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88. Das alleinige Erlösungsmittel und die alleinige Brücke vom Tod zum Leben

(Am 4. April 1843 von 5 1/4 – 6 3/4 Uhr abends.)

[1.88.1] Und da seht ihr nun hin: Unser Prior kommt mit einem ganz verzweifelten Gesicht unverrichteter Dinge soeben wieder aus dem Kloster zurück und naht sich uns mit großer, zweifelvoller Bangigkeit seines Gemütes. Er wird sich vor uns auch sogleich zu entäußern anfangen, daher habt nur Acht darauf, denn daraus werdet ihr wieder um einen tüchtigen Schritt tiefer in die göttlichen Führungen eingeweiht werden.

[1.88.2] Der Prior ist bereits gegenwärtig und fängt an, seinen Mund zu öffnen. Also hören wir, denn er spricht: O Freund und Bruder! Was für eine Bewandtnis es vorerst mit deiner und dann auch mit dieser meiner Sendung hat, das wird wohl der Herr am besten wissen; aber ich werde auf keinen Fall klug daraus. Denn siehe, ich kam nach deiner Beheißung hinüber zu unseren seelenschlafenden Brüdern und wollte sie eben auch nach deiner Beheißung hierherführen. Aber was für eine Entsetzlichkeit musste ich da gewahr werden?!

[1.88.3] Siehe, zwischen mir und ihnen, die da heulten und wehklagten, war eine breite Kluft, aus welcher helle Flammen hervorschlugen. Hinter diesen Flammen waren meine Brüder fortwährend bemüht, irgend darüberzukommen; aber es war umsonst. Ich suchte Gegenstände über die Kluft zu legen, um ihnen dadurch eine Notbrücke zu machen. Allein, was immer ich über die Kluft legte, ward alsbald von den Flammen ergriffen und jählings verzehrt.

[1.88.4] Da ich also bei aller meiner Anstrengung und bei meinem besten Willen deiner Beheißung nicht zu entsprechen vermochte, so dachte ich mir, da das Unmögliche doch Gott Selbst von niemandem verlangen kann, so kann solches auch umso weniger ein von Ihm abgesandter Bote verlangen. Denn über diese Kluft eine Brücke zu machen, die dem schauerlichen Element Trotz bieten würde, war mir allerreinst unmöglich.

[1.88.5] Und so kehrte ich denn notgedrungen unverrichteter Sache wieder also zurück, wie ich abgesandt wurde und dachte mir, entweder habe ich deine Sendung nicht verstanden, oder du hast mich mit dieser Sendung einen handgreiflichen Beweis an mir selbst erfahren lassen, demzufolge ich ersehen sollte, wie völlig untauglich und ungeschickt ich zum Reich Gottes bin. Und ist es denn, wie es wolle, dachte ich mir ferner, eine nachträgliche Beleuchtung von deiner Seite wird hier wohl schier am allereigentlichsten Platze sein. Also bin ich denn wieder hier und habe dir kundgetan, wie es mit der Sache steht. Du aber magst tun, was du willst. Das sehe ich klar ein, dass wir alle dir nicht zu widerstreben vermögen. Und wärst du auch kein Bote von oben, so müsste sich aber unsere geringe Kraft dennoch von der deinigen unterjochen lassen, weil sie ihr nirgends auch nur im Allergeringsten zu opponieren vermag.

[1.88.6] Ich muss dir noch hinzubekennen, dass ich beim Anblick des großen Jammers meiner Brüder an deiner göttlichen Sendung nahe zu zweifeln angefangen habe; doch dachte ich mir wieder dabei, man müsse das Ende abwarten und dann erst urteilen. Daher warte ich auch hier nun deine verheißene Lösung ab und will nach derselben erst ein Urteil in mir selbst fällen, daraus mir klar wird, in was für Händen ich mich befinde.

[1.88.7] Nun spreche ich: Das kommt mir wirklich etwas sonderbar von deiner Seite aus betrachtet vor, dass du über deine feurige Kluft keine Brücke hast errichten können, nachdem sich doch das Oberhaupt der Kirche den sehr bedeutungsvollen Titel „Pontifex maximus“ [oberster Brückenbauer] beilegt, demzufolge sonach doch auch sicher alle unter seinem Szepter stehenden Priester pontifices minores [kleine Brückenbauer] sind. Und du als eben ein solcher pontifex minor, der du bei deinem Leibesleben gar viele Seelenmessen gelesen hast und dadurch in der Meinung warst, den abgestorbenen Seelen Brücken vom Fegfeuer in das Paradies zu bauen, nun nicht imstande bist, über die sehr schmale Kluft eine kleine Brücke zu bauen.

[1.88.8] Der Prior spricht: Lieber Freund und Bruder, mir geht schon ein kleines Licht auf; und wenn ich mich nicht irre, so hast du mich mit dieser Beheißung ein wenig anrennen lassen, damit ich daraus ersehen sollte, welch eine Bewandtnis es mit unseren Seelenmessen hat, wie auch mit allen anderen allzeit zu bezahlenden Sterblichkeitsfunktionen.

[1.88.9] Nun spreche ich: Ja, lieber Freund und Bruder, diesmal hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Weißt du, was das alleinige Erlösungsmittel ist und somit auch die alleinige Brücke vom Tod zum Leben? Du bedeutest mir, solches nicht völlig zu erschauen; ich aber sage dir: Blicke hin auf den Herrn! Was wohl hat Ihn bewogen, das gefallene Menschengeschlecht der Erde zu erlösen und somit jeglichem Bewohner der Erde eine ewig haltbare Brücke vom Tod zum Leben zu bauen? War es nicht Seine ewige, göttliche Vaterliebe? Du bejahst mir solches; gut! Ich sage dir aber noch etwas hinzu:

[1.88.10] Wenn ein König auf der Erde irgend Gefangene hätte, jemand aber möchte diesen Gefangenen helfen; die Gefangenen sind aber in einer starken Festung verwahrt, zu der niemand als nur der König den Schlüssel hat. Dieser Mensch aber, dem es um die Gefangenen bange ist, hat in die Erfahrung gebracht, dass der König durch nichts als lediglich nur durch eine große Demütigung vor ihm und dann durch eine große, alles andere auf die Seite setzende Liebe zugänglich ist.

[1.88.11] Da wir nun solches wissen, so frage ich dich: Wie wird es dieser Mensch denn anstellen müssen, um den Gefangenen einen Ausgang aus ihrer Gefangenschaft zu bereiten? Siehe, ich will es dir kundgeben. Er wird zuerst durch die Liebe zu den Gefangenen dahin bestimmt werden, einen sehnlichsten Wunsch zu haben, sie frei zu wissen. Siehe, das ist der erste Brückenkopf. Hat er diesen Brückenkopf errichtet, so wird er bedenken, dass ein König, der einzig nur durch Demut und Liebe zugänglich ist, ein überaus edler, guter und gerechter Fürst sein müsse. Und hat er solches bedacht, so wird er ebenfalls alle seine Demut und Liebe auf einen Punkt zusammenziehen und sie dem König zum Opfer bringen. Wenn er solches getan hat, so hat er den zweiten Brückenkopf vollendet.

[1.88.12] Da aber dann der überaus edle, gute und gerechte König ein solches Opfer sicher allerwohlgefälligst aufnehmen und unserem Brückenbauer mit einer noch viel größeren Liebe entgegenkommen wird als möglicherweise dieser zu ihm kam, so wird da dann doch etwa klar sein, dass die Liebe des Königs gar sicher sich mit der Liebe des Brückenmachers zu einem Zweck vereinen wird, und die Brücke über den Festungsgraben wird erbaut sein. Der König selbst wird kommen, das verschlossene Tor der Festung öffnen und alle die Gefangenen freimachen und wird sie herausführen aus der großen Schmach in das Land der Herrlichkeit!

[1.88.13] Nun, da wir dieses Bild noch hinzugefügt haben, so wird es dir etwa doch klar sein, aus welchem Stoff und wie eine Brücke erbaut werden muss, welche das Feuer des Eigennutzes, der Eigenliebe, der Selbstsucht, des Neides und der Zwietracht nicht zu zerstören vermag. Du sprichst nun: Ja, ich erkenne es, es ist die Liebe des Nächsten und die Liebe zu Gott in eins vereinigt.

[1.88.14] Gut, sage ich dir; also gehe hin und baue aus diesem Stoff eine Brücke, und du kannst versichert sein, dass diese Brücke ein wahrer, unzerstörbarer Felsen wird, welcher jeder Höllenmacht trotzt. Also wird er auch sein der wahre Schlüssel, mit welchem du wie jeder aus euch alle Gefängnisse werdet öffnen und die wahren Pforten des Himmels auftun können.

[1.88.15] Du hast auf der Welt zwar viele Messen gelesen und andere kirchliche Funktionen zur Wohlfahrt der verstorbenen Menschen verrichtet. Aber du bautest überall dadurch auf Sand und dein Baumaterial war selbst nichts als Sand, indem du nicht die Liebe zum Grund hattest bei all diesen Funktionen, sondern lediglich nur den kirchlichen Erwerb.

[1.88.16] Was davon und daraus für deine Brüder Ersprießliches hervorgegangen ist, hast du dich eben selbst überzeugt, denn deine materiellen Brückenversuche entsprachen deinen kirchlichen Funktionen. Nun aber gehe hin und baue eine Brücke aus dem lebendigen Felsen Petri, welcher ist die Liebe und ihr lebendiges Licht, und du wirst sicher eines anderen Erfolges gewahr werden, als es zuvor der Fall war.

[1.88.17] Glaube aber, dass nicht du, sondern nur der König allein die Gefangenen freimachen kann, so wird es auch geschehen, wie du aus deiner Liebe heraus lebendig glaubest. Und also gehe denn wieder im Namen des Herrn. Amen!

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