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91. Die Hingabe an den Herrn ist gleich der kindlichen Hingabe an den guten Vater. Rettung der Seelenschläfer

(Am 8. April 1843 von 4 1/4 – 6 1/4 Uhr abends.)

[1.91.1] Der Prior spricht: O lieber und allerschätzbarster Freund und Bruder! Dieser unschätzbar herrliche Gedanke ist auch der völlige Meister meines Gefühles geworden. Ich sehe die sichere Vollendung im Herrn nur gar zu gründlich ein; aber solches sehe ich auch daneben allzeit ein, wie endlos unwürdig wir alle zusammen solch einer außerordentlichsten heiligen Hilfe sind.

[1.91.2] Der schlichte Mann spricht: Lieber Freund und Bruder! Ich sage dir: Das ist aber an dir und deinen Brüdern auch das Beste, so ihr das lebendig einseht, denn solange jemand glaubt, dass er etwas tun könne, oder dass er der göttlichen Gnade und Erbarmung würdig sei, so lange auch darf er darauf rechnen, dass ihn der Herr wird harren lassen, bis sich nicht all solcher törichte Wahn in ihm verzehren wird. So er aber zu deiner gegenwärtigen inneren Ansicht kommt, dass er nichts ist und nichts vermag, sondern dass der Herr ist alles in allem, der Erste und der Letzte, das Alpha und das Omega, dann erst gibt er sich dem Herrn freiwillig ganz hin, und der Herr ergreift ihn da und führt ihn den gerechten Weg.

[1.91.3] Und so meine Ich denn nun auch in dieser deiner Hinsicht: Lege du alle deine Liebe zu deinen Brüdern und alle deine Sorge um sie vor die Füße des Herrn, umfasse dieselben mit deinem Herzen über alles heißliebend und du wirst dich sicher überzeugen, dass der Herr gerade da tätig zu werden beginnt, wo der Mensch aus seiner demütigen inneren Erkenntnis alle seine nichtige Tatkraft und überschwache Willensmacht dem Herrn liebend übertrug. Denn es ist solches ja schon unter den Menschen der Fall, die da haben ein weltlich Oberhaupt unter sich.

[1.91.4] Solange jemand sein Vermögen selbst verwalten will, so lange wird sich das leitende Oberhaupt um ihn nicht kümmern und nicht nachforschen, wie er sein Vermögen verwaltet. Hat aber jemand seine Schwäche in der Verwaltung seines Vermögens eingesehen, nimmt dann sein gesamtes Vermögen, geht damit zum redlichen Oberhaupt, zeigt ihm solches an und bittet zugleich in aller aufrichtigen Liebe und gehorsamen Demut seines Herzens, dass das Oberhaupt sein Vermögen übernehmen und sonach gänzlich für ihn sorgen möchte, da wird dann das Oberhaupt auch das Vermögen übernehmen und es geben in die Hofbank, und der redliche schwache Bittsteller wird pünktlichst und reichlichst seine Interessen erhalten. Solches ist also, wie gesagt, auf der Welt schon gar vielfach der Fall unter den Menschen, wennschon freilich wohl in einem bei weitem unreineren und liebloseren Sinne.

[1.91.5] Wenn aber schon die törichten Menschen auf der Welt ihr materielles Vermögen so gestaltet gut an den Mann zu bringen verstehen und sich dadurch eine sorglose Lebensrente verschaffen, um wie viel mehr soll da erst der bei weitem weisere Geistmensch einsehen, wer der allervollkommenste Verwalter und Sorger für alle die Lebensbedürfnisse des geistigen Menschen ist, so dieser Ihm zuvor alle seine Lebenskapitalien völlig übergeben hat.

[1.91.6] Zudem spricht Sich ja auch noch obendrauf der Herr in dem Evangelium offenkundig aus, zu wem alle die Mühseligen und Beladenen kommen sollen, um die rechte Erquickung zu finden, und auf wen sie alle ihre Sorgen übertragen sollen. Wenn du dieses so recht überlegst, so wirst du auch gar leicht und gar bald finden, dass deine Sorge für diese deine Brüder bei aller deiner Liebredlichkeit ein wenig eitel ist.

[1.91.7] Du möchtest es durch die völlige Erlösung deiner Brüder wenigstens so weit bringen, dass du vor dem Herrn sagen könntest, auch du seiest ein allernutzlosester Knecht gewesen. Siehe, so gut zwar die Sache an und für sich klingt, so liegt aber in Anbetracht auf den Herrn und auf deine Verdienstlichkeit dennoch etwas Eitles daran, denn du willst dadurch eigentätig dem Herrn zwar einen guten Dienst erweisen, nach dem erwiesenen Dienst aber dennoch tun, als hättest du keinen Dienst getan, um dadurch dir bei dem Herrn ein Lob zu bereiten. Ich aber sage dir, dass es in diesem Reich noch gar viele gibt, die da sagen: Ich bin der Letzte und Allergeringste vor Gott. Die aber solches von sich aussagen und bekennen, möchten eben dadurch sich bei dem Herrn in eine besondere Gunst setzen, um zufolge des Ausspruches des Herrn Selbst in dem Evangelium wohl gar die Ersten und Größten im Reich Gottes zu werden.

[1.91.8] Der Herr aber spricht auch auf einem anderen Ort: Wenn ihr nicht werdet wie diese Kindlein, so werdet ihr nicht eingehen in das Reich Gottes. – Wie und warum denn aber? Siehe, weil die Kindlein wirklich die Geringsten und Kleinsten sind, indem sie alle ihre Sorgen auf den alleinigen Vater übertragen. Wo ist wohl das Kind, das da sorglich zu seinen reichen Eltern sagen möchte: Was werden wir essen und trinken, und wovon werden wir uns bekleiden? – Siehe, solche Sorge ist den Kindlein fremd. Wenn es sie hungert und dürstet, so laufen sie zum Vater und bitten ihn um Brot und um einen Trank, und der Vater gibt es ihnen. Sie bitten ihn sogar nie um ein Kleid. Wenn es ihnen aber kalt ist, das merkt der Vater gar wohl und gibt ihnen nicht nur ein warmes, sondern auch ein schönes, stattliches Kleid, weil sie seine lieben Kindlein sind.

[1.91.9] Also siehe nun, mein lieber Freund und Bruder, gib auch du dich so ganz dem Herrn hin und sei versichert, Er wird dich sicher nicht weniger versorgen mit allem, was dir nottut, und das sicher um vieles eher und ums Unaussprechliche besser, als da ein irdischer Vater reichsten Standes seine Kinder versorgt und ihnen alles Nötige gibt.

[1.91.10] Der Prior spricht: Höre, lieber Freund und Bruder, so schlicht und einfach du sonst auch aussiehst, so muss ich dir aber dennoch bekennen, dass diese deine Worte noch ums Unvergleichliche erhabener und wesenhaft wahrer klingen, als die des von mir dir früher erwähnten himmlischen Boten des Herrn. Ja, du hast mir jetzt nicht nur die lebendigste Wahrheit aller Wahrheiten gezeigt, sondern ich muss dir offenbar gestehen: Diese deine Worte haben mich mit einem so lebendigen Trost erfüllt, dass ich mir darob aus lauter demütigster Dankbarkeit und Liebe gegen den unaussprechlich liebevollsten himmlischen Vater wie gänzlich vernichtet vorkomme.

[1.91.11] Die Worte des erhabenen Boten des Herrn waren für mein Gefühl wie eine raue Feile, mit welcher er (ewig Dank der göttlichen Erbarmung!) mir meine vielen und allergröbsten Irrtümer herabgefeilt hat; auch waren sie nicht selten wie ein scharfes Schwert, welches einen durch und durch schmerzlichst verwundet, obgleich dadurch das Irrleben erzeugende Blut hinausgelassen wird.

[1.91.12] Deine Worte aber, o Freund und Bruder, sind dagegen wie ein allerheilsamster lieblichster Balsam; o ich kann es dir gar nicht beschreiben, wie gar unaussprechlich wohl mir bei jedem deiner Worte geworden ist! Ich bin nun auch so weit gekommen, dass ich dich aufrichtigst und allerlebendigst versichern kann, um aus meinem innersten Gefühl heraus lebendigst zu sagen:

[1.91.13] O Herr, du allmächtiger, überheiliger, überguter Vater, nun geschehe für mich und für alle diese meine armen Brüder Dein allein allerheiligster Wille! Alle meine Sorge und all meinen Willen lege ich Dir zu Deinen allerheiligsten Füßen; und was Du mit mir machen, was Du mir geben willst, in allem dem auch geschehe Dein allein heiliger Wille! – O du himmlisch lieber Bruder du! Du musst sicher noch ein größerer Freund des Herrn sein, als da ist der frühere erhabene Bote. Du musst mir aber vergeben; denn diese deine Rede hat mich mit einer solchen Liebe auch zu dir erfüllt, dass ich nicht umhinkann, dich zu umarmen und dir dadurch meine Dankbarkeit für deine himmlische Lehre durch meine allerwärmste Bruderliebe abzustatten. Fürwahr, so wenig ich den allerliebevollsten heiligen Vater ewig je werde zu lieben aufhören, so wenig werde ich auch je in meinem Herzen deiner vergessen!

[1.91.14] Der schlichte Mann spricht: Ja, Mein lieber Bruder und Freund, komm her und liebe Mich, denn das ist ja des Herrn Wille, dass sich alle Brüder im Herrn lieben sollen! – Seht, wie nun unser Prior auf den noch unbekannten schlichten Mann hinstürzt, Ihn umfasst und nach aller Kraft an sein Herz presst, und der schlichte Mann denselben Akt dem Prior ebenfalls noch lebendiger erwidert. Was meint ihr wohl, ob solches ein günstiges oder ein ungünstiges Zeichen für den Prior ist? Ich sage euch, solch ein Zeichen ist von jeher günstiger Art; denn das liegt von Ewigkeit so ganz eigentümlich im Charakter des Herrn, dass Er samt uns allen Seinen himmlischen Boten an einem zurückgekehrten verlorenen Sohn die allergrößte Freude hat.

[1.91.15] Nun hat sich aber auch, wie ihr seht, unser liebendes Paar wieder ausgelassen, und der schlichte Mann spricht nun zum Prior: Mein lieber Freund und Bruder, da siehe nur einmal hin, wie es Mir vorkommt, so hat sich während unseres Gespräches und während unserer brüderlichen Liebesumarmung die ganze Kluft verloren, und Ich meine, es wird nun gar nicht mehr schwer werden, die armen Brüder herüberzuholen. Daher gehen wir nun hin und zeigen ihnen solches an.

[1.91.16] Nun gehen die beiden hin zu den nackten Seelenschläfern, und diese erheben sich und schauen mit erstaunten und dankbarst freudigen Augen hin, da ehedem die schaurige Kluft war. Der schlichte Mann spricht zu ihnen: Seht, die Kluft ist nicht mehr, daher folgt uns unbesorgt. – Die Nackten aber sagen: O lieber Freund und erhabener Bruder, wir sind nackt und getrauen uns so kaum auf die hellere Stelle dieses unseres ehemaligen Refektoriums. – Der schlichte Mann spricht zu ihnen: Sorgt euch nicht um ein Gewand, denn Derjenige, der sich eurer erbarmt hat und zunichtegemacht diese Kluft, der hat auch schon für gerechte Kleidung gesorgt. Seht, dort in der Mitte dieses Gemachs, am Tisch, werdet ihr finden, was euch nottut; daher geht und folgt uns!

[1.91.17] Seht, nun gehen sie hervor, und der Prior, von zu großer Liebe für diesen seinen lieben Bruder ergriffen, spricht zu Ihm: Nein, lieber himmlischer Freund und Bruder, für diesen deinen Liebesdienst kann ich dich nicht, uns gleich, einhergehen lassen, sondern ich bitte dich, lass dich tragen von mir!

[1.91.18] Der schlichte Mann spricht: Mein lieber Bruder, lass das gut sein. Denn wenn es darauf ankäme, so könnte Ich wohl eher dich samt allen deinen Brüdern tragen, so weit du nur wolltest, als dass du Mich trügest auch nur zu dem Tisch hinüber. Dass du Mich aber nun trägst in deinem Herzen, o Bruder, das ist Mir lieber ums Unaussprechliche, als so du Mich tragen möchtest und vielleicht auch getragen hast in deinen Händen. Du fragst Mich wohl, wie Ich es mit dem „Vielleicht“ meine. Ich sage dir aber: Kümmere dich nun nicht mehr darum, zu seiner Zeit wird dir schon alles klar werden. Daher lass uns nun ziehen zum Tisch hin, damit diese unsere Brüder dort ihr gerechtes Gewand nehmen.

[1.91.19] Und der Prior spricht: Ja, ja, lieber Bruder, wie es dir recht ist, so ist es auch mir im vollkommensten Maße [recht]. Das „Vielleicht“ geht mir freilich noch ein wenig herum in meinem Kopf, aber es sei auch dieses dem Herrn zu Seinen allerheiligsten Füßen gelegt, und somit geschehe Sein und dein Wille.

[1.91.20] Seht, nun gehen sie allesamt an den Tisch, und wie ihr auch bemerken könnt, so sind alle die armen Brüder auch schon, ohne Kammerdiener, bekleidet. Ihr Kleid sieht zwar freilich noch nicht ganz himmlisch aus, aber es ist ein Kleid der Gerechtigkeit, und entspricht der Liebe zum Herrn in ihnen. – Was weiter, wird die Folge zeigen.

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