewisserart nie ein Ganzes, sondern allzeit nur ein Stückwerk; und durch sie wird auch zumeist das äußere Formleben gebildet, aber nicht das inwendige einfache Hauptleben.

[2.36.10] Also wird auch der Mensch durch allerlei Erkenntnisse wohl recht fein gebildet, bleibt aber bei all seiner großgelehrten Bildung ein zerstreuter, aber kein in eins versammelter Mensch, und gleicht als solcher einem Baum, der in einem Schiff wächst, da er nämlich keine Festigkeit hat und für ihn in dieser Art noch keines Bleibens ist. Das Beste an ihm ist, wenn er auf den vielen und bunten Zweigen seiner äußeren Erkenntnisse gute Früchte bringt; diese werden behalten, aber der Baum nicht. Aber die Säule, die ein vereintes Leben wallen lässt in ihrer Mitte, bleibt fort und fort als eine feste, herrliche Stütze zur Tragung des Reiches Gottes.

[2.36.11] Seht, das alles bezeigt so ein vor uns stehendes Säulenrondeau in dieser vierten Galerie; und ihr könnt von dieser Erkenntnis den sehr leichten Schluss machen, dass Menschen, die ihre Gebäude in solch einer hohen Entsprechung des Lebens aufführen, sicher überaus weise sein müssen. Solches bezeigt auch ihre strahlende Schönheit. Diese Menschen, die in dieser vierten Galerie wohnen, haben auch Entsprechung mit allem dem, was ihr hier seht. Sie sind überaus weise und schön, und das mehr als alle, die wir bisher gesehen haben.

[2.36.12] Darum wollen wir sie auch nicht ansehen, da deren Anblick euch eher einen Schaden als einen Nutzen bringen könnte, denn, wie ich schon bemerkt habe, ihr müsst eher von der großen Pracht und Weisheit bei der Beschauung dieses Zentralgebäudes förmlich abgestumpft werden, alsdann werdet ihr erst fähig sein, auch die Menschen, welche zu vielen Tausenden in diesem übergroßen Gebäude wohnen, in den Augenschein zu nehmen. Und so werden wir uns sogleich wieder höher, in das vierte Stockwerk oder in die fünfte Galerie, begeben und alldort wieder eine neue Pracht, Herrlichkeit und Weisheit dieser Menschen erschauen. Und so denn erheben wir uns über diese, wenn schon ein wenig steilere Treppe.

TAGS

Kein Kommentar bisher

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Letzte Kommentare