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89. Rede und Gebet des Priors überzeugen die Seelenschläfer

(Am 6. April 1843 von 5 1/4 – 6 3/4 Uhr abends.)

[1.89.1] Seht, unser Prior bewegt sich bereits wieder zu den Seelenschläfern. Diesmal aber muss auch ich mein den Seelenschläfern gemachtes Versprechen halten und zu ihnen kommen. Daher gehen wir dem Prior nach, damit ihr seht, was da geschehen wird. Seht, wir sind samt dem Prior auch schon an Ort und Stelle; daher geben wir hier etwas im Verborgenen Acht, was alles unser Prior mit den Seelenschläfern machen wird. Er ist nahe an der Kluft und beginnt soeben seine Anrede.

[1.89.2] Habt also Acht; denn er spricht: Liebe Brüder! Ihr wisst, was uns stets getrennt hat in unserem Konvent; es war nichts als eine Meinungsverschiedenheit über den Zustand nach dem Tod des Leibes der Seele. Ihr behauptetet, die Seele muss bis zum Jüngsten Gerichtstag in irgendeinem untätigen, sich kaum bewussten Schlafzustand verweilen und berieft euch zugunsten dieser eurer Meinung auf verschiedene Kirchenlehrer. Wir aber, die wir draußen sind, waren eurer Meinung schnurgerade entgegen und zeigten euch, wenn solches der Fall ist, dass die Seele nach dem Tod des Leibes sich in irgendeinem tatlosen, sich kaum bewussten Schlafzustand befindet, dass solchergestalt alle unsere zum Wohle der Seele gerichteten kirchlichen Funktionen so gut wie ein eitel leerer Trug sind, da sich bei solchem Zustand der Seele nach dem Tod weder ein Fegfeuer noch irgendein Grad der Hölle denken lässt.

[1.89.3] Trotz all dieses unseres Gegenbeweises habt ihr aber dennoch mit großer Heftigkeit eure Meinung behauptet. Und so war zwischen euch und uns fortwährend eine heimliche feurige Kluft, aus welcher fortwährend bei jedem Versuch, zu euch eine Brücke zu machen, Flammen emporschlugen, dieselbe allzeit zerstörend. Was sich in der Welt zwischen uns nur als eine moralische Meinung beurkundete, das beurkundet sich hier in erschaulicher Tatsächlichkeit.

[1.89.4] Nun aber will ich euch etwas anderes kundtun. Ihr wisst so gut wie ich von dem mächtigen Boten, der da zu uns gekommen ist, um uns alle aus unserem alten Irrwahn zu befreien. Dieser Bote hat mir übersonnenklar gezeigt, wie irrig und töricht wir in allem daran sind und zeigte mir einen neuen Weg zu gehen. Und dieser Weg ist kein anderer, als die alleinige Liebe zum Herrn Jesus Christus, der der alleinige Gott ist aller Himmel und aller Welten, und der in Seinem Wort von Sich Selbst ausgesagt hat, dass Er und der Vater Eines sind, und wer Ihn sieht, auch den Vater sieht. Und ferner noch ausgesagt hat: Wer Sein Wort hört und nach demselben lebt, der hat das ewige Leben in sich, und wer ebenfalls an Ihn glaubt, dass Er ist der eingeborene Sohn aus Gott, der wird ewig nimmer einen Tod schmecken!

[1.89.5] Dies also ist der Weg, ja ein ganz neuer Weg, den uns der Bote angegeben hat. Wenn wir sonach diesen Weg befolgen, diesen Weg wandeln und auf diesem Wege, also in dem alleinigen Herrn Jesu Christo, als wahre Brüder uns vereinigen, so wird diese nichtige Kluft zwischen euch und uns sobald eine gute Brücke bekommen, über welche wir samt und sämtlich in das Reich der göttlichen Erbarmung des alleinigen Herrn Jesu Christi werden gar wohlbehalten gelangen können.

[1.89.6] Erkennt euch daher! Werft euer altes, trügerisches Schlafgewand von euch und wendet euch samt mir an den alleinigen Herrn Jesus Christus, so wird Er, dem kein Verhältnis in der ganzen Unendlichkeit und Ewigkeit unbekannt ist, Sich nach Seiner unendlichen Liebe eurer erbarmen und sobald eine Brücke haltbarer Art über diese Kluft errichten, über welche ihr überaus wohlbehalten werdet wandeln können. Die Flammen in der Tiefe aber werden sicher auch sobald erlöschen, sobald ihr mit mir und somit auch mit allen anderen unseren Brüdern im Glauben und in der Liebe an den alleinigen Herrn Jesus Christus eins werdet.

[1.89.7] Nun hat der Prior ausgeredet, und einer jenseits der Kluft erwidert ihm: Guter Freund und Bruder! Deine Rede ist zwar löblich und voll guten Sinnes; was aber kann uns solches alles nützen, da du doch wissen musst, dass kein Mensch nach dem Tod des Leibes etwas Verdienstliches zum ewigen Leben wirken kann und daher hier auch aller Glaube und alle Liebe so gut wie vergebliche Gedanken des Geistes sind. Daher können wir dir gegenüber schon im Voraus versichern, dass uns allen deine an und für sich zwar gute Meinung hier gar wenig mehr fruchten wird.

[1.89.8] Nun spricht wieder der Prior: O liebe Freunde und Brüder, in eurer vermeintlichen Verdienstlichkeit ums ewige Leben liegt eben der für euer und unser Heil verderbliche Knoten begraben. Hat nicht der Herr, wie es mir der Bote gar deutlich gezeigt hat, zu Seinen Aposteln und Jüngern gesagt: „Wenn ihr aber alles getan habt, dann sagt: Wir sind unnütze Knechte gewesen.“

[1.89.9] Abgesehen aber von diesem Text, sagt mir, ihr lieben Brüder und Freunde, was Verdienstliches kann das ohnmächtige Geschöpf wohl gegenüber dem allmächtigen Gott tun? Wer aus euch hat je einen Grashalm oder auch nur eine Blattmilbe mit seiner Verdienst wirken wollenden Kraft erschaffen? Wer von euch allen war bei der Erschaffung aller Welten und Himmel dem Herrn auch nur als ein geringster Handlanger dienend zugegen? Was haben wir bei dem großen Werk der Erlösung mitgewirkt, auf dass wir dann sagen könnten, wir haben Gott dem Allmächtigen zu Hilfe etwas Verdienstliches geleistet? Was haben wir denn getan zuvor, als wir das erste Leben vom Herrn empfangen haben? Was Verdienstliches kann wohl ein schwaches Kind seinen Eltern tun, damit es dann zu ihnen sagen könnte: Gebt mir meinen verdienten Teil?

[1.89.10] Seht, also waren wir nicht nur völlig unnütze Knechte allzeit vor dem Herrn, sondern wir wähnten noch, als allerbarste irrwahnige Faulenzer, gegenüber dem Herrn etwas Verdienstliches getan zu haben. O Freunde, o Menschen, o Brüder und Sitten! Wie weit haben wir uns in solchem Irrwahn vom Ziel der ewigen Wahrheit entfernt! Hätten wir lieber auf der Welt geglaubt und das für die Welt angenommen, was wir auch hier angenommen haben, da stände es nun besser für uns, als es bis auf den gegenwärtigen Zustandspunkt noch steht.

[1.89.11] Da wir aber uns nicht mehr ins Zeitliche zurückversetzen können, so ist es aber nun in diesem unserem geistigen Zustand fürwahr die allerhöchste Zeit, welche Ewigkeit heißt, diesen großen Irrwahn einzusehen und in unserem Innersten vor dem Herrn diese unsere allergrößte Schuld allerreumütigst zu bekennen, derzufolge wir so lange in dem Wahn gestanden sind, je etwas Verdienstliches vor Gott zu unserem eigenen Seelenwohl gewirkt zu haben.

[1.89.12] Brüder! Schlagen wir uns auf die Brust und sagen einmal lebendig: O Herr! Das alles ist unsere alleinige größte Schuld, derzufolge wir nie aufhören werden, Dir, o heilige Liebe, ewige Schuldner zu sein! Brüder, ich bin überzeugt, wenn ihr solches lebendig in euch empfinden werdet, wie ich es nun allerklarst in mir empfinde, so werdet ihr sicher in einen anderen Zustand übergehen, und das über eine Brücke, von welcher wir bis jetzt alle noch keine Ahnung haben.

[1.89.13] Sprecht aber nun auch in euren Herzen mit mir und sagt es laut: O du allmächtige, heilige Liebe, du allerbarmherzigster Herr und Vater in Jesu Christo! Wir bekennen nun unsere alte, große Schuld vor Dir; wir sagen hier, dass wir allzeit nicht nur unnütze, sondern die allerschlechtesten Knechte vor Dir waren, und bekennen, dass all unsere vermeinte Verdienstlichkeit von unserer Seite Dir, o heiliger Vater, gegenüber ein Gräuel sein musste, bitten Dich aber dennoch hier in unserer äußersten und größten Not, dass Du uns gnädig und barmherzig sein möchtest! Lass uns hier zu wahren Brüdern werden, die sich allzeit durch Deine Gnade und Erbarmung lieben möchten und Dir geben in jeglichem Zustand alle Ehre, alles Lob und allen Preis! Und wir bitten Dich auch aus dem Grund unseres Herzens, dass Du, o heiliger Vater, uns nur diese allerhöchste Gnade verleihen möchtest, dass wir allergrößten Sünder vor Dir – Dich, o ewige Liebe, aber dennoch aus allen unseren Kräften lieben dürften!

[1.89.14] O Brüder, sprecht solches lebendig in euch und sagt am Schluss hinzu: O Vater! Was wir gebeten haben, haben wir zwar aus unserem Willen gebeten, wir bitten dich aber darum, dass Du Dich ja nicht etwa nach unserem Willen unser erbarmen sollst; denn nur Dein Wille allein ist heilig, und daher geschehe auch nur allein Dein allerheiligster Wille!

[1.89.15] Seht, diese Rede des Priors hat unsere Seelenschläfer ganz umgestimmt; darum sie auch ihre Kleider ausziehen und stehen nun nackt vor uns. Aber da seht nun auch zum Tor des Refektoriums; seht, es kommt soeben ein ganz schlichter Mann herein. Wisst ihr, wer der Mann ist? Ihr könnt es schon wissen; es ist Derjenige, an den sich der Prior gewendet hat! Jetzt aber wird auch erst die allgemeine Hauptszene vor sich gehen; daher dürft ihr hier mit Recht noch gar überaus Großes erwarten.

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