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55. Die neue Gegend ist viel angenehmer als der frühere Scheinhimmel. Erwägungen über die Liebe zur Dreieinigkeit, dem Altarsakrament und dem evangelischen Christus

(Am 9. Februar 1843 von 4 3/4 – 7 Uhr abends.)

[1.55.1] Unser Hauptredner spricht zu seiner Gesellschaft: Nein, aber das ist doch sonderbar! Bis jetzt habe ich geglaubt, die Geister können nur den Menschen auf der Erde so plötzlich unsichtbar werden; aber dass Geister Geistern ebenso könnten unsichtbar werden, das ist mir etwas ganz Funkelnagelneues. Frage jetzt nun, wer da fragen kann, wie dieser unfehlbar sicher nichts anderes als ein Engel seiende Geist so schnell sich unseren Blicken entwand, und ein anderer gebe ihm auf diese Frage Bescheid. Bei meinem armen Leben, ich bin der Meinung, man könnte auf der Erde eher einen Biss in den Mond machen, als auf diese Frage eine Antwort finden. – Ein anderer entgegnet ihm und spricht: Lieber Freund, sieh, das finde ich wieder nicht so sonderbar, denn ich habe auf der Erde zu öfteren Malen gehört, dass die Engelsgeister mit Blitzesschnelle reisen können. Wenn demnach dieser sichere Engelsgeist sich nun unseren Blicken so schnell entwand, so ist solches ja nichts anderes als eine sichtbare Bestätigung dessen, was wir auf der Erde schon zu öfteren Malen gehört haben.

[1.55.2] Ein dritter spricht: Liebe Freunde, es ist alles recht, was da die Engelschaft unseres vorigen Tafeldieners betrifft; aber zu einem so schnellen Fortfluge hätte er ja doch zuerst müssen seine Flügel flottmachen, und solange ich bei einem Engel keine Flügel sehe, glaube ich es noch immer nicht, dass er ein Engel ist. Denn es sollen ja von allen frommen Menschen auf der Erde die Engel allzeit mit Flügeln versehen erschaut worden sein, und niemand konnte dies außer nur im Zustand einer sogenannten geistigen Verzückung, also allzeit nur mit geistigen Augen. Wenn aber die frommen Menschen die Engel Gottes allzeit beflügelt erschauten, warum sollen denn wir solches nicht, da wir nun doch selbst sicher völlig Geister sind?

[1.55.3] Der erste Hauptredner spricht: Mein lieber Freund, da muss ich dir offenbar sagen, dieses Begehren beruht wohl auf einer sehr bedeutenden Geistesschwäche. Denn was die Flügel betrifft, so weiß solches ja jeder Mensch, dass diese nichts anderes als nur die große Schnelligkeit bezeichnen und sind somit bloß ein sinnbildliches Attribut, und es kann demnach ein solcher Geist gar wohl ein Engel sein, ohne gerade darum ein sichtbares Flügelpaar zu haben. Das Auffallende, wie ich gesagt habe, ist nur das, dass ein Geist dem anderen unsichtbar werden kann. Mich beirrt sogar das nicht, dass wir als Geister nicht so schnell vorwärts zu kommen imstande sind wie unser Tafeldiener, denn dazu wird wohl auch eine gewisse Übung notwendig sein. Und mit der Übung wird man in allem ein Meister. Aber, wie ich sage, das Unsichtbarwerden geht mir nicht aus dem Sinn. Lassen wir aber das. Wenn wir etwa noch einmal, wie er gesagt hat, mit ihm zusammenkommen dürften, da wird er es uns wohl aufklären.

[1.55.4] Beschaut aber dafür lieber diese gar wunderschöne Gegend; fürwahr, diese ist mir schon ums Tausendfache lieber als unser früherer hoher Himmel. Da möchte ich mich schon ansiedeln und so irgend dort auf den Bergen einen recht behaglichen Landmann machen. Seht nur einmal den herrlichen Graswuchs, diese wunderschönen Blumen, die schönen Baumalleen, wie es scheint, von edelster Fruchtgattung, und die kleinen Bächlein. Und da seht nur vorwärts hin, wie diese herrliche große Ebene mit den herrlichsten Gebirgsgruppen umlagert ist, und wie diese Berge durch die Bank mit den wunderschönsten palastähnlichen Gebäuden geziert sind. Und wenn mich mein Auge nicht täuscht, so entdecke ich auf den uns zunächstliegenden Bergen auch lebendige Wesen in weißen Kleidern vor den Palästen lustwandeln. Das lass ich mir gefallen! Diese Gegend schaut doch bei weitem eher einem Himmel gleich als derjenige Himmel, in dem wir uns als ewige Fresspolypen hätten befinden sollen.

[1.55.5] Ja, es ist eine helle Pracht; man sieht zwar hier von der Dreieinigkeit nichts, dafür aber erleuchtet eine herrliche Sonne diese Gegend. Und ich muss es euch aufrichtig gestehen, was da den Anblick der Dreieinigkeit betrifft, wenn ich so recht aufrichtig spreche, so kann ich denselben beim Anblick dieser Herrlichkeiten ebensoleicht entbehren, als wie ich denselben auf der Welt habe entbehren müssen; – aber dafür kommt mir eine andere Idee:

[1.55.6] Wenn man hier so irgendwo mit Christo dem Herrn zusammenkommen könnte, und zwar sogestalt, wie Er einst auf der Erde gelebt und Seine Apostel gelehrt hat, das wäre, so für mich genommen, zu allen dem wohl der allerhöchste Genuss. Denn ich muss euch noch eins von mir aus offen gestehen, der Anblick der göttlichen Dreieinigkeit ist wohl an und für sich sehr erhaben, aber ich müsste wirklich vom Grunde meines Herzens aus ein infamer Lügner sein, wenn ich von mir aus nur ein Haar groß behaupten könnte, dass mich dieser Anblick irgend liebewarm gemacht hätte. Ich habe mich wohl gezwungen, was es nur immer möglich war, aber ich konnte es nicht dahin bringen, alle die drei Personen gleichmäßig mit Liebe zu umfassen. Denn liebte ich den Vater, so konnte ich nicht auch zugleich den Sohn lieben, und wenn ich dessen in mir gewahr wurde, so kam mir der Gedanke, als könnte solches sowohl der Vater als der Sohn nicht günstig aufnehmen; wollte ich den Sohn allein lieben, so dachte ich nur, ob solches wohl dem Vater recht sei?

[1.55.7] Den hl. Geist als eine Taube zu lieben, da muss ich aufrichtig gestehen, da kämpfte ich mit meinem Herzen vergeblich! Denn in diesem Falle hätte ich ein Stück Holz ebenso gut lieben mögen als diese dritte göttliche höchst unpersönliche Person. Der hl. Geist also wurde von meiner Bitte am wenigsten beteiligt; und das darum, weil ich es nie so weit habe bringen können, Seinen Grund einzusehen und aus Ihm etwas zu machen! Vater und Sohn, die waren meinem Herzen stets näher, und wenn es nur nicht zwei gewesen wären, sondern entweder der Eine oder der Andere für sich allein, so hätte ich entweder den Einen oder den Anderen ganz entsetzlich zu lieben vermocht.

[1.55.8] Ich habe mir öfter gedacht, freilich wohl so ganz heimlich, wenn sich nur Christus einmal von Seinem hohen Thron irgendwohin begeben hätte, wo ich Ihn so allein erwischt, da hätte ich mich so recht zu Tode geliebt an Ihm. Aber mit der Liebe zu diesem unzugänglichen Licht, das heißt, ich will damit sagen, mit meiner viel zu kurzen Liebe habe ich mich, wie gesagt, weder dem Vater noch dem Sohn in Ihrem unzugänglichen Licht nähern können. Überhaupt finde ich es für die Natur ganz widernatürlich, ob es jetzt eine geistige oder eine leibliche ist, sich mit seiner Liebe so irgendwohin in die Unendlichkeit hinein zu verlieben, denn die Liebe fordert einen erreichbaren Gegenstand; etwas ewig Unerreichbares zu lieben aber möchte ich als eine allerbarste Tollheit erklären.

[1.55.9] Als ich noch auf der Erde war, da habe ich mir einmal vorgenommen, ob ich mich nicht in einen recht schönen Stern verlieben könnte. Ich betrachtete diesen Stern zu dem Behuf längere Zeit hindurch und presste dabei mein Herz so gut es nur immer ging, aber meint ihr, ich wäre imstande gewesen, eine wirkliche Liebe zu diesem Stern in mir zu erwecken, welche da gliche etwa der Liebe zu einem guten Freund oder zu einer liebenswürdigen Freundin? Oh, solches war ich nimmer imstande!

[1.55.10] So ging es mir auch mit der Liebe zu der Dreieinigkeit und, um nicht viel besser, mit der Liebe zum heiligsten Altarsakrament; denn so oft ich auch immer zur Kommunion gegangen bin und darauf mein Herz erforschte, ob es mehr am Sakrament oder mehr an meinem Weib und meinen Kindern hinge, so muss ich es zu meiner Schande bekennen, dass meine Liebe zu meinem Weib und zu meinen Kindern ums Unvergleichliche stärker war als die zum hl. Sakrament. Und so konnte ich die Dreieinigkeit wie das heiligste Altarsakrament niemals recht mit meinem Herzen ergreifen, sondern nur stets mit einer gewissen geheimnisvollen Heiligscheu näherte ich mich allem dem, ja, ich brachte es am Ende gar so weit in dieser geheimnisvollen Heiligscheu, dass ich die natürliche Liebe des Herzens gegen Gott als eine förmliche Sünde ansah.

[1.55.11] Nur mit Christus war es eine Ausnahme. Wenn ich Seine heiligen Evangelien las, da stellte ich Ihn mir immer wie gegenwärtig vor und habe mir dabei bei meinem armen Leben auch allzeit gedacht: Wenn ich die Gnade hätte, welche den Aposteln zuteil geworden ist, fürwahr, da wäre ich selbst ein Apostel geworden und hätte mit der geringsten Mühe von der Welt, aus bei weitem überwiegender Liebe zu Ihm, Weib und Kinder verlassen! Ja, ich muss euch auch sagen, dass ich im Grunde, wenn ich so recht nachdenke, alles nur aus Liebe zu dem evangelischen Christus getan habe, wozu mich freilich wohl einige glückliche Träume von Ihm am meisten lieblichst genötigt haben.

[1.55.12] Aber was dann wieder die hl. Dreieinigkeit betrifft und das heiligste Altarsakrament, da blieb ich unwillkürlich ein immerwährender Andachtsmärtyrer meines Herzens. Denn für diese zu außerordentlich geheimnisvollen allerunbegreiflichsten göttlichen Erhabenheiten war mein Herz wie von einem ewigen Nordpoleis umlagert. Liebe Freunde, ich will aber dieses Bekenntnis etwa niemandem aufdringen, sondern ich habe nur in dieser freien Gegend auch meinem Herzen einmal eine rechte Luft verschafft. Ihr könnt dasselbe tun; denn bis wir erst den angezeigten Palast werden erreicht haben, wird noch eine kleine Zeit verstreichen.

[1.55.13] Mehrere aus der Gesellschaft melden sich und sagen: Lieber Freund und Bruder, wir geben dir die getreueste Versicherung, dass es uns in dieser Hinsicht nie um ein Haar besser ging. Wir glaubten wohl alles pflichtmäßig und waren nicht selten von einer geheimnisvollsten Heiligscheu bei diesen außerordentlichen göttlichen Dingen völlig dumm und fanden auch dann im evangelischen Christus unsere völlige Beruhigung. Aus dem Grunde waren wir auch nicht selten für die allerseligste Mutter Gottes und auch für manch andere Heilige mehr in unserem Herzen entzündet als für die allerhöchste göttliche Erhabenheit, welche wir wohl fürchteten, und das nicht selten bis zu einem Verzweiflungsgrad. Aber mit der Liebe zu dem, was man gar so erbärmlich fürchtet, hat es wohl seine geweisten Wege.

[1.55.14] Ob wir in dieser Gegend wohl auch die seligste Jungfrau Maria und irgendeinen anderen Heiligen werden zu sehen bekommen, solches ließe sich auch fragen, denn im Himmel oben, in dem wir uns befanden, war bei der allergrößten Aufmerksamkeit nicht die leiseste Spur davon zu entdecken. Du, lieber Freund, der du sonst immer die besten Einfälle hast, kannst uns in dieser Hinsicht wohl auch etwas zum Besten geben.

[1.55.15] Der Hauptredner spricht: Meine lieben Freunde, in diesem Punkt, glaube ich, sollten wir hier nicht viel Fragen tun, sondern uns lediglich bestreben: erstens, sobald als möglich unseren angezeigten Palast zu erreichen, um alldort die versprochene Aufklärung über das von mir und uns allen nicht verstandene Wort Gottes, besonders was den Paulus und Johannes betrifft, zu erhalten. Und zweitens dürfen wir uns alle zum Grundsatz machen, weil die göttliche Dreieinigkeit für uns unsichtbar geworden ist, uns somit wieder an unseren evangelischen Christus zu halten. Denn dieser Ort hat mit Seinem Ausspruch: „In Meines Vaters Reich sind viele Wohnungen“ – eine bei weitem größere Ähnlichkeit mit dem Himmel als der obige, da wir respektive nur eine einzige Wohnung sahen. Aber nun nichts mehr weiter, denn seht, unser vermeintlicher Tafeldiener kommt uns ja schon wieder entgegen. Also gehen wir ihm auch nur ganz still und ruhig entgegen.

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